„Blockbuster“ verlässt Wuppertal

Nachrichten vom van der Heydt Museum Wuppertal

Barbara Wucherer-Staar

Das Wuppertaler von der Heydt-Museum: ein Ort des kulturellen Gedächtnisses im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Zwängen und gesellschaftspolitischem Umbruch.

Sammeln, Bewahren, Erforschen, Vermitteln: Museen haben weit mehr zu tun als „Bilder abzustauben“ und Eintritt zu nehmen. Zunehmend geraten sie in wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Zwänge. Kürzungen im Kulturetat nehmen zu - Transporte, Versicherungen für Leihgaben sind teuer, die Betriebskosten der Museen steigen, die Preise auf dem Kunstmarkt haben angezogen. Ein Strukturwandel im Kunst- und Museumsbetrieb greift Raum. Sponsoren ziehen sich zurück, Sammler und Mäzene (wie früher von der Heydt, Osthaus, Sprengel, Ludwig) sind kaum noch zu finden. Vorstellungen der Kulturpolitik („viel sehen, wenig zahlen“) seien, so Museumsfachleute, überzogen.[1]

Könnten Bilder mehr erzählen als das, was Betrachter sehen, erführen Museumsbesucher erstaunliche Geschichten. Einen anregenden, kritischen Blick hinter die Kulissen des „Betriebsystems Museum“ gibt Museumsleiter Finckh in seiner jüngsten Schau „Blockbuster – Museum“ - die letzte nach langjährigem erfolgreichem Wirken (seit 2006). Die lange vorbereitete, ursprünglich geplante kunst- und kulturhistorische Herbst-Schau 2018 - „Aufbruch zur Freiheit. Das Zeitalter der Aufklärung, Frankreich im 18. Jahrhundert“ - wurde kurzfristig aus Kostengründen im Mai 2018 von der Museums-GmbH Wuppertal abgesagt. Rund 30 hochkarätige Leihgaben waren bereits zugesagt. Statt Werke von Watteau, Boucher, Fragonard und anderen Künstlern präsentieren zu können machte „Blockbuster“ Finckh aus der Not eine Tugend: unter dem Titel „Blockbuster Museum“ zeigt er 130 Werke aus der hauseigenen renommierten Sammlung - von antiken Gefäßen (aus der Zeit um 2500 v. Chr.) bis hin zu Monet, Renoir, Degas, Cezanne, Kandinsky, Jawlensky, Dix, Picasso, Marc, Kirchner, Francis Bacon, Beuys und Gerhard Richter.

Zugleich können Besucher hinter die Fassaden blicken, konfrontiert mit der Frage: kann man „durch Ausstellungen eine Ordnung schaffen und die Phänomene der Welt ein Stück weit erklären“? (Finckh). Die Bausteine dazu im „Blockbuster-Museum“ sind: Ideen, Recherche, Restaurierung, Aufbau, Vermittlung, Finanzen, ausgeführt und dargestellt von vielen Mitarbeitern, die selbst auf den Fotografien präsent sind. „Was sind“ so Finckh, in dessen Ausstellungen hunderttausende Besucher kamen, „und was wollen, sollen und können Museen für eine moderne, offene Gesellschaft leisten?“ Sein Angebot, die Welt anders zu sehen als bisher heißt auch, dem Publikum etwas von der Faszination zu vermitteln, die von bedeutenden Kunstobjekten ausgehe.

Ordnung im (kunst-)historischen Chaos

Von der ersten deutschen Großausstellung über Monet (2008 / 2009) bis hin zur Manet-Retrospektive (2017 / 2018) spannt sich ein Bogen für Peter Paul Rubens, Degas und Rodin, Pissarro und die Sammlung des Mäzens Eduard von der Heydt. Auch für politisch brisante, heute wieder hochaktuelle Themen ist Platz: Die dramatischen Erfahrungen aus dem ersten Weltkrieg aus der Sicht französischer und deutscher Künstler („Menschenschlachthaus“, 2014).

Im Projektraum der abgesagten Herbst-Schau finden sich die Pinnwand mit Foto-Kopien der geplanten Bilder, Leihverträge, Zusagen (u.a. aus Versailles und dem Pariser Louvre), Raum-Pläne und die auf dem Schreibtisch des Kurators gestapelte Fachliteratur.

In einem anderen Raum können Besucher sehen, wie mittelalterliche Heiligenstatuen restauriert werden, wie unterschiedlich Rahmen oder Wandfarben Bilder (etwa exquisite Werke von Max Beckmann) wirken lassen. Es finden sich ein Gerüst, versetzte Stellwände, eine Wand mit Werken der vorherigen Ausstellung über Jankel Adler(1895-1949), ein Blick in die Bibliothek, ein Blick auf Finanzpläne mit vielen schwarzen Zahlen, ein Blick auf Auszeichnungen, die das Museum erhielt und auf ein national und international gutes Medienecho. Einige Ausstellungen wurden von Kritikern zur „Ausstellung des Jahres“ gewählt.[2]

Kunst, Politik, Geschichte, Ethik und Religion

Im Focus der Ausstellung stehen auch heikle Fragen. Darf man den Hitler-Kopf (1939) des Elberfelder Bildhauers Arno Breker zeigen, selbst wenn er beschädigt und quergelegt ist? Ein gegenüber stehendes Werk Gustav Wiethüchters, der bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten an der Barmer Kunstgewerbeschule lehrte, zeigt Distanz von der Doktrin des Dritten Reiches, ist vielmehr aktuelle gesellschaftspolitische Mahnung. Martin Kippenbergers gekreuzigter Frosch hoch oben im „Herrgottseck“ hinterfragt ironisch die Idee einer christlichen Leitkultur.

Nach intensiven Provenienz-Recherchen wurden Werke wie Karl Hofers „Schlafender Jüngling“ und die „Dame mit Papagei“ von Caspar Netscher (1639-1664) restituiert. Hofers Werk konnte vom Museum zurückgekauft werden, Netschers Bild wurde von den Erben an die National Gallery Washington verkauft.

Im letzten Raum finden sich Schenkungen von Bildern von Pablo Picasso, Bonnard und Neo Rauch („Roter Junge“). Hier sieht es aus als stürme Joseph Beuys von seinem Selbstporträt „La rivoluzione siamo Noi“ („Die Revolution sind wir“, 1970er Jahre) auf das ehemalige Bushaltestellen-Schild des Museums zu. Wie ein subtiler, mahnender, abschließender Hinweis. Denn Beuys Konzept einer Kunst als revolutionäre Kraft bezieht sich unter anderem auf die Ideen der französischen Revolution. Gesellschaftliche Veränderungen waren für den Düsseldorfer Akademieprofessor nur über die Kreativität des Menschen möglich.

Kultur aus der Retorte = Kultur für Alle?

Wohin wird sich der Kunst- und Kulturbetrieb entwickeln? In seinem Buch „Die kreative Macht der Maschinen. Warum künstliche Intelligenzen bestimmen, was wir morgen fühlen und denken“ (2018) schreibt Holger Vollandt, dass künstliche Intelligenz (KI) längst in unserem Alltag aktiv ist und uns beeinflusst - unsere Sprache, Bilder, Geschichte, Kultur. Jeder müsse daher lernen wie KI funktioniere, um kompetent damit umgehen zu können. Vollandt weist auf das Aufsehen erregende Projekt „The next Rembrandt“ an der Universität Delft in Zusammenarbeit mit der ING-Gruppe und Microsoft hin: Ein Algorithmus kann kreative Arbeiten (Kunstwerke, etwa ein Bild), genauestens analysieren. Die Ergebnisse dieser Analysen sind gigantische Datenmengen, die per Programm zu Merkmalen wie Komposition, Lichtregie und Pinselstrich verdichtet werden. Aus der Menge der so zerlegten echten Selbstporträts des Meisters Rembrandt lassen sich durch unendliche Kombinationen täuschend echt wirkende neue Porträts im Stile des Altmeisters per Programm erstellen. So entstand rund 340 Jahre nach Rembrandts Tod aus dem 3D-Drucker ein Porträt eines neuen fiktiven Zeitgenossen. Doch hätte dieses Kunstwerk Platz im Museum? „Kultur für alle“ - eine Forderung des Kulturpolitikers und Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hofmann (1925 - 2018) in den 1970er Jahren - war so nicht gemeint.[3] Es beunruhige, so Vollandt, dass Maschinen ab jetzt aktiv in unsere Kultur eingreifen können. Kultur sei die DNA unserer Gesellschaft, das, was uns als Individuen mit anderen in Sprache, Bildern und Geschichten verbindet. Sie sei die menschlichste Errungenschaft überhaupt.[4]

Vielmehr sind Ausstellungen mit Originalen wichtig. Es erfordert möglichst viele Facetten zu einem Thema zu präsentieren, damit Museen und Ausstellungen zum Ort von Information, Dialog und Vergnügen werden können. Eine Ordnung im „historischen Chaos“ aufzuzeigen ist für anspruchsvollere, teils medienüberflutete Besucher wesentlich. Das Publikum ist vielschichtiger und anspruchsvoller geworden. Eine Pressemeldung des von der Heydt-Museums fasste die Situation im Sommer 2018 zusammen: „Weit mehr als 100 Millionen Besucher in (nur) 4699 deutschen Museen, darunter auch das Von der Heydt-Museum Wuppertal, ermittelte das Institut für Museumsforschung, - allein für das Jahr 2016! 100 Millionen Besucher in Ausstellungen und Sammlungen in nur einem Jahr, eine fast unvorstellbar riesige Zahl, zeigt nicht nur das immens große Interesse der Bevölkerung an Kunst und Kultur, Geschichte, Natur und Technik, 100 Millionen Museumsbesucher bedeuten auch eine Verpflichtung für alle Wissenschaftler, Sammlungsleiter und Ausstellungsmacher.“

Blockbuster - Museum, von der Heydt-Museum Wuppertal, seit 7. Oktober 2018; www.von-der-heydt-museum.de und http://vdh.netgate1.net/Blockbuster_Museum.html

Paula Modersohn-Becker, zwischen Worpswede und Paris, von der Heydt-Museum Wuppertal, bis 24. Februar 2019; hier finden sich neben Leihgaben weitere Meisterwerke aus der Museums-Sammlung; http://vdh.netgate1.net/Paula_Modersohn-Becker.html

Anmerkungen

[1]    Im Gegensatz zu heute zog der Kunstkritiker Eduard Beaucamp 2001 eine positive Bilanz der Museumskultur der letzten 30 Jahre: „Vielfalt und Reichtum sind Früchte des Föderalismus, des Wettbewerbs der Kommunen, aber auch eines segensreichen, dauerhaften privaten Wohlstands … Oasen der Schönheit in einer recht häßlichen Zivilisation sind die Museen. Die Mehrung ihrer Schätze steigert den geistigen Vitaminhaushalt der Gesellschaft und bereichert dauerhaft die kollektive Phantasie.“ Eduard Beaucamp, Wie aber hältst du's mit den Mäzenen? / Das Museum und die Sammler in Deutschland: Ob Segen oder Verhängnis für die Kunst, ist offen, in: Bilder und Zeiten / Ressort: Bilder und Zeiten / Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.11.2001, Nr. 268, S. I

[2]    Zur Ausstellung und Finanzsituation s. a.: Dorothea Hülsmeier, „Kunst in der Krise. Eine Ausstellung über Ausstellungen“, in: Die Welt, 04.10.2018; Stefan Lüddemann, Wuppertal: Museum als Baustelle: Geht die Ära der Kunst-Blockbuster zu Ende?, NOZ (Neue Osnabrücker Zeitung), 04.10.2018; ders., Ära der Blockbuster vorbei: Kunst und Geld: Ausstellungen unter Kostendruck, NOZ, 28.05.2018

[3]    Hilmar Hofmann, Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt am Main 1979.

[4]    Holger Volland, Die kreative Macht der Maschinen. Warum künstliche Intelligenzen bestimmen, was wir morgen fühlen und denken, Weinheim, 2018; http://www.holgervolland.com/

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/116/bws20.htm
© Barbara Wucherer-Staar, 2018