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Semiconductor - HaloEine BesprechungBarbara Wucherer-Staar “Within the installation, the sound and image are all-consuming. Materie „trifft“ - KunstDie folgenden Überlegungen entstanden in der theoretischen Auseinandersetzung mit der Installation HALO auf der diesjährigen Art Basel. HALO - finanziert von CERN und Audemars Piguet - sollte Verbindungen und gegenseitige Beeinflussungen zwischen Kunst und Naturwissenschaften sichtbar machen. Künstlerische Leitlinie war der Versuch, mit der Darstellung unterschiedlicher naturwissenschaftlicher Prozesse unterschiedliche künstlerische Objekte zu generieren. HALO war eine immersive Installation auf der diesjährigen „Art Basel“, ein 4m hoher, 10m breiter, begehbarer Zylinder, gebaut von den britischen Künstlern Ruth Jarman und Joe Gerhardt, genannt Semiconductor. HALO befand sich in einem abgedunkelten Raum unterhalb des Basler Messeplatzes. Auf dem Weg dorthin fanden sich Informationen zu ihrer Inspirationsquelle, dem Teilchenbeschleuniger „Large Hadron Collider“ (LHC).[1] Im Innern der künstlerischen Maschinerie „regnet“ ein Kaleidoskop Unmengen von Lichtpunkten auf einem 360-Grad-rundum Bildschirm auf die Besucher. Die „Steuerungsdaten“ für Bewegung (und Klang) werden generiert durch die Aufnahme von Protonenkollisionen im Innern des CERN. [2] Diese Daten steuern Bewegung und Klang des Kunstobjektes, generieren in diesem Moment „Kunst“ - sichtbar und hörbar. Sie machen die Reaktionen im CERN als künstlerisch eigenständiges Szenario sichtbar. Außen sind rundum von der Decke bis zum Boden Klaviersaiten gespannt. Sie emulieren Klänge von Protonenkollisionen, die gleichzeitig mit den Lichtpunkten erklingen. Lichtpunkte und Töne sind Teil einer physikalischen Welt außerhalb unserer menschlichen Wahrnehmung.[3] Ohne Vorkenntnisse der Teilchenphysik können Besucher dieses Szenario „Natur“ erleben und verstehen. Unendliche Kollisionen - differenzierte Konzeption„Alles dreht sich beim Cern um die Kollisionen, die die Physiker erzeugen, wenn sie Protonen in entgegengesetzter Richtung durch den 27 Kilometer langen Tunnel schießen. Unterwegs sind in der Röhre Trillionen von Protonen, von denen jeder einzelne pro Sekunde 11.000 Runden dreht. Die Forscher bringen sie an bestimmten Stellen zur Kollision und simulieren damit die ersten Nanosekunden nach dem Urknall. Sie wollen unbekannte Elementarteilchen aufspüren, um bislang ungelöste Geheimnisse des Universums zu erklären.“[4] Für HALO werden subatomare, möglichst unbearbeitete Rohdatensequenzen von Kollisionen („minimum bias events“) des ATLAS-Experiments am LHC verwendet. ATLAS misst Zusammenstöße von Protonen, aus denen für winzige Sekundenbruchteile kleinere Bausteine der Atome entstehen. Zeit wird sichtbar- und hörbarFür HALO werden diese Teilchenkollisionen, die in Lichtgeschwindigkeit ablaufen, gerendert. Um wahrgenommen werden zu können sind sie um den Faktor 1 Milliarde verlangsamt (25 Sekunden statt 25 Nanosekunden). Zusätzlich werden diese Teilchenkollisionen untereinander vernetzt. Wenn sie den Bildschirm berühren, lösen die animierten Datenpunkte kleine Hämmer aus, so dass die Klaviersaiten an der Außenseite der Skulptur Schwingungen emittieren. [5] Das Nicht-Sichtbare begreifbar machenWie weit kann auch Kunst vermitteln, aus welchen Bausteinen unsere Welt besteht? Prägend für ihre Arbeit, so Jarman im Gespräch mit Monica Bello, der Kuratorin und Leiterin des Künstlerprogramms „Arts at CERN“, sei für Semiconductor die Ursprünglichkeit von Land Art und Arte Povera. Sie erweitern diese Konzepte. Um die Funktionsweise der Wissenschaft zu verstehen arbeiten sie seit Jahren mit Wissenschaftlern zusammen. Wichtig sei ihnen, so Ruth Jarman, „… wie man die Materie der Natur …am besten wahrnehmen kann. Im täglichen Leben registrieren wir nämlich nur einen sehr kleinen Teil unserer physischen Welt. … Am Beginn unserer Zusammenarbeit haben wir uns angesehen, wie die Werkzeuge und Prozesse der Wissenschaft diese ´versteckten´ Materialien zum Vorschein bringen können. Uns wurde aber schnell klar, dass auch die Werkzeuge der Wissenschaft etwas in die Arbeit miteinbringen, das wir nicht beeinflussen können. Diese eigentlichen Störelemente haben uns besonders interessiert. Das hat uns zu den philosophischen Fragen über die Natur geführt und dazu, Wissenschaft als Prozess anzusehen. …Es dreht sich dabei um unser Interesse an der grundlegenden Beschaffenheit unserer Natur und wie wir diese durch die „Augen“ der Wissenschaft wahrnehmen können bzw. wie diese unsere Wahrnehmung der Dinge beeinflusst.[6] Im Rahmen eines 3-monatigen Studienaufenthaltes (ermöglicht durch den „Collide@Cern Ars Electronica Award“ 2015), [7] recherchierte Semiconductor erstmals 2015 und erneut 2017 in Archiven, in Anlagen und in Gesprächen mit Mitarbeitern im CERN. Es sei, so Mark Sutton, Teilchenphysiker am Cern, „... eine andere Art, auf die Forschungsdaten zu schauen, als auf Grafiken und wissenschaftliche Studien.“[8] Zusammen mit den Künstlern brachte er die Rohdaten des LHC in eine Form, die auf dem 360-Grad-Bildschirm von HALO dargestellt werden kann. Wahrnehmung von Natur mithilfe der Technik und der WissenschaftSemiconductor beziehen sich in ihrer Arbeit auf die Physikerin Janet Luhmann, wonach Wissenschaft ein menschliches Konstrukt, Natur dagegen real sei. Dieser Idee folgend erforschen die Künstler Werkzeuge, Sprache, Dokumentation und Prozesse der Wissenschaft um Natur, Beschaffenheit von Materie und die Art und Weise, wie wir sie erfahren zu transformieren. Sie sehen die wissenschaftlichen Ergebnisse mehr als Interpretationen der Natur statt als absolute Fakten über die Natur.[9] Es gehe darum, so Joe Gerhardt, eine Vorstellung von den Mechanismen der Teilchenphysik herauszuarbeiten. [10] Seit mehreren Jahren entwickeln sie zunehmend perfekte, präzise Verfahren, die von Wissenschaft und Technik aufgezeichnet werden. Eine neue Herausforderung sind die riesigen Datenmengen und komplexe Technik des ATLAS-Experiments: Dort werden „Protonen … durch supraleitende Magnete in entgegengesetzte Richtungen um den Large Hadron Collider verbreitet und kollidieren in der Mitte des Atlas-Experiments. So können Partikel von Atlas erkannt, gemessen und für die Analyse von Physikern weltweit genutzt werden.“[11] Elementarteilchenphysik und Kunst: eine technologisch „sublime“ BeziehungIm „Large Hadron Collider“ sind unüberschaubar viele Informationskanäle Kabel, Platinen, Röhren verbaut und miteinander kombiniert: Die Technik hilft, Natur zu simulieren. Was aber passiert, wenn die Natur mit unterschiedlicher Technik simuliert wird? Kunst, die reale Daten wissenschaftlicher Untersuchungen nutzt, sie in Bildern und Tönen sicht- und hörbar macht, erweitert Wahrnehmung und Verständnis von Kunst in die weite Sphäre des Internets hinein. Macht sie Wissenschaft dadurch transparenter? Wird unser Weltbild durch Forschungsergebnisse relativiert?Wenn mit Computerdaten Kunst gemacht werden kann, ändert sich dann die Einstellung der Wissenschaftler zu ihren Experimenten durch die Transformationen der Künstler? Das Projekt „Arts at CERN“ lädt seit einigen Jahren Künstler in das CERN ein. Ziel sei, so Projektleiterin Monica Bello, Wissenschaftler und Künstler miteinander ins Gespräch zu bringen. Zentrales Thema sind unterschiedliche, grundlegende Fragen und Betrachtungsweisen über das Universum - aus wissenschaftlich-experimenteller Forschung, kreativer Position und Künstlerischer Sicht. Für Mark Sutton ist die Verbindung von Naturwissenschaften und Kunst wichtig: „Wenn sie ein Computerprogramm schreiben oder Daten interpretieren, müssen sie versuchen, etwas auf neue Weise anzuschauen. … Als Wissenschafter versuchen wir die äußere Welt, das Universum, zu verstehen. Künstler wenden sich dagegen eher der menschlichen Natur zu und fragen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.“ Die spezifisch menschlich geprägte Versuchsanordnung, so Sutton, fließe immer schon in das Ergebnis mit ein. „Wir leben alle in der Welt, die uns umgibt, unsere Forschung ist damit verbunden, wie wir die Welt wahrnehmen, mit unseren Sinnen interpretieren.“[12] Gemessene ZeitOb handwerklich perfekte, präzise Chronometer des Uhrenherstellers Audemars Piguet, dessen Fabrikationsstätte Jarman und Gerhardt in Le Brassus besuchten oder die gigantische Messanlage am CERN - gemessen wird Zeit. Sie wird immersiv erlebbar in der Installation HALO wie in einer klingenden Zeitskulptur. Für Monica Bello ist es wie das Eintauchen in eine andere Realität. Wie eine Zeitmaschine, die uns mit dem Paradox der Zeit als sozialem Konstrukt konfrontiert. Denn sie wird subjektiv sehr unterschiedlich erlebt. „Wenn man es betrachtet“, so Ruth Jarman, „bekommt man ein Gefühl dafür, dass da irgendwo die Natur ist - es gibt eine Komplexität und ein Chaos der Daten, das der Mensch nicht schaffen könnte. Ebenso gibt es eine Struktur für die Daten, so wie sie zusammengesetzt ist, hat sie die Handschrift des Menschen … Wir nennen es das 'technologisch Sublime´: Wahrnehmen und Erleben durch die Sprache von Wissenschaft und Technik." Es gehe darum, mit hochkomplexen technischen Werkzeugen „der Erfahrung Raum geben, dass Natur etwas ist, das viel grösser ist als wir Menschen“. Eine Referenz - so Bello - an „die Erhabenheit romantischer Naturerfahrung“ und an das „Staunen vor der Natur wie vor der Wissenschaft.“ [13] Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/115/bws19.htm |