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Bilder in der konfessionellen AuseinandersetzungReligionspädagogische Impulse*Andreas Mertin
Der Begriff der christlichen Seefahrt ist uns noch geläufig. Die heidnische Seefahrt, die es auch einmal gab, ist uns schon weniger vertraut. Wie aber steht es um die katholische Seefahrt, die orthodoxe Seefahrt, die lutherische Seefahrt, die calvinistische Seefahrt? Gibt es so etwas? Nein, konfessionelle Schemata wenden wir auf die Seefahrt nicht an. Wohl aber auf die Bildende Kunst. Die Rede von katholischen und von evangelischen Bildern ist uns eher geläufig als die Rede von der calvinistischen Seefahrt. Darstellungen der Gregor-Messe sind demnach eher katholische Bilder, Darstellungen von Gesetz und Evangelium eher lutherische Bilder. Aber ein evangelischer Maler wie Lukas Cranach hat auch gut katholische Bilder geschaffen wenn seine Auftraggeber das bei ihm in Auftrag gaben. Die Frage nach den konfessionellen Differenzen stellt sich natürlich immer erst nach Kirchentrennungen und selten sind sie kulturell so folgenreich wie nach dem Morgenländischen Schisma von 1054. Anders als die Differenzierung von Evangelisch und Katholisch war die zwischen West-Rom und Ost-Rom gefolgt von einer grundsätzlich unterschiedlichen kulturellen Entwicklung mit einschneidenden Folgen für die Kunst. Ob wir eine orthodoxe Ikone oder ein westliches Kunstwerk zum Thema „Lukas der Maler“ vor uns haben, erkennen wir sofort.
Die uns im Folgenden interessierende Unterscheidung zwischen „evangelisch“ und „katholisch“ in Bilderfragen entsteht am Anfang des 16. Jahrhunderts und sie endet im 19. Jahrhundert als die religiöse Frage in der Kunst kaum noch eine Rolle spielt. In der Frömmigkeitskultur dürften die Differenzen aber noch bis ins 21. Jahrhundert weitergehen, wenn wir an Phänomene wie Pater Pio oder auch an Mel Gibsons „Passion Christi“ denken. Klassisch fragt man bei diesem Themenkomplex im Religionsunterricht, wie die beteiligten Gruppierungen Bilder eingesetzt haben, um ihre verschiedenen Standpunkte zu verdeutlichen. Wir landen dann bei den Flugblättern der Reformationszeit, später auch bei den Altarbildern aus der Cranach-Werkstatt und schließlich bei den gegenreformatorischen Bildern der Barockzeit. Dabei werden jene Bilder ausgelassen, die der Drastik der damaligen Zeit entsprechen und insbesondere mit optischer Fäkalsprache arbeiten. Man greift lieber auf Lehrbilder zurück und fast schon harmlose Bildpolemik. Dieser Weg ist gangbar, aber er führt gerade nicht dazu, zu begreifen, wie sich evangelisch und katholisch in der Sache, also im Blick auf die Bilder unterscheiden. Ich schlage daher vor, sich dem Thema in zehn Schritten zu nähern, die in das Zentrum der Auseinandersetzung führen. 1Wir müssen uns zunächst vergegenwärtigen, welche Bedeutung Bilder für die Menschen des christlichen Abendlandes vor 1517 hatten. Nur wenn wir begreifen, dass Bilder auch ein Teil des Seelgerätes waren, mit dem man sich einen besseren Zugang zum Himmel sichern konnte, können wir verstehen, warum die Angriffe der reformatorischen Bewegungen so verstörend und so folgenreich waren. Ich schlage dazu vor, sich mit der Darstellung des Weltgerichts in der Scrovegni-Kapelle in Padua zu beschäftigen. Die Kapelle wurde geschaffen, um dem Vater des Stifters, einem Wucherer wie Dante in der Göttlichen Komödie schreibt [und ihn in den 8. Kreis der Hölle verweist], das Leiden im Fegefeuer zu erleichtern. Dazu übergibt der Sohn, wie man im Weltgerichtsfresko gut sehen kann, den Engeln die fertiggestellte Kapelle und erhofft so für seinen Vater eine Gegenleistung. Was bedeutet das aber für einen nicht vermögenden Menschen im 14. Jahrhundert? Welche Mittel stehen ihm zur Verfügung, die zeitlichen Strafen im Fegefeuer zu mindern? Die zentrale Erkenntnis dieses Schritts lautet: Bilder bekommen in der Christenheit nicht nur die Funktion der Darstellung biblischer und historischer Ereignisse, sondern werden selbst zu Mitteln des Heils. Als Seelgerät verkürzen sie die Zeit des Sünders im Fegefeuer. In diesem Sinne sind sie Teil des Ablass-Systems. 2Man sollte sich dann vergegenwärtigen, wie eine Kirche vor 1517 eigentlich im Innern ausgesehen hat und in welcher Form die Gläubigen dort auf Bilder stießen. Wenn wir heute evangelische, katholische, jüdische, ja sogar orthodoxe Räume aufsuchen, hat das nur noch bedingt etwas mit dem zu tun, wie diese Räume zu Beginn der Neuzeit gestaltet waren. Leider entwickelt sich der Bildtypus „Kircheninnenraum“ erst mit der konfessionellen Differenzierung, so dass wir nur ansatzweise visualisieren können, wie eine Kirche vor 1517 aussah. Ich schlage vor, ein Bild aus der Liebfrauenkirche von Antwerpen nach der katholischen Wiederaneignung der Kirche zu verwenden .
Die Erkenntnis aus diesem Schritt lautet: Kirchen waren Orte des täglichen Lebens, mit Bettlern, Kindern, Hunden und Bürgern. Sie waren Bühnen für die tägliche Modenschau, aber zugleich politische wie religiöse Orte. Sie waren voller Bilder und Statuen. Sie waren keine beschaulichen Rückzugsorte, sondern sind Teil des Lebens (und auch Sterbens) der Menschen. 3Man könnte dann die Überlegung einschieben, warum Bilder im Christentum trotz des vorgegebenen biblischen Bilderverbots eine so elementare Bedeutung bekommen konnten, dass sogar das Heil von Menschen von ihnen abzuhängen schien. Denn laut biblischer Überlieferung waren zumindest Kultbilder ja eigentlich streng verboten. Hier müsste erarbeitet werden, dass das Christentum das Bilderverbot als Darstellungsverbot fremder Götter interpretiert. Aber es findet keine gemeinsame Lösung für christliche Bilder. Diese können heilsnotwendig (Orthodoxie), nützlich (Katholiken und Lutheraner) oder neutral sein (Reformierte). 4Danach wäre zu klären, was Bilderkampf eigentlich im 16. Jahrhundert konkret bedeutet hat, warum also Menschen die Bilder in den Kirchen gestürmt, entfernt oder sie sogar zerstört haben und wie sie dann mit Hilfe von Bildern Auseinandersetzungen führten und gegeneinander argumentierten. Dabei wird sich zeigen, dass der Kampf gegen die Bilder in den Kirchen vorrangig den Statuen gilt diese werden in der Regel zerstört. Bilder werden eher abgehängt und zurückgegeben, seltener vernichtet. Der inhaltliche Kampf mit Hilfe von Bildern wird auf beiden Seiten mit harten Bandagen geführt. Im Zentrum steht weniger die theologische Argumentation als vielmehr die polemische Herabsetzung des religiösen Gegners.
5Der nächste Schritt hätte zu klären, wie sich daran anschließend bei den Protestanten eine eigene Bildertheologie entwickelt und wie sich die inner-evangelischen Positionen voneinander unterscheiden. Dabei zeigt sich: Keiner der Reformatoren spricht sich gegen Bilder an sich aus. Aber alle bestreiten eine religiöse Eigenbedeutung der Bilder. Differenzen bestehen darin, ob aus didaktischen Gründen religiöse Bilder zu tolerieren seien. Hier plädiert Luther für die Didaktik, während Karlstadt, Zwingli und Calvin skeptisch sind. [Vgl. dazu: Mertin, Andreas; Valtink, Eveline (Hg.) (2017): Die Bilder sind frei. Luther und die Avantgarde - Religions- und kunstpädagogische Impulse. Norderstedt.] 6Danach wäre zu fragen, wie die spezifische Bildsprache des Protestantismus und hier insbesondere des Luthertums ausgesehen hat, wie sie bestehende Bildkonzepte der katholischen Kirche aufgegriffen und in ihrem Sinne transformiert und weiterentwickelt haben und doch zu analogen Bildformen wie der Katholizismus kamen. Dabei wird deutlich, dass die Protestanten ein Bild suchten, das sich von den überlieferten ‚katholischen‘ Bildern unterschied und von der katholischen Kirche auch nicht einfach im Nachhinein übernommen werden konnte. Sie finden es in dem vor allem von Cranach geprägten Bildtyp „Gesetz und Evangelium“, bei dem der „Blutstrahl der Gnade“ (das Blut Christi) ohne kirchliche Vermittler direkt auf den einzelnen Gläubigen spritzt. Damit können sie das traditionelle Motiv von Christus in der Kelter (mit dem Papst und der Kirche als Vermittler) erfolgreich uminterpretieren. [Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass das dem Kreis von Albrecht Dürer zugeschriebene Kelterbild heute in einer evangelisch-lutherischen Kirche (St. Gumbertus in Ansbach) hängt.] 7Im nächsten Schritt fragen wir nach der katholischen Antwort auf die neuen evangelischen Bilder, die auf dem Konzil von Trient (1545-1563) gegeben wurde. Die 25. Sitzung am Ende des Konzils bestimmte, dass Bilder nun glaubensvermittelnd und nicht mehr anstößig sein sollen. Man kann gut beobachten, welche Schlussfolgerungen die Künstler daraus gezogen haben. Es ist die Zeit des Barocks und der in Bewegung geratenen Kunst. Zudem werden persönliche und regionale Elemente in das Bild eingebaut, etwa die Katze und die örtliche Kathedrale auf der nebenstehen Verkündigung von Fr. Barocci aus dem Jahr 1592. Die Erkenntnis dieses Schritts lautet: Mit den Beschlüssen des Konzils von Trient ändert sich die Kunst selbst und auch die Funktion der Kunst in der Kirche: Bilder bekommen einen Bezug zum Leben der Betrachter, sie werden einladender und ziehen den Betrachter in das Bild. Der Bildraum bezieht den Kirchenraum mit ein. Die Subjektivierung des Bildgeschehens schreitet voran. Die Kunst versucht, die Geheimnisse des Glaubens darzustellen. 8Wenn „religiöse Kunst“ für Protestanten anstößig war, Kunst selbst aber nicht verboten: welche neue Bildwelten entstanden daraus? Mit dem Goldenen Zeitalter von Kunst und Handel in den reformierten Niederlanden lernen wir in diesem Schritt, warum das Thema ‚Alltag‘ in der Kunst gut protestantisch ist. Die Erkenntnis aus diesem Schritt: Da „religiöse Bilder“ von der Kundschaft nicht mehr gefragt waren, mussten die Künstler neue Bildthemen entwickeln, die von ihren Kunden auch gewünscht waren. Ein Thema wurde die Landschaft. So konnte man katholische und evangelische Bedürfnisse verbinden, indem man zum Teil einfach religiöse Geschichten in die Landschaftsdarstellungen einband [Auf der unteren Montage zu erkennen: der bethlehemitische Kindermord im Hintergrund und die Flucht nach Ägypten im Vordergrund]. Zugleich entdeckte die Kunst das Leben der Menschen. Statt ‚Religion‘ bzw. „religiöse Geschichte(n)“ wurde nun ‚der Alltag‘ der Mensch in all seinen Höhepunkten und Niederungen gemalt. 9Der vorletzte Schritt zeigt uns das Ende der Differenzen, weil statt der konfessionellen Frage nun die subjektive Religiosität und das religiöse Gefühl in den Vordergrund treten. Mit der Romantik wird das Subjekt auf sich selbst verwiesen. Zwar gibt es noch einmal den Versuch, eine allgemeine religiöse Kunst zu etablieren, aber sie vermag sich im Betriebssystem Kunst nicht durchzusetzen. Der Triumph der Religion (Franz Overbeck) in den Künsten vermag die Menschen nicht mehr zu überzeugen. Stattdessen wird die Landschaft und das Unendliche als Thema der Kunst entdeckt.
Das führt zur Erkenntnis: Die romantische Kunst transformiert Religion ins religiöse Gefühl. Sie ist aber schnell vergessen und wird erst viel später wiederentdeckt. Die ‚große Kunst‘ des 19. Jahrhunderts Realismus und Naturalismus wird als unchristlich bekämpft. Die Künstler verzichten auf explizite religiöse Symbolik. Von der Kirchenkunst des 19. Jahrhunderts ist heute nur noch wenig in Erinnerung. 10Mit dem Expressionismus scheint im 20. Jahrhundert noch einmal frischer Wind in das Thema Kunst und Religion zu kommen jedoch weit entfernt von jeder kirchlichen Dimension. Erst nach dem Ende des Nationalsozialismus entdeckt die Kirche diese Kunst für sich. Die Kunst der Gegenwart kümmert sich wenn überhaupt mehr um das Thema Religion an sich und nicht mehr um kirchliche oder konfessionelle Fragen. Es gibt im beginnenden 21. Jahrhundert aber auch keine Abgrenzung der Künste von der Kirche mehr, wie es für das 20. Jahrhundert charakteristisch war. Das Betriebssystem Kunst ist nun auch offen für religiöse Fragen. Das führt zu der Erkenntnis: Der letzte Schritt ist aus der Perspektive der religionsinteressierten Kunst die Freisetzung der Religion von der Kirche. So lassen sich jedenfalls einige der jüngeren Werke lesen. Das Thema „evangelisch katholisch“ spielt dagegen keine Rolle mehr. Das neue Thema ist das Religiöse in der globalisierten Welt (Documenta 14). * Dieser Text erschien zuerst in der Zeitschrift „Religion unterrichten“ 2/2018 des Bistums Hildesheim. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/116/am648.htm |