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Nachrichten aus dem Grandhotel AbgrundEin DigestifAndreas Mertin Mein ironischer Text über das Werbeheft chrismon special im letzten theomag ist auf viel Zustimmung, aber auch deutliche Kritik gestoßen. Die Kritik bezieht sich vor allem darauf, dass ein allzu rigides ethisches Regiment in Sachen Werbung die kirchliche Publizistik unmöglich machen würde. Dann könnten, so meinte ein Kollege, nur noch ehrenamtliche Fanzines erscheinen. Nun bin ich sicher kein Fan von ehrenamtlichen Fanzines. Aber ich glaube, dass die Konsequenz gar nicht in diese Richtung geht, denn die Alternative lautet nicht: Werbung oder keine Werbung. Die Frage ist: wie viel und welche Werbung. Und im konkreten Fall bin ich nicht der Meinung des Korintherbriefes: «Alles ist mir erlaubt» (1. Kor. 6, 12). Nein, nicht alles ist mir als evangelischem Publizisten erlaubt, auch wenn es mir nützt.
Ich möchte nur nicht, dass fast die Hälfte einer kirchlichen Broschüre oder einer Zeitschrift aus Werbung besteht, weil ich dann den Eindruck bekomme, der Rest des Blattes diene nur dazu, Aufmerksamkeit für die Werbung zu generieren. Es darf nicht dazu kommen, dass (kirchlicher) Journalismus nur noch ein Treibmittel für den Turbo-Kapitalismus ist.
Einmal angenommen, eine kirchliche Zeitschrift macht sich was ich doch hoffe den gemeinsamen Lernweg christlicher Kirchen zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu eigen. Muss sie sich dann nicht fragen, ob sie es damit vereinbaren kann, dass in ihrem Magazin die schlimmsten Umweltsünder Werbung für weitere Umweltsünden machen? Ist diese Frage wirklich so fernliegend? Im konkreten Fall hatte ich moniert, dass das chrismon spezial zur Reformation mit Werbung überflutet war. Und ich finde, es ist ein deutlicher Unterschied, wenn man in dieser Hinsicht etwa die Zeitschrift zeitzeichen mit der Reformationsausgabe von chrismon spezial vergleicht. Es ist quasi wie Tag und Nacht. Ich will trotzdem einmal im Blick auf beide Redaktionen fragen, ob es sie nicht unangenehm berührt, wenn auf der zweiten Seite von chrismon spezial ganzseitig Werbung gemacht wird für eine Flug- und Schiffsreise zu einer der schönsten Gegenden dieser Erde und am Ende dieser Reise beileibe nicht nur diese Gegend verschmutzt zurückgelassen wird. Ist das völlig unabhängig von redaktionellen Inhalten? Der ökologische Fußabdruck von Kreuzfahrten ist katastrophal. Man kann sagen: Kreuzfahrtschiffe vernichten die Schöpfung.
Kann man das als kirchlicher Journalist einfach außen vorlassen, weil, irgendwo muss das Geld für die Zeitschrift ja herkommen und Redaktion und Verlag sind schließlich getrennt? Dürfte dann auch für Abtreibung, Waterboarding oder Sterbehilfe großformatig Werbung gemacht werden? Weil die Werbung ja nichts mit den Inhalten zu tun hat? Ich halte das für völlig naiv. Die Werbetreibenden suchen sich chrismon aus, weil sie glauben, dass sie genau dieses Produkt der chrismon lesenden Kundschaft verkaufen können. Im Greenpeace-Magazin würden sie nicht inserieren. Das ist eben auch ein Schlag ins Gesicht evangelischer Redaktionen. Was für ein Handwerk diese befördern, will ich einmal am Beispiel der Seite 2 des chrismon spezial beleuchten. Konkret wird in chrismon spezial für eine Reise nach Alaska geworben, die zum einen drei Flüge enthält (Deutschland Toronto / Toronto Calgary / Vancouver Deutschland) und eine Woche im Kreuzfahrtschiff MS Nieuw Amsterdam, das auf der NABU-Liste zu den umweltschädlichen Schiffen gezählt wird, weil es sowohl auf Schweröl setzt als auch auf Filter verzichtet.[3]
Aber es geht ja weiter, wir fliegen nach etwa 2000 km Busrundreise weiter von Toronto nach Calgary (s. Abb. 2). Das bringt noch einmal 573 kg auf die Waage und damit sind schon 2187 kg CO2 Emissionen verbraucht. Die Schöpfung dankt es uns. Bevor wir uns dem Schiff zuwenden, schnell noch der Blick auf den Rückflug. Dieses Mal geht es nicht von Toronto, sondern von Vancouver aus zurück nach Deutschland und voilà: schon haben wir 3.442 kg CO2 Emissionen mehr (s. Abb. 3). Macht Summa summarum noch vor der Kreuzfahrt 5.629 kg CO2 Emissionen. Man könnte damit mit seinem Mittelklassewagen auch fast ein Jahr lang die deutschen Innenstädte verschmutzen wenn man 30.000 km im Jahr in der Innenstadt fährt (also 82 km am Tag).
Mit diesem einen gut dreiwöchigen Urlaub in Kanada mit Flugzeugen, Schiff und Bussen haben wir es geschafft, exakt 2/3 der Pro-Kopf-Jahresemission eines Deutschen zu verbrauchen.
Vielleicht darf man vor allen journalistischen Wertungen - einmal ein Bild davon einblenden, welche schöne Welt da zerstört wird: Und ja ganz konkret: chrismon spezial trägt dazu bei, dass diese Welt zerstört wird! Und ich lasse mich nicht damit abspeisen, dass doch Redaktion und Verlag getrennt seien. Dieses fortgesetzte „Nicht ich, sondern (der Verlag / der Führer / der Vorgesetzte / der Mann, den du mir gegeben hast …)“ ist abgrundtief falsch. Die Trennung der Verantwortlichkeiten nutzt nur den Tätern. Noch der beste Journalismus kann es nicht kompensieren, wenn mit seiner Hilfe die Umwelt zugrunde gerichtet wird. Es gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ein Ethos, das über das journalistische Handwerk hinaus geht. Man mag sich daran stören, dass ich ethisch argumentiere, weil es das Handwerk stört. Aber es kann doch nicht sein, dass man deshalb sich gar nicht darum kümmert, was man da macht und wessen Geschäft man da betreibt. Unbestritten, chrismon lässt auch Werbung von tui-Kreuzfahrtreisen im Heft schalten, die ökologisch etwas (aber auch nur etwas) besser aufgestellt sind. Aber das sind nur graduelle Unterschiede. Die Chefredakteurin von chrismon meint nun, ich hätte die Zielgruppe von chrismon fehlerhaft bestimmt. Nun, sie hätte als gute Journalistin die Gattung meines Textes vorab bestimmen sollen. Es war ja erkennbar eine Glosse, die Zuschreibung von chrismon an die überalterten Gottesdienstbesucher eine Ironie meinerseits und aus der Form und dem Inhalt der Werbung sekundär abgeleitet. Die faktische Zielgruppenorientierung von chrismon hatte ich ja am Ende des Artikels aus deren Selbstdarstellung zitiert. Man sollte Texte schon bis zum Ende lesen.
EpilogWas ich mir wünsche, um abschließend von der Kritik zum Positiven zu kommen, ist ein protestantisches Magazin, das es mit dem vitalen kulturellen Leben in Berlin, Hamburg, Köln oder München aufnehmen kann. Das mir nicht irgendwelche A- oder B-Promis auf roten Sofas vorführt, sondern zeigt, wie ein seiner Zeit bewusstes protestantisches Leben überhaupt möglich ist. Im gesamten kulturellen Sektor, sieht man einmal von epd-Film ab, gibt es das nicht. So sehr ich auch zeitzeichen schätze, aber es ist kein Äquivalent zum Kursbuch der 60-Jahre, dem Freibeuter der 80-Jahre oder der im letzten Heft vorgestellten jüdischen Zeitschrift Jalta. Irgendwo in Deutschland muss es doch eine vitale, kulturell ambitionierte und religiös sedimentierte Szene geben, die sich auch ihrer protestantischen Prägung bewusst ist und aus all dem zur Diskussion der Gegenwart beiträgt. Nein, nicht schon wieder ein über 60jähriger Professor der Systematischen Theologie, der nebenbei als Künstler tätig ist (die haben wir lange genug gehört), sondern eine vielleicht 1988 Geborene, die also halb so alt ist und so mobil, um über eine gestaltbare Zukunft auch in religiöser und protestantischer Perspektive nachzudenken. Dann darf ruhig dazu passende Werbung geschaltet werden. Muss aber nicht. Anmerkungen |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/117/am651.htm |