Die Bibel der Putzfrauen

Rezension eines Buches, das ich nicht gelesen habe

Andreas Mertin

Schneider, Nikolaus (Hg.) (2018): Glaube, Liebe, Hoffnung. Die Bibel der Politikerinnen und Politiker. 1. Auflage. Hamburg: Kreuz Verlag GmbH.

Vielleicht ist es etwas gewagt, ein Buch zu rezensieren, das man nicht gelesen hat und auch nicht vorhat, es in Zukunft zu lesen. 2018 erschien das Buch „Glaube, Liebe, Hoffnung. Die Bibel der Politikerinnen und Politiker“, herausgegeben durch den früheren Ratsvorsitzenden Nikolaus Schnei­der. Aufmerksam wurde ich auf dieses Buch durch eine Meldung bei Idea, die auf den Tatbestand abzielte, dass in dem Buch zwar 69 Politiker mit ihrer Lieblingsbibelstelle zu Wort kommen, darunter bewusst aber kein AfD-Politiker. Diese Meldung diente der Erregungssteuerung der Deutschen Christen, die sich Idea als ihre Artikulationsplattform auserkoren haben. Nun hätten mich AfD-Politiker in diesem völlig überflüssigen Buch nicht gestört, ihre Beiträge hätten kaum anders geklungen als die der jetzigen Autoren. Aber ich kann nachvollziehen, dass Verlag und Herausgeber eine Art implizitem „status confessionis“ erklären, der Funktionäre der AfD ausschließt. Dann freilich wäre es gut, diesen Status Confessionis auch explizit theologisch zu erklären. Aber, wie gesagt, das ist mir eigentlich egal. So wichtig ist mir diese rechtsextreme Partei nicht. Nicht aber gleichgültig ist mir der Gestus, mit dem zwar Politikerinnen und Politiker, nicht aber Putzfrauen und Putzmänner, Straßenbahnfahrer und Straßenbahnfahrerinnen, Ärzte und Ärztinnen zu diesem Thema um einen Beitrag gebeten werden. Das scheint mir durch und durch verfehlt zu sein. Was zeichnet Politikerinnen und Politiker vor anderen Berufsgruppen (z.B. Steuerfahnderinnen und Steuerfahndern) aus, dass sie um ihre Stellungnahme gebeten werden, andere aber nicht? Ist das ein Relikt der Zwei-Reiche-Lehre, ein Nachklappen der Allianz von Thron und Altar? Warum drängt man sich Politikern auf, statt neugierig dem Volk auf religiöse Maul zu schauen? Wäre das nicht sinnvoller und auch dem Evangelium gemäßer?

Dazu möchte ich auf zwei Überlegungen Martin Luthers verweisen. Zum einen auf Luthers Auslegung des Magnifikat der Maria, in der er schreibt:

Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich (hinaus) zur Ehre, zur Gewalt, zum Reichtum, zur Gelehrsamkeit, zu gutem Leben und allem, was groß und hoch ist, hinstrebt. Und wo solche Menschen sind, denen hängt jedermann an, da läuft man (hin)zu, da dienet man gern, da will jedermann sein und der Höhe teilhaftig werden, so dass nicht umsonst so wenig Könige und Fürsten in der Schrift als fromm beschrieben sind.
     Umgekehrt will niemand in die Tiefe sehen, wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist, davon wendet jedermann die Augen ab. Und wo solche Leute sind, davon läuft jedermann weg, da fliehet, da scheuet, da (ver)lässt man sie und denkt niemand (daran), ihnen zu helfen, beizustehen und zu machen, dass sie auch etwas sind. Sie müssen so in der Tiefe und niedrigen, verachteten Masse bleiben. Es ist hier kein Schöpfer unter den Menschen, der aus dem Nichts etwas machen wolle, wie doch Paulus Römer 12, 16 lehret und sagt: »Liebe Brüder, trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den niedrigen.«
[1]

Darum scheint es mir zu gehen, genau an dieser Stelle Römer 12, 16 zu folgen. Die zweite Überlegung Luthers ist ein Abschnitt aus seiner Berufslehre, in der er die Arbeit der Magd als rechten Gottesdienst bezeichnet und das dem Gottesdienst der Mönche gleichstellt. Ich gebe ihn wieder mit einem Zitat von Wolfgang Huber:

In Aufnahme und Abänderung einer scholastischen Tradition unterscheidet Luther zwischen zwei Dimensionen am Beruf: der vocatio interna oder spiritualis und der  vocatio externa. Aber während das Mittelalter die vocatio spiritualis den Religiosen vorbehält und dem weltlichen Stand demgemäß nur eine äußere Berufung zuerkennt, bindet Luther diese mit großer Konsequenz an die Berufung zum Glauben und damit an das Priestertum aller Glaubenden. Jeder Christenmensch hat deshalb einen doppelten Beruf, den Beruf zum Glauben und den Beruf zum Dienst am Nächsten. Weil sich beides in jeder christlichen Existenz verbindet, kann es keinen Rangunterschied zwischen den Berufen geben. Berühmt ist die Verdeutlichung dieser These am Beispiel der Hausmagd: „Wenn du eine geringe Hausmagd fragst, warum sie das Haus kehre, die Schüsseln wasche, die Kühe melke, so kann sie sagen: Ich weiß, dass meine Arbeit Gott gefällt, sintemal ich sein Wort und Befehl für mich habe.” (Predigt 1532). Der göttliche Ruf zur Liebe erreicht die Menschen in allen Ständen und Tätigkeiten.

Der „Skandal“ ist also nicht, dass Schneiders Buch ohne AfD-Politiker erscheint, sondern dass es Politiker als herausgehobene Gruppe vorstellt. Vor 500 Jahren wurden als vorbildliche Menschen die Mönche hingestellt. Heute werden die Politiker exemplarisch(!) zum Glauben befragt, andere aber nicht. Da kann ich keinen Unterschied erkennen. Bevor ich also das Buch von Schneider lese, warte ich auf den Nachfolgeband, der den Titel trägt: „Einer trage des Anderen Last. Die Bibel der Verkäuferinnen und Verkäufer“. Das würde ich mit dem Politikerband gerne in Beziehung setzen. Vorher aber bleibt das Buch dort, wo es hingehört: im Warenlager von Amazon.

Anmerkungen

[1]    Luther, Martin (1883-2009): Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt. In: Martin Luther: D. Martin Luthers Werke. Weimarer Ausgabe, Bd. 7. Weimar, S. 546–601, hier S. 547

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/116/nnam644.htm
© Andreas Mertin, 2018