Die schwarzen Kanäle – Folge 3

Andreas Mertin


Die Schwarzen Kanäle hat die bisherige Kolumne "Was ich noch zu sagen hätte - Ein Bloggsurrogatextrakt" nach 27 Folgen abgelöst. Ich fokussiere mich in der neuen Kolumne, das Projekt Netzteufel der Evangelischen Akademie Berlin als Anregung aufgreifend, auf Meldungen und vor allem Leserkommentare der Plattformen idea und kath.net. Weiterhin bleibt diese Kolumne eine ironische und satirische Kolumne. Auch wenn ich die Kritisierten beim Wort nehme, kann ich sie dennoch nicht ernst nehmen. Sie sind und bleiben ein Element der Kategorie Realsatire.



In der Blase gefangen

Am ersten Oktober 2018 berichtet kath.net Folgendes:

Der Münsteraner Bischof Felix Genn lehnt ‚traditionalistische Priesteramtskandidaten‘ ab. Dies berichten deutsche Medien, die Genn mit folgendem Satz zitieren: ‚Ich kann Ihnen dezidiert sagen: vorkonziliare klerikale Typen möchte ich nicht und werde sie auch nicht weihen.‘

Nun kann man kurz überlegen, wer wohl mit „deutsche Medien“ gemeint ist? Die BILD-Zeitung? Der SPIEGEL? Die ZEIT? Die FAZ? Die Süddeutsche Zeitung? Die Tagesschau? Nein, ganz sicher nicht. Die haben ganz anderes zu berichten als ausgerechnet die Selbstverständlichkeit zu vermelden, dass Genn keine traditionalistischen Priester einstellt. Welche Organe können aber dann gemeint sein, wenn man von „deutschen Medien“ im Plural spricht? Versuchen wir es mit einer Google-Suche. Diese benennt außer der Meldung von kath.net selbst vier Fundorte:

  • Die Tagespost, die es am 27.09. als erstes Medium meldet;
  • Tudomine.wordpress.com, die die Meldung der Tagespost am 28.9. unter der Überschrift „Bischof Genn offenbar Homofreund und Unterstützer nachkonziliarer klerikaler Typen“ (sic!) verbreiten;
  • CNA Deutsch, die unter Bezug auf die Tagespost die Meldung am 28.9. verbreitet und hinzufügt, dass 2017 im Bistum Münster nur drei Priester geweiht wurden;
  • Gloria-TV, die am 30.09. die Nachricht von CNA Deutsch wiedergeben, ebenfalls mit Verweis auf das Thema Homosexualität.

Und dann folgt schon die Meldung von kath.net am 01.10.2018. Es gibt also nur ein einziges (!) deutsches Medium, das darüber berichtet und das ist die katholische Tagespost in ihrer Onlineausgabe. Alle anderen zitieren nur die Tagespost-Meldung und garnieren sie mit ekligen Konnotationen. Hier soll ein Skandal suggeriert werden, der keiner ist. Es ist ein und dieselbe Filterblase, aus der alle Meldungen stammen. Es wird aus der Meldung der Tagespost nicht einmal klar, ob es sich um eine autorisierte Wiedergabe handelt, das Zitat also verbürgt ist.

Kath.net ergänzt nun die Meldung durch folgenden Hinweis:

Genn stand zuletzt im August in der Kritik. Damals wurde er von einem Pfarrer kritisiert, weil Genn sich den „Musulmanen“ anbiedere. … [Der Pfarrer] kritisierte offenbar eine Ausstellung im Münsteraner Dom mit 14 Künstlern zum Thema Frieden. Dazu hängt über dem Eingangsportal des Domes in Leuchtschrift ein arabischer Schriftzug mit dem Gruß „„as-salamu ‘alaikum“ (Gottes Friede sei mit Dir).

Was kath.net verschweigt: Im Rahmen der Ausstellung waren analoge Schriftzüge der jeweils anderen Religionen an der Synagoge und der Moschee angebracht. Hier wird also das interreligiöse Gespräch denunziert. Aber das passt ja zu kath.net: Hetze durch Verschweigen.


Feige vor der Welt

Diese rechten Evangelikalen, die immer groß den Mund aufreißen, wenn es darum geht, die EKD zu kritisieren oder andere in die Hölle zu schicken, werden doch recht schmallippig, wenn es ans Eingemachte geht, und sie sagen sollen, was sie wirklich meinen. Der Arbeitskreis Bekennender Christen (ABC) hat auf dem Bayerischen Christustag (BC) in höchstem Bekennermut (BM) gefordert, der Zeitgeist (ZG) dürfe Christen nicht davon abhalten, Jesus zu bezeugen. Nun wird niemand in irgendeiner Form daran gehindert, irgendetwas zu bezeugen, das sollen sie nur eifrig tun. Deutschland ist ein freies Land, in dem jeder nahezu alles zumindest sagen kann, auch wenn es auf die kulturelle Vernichtung anderer Religionen und Kulturen hinausläuft. Und was bezeugen diese aufrechten Streiter für das Evangelium nun?

Am Ende gelte die Aussage aus Philipper 2,10-11: „Im Namen Jesu sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist zur Ehre Gottes des Vaters.“ Das schließe alle Knie ein: „Das Knie jedes Moslems, jedes Buddhisten und jedes Marxisten.“

Hm, fehlt da nicht ein gewisser Teil der Menschheit? Gut, die 2,1 Milliarden Christen sind wohl schon eingepreist (auch wenn sie aus evangelikaler Perspektive doch fast alle vom Satan sind), die 1,5 Milliarden Muslime werden benannt, aber sind alle 1,1 Milliarden Säkularen gleich Marxisten? Das glaube ich nun nicht. Und was ist mit den 900 Millionen Hinduisten? Müssten die nicht auch die Knie beugen? Was mit den 400 Millionen Bekennern ethnischer Religionen? Vor allem aber, und das ist ja gerade angesichts der deutschen Geschichte und der Deutschen Christen interessant: was ist mit den 14 Millionen Juden auf der Welt? Werden sie auch bekennen müssen, „dass Jesus Christus der Herr ist“? Und wäre das nicht ein religiös-kultureller Genozid an den Juden? Genau das möchten die Evangelikalen tief in ihrem bösen Herzen, sagen es aber lieber nicht. Man protestiert nur, wenn eine Landeskirche sich gegen die Mission an Juden ausspricht. Aber meinen tun sie es doch: „Auch das Knie jedes Juden wird sich beugen müssen“. Spätestens dann bekommt man einen Brechreiz im Hals. Das: Wir werden sie alle unter das Kreuz kriegen sollte man in Deutschland nicht mehr aussprechen.

Der restliche Schmarrn dieser Veranstaltung religiöser ABC-Schützen erschöpft sich dann in der Lehre von der Verbalinspiration der Heiligen Schrift. Das aber wird auch nach der tausendsten Wiederholung nicht plausibler. Warum denn nicht stattdessen die Personalinspiration oder die Realinspiration? Wer legt das autoritativ fest, wenn es der Papst nicht mehr kann und der einzelne in Frage gestellt wird? Im Zweifelsfalle natürlich Ulrich Parzany. Selbstverständlich bin auch ich ein Vertreter der intentio scripturae. Aber eben in der modernen Auslegung, dass es daneben auch eine Intention der Verfasser (intentio auctoris) und der Leser (intentio lectoris) gibt. Und zwar not-wendig. Ohne die geht es nicht.


Nur den Letzten sollen die Hunde beißen

Während der Städtereisen nach Florenz wird man von den kunsthistorisch bewanderten Stadtführern immer gerne in die spanische Kapelle geführt. Sie schwärmen dann von dem Fresko von Andrea di Bonaiuto aus dem Jahr 1365, das den schönen Titel trägt: Die streitende und die triumphierende Kirche. Und die triumphierende Kirche wird dann von den Dominikanern verkörpert, deren Markenzeichen die scharfen Hunde sind, die für Ordnung in der Kirche sorgen.

Ordnung in der katholischen Kirche möchten nun auch einige Reaktionäre, die sich katholisch nennen, und dazu möchten sie gerne Papst Franziskus stürzen, der ihnen zu liberal ist. Und wie macht man das? Nun, man macht ihn für etwas verantwortlich, für das er gar nicht verantwortlich ist. Zunächst einmal wird insinuiert, Papst Franziskus sei von jemandem gefördert worden, der in der Zwischenzeit einiger Vergehen überführt wurde. Und aus purer Dankbarkeit habe Franziskus diesen Förderer vor Anklage und Aufklärung geschützt. Daraus wird nun ein großer Schein-Skandal gemacht. Nur dass es kein Skandal ist, genauer, dass jemand ganz anderer verantwortlich ist, der nun nicht mehr Papst ist. Schauen wir uns das Ganze genauer an.

Theodore Edgar McCarrick wurde 1930 geboren als Pius XI. Papst war. In den Zeiten von Pius XII. muss er sich entschieden haben Priester zu werden. 1958, Johannes XXIII. wurde gerade zum Papst gewählt, wurde McCarrick zum Priester geweiht. Kurz nach dieser Zeit, so sieht es heute aus, muss es erste Missbrauchsfälle gegeben haben. 1960 wird McCarrick trotzdem unter Papst Paul VI. Sekretär des Erzbischofs von New York, 1977 immer noch unter Paul VI. Weihbischof von New York. 1970 soll es aber schon die ersten belegten Fälle des Missbrauchs gegeben haben. 1981, unter Johannes Paul II., wird McCarrick Bischof von Metuchen, 1986 Erzbischof von Newark. 2000 als es bereits erste juristische 'Befriedungen' von Missbrauchsbeschuldigungen gibt, wird er, immer noch unter Johannes Paul II., Erzbischof von Washington, 2001 Kardinal, 2005 nimmt er am Wahlkonklave von Benedikt XVI. teil. 2006 tritt er altersbedingt vom Amt des Erzbischofs zurück. 2011 wird ein weiterer Fall eines Missbrauchs bekannt. Am Konklave 2013 nimmt er nicht teil, weil er für die Wahl zu alt ist. 2018 wird er von Papst Franziskus aus dem Kardinalsstand entlassen.

Und wer kommt nun um Gottes Willen auf die absurde Idee, Papst Franziskus sei für diese fortgesetzte Katastrophe einer katholischen Funktionärskarriere verantwortlich? Man könnte sagen, frühestens beim ersten Fall 1970, spätestens aber bei den belegten Fällen von 2000 hätte das kirchliche Kontroll-System greifen müssen. Also schon unter Paul VI. hätte die Kurie gewarnt sein müssen, und unter Johannes Paul II. hätte sie einschreiten müssen. Hat sie aber nicht. Es ist zweifelhaft, ob unter Benedikt XVI. irgendwelche Sanktionen angeordnet wurden. Definitiv bestraft wurde der Kardinal erst 2018 unter Franziskus. Und nun wirft ein offenkundig sich um seine Karrierechancen betrogen fühlender Kirchenfunktionär Franziskus vor, nicht richtig gehandelt zu haben? Und er wird in diesem unsäglichen Vorwurf vehement von kath.net und seinen blind gegen Franziskus anstürmenden Schreiberlingen (um nicht zu sagen anschreibenden Stürmerlingen) unterstützt. Dabei liegt die Verantwortung bei jenen Päpsten und ihren Kurienangestellten, die im Jahr 1970 bzw. 2000 das Sagen hatten, also Paul VI. und Johannes Paul II. Selbst wenn es damals nur Gerüchte (2000 aber schon Vereinbarungen zwischen Opfern und der Kirche) waren, so mussten sie doch bei der Beförderung berücksichtigt werden. Der Karriere von McCarrick hat das nicht im Wege gestanden. Und schuld daran soll nun der gegenwärtige Papst sein. Es ist ein leicht durchschaubares Spiel, das hier getrieben wird. Den Letzten beißen die Hunde dachten die katholischen Reaktionäre und hetzten ihre Pressemeute auf Franziskus. Aber wenn man von einer „Affäre McCarrick“ sprechen will, dann ist es eben vor allem eine „Affäre Paul IV.“ und eine Affäre „Johannes Paul II.“. Wenn zudem, wie nun die Ankläger behaupten, auch Benedikt XVI. um die genaueren Umstände gewusst hat, dann ist es eben auch eine Affäre dieses Papstes. Ich wüsste nicht, dass Benedikt McCarrick die Kardinalswürde weggenommen hat. Und wenn ihm, wie Vigano behauptet, die Missbrauchsfälle bekannt waren, wie konnte er McCarrick im Kardinalsstand belassen? Je länger man darüber nachdenkt, um so schlimmer steht Benedikt XVI. da. Das, was jetzt Franziskus vorgeworfen wird, ist dagegen nur eine Petitesse, die Hetzkampagne gegen ihn eine offenbare Kategorienverwechslung.


Kriminalitätsstatistik

„Die polizeiliche Kriminalstatistik ist, wie Kriminologen zutreffend formulieren, im Wesentlichen keine Statistik über die Wirklichkeit der Kriminalität, sondern eine Statistik über die Tätigkeit der Polizei.“

Diesen Satz des früheren Bundesrichters Thomas Fischer scheint der Referent der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen, Kai Funkschmidt, nicht gekannt zu haben, als er sich Anfang November 2018 von Idea mit folgendem Satz zitieren ließ:

„Die polizeiliche Statistik zur ‚Politisch Motivierten Kriminalität‘ (PMK) steht hinsichtlich antisemitischer Straftaten in offensichtlichem Widerspruch zur Wirklichkeit.“

Seine gesamten Ausführungen offenbaren m.E. ein eklatantes Missverständnis dessen, was die PMK eigentlich darstellt. Nein, sie ist entgegen ihrer Bezeichnung keine Kriminalitätsstatistik, sondern nur eine Statistik darüber, welche Kreuzchen Polizeibeamte bei der Erstaufnahme einer Anzeige auf dem Formularblatt machen.

Im Vortrag gibt Thomas Fischer immer ein schönes Beispiel von der Aussagekraft dieser Statistik. Wenn ein Dorf die Zahl der Ordnungsbeamten, die Knöllchen für Falschparken ausstellen, erhöht, erhöht sich natürlich auch die Zahl der Delikte – weil man sie besser erfasst. Würde man keine Beamten dafür abstellen, wäre die „Kriminalitätsrate“ gleich Null, weil nichts erfasst würde. Das muss man bedenken, wenn man über solche Statistiken spricht. Wenn ein meldewütiger Beamter 100 Fälle von Vandalismus anzeigt, die Staatsanwaltschaft aber alle Fälle als unbegründet einstellt, dann erscheinen in der Kriminalstatistik trotzdem 100 Fälle von Vandalismus.

Sehr schön gibt darüber ein Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung unter der Überschrift „Straf- und Gewalttaten von rechts: Was sagen die offiziellen Statistiken?“ Auskunft. Die Leserinnen und Leser können ja für einen Moment überlegen, wo sie die Mordserie des NSU in der Statistik einordnen würden. Das scheint ja auf den ersten Blick klar zu sein. Ist es aber nicht. Denn die so genannte Kriminalstatistik ist eine Eingangsstatistik und die ermittelnden Beamten hielten die Morde der NSU allesamt für Milieu-Verbrechen und kreuzten das Formular entsprechend an. In der PMK tauchen sie daher bis heute nicht auf. Die PMK sagt mehr darüber aus, was Polizeibeamte denken, als darüber, was die Kriminalitätsrate in der BRD ist. Und auch das ist klar: Die Darstellungen aus Sicht der Opfer und die Darstellungen aus Sicht der Polizei weichen immer gravierend voneinander ab.

Der Referent der EZW fokussiert sich nun auf den Bereich der antisemitischen Gewalttaten. Darüber gibt die PMK nur bedingt Auskunft, wenn ich das recht sehe. Zunächst geht es um antisemitische Straftaten, die ein breites Spektrum abdecken. 1504 derartiger Straftaten haben die Beamten durch das Ankreuzen des Formulars erfasst, neben 1075 islamfeindlicher Straftaten. Davon unterscheidet die PMK die politisch motivierte Gewaltkriminalität, die in eine andere Rubrik fällt. Es geht also nicht an, Gewalttaten mit anderen Straftaten zu vermengen. Man müsste nun schauen, wie die PMK das genau erfasst und differenziert.

Genau das zeigt der separate Bogen Hasskriminalität. Der zeigt nun, dass 2017 insgesamt 37 antisemitische Gewalttaten erfasst wurden, von denen 29 dem rechten Spektrum zugeordnet wurden. Zum rechten Spektrum gehören aber auch z.B. die türkischen Grauen Wölfe. Es geht darum zu schauen, was die motivierende Kraft für die Straf- bzw. Gewalttat war. Nur weil jemand Muslim ist, heißt das nicht, dass er die Tat nicht aus rechtsextremen Gründen begangen haben könnte. Sonst müsste man eine Konfessionsabfrage bei allen Straftaten machen und es würde sich herausstellen, dass die Mehrzahl aller Verbrechen in der BRD von Christen verübt werden.

Nach Funkschmidts Logik müssten nun von den 37 gemeldeten antisemitischen Gewalttaten mindestens 19 von Muslimen ausgehen. Dafür würde ich gerne einen empirischen Beleg sehen und nicht nur eine These oder eine Vermutung. Für die Schlagzeile „Antisemitische Gewalt geht meist von Muslimen aus“ fehlt jeder Nachweis. Es ist bloße Agitation.

Aber selbst wenn es so wäre [was ich nicht glaube], müsste man es dann nicht auch mit den 838 fremdenfeindlichen Gewalttaten in Beziehung setzen und deren religionsspezifische Motivation erfragen? Nicht um die antisemitischen Gewalttaten zu relativen, sondern um deutlich zu machen, worüber wir überhaupt sprechen.

Die Beispiele, die der Referent nennt, gehen nun fast alle an der Wirklichkeit der Polizeistatistik vorbei. Ich glaube nicht, dass die Teilnehmer des Al-Kuds-Marsches 2014 überhaupt in der PMK auftauchen. Dazu müsste es eine personalisierte Anzeige gegeben haben. Dass die Marschierer in der PMK als Rechte auftauchen, dafür hätte ich deshalb gerne valide Belege. Alles andere ist nur dumpfes Raunen. Wenn die Statistik falsch ist, muss sie auch mit nachprüfbaren Daten widerlegt werden. Davon kann hier keine Rede sein.


Kainsmal

„Gerade in den USA klebt der Fall McCarrick wie ein Kainsmal am katholischen Bischofsamt.“ Was will der, der so etwas schreibt, eigentlich aussagen? Der reaktionäre Katholik Peter Winnemöller, der diesen Satz auf kath.net verfasst hat, ist schon des Öfteren durch Unkenntnis der Bibel und ihrer Geschichten aufgefallen. Er rotzt die Sätze, die er aufs Papier und ins Internet bringt, einfach so raus, ohne genauer nachzudenken. Der ganze Artikel ist wirr und unsinnig, aber selbst, wenn es um den Kernbestand des Christentums – die Berufung auf die Schrift – geht, ist er voller Fehler. Zunächst empört sich Winnemöller, dass nach den beabsichtigten Beschlüssen der US-Bischofskonferenz Bischöfe sich den Urteilen von Laien unterwerfen müssen:

Einzigartig wäre auch die Dekonstruktion des Weiheamtes gewesen, denn in Falle von (angenommenem?) Missbrauch hätten Laien Strafmaßnahmen über Bischöfe verhängen resp. einleiten können.

Das ist nicht einzigartig, sondern in der ganzen Welt so, dass Staatsanwälte, die in aller Regel Laien sind, Bischöfe, die der Vertuschung bezichtigt werden, mit Strafmaßnahmen belegen können. Das ist das Rechtssystem jedes zivilisierten Staates. Was Winnemöller in seinem kirchlichen Ghettodenken meint, ist, dass binnenkirchlich Laien über Bischöfe urteilen können sollen. Biblisch spricht dagegen nichts. Denn Bischöfe sind nach den heiligen Schriften nicht über die Laien hinausgehoben und juristisch ihnen gleichgeordnet. Und dann kommt dieser merkwürdige Satz:

Gerade in den USA klebt der Fall McCarrick wie ein Kainsmal am katholischen Bischofsamt.

Machen Sie sich da mal ein Bild von. Zunächst einmal überträgt Winnemöller das „Kainsmal“ als Personenzeichen auf ein Amt. Ich glaube nicht, dass das geht und wüsste auch nicht, wie das gehen sollte. Ob ein Kainsmal überhaupt „kleben“ kann, wüsste ich auch nicht, nach talmudischer Überlieferung wurde es Kain in die Haut geritzt. Aber das sind eher Petitessen.

Nicht aber ist das die ungeheuerliche Blasphemie, die Winnemöller mit der Umdeutung des Kainszeichens begeht. Es gibt zwei Lesarten der biblischen Geschichte.

  1. Man kann sie biblizistisch als historisches Ereignis deuten, dann schützt (!) das von Gott gesetzte Zeichen den Kain vor der Tötung aus Blutrache. Es wäre also ein Schutzzeichen. Das Zeichen sagt nicht, dies ist ein Mörder, sondern: dieser steht unter meinem Schutz. Nur Moralinsaure sehen das anders.
  2. Die zweite Lesart wäre die, dass die Geschichte typologisch zu deuten ist, also keine historische Figur, sondern den Menschen an sich meint. Dann ist das Kainszeichen ein Zeichen der Zuwendung Gottes zum Sünder. Es meldet Gottes Herrschaftsanspruch auch noch über den gescheiterten Menschen Kain an, der in den göttlichen Plan einbezogen bleibt.

In beiden Fällen steht das Kainszeichen für das Heilshandeln Gottes! Und nein, „der Fall McCarrick“ ist kein Zeichen für das Heilshandeln Gottes – das wäre ein widerwärtiger Gott, der Kinder opfert. Gott könnte McCarrick durch ein Kainszeichen vor Verfolgung schützen und ihm einen Raum zur Umkehr eröffnen. Aber dass Gott Kindesmissbrauch als Zeichen setzt – diese Vorstellung ist ungeheuerlich. Sicher, Winnemöller hat es nicht so gemeint, aber so gesagt. Aber man spielt nicht im durchsichtigen reaktionären Sinne mit Sprache und schon gar nicht mit der Sprache der Bibel.


Statistik

Kath.net vermeldet heute die Meinung eines Nachrichten-Chefs einer nordwestdeutschen Provinzzeitung über die Kirchen. Diese seien „‘politisierte geistig-moralische‘ Wohlfühldienstleister“. Nun ja, da weiß man schon, wessen Geistes Kind der Mann ist. Die tausendste Wiederholung eines dummen Gedankens macht ihn nicht klüger. Kath.net greift das ja auch nur auf, um den Kirchen eins auszuwischen. Der kath.net-Bericht eröffnet mit folgenden Worten:

Alexander Will, der Nachrichtenchef der „Nordwest Zeitung“, fordert in einem Kommentar, angesichts der schrumpfenden Bedeutung der Kirchen in Deutschland ihre privilegierte Stellung zu hinterfragen.

Nicht schlecht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe mich unwillkürlich gefragt, wie erfolgreich Herr Will in seinem Arbeitsbereich ist, um derartige Vor-Urteile von sich geben zu können. Was zeigt uns also der Vergleich der Abonnentenzahlen der Nordwest Zeitung mit den Mitgliederzahlen der katholischen Kirche? Und welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus?

Laut Wikipedia ist die verkaufte Auflage der Nordwestzeitung zwischen 1998 und 2017 um 16,8% gesunken. Gut, dass scheint über einen Zeitraum von 19 Jahren nicht viel zu sein, pro Jahr etwa ein knappes Prozent. Wie erschreckend höher muss der Verlust bei der katholischen Kirche sein, dass der Nachrichtenchef sich so laut raushängen darf? 20% oder gar 30%?

Schlagen wir nach: 1998 hatte die katholische Kirche etwa 27.154.000 Mitglieder. Würde man davon 16,8% abziehen, käme man auf 22.592.000 Mitglieder. Wären es 20% dann hätte die katholische Kirche nur noch 21.723.000 Mitglieder. Nun zeigt ein Blick auf die aktuelle Kirchenstatistik des Jahres 2018, dass immerhin noch etwa 23.311.000 Menschen in der katholischen Kirche sind, sie also „nur“ 14,2% ihrer Mitglieder verloren hat.

Selbstverständlich darf man die Kirche auch dann kritisieren, wenn man selber ein Blatt leitet, dass unter noch größeren Verlusten leidet. Aber der Tonfall sollte dann doch etwas gemäßigter sein.

Die Krise der Institutionen – zu denen Zeitungen wie Kirchen gehören – ist eine umfassende. Sie lässt sich keinesfalls stoppen, indem man nun wohlfeil irgendwelche entpolitisierenden Rezepte ausstellt. Wer das meint, hat von Soziologie keine Ahnung. Wenn es so einfach wäre, hätten die Kirchenfunktionäre (und die Zeitungsherausgeber) das schon längst gemacht. Aber so ist es nicht. Die Kirchen leiden unter ihrem Erfolg: dass sich das als Wohlfahrt gesellschaftlich durchgesetzt hat, was immer mit zu ihrem Programm gehörte. Weshalb für viele die Kirchen nun überflüssig werden. Die Zeitschriften leiden ebenso unter ihrem Erfolg: dass sich die Verbreitung von Informationen gesellschaftlich so durchgesetzt hat, dass einzelne Printmedien überflüssig werden. Insofern sollte man gesellschaftlich argumentieren und nicht ideologisch. Wenn es nur darum ginge, „das Verhältnis zum Göttlichen (zu) erklären“, um erfolgreich zu sein, wie Will meint, wäre irgendeine evangelikale Sekte schon längst Marktführer. Aber auch die Frommen schrumpfen. Whatever is, is wrong.


Mut zur Lücke

Es ist immer erfrischend, Äußerungen von Menschen zu lesen, die wissen, wohin der Hase läuft. Zu den herausragenden Exemplaren dieser Gattung Mensch gehört der Mediziner, Theologie, Psychologe und Bestsellerautor Manfred Lütz. Ich mag ihn sehr, weil er immer schon in den ersten Sätzen deutlich macht, dass es ihm nicht um Wahrheit und Erkenntnis, sondern um gefühlte Wahrheit und intentional ausgerichtete Erkenntnis geht. Während man bei seinen Kollegen immer noch recherchieren muss, ob das, was sie vertreten, auch zutrifft, enthebt einen Lütz dieser Mühe. Jüngst hat er wieder, wie kath.net vermeldet, so einen Klopper von sich gegeben:

Die Krise der Kirche wurzelt nicht zuletzt darin, dass sich die kirchliche und theologische Sprache von den einfachen Gläubigen entfremdet hat.

Wie Recht der Mann hat. Was waren das noch für Zeiten, als der große Aquinate in leicht verständlichem Latein den Gläubigen die Summe der Theologie vermittelt hat! Jeder konnte dessen einfachen Worten folgen und deshalb ging es der Kirche auch gut. Sicher, wer kein Latein konnte, hatte Pech gehabt, aber solche Subjekte interessierten ja auch niemanden. Ja, auch der niedere Klerus konnte Thomas von Aquin kaum folgen, aber was zählt ist doch: der Kirche ging es gut. Und das kann ja nur daran liegen, dass der Aquinate der einfachen Sprache für einfache Gläubige mächtig war. Und als dann im 19. Jahrhundert deutschsprachige Ausgaben des Aquinaten erschienen, sagte das deutsche Volk: Hokuspokus – das habe ich ja schon immer gedacht; wenn doch nur alle Theologen so leicht verständlich reden und schreiben würden:

Deshalb gibt es ja auch die Summa Theologiae ab und an bei ALDI als preiswerte Werkausgabe. Zum Nachschlagen, wenn man sich nicht mehr so ganz sicher ist.

Theologische Erkenntnisse müssten ebenso übersetzbar und "für eine Hofer-Verkäuferin oder meinen Friseur verstehbar sein", wie sonntägliche Predigten - ansonsten würde sich die gegenwärtige Krise des Glaubens nur noch weiter verstärken und die Kirche weiter an Relevanz in der Gesellschaft verlieren …

… meint Herr Lütz und erinnert mich an meine Berliner Studienzeit, als viele Taxifahrer gebildeter waren als ich, weil sie zwar promoviert hatten, aber anschließend keinen Job fanden und deshalb für ihren Lebensunterhalt Leute wie mich durch Berlin kutschierten. Ja, die gebildeten Friseure gibt es offenbar – zumindest in Österreich – immer noch. Im Blick auf die Verkäuferin bin ich aber skeptisch. Ich habe gleich eine Probe auf Exempel gemacht und in einer ruhigen Verkaufsstunde unserer ALDI-Verkäuferin einen Text von Lütz in die Hand gedrückt, aber verstanden hat sie ihn nicht. Es hat sie aber auch nicht wirklich interessiert. Als ich ihr dann Lütz „übersetzt“ habe: katholische Kirche gut – alles andere problematisch, hat sie mich nur verstört angeschaut. Und ich konnte ihr nur beipflichten: Man kann die Welt auch differenzierter betrachten. Lütz aber geht es um mehr, um den finalen Kampf mit den Atheisten:

Wenn man sich neu vor Augen führe, dass jenseits zurecht beklagter religiös-historischer Skandale wie etwa der mittelalterlichen Ketzertötungen wesentliche Werte und zivilisatorische Errungenschaften wie Toleranz, Mitleid oder auch Internationalität letztlich "christliche Erfindungen" seien, könne man sich gestärkt den Diskussionen mit Agnostikern und Atheisten stellen und müsse nicht länger "sich seiner eigenen Geschichte aus Unwissenheit schämen".

  • Toleranz – eine Erfindung des Christentums?
  • Mitleid – eine Erfindung des Christentums?
  • Internationalität – eine Erfindung des Christentums?

Selten so gelacht. Wann lebte denn Aristoteles nach der Vorstellung von Lütz, der sich in der Rhetorik des längeren über Mitleid auslässt? Nach Christus? Wohl nicht. Oder hat er vielleicht etwas gefunden, was die Christen erst 350 Jahre später erfunden haben? Und was ist mit dem Toleranz-Edikt des Kyros 538 vor Christus? Nur ein Mythos? Und was ist mit der der Menschheit innewohnenden Tendenz zur Internationalität nach Genesis 11, 1-9? Christlich, weil vom prä-existenten Christus in Gang gesetzt? Oder doch eher jüdische Deutung ihrer Geschichts- und Welterfahrung? Mir scheint, mit den angeblich „christlichen Erfindungen“ (die doch eigentlich eher Entdeckungen sein dürften und sollten) ist es nicht weit her. Ganz abgesehen davon, dass ich weder Toleranz, Mitleid noch Internationalität mit dem Christentum verbinde.

Wenn das Taubenspiel (die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen) so funktioniert, dann lohnen sich Diskussionen mit den Atheisten erst gar nicht, denn dann steht nichts auf dem Spiel. Dann macht man typisch deutsche Hase-und-Igel-Rennen, wo der betrügerische christliche Igel hinterher triumphiert: ick bin allhier! So nicht.


Adam & Eva

Die charismatischen Katholiken, kath.net und irgendwelche Evolutionsgegner, die es offensichtlich wider alle wissenschaftliche Erkenntnis immer noch gibt, meinen triumphieren zu können. Ein Britischer und ein Schweizer Wissenschaftler haben nämlich einen Aufsatz veröffentlicht, der scheinbar behauptet, dass die gesamte Menschheit von nur einem Menschenpaar aus der Zeit zwischen 200.000 und 100.000 vor heute abstammen. Das kommt ihnen irgendwie bekannt vor und sie meinen, dadurch werde der biblische Schöpfungsbericht bestätigt. Das ist nun ziemlich gequirlter Schwachsinn und auch für jeden, der den Forschungsbericht gelesen hat, erkennbar Unsinn. Abgesehen davon, dass die neuen ältesten fossilen Funde des Menschen seit kurzem auf 300.000 Jahr vor heute datiert werden, Gott also durchaus vor dem singulären Ereignis schöpferisch tätig gewesen sein müsste (nicht zuletzt um all die anderen Formen der Gattung Homo zu schaffen), hat dieselbe wissenschaftliche Methode, mit der die Forscher nun argumentieren, vor einiger Zeit „bewiesen“, dass sich Mensch und Neandertaler nie gekreuzt hätten. Heute wissen wir es besser. Jeder von uns trägt Gen-Material der Neandertaler in sich. Da muss man die Methode noch einmal präzisieren. Theologisch folgt daraus zunächst einmal gar nichts.

Nein, Gott hat nicht Adam und Eva geschaffen, nicht vor 100.000 Jahren, nicht vor 200.000 Jahren und auch nicht vor einer Million Jahren. Die Paradiesgeschichte ist eine ätiologische Erzählung mit der die Autoren der Bibel bestimmte vorfindliche Verhaltensweisen und Zustände der Menschheit zu erklären suchen. Mit anderen Worten, die Genesis ist Deutung, nicht Beschreibung der Weltenentstehung. Alles andere ist pure Dummheit und sollte mehr als 250 Jahre nach der Aufklärung nicht mehr vertreten werden.

In der Sache bestreiten die Forschungen der beiden Wissenschaftler jeglichen Sachgehalt des Schöpfungsberichts, denn sie gehen davon aus, dass eine weltweite Katastrophe den Bestand der seit Millionen von Jahren bereits bestehenden Arten auf der Erde im genannten Zeitraum dramatisch reduziert hat. Dann kann es sich aber nicht um Adam und Eva gehandelt haben, sondern allenfalls um die Nachkommen des Noah. Aber auch das macht wenig Sinn. Vergessen wir nicht, es sind Evolutionsbiologen, die das vorlegen. Sie benennen ein Phänomen, das erklärungsbedürftig ist und für das wir mach dem aktuellen Stand der Wissenschaft noch keine ausreichende Erklärung haben. Theologie ist aber keine Lückenbüßerwissenschaft, die dort Erklärungen liefert, wo die aktuelle Wissenschaft im Moment keine Erklärungen hat. Theologie und Religion sprechen ihre eigene Sprache.


Völkische Erziehung

Wenn ich eins in den letzten Jahren bei der morgendlichen Lektüre von kath.net gelernt habe, dann, wie das institutionalisierte religiöse Böse aussieht. Wie Menschen zur Empörung getrieben und zur Denunziation aufgerufen werden. Schon der Teaser wird so zusammengestellt, dass eine unbefangene persönliche Meinungsbildung gar nicht mehr möglich wird. Es ist, als ob eine Meute oder ein Mob zur Jagd getrieben wird. Man kann dabei davon ausgehen, dass man nahezu in jedem Artikel Fehler, Verzerrungen und Falschdarstellungen findet. Oftmals geschieht das so, dass aus irgendwelchen Quellen im Netz zitiert wird, ohne den konkreten Sachverhalt am Material selbst zu überprüfen. Den Autoren und Betreibern reichen ein paar Zeilen, um ihre Kommentatoren in einem exemplarisch pawlowschen Reflex zum Geifern zu bringen. Nun würde einen das nicht wundern, wenn es sich um rechtsextreme Portale wie political-incorrect handelt, die auch schon mal Autoren publizieren, die ein Nürnberger Gerichtsverfahren für Richter, Staatsanwälte, Intellektuelle und Journalisten fordern, die links von der AfD sind.

Aber hier handelt es sich um eine Plattform, die sich katholisch nennt und deren Lügen und Verdrehungen unmittelbar auf die katholische Kirche zurückfallen. Und hier muss man das Gefühl bekommen, dass ein Gebot wie „Du sollst nicht falsch Zeugnis geben“ in der christlichen Gemeinschaft keinerlei Bedeutung mehr hat.

Heute eröffnet kath.net seinen Pinocchio-Bericht mit folgendem Teaser:

Was soll man an dieser denunziatorischen Stürmer-Meldung noch journalistisch nennen? Das Heft „Ene, meine, muh – und raus bist du! Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik“ der Amadeu-Antonio-Stiftung ist keine staatliche Broschüre, sondern wird von einer Stiftung herausgegeben, die auch vom Staat unterstützt wird. Sie ist deutschsprachig, weil sie sich an Erzieher und Erzieherinnen in Deutschland wendet. Umstritten ist die Stiftung nur bei Rechtspopulisten und Rechtsextremen.

Nun würde ein vernünftiger Journalist, der durch rechtsradikale Portale und Kommentare etwa von David Berger, der Jungen Freiheit usw. auf die Broschüre aufmerksam wurde, sich zunächst einmal diese besorgen und sie lesen und dann den Leserinnen und Lesern vorstellen und sie anschließend kommentieren. Dieser Notwendigkeit journalistischer Arbeit enthält sich kath.net, weil ihr allein die Stiftung als solche schon reicht, um Rot zu sehen.

„Schnüffel-Fibel“ ist natürlich ein denunziatorischer Begriff und hat, darauf komme ich gleich noch, überhaupt nichts mit dem zu tun, was Inhalt der Broschüre ist. Ein Teaser aber fasst knapp zusammen, was Inhalt des Artikels ist und hier fasst er die Pinocchio-Meinung der Redaktion zusammen, nicht den der Broschüre. Mit Stefan Niggemeier (Übermedien) sollte man es als das benennen, was es ist: eine Lüge. In diesem Fall: eine katholisch kolportierte Lüge.

Kath.net schreibt nun in seiner Meldung:

"Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe, es wird zu Hause zu Haus- und Handarbeiten angeleitet, der Junge wird stark körperlich gefordert." So sollen laut einer neuen deutschen "Schnüffel-Fibel" Kinder aus vermeintlichen rechtspopulistischen Bewegungen schon frühzeitig im Kindergarten aufgespürt werden.

Daran ist kein Wort wahr, wie jeder sich sofort überzeugen kann, der die Broschüre liest und des Lesens fähig ist. Die Broschüre ist jedermann und jederfrau als PDF zugänglich. Zum Zeitpunkt der Publikation der kath.net Meldung gibt es längst schon eine Klarstellung der Amadeo-Antonio-Stiftung zum Sachgehalt der Vorwürfe. Wenn man darauf gar nicht eingeht, sondern einfach weiter die Falschdarstellungen verbreitet, begeht man schlicht: Hetze.

Konkret wird in der Broschüre ein realer Fall geschildert, bei dem zwei Kinder in einer Kita sind und sich durch besondere Normalität auszeichnen, sie sind brav, gehorchen sofort, erzählen aber wenig von Zuhause. Sie sind klassisch gekleidet, d.h. das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe. Vom Jungen wird berichtet, dass er zu Hause zu körperlicher Arbeit angehalten wird. Das alles ist völlig unproblematisch – auch in der Broschüre!

Der tatsächliche Konflikt entsteht, als das Mädchen andere Kinder der Kita zum Kindergeburtstag einlädt und sich besorgte Eltern(!!!) an die Kita wenden, weil sie wissen, dass die Eltern des Mädchens zu einer rechtsextremen Kameradschaft gehören. Ein klassischer ethischer Konflikt, wie ihn Eltern in analogen Fällen häufig erleben. Soll man sein Kind auf diese oder jene Feier lassen? Die Erzieherinnen und Erzieher sollen also beraten, ob die Freude der Kinder an der Feier nicht wichtiger ist als die Sorge um rechtsextreme Beeinflussung. So steht es in der Broschüre.

Noch einmal: Da steht nicht „ein Mädchen hat Zöpfe, also kommt es aus einer völkischen Familie“, sondern es steht dort, Eltern fragen sich, ob sie ihre Kinder zu einem Geburtstag in einer Familie einer rechtsextremen Kameradschaft schicken sollen. Wer das nicht ernst nimmt, versteht nichts vom Kindeswohl.

Nun kann man der Stiftung vorhalten, dass sie nun zu einem langen Exkurs über völkische Erziehung ansetzt, der sich aus dem geschilderten Sachverhalt gar nicht ergibt. Ich finde auch die Überlegungen zu „Rechtsextremismus und Kindeswohlgefährdung“ in dieser Broschüre deplatziert. Es entsteht unwillkürlich der Eindruck, ein pädagogisches Mittel sei der Kindesentzug. Nein, das ist eine ultima ratio, und sollte nicht so im Vordergrund stehen. Ich würde das – gerade auch im geschilderten Fall – eine Überreaktion nennen.

Aber an keiner Stelle des geschilderten Fallbeispiels wird zum Schnüffeln aufgefordert. Der konkrete Fall schildert ein Problem, das besorgte Eltern an die Kita herantragen. Darum geht es. Und davon ist in der Meldung von kath.net nichts mehr zu spüren.

Noch kurz ein Blick auf die Reaktion der Klientel von kath.net. Auch hier liest natürlich erkennbar niemand(!) die Broschüre, man verlässt sich auf die verleumderische Zusammenfassung der Redaktion. Und die passt natürlich zur Klientel, wie eine „Eremitin“ sofort offenbart. Dass die gleiche Broschüre darüber berichtet, dass Eltern gegen einen potentiellen syrischen Angestellten einer Kita protestieren, also Gesinnungsschnüffelei betreiben, und dieser deshalb nicht angestellt wird, wird aussen vorgelassen. Ist ja ein Syrer und nicht ein Rechtsradikaler. Dieser Hetze und Falschwahrnehmung unserer Gesellschaft leistet kath.net Vorschub.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/116/am642.htm
© Andreas Mertin, 2018