Amnesie - Meine Weihnachtsgeschichte

Zur Ideologie der religiösen Farbenlehre

Andreas Mertin

Unbunte Verschwörungstheorien

Nach und nach wechselt ein für seine reaktionäre Haltung bekanntes, sich katholisch nennendes Portal aus Österreich ins Lager der obskuren Verschwörungstheoretiker. Im konservativen Katholizismus, darauf hatte Umberto Eco ja mit seinem Roman „Das Foucaultsche Pendel“ hingewiesen, ist der Schritt vom Glauben zur Verschwörungstheorie nicht besonders groß.[1] Und auch die Linzer Polit-Katholiken haben es immer wieder mit den Illuminaten und den Freimaurern, die die Welt beherrschen wollen. Und das mit der Gendertheorie ist komplett mit ihren Hirnwindungen inkompatibel.

Und nun melden sie völlig entgeistert, dass die Sängerin Celine Dion eine geschlechter-unspezifische Kleidung für Kinder entworfen habe, ja sie sogar einen Propaganda-Film (also Werbung) dafür gemacht hat. Darin bricht sie in eine Kinderklinik ein und verschafft den nach Rosa und Blau sortierten Kindern ein zeitgemäßes Outfit. Das ist erkennbar ironisch im Stil eines James-Bond-Filmes gedreht.

Nach europäischen Begriffen macht Celine Dion es nun wahrhaft nicht besser als die von ihr Inkriminierten mit den Farben Rosa und Blau: sie setzt alle Babys in Schwarz – Weiß – Grau – Töne. Da kann man nur sagen: wem es gefällt.

Konservativen Katholiken in Österreich gefällt es jedenfalls nicht. So ein Übel: Da kann man schließlich nicht mehr erkennen, welches Geschlecht ein Mensch hat. Wo Gott doch vor 5000 Jahren ganz bewusst die Welt bipolar erschaffen hat – einmal und für immer.

Am Anfang schuf Gott Adam und Eva …
Ach nein, nicht ganz so: erst schuf er den Menschen und dann teilte er ihn in Mann und Frau. Darüber könnte man nachdenken. Aber Feinheiten sind hier nicht erwünscht.

Zumindest hat er aber nach dem Sündenfall doch Adam blaue und Eva rote Feigenblätter gegeben. Damit man die beiden auch noch unterscheiden kann, wenn sie post-lapsarisch durch die Welt jenseits von Eden laufen.

Deshalb sind Männer in ihrem Begehren immer auf Rosa, Frauen in ihrem Begehren immer auf Blau konditioniert. Weil Gott das so wollte. Und daran zu rütteln ist ein Sakrileg.

Und weil die Sängerin Celine Dion das nun anders macht, meint mancher: Der Himmel stürzt ein! Der Satan meldet sich wieder und greift nach der Welt! Wenn schon prominente Katholikinnen beginnen, gegen die binäre Aufteilung der Menschheit in rosa und hellblaue Menschen anzugehen, sind die letzten Tage angebrochen. Linzer Katholiken wollen aber von der ersten Minute an wissen, welch ein Geschlecht ein Minderjähriger, dem sie begegnen, hat. Damit es da keine Verwechslungen in späteren Zeiten gibt. Klare sexuelle Orientierung ist Linzer Katholiken wichtig.

Göttliche Farbenlehre

Nun suche ich eine göttliche Farbenlehre im Buch Genesis vergeblich. Gibt es überhaupt ein hebräisches Wort für Rosa/Pink? Das Wörterbuch sagt ja: ורוד . Sachlich verbindet die Genesis aber Adam und nur indirekt dann Eva mit dem Rot, denn zwischen der Farbe Rot, der Erde und dem Namen des ersten Menschen besteht ein phonetischer Zusammenhang. Hier schlägt das Pendel also eher in Richtung Rot = Adam aus. Aber theologisch hat das keine Bindung. Denn es gibt zwar eine Goethische Farbenlehre[2], aber keine Göttliche.

Man könnte Babys also durchaus in Grün windeln oder naheliegender: in Grau, Creme oder Weiß. So überliefert es die abendländische Kunstgeschichte oft für das Jesuskind. By the way: woran erkenne ich, dass dieser Christus ein Junge ist? Später natürlich daran, dass er beschnitten wird, aber woher wissen es die Hirten nach der Geburt, die ja nicht über das intime Wissen von Maria, Joseph, Zelomi oder Salome[3] verfügen? Sie wissen es über den kulturellen Akt der Sprache, wie man sehr schön an Giottos obiger Darstellung sieht und auch dem biblischen Text entnehmen kann:

Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.

Und nein, im biblischen Text steht nichts von Blau, diese Farbe wird in der Geschichte der Christenheit wie auch auf diesem Bild privilegiert der Maria zugewiesen.

Versuchen wir also einmal herauszufinden, wie das mit den Farben Blau und Rosa und den prekären sich daraus ableitenden Geschlechtszuschreibungen ist. Warum meinen manche, dass Rosa für Mädchen und Blau für Jungen steht? Ist es so wie mit dem Weihnachtsmann und dem Tannenbaum? Alles extrem späte kulturelle Zuschreibungen, die die lange Geschichte andere Zuordnungen in kürzester Zeit überschrieben haben? Schauen wir nach.

Farbpsychologie

Auch wenn ich mit Farbpsychologie ansonsten wenig anfangen kann, so bietet das einschlägige Buch von Eva Heller "Wie Farben wirken" doch sehr viele interessante Hinweise und sei zur Lektüre empfohlen.[4] Im Kapitel über die Farbe Rosa gibt es ein Unterkapitel zur kulturellen Wandlung der Farbe und dieses Unterkapitel trägt den Titel „Der Wandel vom männlichen zum weiblichen Rosa“ (S. 116). Und gleich am Anfang weist Eva Heller darauf hin, dass unsere quasi „natürliche“ Verbindung von „Rosa“ und „weiblich“ extrem späten Datums ist, nämlich aus der Zeit um 1920(!) stammt. Denn eigentlich ist Rot eine männliche Farbe und Rosa wurde als das kleine Rot gedeutet, also als Farbe der Jungen. Und Blau ist Marienfarbe und Hellblau deshalb die Farbe der Mädchen.

Und 'Farbe' heißt hier natürlich, dass die Kinder alle kochfeste weiße Wäsche trugen, die nur mit einem farbigen Band geschmückt und mit farbigen Schuhen ergänzt wurde.

Die erste rosarote Ausstattung für ein Mädchen ist auf das Jahr 1923(!) datiert. Vorher trugen Jungen Rosa und Mädchen Blau.

Erklärbar ist der sich vollziehende Wandel dadurch, dass in der Bevölkerung die religiöse Bindung zurückging und den bürgerlichen Eltern das Blau der Marine für die Jungs passender erschien. Und so setzte sich die Farbe durch. Nicht jedoch bei Katholiken. Eva Heller berichtet folgendes:

Wo religiöse Traditionen stark verwurzelt waren, blieb bis in die sechziger Jahre Rosa die Farbe kleiner Jungen, und Hellblau blieb die Mädchenfarbe - zum Beispiel in den katholischen Gebieten von Holland, Belgien, in Teilen der Schweiz und Italiens. (S. 118)

In sehr traditionsbewussten katholischen Familien blieb man bis heute bei den alten Farben. Die 1988 geborene Prinzessin Maria Laura von Belgien wurde in weißem Kleidchen mit hellblauen Bändern getauft. (S. 125)

Re-Katholisierung durch Babykleidung!

Das sollten sich die Betreiber von kath.net einmal zu Herzen nehmen. Das wäre doch ein aufrecht-traditionalistisch-katholisches Programm! Re-Katholisierung der Baby-Bekleidung. Dann könnte man künftig nicht nur das Geschlecht, sondern auch die Konfession an der Babykleidung erkennen. Und kleine Päpste in spe würden sich wieder an der Babykleidung des kleinen Jesus aus dem Mittelalter orientieren – so wie wir es hier bei der berühmten Ossignanti-Madonna von Giotto aus den Uffizien sehen.

Es gibt Ausnahmen, die aber aus erzählerischen Gründen bedingt sind, wenn etwa Maria dem Christuskind ihren blauen Mantel zum Schlafen gibt. Dazu später mehr. Grundsätzlich ist die Farbe der Babys aber Weiß, weil das „kochfest“ ist – alles andere wäre unsinnig. Nur Reiche konnten sich den Luxus farbiger Kleidung leisten.

Ergänzend gibt es symbolische Ausschmückungen, die je nach Zeitgeschmack orientiert sind und für Kinder neben den Farben Blau und Rot durchaus auch mal Schwarz-Weiß vorgesehen haben.

Geschlechtsspezifische Farbetikette im engeren Sinne gab es zumindest im 19. Jahrhundert nicht, wie folgende wunderbare Serie von Ammi Phillips (1788-1865) zeigt:

Zunächst aber noch ein kurzer Blick auf die schwarze Kleidung eines Jungen der „gehobenen Mittelschicht“ (ich glaube das sagt man neuerdings so) des Jahres 1581. Das Bild ist gemalt von Jakob Willemsz. Delff (der Ältere), der 1550 bis 1601 in den Nieder­landen lebte. Der Junge ist nach der damals herrschenden spanischen Weltmode(!) im schwarz-weißen Kontrast gekleidet. Wer heute sein Kind so auf die Straße schicken würde, würde ihm einen Schaden fürs Leben zufügen. Damals war das der letzte Chic.

Trotzdem musste der Junge auch die häuslichen Pflichten erledigen, dem Hund Wasser geben und die Früchte in die Küche bzw. ins Wohnzimmer tragen. Dafür bekam er eine schicke Halskrause, wie sie in Deutschland heute vermutlich nur noch Hamburger Haupt-Pastoren tragen. Gut, das mit dem Kleid und dem affigen Hut musste er dafür in Kauf nehmen. So weit, so gut.

Die Schrecken der Celine Dion

Nun aber zurück zu Celine Dion und ihren Entwürfen für Neugeborene, Babys und Kleinkinder. Modedesigner müssen natürlich immer Grenzen überschreiten, etwas Neues und ganz Anderes liefern. Das hat auch Celine Dion getan.

Aber was für 'entsetzliche' Entwürfe Celine Dion da geliefert hat: auf einem Hemd steht doch glatt New Order. Damit kann doch nur die berüchtigte Neue Weltordnung (New World Order – NWO) gemeint sein, zwitschert das verschwörungstheoretische Hirn. Und schon erkennt man: Überall Freimaurer und Illuminaten. Wer war das noch einmal, der die Neue Weltordnung verkündet hat?

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!

Das kann nur der Teufel sein. Wer käme schon auf die Idee, einen neuen Himmel und eine neue Erde zu errichten? Siehe, ich mache alles neu! Oder, wie es die abgedrehte Seite Lifesitenews heute Morgen verkündete:

Definitely satanic – ernsthaft? Da muss man ja gleich ein Paar der Teile bestellen. Wann kommt man sonst so preiswert an Satanisches? Da ist der Einsatz in der Regel doch höher, die Seele muss man verpfänden oder andere Seelen versprechen. Aber Satanisches schon für 16$?

Also: Totenschädel auf den Kinderklamotten, schrecklich, wer kommt nur auf so eine schlimme Idee? Doch nur wahre Illuminaten würden so etwas Verbrecherisches tun? Wer außer Satan höchstselbst dekoriert ein Kind, ja ein Baby mit einem Totenschädel? Denken Sie mal darüber nach. Muss die Verbindung von Baby und Totenschädel nicht „definitely satanic“ sein? Da braucht man ja gar nicht weiter nachdenken.

Aber da gibt es ja noch Guido Reni (1575-1642), den Lieblingsmaler frommer Katholiken, hier in einer Nachzeichnung aus späterer Zeit, die im British Museum zu finden ist. Aber geben wir zu: dieser Christusknabe schläft ja ‚nur‘ mit ausdrücklicher Billigung seiner huldvollen Mutter auf einem echten Totenschädel und einem Kreuz und neben einer Dornenkrone. So etwas ist erlaubt (es ist ja christlich) und ist auch nicht so schlimm wie das Bild eines Totenkopfes auf einer Mütze. Und mit einem Totenkopf auf der Mütze kann man ja auch nicht spielen, wie es das Christuskind auf anderen Bildern der christlichen Kunstgeschichte tut.

Summa summarum: Totenschädel und Neue Ordnung verbinde ich ganz eindeutig mit Jesus Christus. Was katholische Traditionalisten immer so fabulieren.

Nehmen wir einen anderen Großen, diesmal aus der spanischen katholischen Tradition: Bartolomé Esteban Murillo (getauft am 1. Januar 1618 in Sevilla, Andalusien; † 3. April 1682 ebenda) war ein spanischer Maler des Barocks und ab der Mitte des 17. Jahrhunderts der führende und berühmteste Maler Sevillas. Ein richtiger Katholik, Ordensbruder und großzügiger Spender für die Armen.

Und nebenstehend sehen wir eines seiner bekanntesten Werke: das Christuskind Arm in Arm mit einem Totenschädel auf dem Mantel der Mutter und einem darunter liegenden Kreuz schlafend – und der Himmel in Gestalt lieblicher Engel jubelt ihm zu.

Sicher, das ist allegorisch und deshalb erlaubt. Trotzdem gibt es eine Erzähllogik und die lautet: Maria hat ihrem Kind vor dem Zu-Bett-Gehen einen Totenschädel und ein Kreuz gegeben, damit er darauf/damit schläft. Ist das auch:

Definitely satanic?

Wollen wir ernsthaft aufrechnen, wie oft in der Geschichte des Christentums das Christuskind mit einem Totenschädel dargestellt wurde? Ich fürchte, das ergibt eine bittere Bilanz. Kann es sein, dass fromme Katholiken überhaupt keinen Begriff von ihrer Frömmigkeitsgeschichte haben?

Heute würde man freilich Müttern, die ihre Kinder – wie es Maria auf den entsprechenden Bildern vorführt – auf einem Totenschädel schlafen lassen, vermutlich die Erziehungsgewalt entziehen. Da scheinen mir Totenschädel auf Mützen sehr harmlos zu sein.

Nun könnte man vermuten, kath.net geht es ganz konkret gar nicht um die Inhalte der Modeentwürfe von Celine Dion, sondern um die Ausschaltung eines Konkurrenten. Denn kath.net vertreibt selber Mützen zur Gewinnsteigerung, auf denen nun nicht ein Totenschädel abgebildet ist, sondern in Hebräisch der Name Jesu steht. Damit sind sie aber im unmittelbaren Wettbewerb mit Celinununu von Celine Dion. Für unmöglich halte ich das nicht.

Aber man kann das Geifern man noch steigern, indem man die islamophobe Keule schwingt. Welcher Geisteskranke kommt auf die Idee, die Berücksichtigung von Gender-Überlegungen sei ein Indiz dafür, dass jemand kurz davorsteht, zum Islam zu konvertieren? Muss man da nicht etwas angeknabbert im Hirn sein? Zum Islam überzutreten, weil dieser gendertheoretisch so fortgeschritten ist? Aber wahrscheinlicher ist, dass für rabenschwarze Katholiken alles Böse aus dem Islam kommt. Was für ein naives fundamentalistisches Weltbild. Wie sang schon Pippi Langstrumpf: 2 x 3 macht 4, Widdewiddewitt, und Drei macht Neune!! Ich mach' mir die Welt, Widdewidde wie sie mir gefällt.

Epilog

Wenn Celine Dion wirklich vom Teufel wäre, hätte sie dann nicht grüne Jacken, Mützen, Strampler und dergleichen Accessoires für alle machen müssen?

Der Teufel ist doch, wie es uns der kenntnisreiche ‚Österreicher‘ Michael Pacher 1471 sehr schön auf seiner Darstellung des Kirchenvaters Augustin mit dem Teufel gezeigt hat, durch und durch Grün – natürlich mit rotglühenden Augen. Ja, genau so wabert er durch meine Alpträume, wenn ich an kath.net und Idea denke.

Aber davon sehe ich auf der Kollektion von Celine Dion leider rein gar nichts. Die ist bloß Schwarz und Weiß und Graustufig (und sehr kreuzes-orientiert). Ehrlich – das ist nicht mein Fall.

Mir gefällt eine andere Farbenlehre, die von Peter Fox: von "Schwarz zu Blau" …

https://www.youtube.com/watch?v=yphwzD1XaBY

Anmerkungen

[1]    Eco, Umberto (1992): Das Foucaultsche Pendel. Roman. München: Deutscher Taschenbuch.

[2]    Goethe, Johann Wolfgang von (2016): Zur Farbenlehre. 1. Auflage. Hg. v. Karl-Maria Guth. Berlin: Contumax; Hofenberg.

[3]    Zelomi und Salome sind die beiden Hebammen Jesu nach der Überlieferung des Protoevangeliums des Jakobus.

[4]    Heller, Eva (1989): Wie Farben wirken. Farbpsychologie, Farbsymbolik, kreative Farbgestaltung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Im Jahr 2000 ist eine Neue Ausgabe erschienen: Heller, Eva (2000): Wie Farben auf Gefühl und Verstand wirken. Farbpsychologie, Farbsymbolik, Lieblingsfarben, Farbgestaltung. München: Droemer.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/116/am649.htm
© Andreas Mertin, 2018