Die schwarzen Kanäle – Folge 4

Andreas Mertin


Die Schwarzen Kanäle hat die bisherige Kolumne "Was ich noch zu sagen hätte - Ein Bloggsurrogatextrakt" nach 27 Folgen abgelöst. Ich fokussiere mich in der neuen Kolumne, das Projekt Netzteufel der Evangelischen Akademie Berlin als Anregung aufgreifend, auf Meldungen und vor allem Leserkommentare der Plattformen idea und kath.net. Weiterhin bleibt diese Kolumne eine ironische und satirische Kolumne. Auch wenn ich die Kritisierten beim Wort nehme, kann ich sie dennoch nicht ernst nehmen. Sie sind und bleiben ein Element der Kategorie Realsatire.



kath.net hat Recht!

Heute vermeldet die berüchtigte Werbeplattform kath.net, dass eine kommende Verdi-Aufführung in der Mailänder Scala der Blasphemie verdächtig sei. Denn in den kommenden Stück soll es doch tatsächlich eine Szene geben, in der eine Marienstatue vom Sockel gestoßen wird. Warum das nun eine Blasphemie, also eine Gotteslästerung sein soll, erschließt sich mir nicht, aber vielleicht haben die Tradis Maria ja inzwischen zur Göttin erhoben. Da muss sich Jesus aber künftig vorsehen, soll er doch, wenn man den exegetischen Befunden glauben darf, einen ziemlich ruppigen Umgang mit seiner Mutter gehabt haben.

Wie dem auch sei, in diesem Fall bin ich einmal auf der Seite von kath.net – freilich nur unter einer Bedingung: Ich werde mich für die Absetzung des ‚blasphemischen‘ Stückes in der Mailänder Scala einsetzen, falls – und nur dann – kath.net sich für die vollständige Übermalung von Tommasos „Triumph der Christenheit“ im vatikanischen Palast einsetzt. Dort wird nämlich tatsächlich ein Gott vom Sockel gestoßen, also eine wirkliche Blasphemie gefeiert und das seit 450 Jahren. Und diese Blasphemie gegenüber dem Götterboten Hermes, immerhin der Namensgeber der hermeneutischen Wissenschaften und damit auch der Kulturhermeneutik, muss ein Ende habe.

Da der aktuelle Bewohner des Palastes ausgezogen ist, könnte man auch aus dem gesamten Gebäude ein Museum für Blasphemie machen, aber das überlasse ich dann jenen Blockwarten, die für Blasphemie-Verdächtigungen in der ganzen Welt verantwortlich zeichnen. Wir wissen ja: was dem einen seine Blasphemie, ist dem anderen sein Heiligtum. Da bin ich für ein entschiedenes Do ut Des: wenn die mir den Verdi in Mailand nehmen, müssen sie mir den Tommaso in Rom geben.

Im Abseits I

Der Monat hat kaum begonnen, schon spielt der Sidekick von Peter Winnemöller wie gewohnt und erwartet im Abseits. Wenn man seine Ausführungen liest, weiß man ja nie, ob er zu dumm ist, um zu begreifen, worüber und was er da schreibt. Oder ob er es weiß und es aus ideologischen Gründen dennoch zu Papier bringt. Konkret:

Die Wahrheit einer Abtreibung ist die Wahrheit des Todes. Ein Kind stirbt und es stirbt mit ihm immer auch ein Stück der Seele der Mutter, die ihrer Mutterschaft beraubt wird. Werbung dafür zu machen, ist mit einem Wort zu umschreiben: pervers!

Das ist nicht nur sprachlich außerordentlich primitiv, sondern auch vollständig falsch.

[sSo könnte man Gaspard II. de Coligny den Satz zuschreiben: „Die Wahrheit des Katholizismus ist die Wahrheit des Todes. Ein Andersdenkender stirbt und es stirbt mit ihm immer auch ein Stück der menschlichen Humanität, die eines ihrer Mitglieder beraubt wird. Werbung für den Katholizismus zu machen, ist mit einem Wort zu umschreiben: pervers!“].

Ich vermute, man kann es noch 1000mal wiederholen und Winnemöller wird es dennoch weiterhin wiederholen: Es geht überhaupt nicht um Werbung für Abtreibung, sondern um Unternehmens-Werbung für die Abtreibungshandlung. Nehmen wir ein abstraktes Beispiel: wer sich beim amerikanischen Staat als Henker bewirbt, macht nicht Werbung für die Todesstrafe, sondern für sich selbst als Henker. Das wäre in Deutschland verboten. Die Frage der Legalität und Nicht-Legalität der Abtreibung ist etwas anderes als die Frage, ob Firmen für diesen Vorgang Werbung betreiben dürfen, wenn ersteres erlaubt ist. Ich selber habe dargelegt, warum man nicht Werbung für diese, wie ich meine kulturelle Grenzüberschreitung machen sollte. Trotzdem muss man im Interesse der Sache beides unterscheiden. Denn auch wenn der Staat und das Bundesverfassungsgericht einmal entscheiden sollten, dass der § 218 liberaler gefasst werden darf, sollte es dennoch keine Werbung für die unternehmerische Leistung „Abtreibung“ geben. Ich bin für eine Liberalisierung des § 218 und gegen eine Abschaffung des § 219a. Und das muss sorgfältig unterschieden werden. Auch wenn in einer liberalen Gesellschaft § 218 weitgehend ausgelegt würde, müsste §219a bestehen bleiben. Das ist eine Frage humaner Kultur. [Nebenbei gesagt: Zigaretten rauchen ist bei uns ab einem gewissen Alter erlaubt, Werbung dafür nicht – aus naheliegenden Gründen.]

Winnemöller verweist nun darauf, dass Jahr für Jahr einige Tausende beim Marsch für das Leben mitmachen und meint, das sei irgendwie ein Argument für seine Sache. Nun könnte man, ihm sein quantitatives Argument entringend, darauf hinweisen, dass Jahr für Jahr 100.000 Menschen durch Vollzug der Abtreibung etwas anderes zum Ausdruck bringen. Wie beziehen wir das aufeinander? Haben die 5000 Demonstranten mehr Recht als die 100.000 Menschen, die eine andere Perspektive haben. Das kann man ja nur behaupten, wenn man die Wahrheit vorab gepachtet hat.

Aber lassen wir den ideologischen Quatsch mit dem Naturrecht weg – daran glaube ich nicht. Mit dem Naturrecht ist die Sklaverei ebenso begründet worden wie der Kampf dagegen. Es ist ein bloßer Glaubensartikel. Ich vermute, für Winnemöller ist die zu diskutierende Frage der Legalität von Abtreibung gar keine wirklich ethische Frage. Das sieht das deutsche Recht anders, da steht er wirklich im Abseits mit all seinen 5000 Weggenossinnen und Weggenossen von der angeblichen Lebensschutzbewegung. Es hilft aber in der Diskussion um § 219a wenig, wenn man so tut, als ginge es um § 218. Abtreibung, so hat der Gesetzgeber gesagt, kann im Notfall begründet sein – aber für die Umsetzung dieser im konkreten Fall die Not wendenden Maßnahme soll man nicht auch noch Werbung machen dürfen. Mir ist das vollständig einsichtig und nachvollziehbar. § 2019a ist unabhängig von der gesetzlichen Füllung von § 218. Was wir aktuell als Notfall im Sinne von §218 ansehen, ist eine ganz andere Frage, die hier gar nicht zur Debatte steht – egal was Winnemöller und Kollegen behaupten.


Im Abseits II

Es ist ganz interessant, wenn alternde Männer theologische Auseinandersetzungen zu Virilitätsproblemen noch älterer Männer machen. Heute äußert sich der 56-Jährige Peter Winnemöller über den 79-Jährigen Paul Michael Zulehner. O-Ton Winnemöller:

Die Einführung von „viri probati“ ist der Traum alter Männer wie Paul Zulehner, die aber kaum ein Echo bei jungen Menschen finden.

Da ich nur wenig älter bin als Winnemöller kann ich ihm direkt sagen: auch er ist ein alter Mann; das zeigt sich in seinen Ansichten und der Starrsinnigkeit seines Denkens. Er mag vorzeitig gealtert sein, aber jedes Mal, wenn er in den Spiegel blickt und diesen befragt, so antwortet jener: Zulehner ist tausendmal jünger und weiser als ihr!

An sich geht mich die Frage der viri probati nichts an, aber ich komme gerade von einem Seminar in einem Tagungshaus eines Priesterseminars und bin noch voll der Eindrücke, die ich dort hatte. Ich selbst unterrichtete dort eine Gruppe von Lehrerinnen und Lehrerin über Gleichnisse in der Bildenden Kunst von den frühchristlichen Zeiten bis ins 20. Jahrhundert. Mit uns im Tagungshaus war eine gar nicht kleine Gruppe von Eltern mit ihren Kindern, die durch das Haus tollten und sich offenkundig zu irgendeinem Thema verabredet hatten. Ich komme gleich darauf zurück.

Winnemöller schreibt in seinem Beitrag über den langjährigen Kampf in der katholischen Kirche, neben den Priestern auch viri probati zuzulassen. Und man spürt seine Abneigung gegen diese Idee geradezu handfest. Er verweist darauf, dass ja die katholische Kirche eine Variante habe:

Wir kennen verheiratete Geweihte als ständige Diakone. Voraussetzung ist, ein vir probatus zu sein. Mindestalter 35 Jahre, verheiratet, gläubig und von gutem Ruf. Verheiratete ständige Diakone sind viri probati.

So weit so gut. Und nun kommt das, was mich unangenehm berührt hat. Winnemöller freut sich nicht darüber, dass es derartige viri probati gibt, nein er setzt sie ziemlich niederträchtig herab:

Auch der ständige Diakonat, der sich keinesfalls übergroßer Beliebtheit erfreut ist oft genug ein Job für ältere Herren. Einen Sakristeideal sei so mancher Diakonat, so hört man zuweilen. Wenn der Pfarrer die Taufen, Trauungen und Beerdigungen nicht mehr schafft, findet sich vielleicht ein engagierter Mann in den Fünfzigern, der das noch macht. Fernkurs Theologie, Diakonatskurs und schwupps ist man nach drei bis fünf Jahren Diakon.

Das ist widerwärtig, menschenverachtend und einer christlichen Gemeinde und ihrer Kommunikation nicht würdig. Schwupps, nach drei oder fünf Jahren ist man Diakon? Da ist ja heute manches Universitätsstudium bis zum Bachelor kürzer! Fünf Jahre sind doch immerhin 10 Semester! Wie kann man da so Verachtungsvolles schreiben:

Die Einführung von „viri probati“ bescherte uns nichts anderes als einige älterer Priester mit mäßiger Theologie und dem betulichen Schwung des Alters. Mangels Masse wird es wohl kaum viele jüngere Männer in dieses Amt ziehen. Sofern man überhaupt als junge Familie eine Bindung an den Glauben und die Gemeinde hat, wird sich der Mann in der Zeit, wo die Kinder klein sind, das Haus gebaut und der Lebensstandard erarbeitet werden will, kaum ein Priesteramt aufbürden lassen.

Das führt mich zurück zum Tagungshaus im Priesterseminar. Die gar nicht so kleine Gruppe aus Eltern mit ihren Kindern bestand – man ahnt es jetzt schon – ausschließlich aus Diakonen mit ihren Frauen und ihren Kindern. Quirlige, lebendige katholische Kirche der Gegenwart. Auch in meiner Seminargruppe war eine junge Kollegin, die mit einem Diakon verheiratet ist. So selten scheint das Phänomen also nicht zu sein. Man braucht übrigens nur einmal „viri probati“ in der Bildersuche von Google einzugeben, um auf zahlreiche junge Diakone mit Frau und Kindern zu stoßen. Wenn jedoch trotzdem alte Gesichter auftauchen, sind es die von Bischöfen, die über viri probati reden.

Was aber in Herrgotts Namen treibt Winnemöller dazu, eine ganze Gruppe von jungen Menschen, die von Gott als viri probati berufen wurden, derartig herabzusetzen: Schmalspurtheologen, mäßige Theologie, betulicher Schwung des Alters. Das gilt in ungleich größerem Maße für die gesamte kath.net-Redaktion.

Ob man ein alter Mann ist oder nicht, entscheidet sich nicht an den Lebensjahren sondern daran, ob man noch frisch im Kopf ist. Ich kenne 100-Jährige, die heute noch wesentlich jünger sind als der 56-Jährige Peter Winnemöller. Und seit letzter Woche kenne ich zahlreiche katholische Diakone, die alle viel jünger sind als dieser – physisch und psychisch. Ein Glück für die katholische Kirche, denn mit Peter Winnemöller kann sie keine Zukunft bauen.


Häresie

Wir regen uns in der Bundesrepublik Deutschland seit längerem darüber auf, dass es kein ökumenisches Abendmahl gibt. Dass aber auch zwischen bestimmten evangelischen Kirchen keine Abendmahlsgemeinschaft gepflegt wird, bleibt dabei oft außen vor. Mir wurde das zum ersten Mal vor etwa dreißig Jahren deutlich, als eine befreundete Studienkollegin heiratete und mir im Vorhinein deutlich gemacht wurde, dass ich als Reformierter beim Abendmahl nicht willkommen sei. Bis dahin hatte ich gedacht, dass dank der Leuenberger Konkordie wenigstens unter Protestanten – bei aller Verschiedenheit der Lehre – doch wenigstens ein gemeinsames Abendmahl möglich sein müsste. Nein, ist es nicht und die besagte Kirche (oder müsste man sagen: Sekte?) ist bis heute stolz darauf, päpstlicher als der Papst zu sein und mir das Abendmahl zu verwehren. Während mich katholische Priester schon oft zur Eucharistie eingeladen haben, blieb mir das Analoge bei der SELK verwehrt. Nun ist es das gute Recht von Sekten, ihre eigenen Riten und Abgrenzungen zu pflegen. Das ist identitätsstiftend und gerade bei Mini-Gruppen wichtig. Denn das ist die andere Seite der Medaille. Die Gruppe von der ich spreche, ist so etwas wie ein Scheinriese aus den Abenteuern von Jim Knopf. Je näher sie einem kommt, desto kleiner wird sie. Man könnte sie auch mit jenem Naturphänomen vergleichen, bei dem ein kleines Tierchen sich aufplustert, um größer zu erscheinen.

In Deutschland gehören ganze 33.474 Menschen dieser Splittergruppe an. 2006 waren es mal 36.011, aber der Zahn der Zeit nagt auch an kleinen Gruppen. Zum Vergleich: Der evangelischen Landeskirche, in deren Bereich ich wohne, und die ja nur eine unter vielen in Deutschland ist, gehören 2.236.897 Mitglieder an. Als Schaudiagramm ist das ganz interessant. Würde man das nebenstehende Schaudiagramm auf die EKD erweitern (21.536.000 Mitglieder), dann würde die SELK nicht mehr wahrnehmbar sein. Nun hat Wahrheit wenig mit Größe zu tun, aber manchmal kommen einem die SELK-Pfarrer mit ihren aufgeplusterten Backen doch wie Geisterfahrer vor, die auf der Autobahn brausen und angesichts der Gefahrenmeldung im Radio ausrufen: „Was heißt hier ein Geisterfahrer? Das sind Hunderte!“ Wo immer man fährt, man ist in der richtigen Spur, selbst wenn alle anderen in die andere Richtung fahren.

Ich schreibe das, weil ein Gemeindepfarrer dieser Kirche, der über 1600 Gemeindeglieder verfügt, aktuell bei Idea meint behaupten zu können, alle anderen 2.236.897 Protestanten verträten „ein Sammelsurium von Häresien“. Bezugspunkt seiner maßlosen Kritik sind, man glaubt es kaum, die Sach- und Worterklärungen zur revidierten Lutherbibel 2017. Dort werden angeblich Positionen zum Abendmahl und zur Taufe vertreten, die mit denen der SELK nicht vereinbar sind. Das überrascht mich nicht. Aber warum nutzt der Pfarrer dann die Lutherbibel in der revidierten Form von 2017? Müsste er nicht die Lutherbibel von – sagen wir – 1545 benutzen? Wenn die Union der Protestanten das Gewissens-Problem der SELK ist, dann sollte sie doch gefälligst jene Bibeln verwenden, die vor der Union entstanden sind. Aber erst auf die Lutherbibel von 2017 zuzugreifen und dann den Konfirmanden beizubringen, dass darin Häresien seien, ist einfach nur frech und unverschämt. Nun kann ein Pfarrer natürlich mit der Bibel anderer Konfessionen machen, was er will. Andere Zeiten haben fröhliche Autodafés inszeniert, unser Pfarrer lässt seine Schäfchen in der Bibel anderer Konfessionen einfach herumschmieren.

„Ich habe meine Konfirmanden dieses Sammelsurium von Häresien im Konfirmandenunterricht bewusst in ihrer Bibel durchstreichen lassen.“

Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden. Nun kann ein Reformierter darauf wenig antworten, weil es keine authentische SELK-Bibel gibt. Wäre ja lustig, ein Wettbewerb in Sachen: Wir schmieren in der Bibel des konfessionellen Gegenübers rum. Aber nein, wirklich lustig ist das nicht. Ich empfehle der SELK, entweder sich entschieden von den Äußerungen ihres Pfarrers zu distanzieren, oder aber selbst eine eigene Lutherbibel für ihre Schäfchen herzustellen. Eine Ökumene, bei der ein Teilnehmer derartig ins Gesicht seiner Gesprächspartner spuckt (die SELK ist eine der ACK-Kirchen), ist nicht sinnvoll. Wer in Häresien denkt, zeigt, wes Geistes Kind er ist. Und wer als lutherischer Theologe glaubt, er müsse vor der Bibellektüre seine Schäfchen belehren, wie und was sie lesen dürfen (empfehle den Gebrauch aber nur mit einer deutlichen Einschränkung bzw. Warnung), sollte vielleicht überlegen, ob er in der katholischen Kirche traditionalistischer Prägung nicht besser aufgehoben ist. Es gehört zu den großen Leistungen des Protestantismus, die Bibel ohne klerikale Vorschriften und Bevormundung den Menschen nahegebracht zu haben. Manche Selbständige Lutheraner träumen aber von den Fleischtöpfen in Ägypten, als die Priester noch über die Köpfe der Gläubigen hinweg das Seelenheil bestimmen konnten. Da sind wir Gott sei Dank 500 Jahre drüber hinweg. Aber die Emanzipation der Gläubigen ist über die Splittergruppe der SELK hinweggefegt und hat sie vergessen. Bedeutsam erscheint sie nur, weil Idea ihnen eine Plattform gibt. Meine eigene Gemeinde, zwischen Ruhrgebiet und Sauerland gelegen, ist zahlenmäßig deutlich größer als die aufstrebende Gemeinde des besagten Pfarrers (die vor allem aus Flüchtlingen besteht). Aber meine Gemeindepfarrerin spuckt nicht so große Töne, sondern macht ihre Arbeit – ordentlich und kontinuierlich. Wer dagegen seine Identität wie Pfarrer Martens aus Berlin vor allem dadurch gewinnt, dass er andere, die theologisch zu anderen Schlussfolgerungen gelangt sind, herabsetzt, sollte überlegen, ob das wirklich im Sinne Jesu ist.

So bleibt es bemerkenswert, dass ich eher mit einem Katholiken als mit einem Anhänger der SELK Abendmahl feiern kann. Darüber sollte man einmal nachdenken.


Superlativ ex cathedra

Kath.net meldet heute, der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer habe den jüngst verstorbenen Philosophen Robert Spaemann zum „bedeutendsten katholischen Philosophen unserer Zeit“ erklärt. Das überrascht mich und ich frage mich: Wie misst man so etwas in der katholischen Kirche? Gibt es ein spezifisches Messgerät dafür? Ist das ein Geschmacksurteil (was der sagt, gefällt mir), ein subjektives Urteil (den kenne ich persönlich, also muss er wohl berühmt sein) oder ein auf die Wissenschaftlichkeit zielendes Urteil (im weltweiten Vergleich aller Philosophen mit der Konfession „katholisch“ ist er der bedeutendste und im binnenwissenschaftlichen Ranking steht er an der Spitze)? Schauen wir einmal genauer auf das Zitat von Voderholzer:

"Der bedeutendste katholische Philosoph unserer Zeit. Sein Wort hatte Gewicht und fand Gehör in der Welt. Seine glasklaren Analysen und sein unbestechliches Urteil waren ein Kompass in stürmischen und unübersichtlichen Debatten. Der Begründung der Würde des Menschen als Person und deren Schutz vor allen Funktionalismen und Totalitarismen von rechts wie links widmete er sich mit intellektueller Leidenschaft. Seine frühen Warnungen vor den unabsehbaren Folgen der Nutzung der Kernenergie und seine unwiderlegbare Argumentation für den Lebensschutz in der Abtreibungsfrage sind ebenso wertvoll wie seine Gedanken zur Gottesrede nach Nietzsche.

Begründet wird die Bedeutung im Wesentlichen mit ideologischer Übereinstimmung. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist ein Superlativ ex cathedra. Denn von der Wissenschaft wird er nicht so absolut geteilt. Da ist Spaemann ein durchaus bekannter, aber eben kein herausragender Philosoph. Ich vermute es gibt aktuell weltweit sicher zwanzig ‚katholische‘ Philosophen, die wesentlich bedeutsamer als Robert Spae­mann sind. Spontan fiel mir der Berliner Sozialphilosoph Hans Joas ein, dessen weltweites Renommee sicher deutlich über dem von Spaemann liegt. Aber natürlich wäre an allererster Stelle einer der wissenschaftlich renommiertesten Philosophen der Gegenwart zu nennen, der Kanadier Charles Taylor, der erkennbar katholisch ist. Vermutlich gibt es zahlreiche weitere Philosophen, die auch gut katholisch sind, es aber nicht so laut herausposaunen wie Spaemann. Was mich aber interessiert, ist, wie Voderholzer zu seinem Urteil gelangt. Kennt er Hans Joas oder Charles Taylor nicht? Das halte ich bei einem früheren Professor der Dogmatik für ausgeschlossen. Warum dann diese Sportifizierung des Geistes (höher – schneller – weiter)? Oder meint er nur die Gruppe der philosophischen Propagandisten des Katholischen? Denn wer Superlative in die Welt setzt (und nicht nur schreibt, Spaemann sei ein bedeutender Philosoph), hat ja ein Interesse an der kontrafaktischen Heraushebung. Die Kirche aber kann nicht einfach bestimmen, wer der bedeutendste (katholische) Philosoph der Gegenwart ist. Das macht die Scientific Community nach ihren eigenen Regeln. Vielleicht ist die Antwort ganz simpel: innerhalb eines Ghettos sind die Regeln darüber, wer wichtig und wer bedeutend ist, ganz andere als außerhalb dieses Ghettos. Wie es ja auch immer den besten Verkäufer in einer Filiale gibt – ohne dass das etwas mit all den anderen Verkäufern weltweit zu tun hat. Und wenn man eine Filiale hat, in der alle mäßig sind, ist eben der halbwegs Talentierte der beste. Halten wir fest: Robert Spaemann ist in der Welt der Wissenschaft ein bedeutender Philosoph. Seine Bedeutung ergibt sich aber nicht dadurch, dass er Abtreibung oder die Nutzung der Kernkraft ablehnt. Das ist eher peripher. Er ist in der Wissenschaft bedeutsam, weil andere Philosophen sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf ihn beziehen und sich mit ihm auseinandersetzen. Das unterscheidet Robert Spaemann etwa von Kardinal Müller oder Papst Benedict, auf deren wissenschaftliche Arbeiten sich nur wenige beziehen.

Wenn man erst einmal so konfessionell zu denken beginnt, wie Voderholzer es vorschlägt, könnte man auf die Idee kommen, Spaemann mit einem anderen deutschen Philosophen zu vergleichen, der von sich sagt, „er sei immer noch Mitglied der Evangelischen Kirche, er zahle Kirchensteuer und verstehe sich als Kulturprotestant.“ Dieser Philosoph spielt nun in einer ganz anderen Liga – aber ich käme nicht auf die Idee, trotz all seiner bemerkenswerten Äußerungen über Glauben und Wissen, ihn als evangelischen Philosophen oder gar als den bedeutendsten evangelischen Philosophen unserer Zeit zu bezeichnen. Über derartige Etikettierungen sollten wir im 21. Jahrhundert lange hinweg sein.

Auf katholisch.de gibt es gerade eine kleine Kontroverse um eine katholische Fürstin. Regenbogenpressethemen interessieren mich nicht. Kurz, es gab einen Disput, wie man die Fürstin zu bewerten habe. Ein Autor empfahl ihr eine Schweigezeit, an anderer – Chefredakteur einer katholischen Postille – widersprach. All das ist nebensächlich. Um seinem Kollegen aber richtig eins drüberzuziehen schrieb der Chefredakteur etwas, was mit dem Thema überhaupt nichts zu tun hatte, aber einen tiefen Einblick in das katholische Ghetto vermittelt:

Heute tragen wir mit Robert Spaemann einen der ganz Großen zu Grabe. Ein Riese des Geistes und treuer Sohn der Kirche ... Schauen Sie über die Feiertage mal in die von ihm unterzeichnete Pariser Erklärung. Da finden Sie leicht Stoff für ein paar neue Standpunkte.

Ein Riese des Geistes. Einfach mal so dahingeplappert. Gut, für Zwerge mag das so scheinen, wenn einer größer als normal ist. Aber ein Riese? Ich erlaube mir einmal, ein Diagramm des Hirschfaktors einiger Wissenschaftler aufzuführen. Einbezogen habe ich einen Kardinal, einen früheren Papst, und vier Sozialphilosophen. Kenntlich gemacht habe ich nur Robert Spaemann. Alle anderen aufgeführten Wissenschaftler leben noch (es sind also weder Immanuel Kant, Friedrich Wilhelm Hegel, Sigmund Freud oder Thomas von Aquin unter den Benannten). Nun sage mir einer, wer von diesen sieben Aufgeführten ist ein Riese?


Auf offener Straße zusammengetreten

Immer wenn der Polit-Propagandist Klaus Kelle etwas von sich gibt, kann man geradezu blind davon ausgehen, dass es entweder verzerrt dargestellt wird oder nahezu überhaupt nicht zutrifft. Das war schon so, als er seine gescheiterte Postille The Germanz herausgegeben hat und es ist immer noch so, wenn er Gastkommentare auf der Werbeplattform kath.net von sich gibt. Dieses Mal unter der Überschrift: AfD-Abgeordneter auf offener Straße zusammengetreten. Das gibt die Qualität seines Kommentars gut wieder, denn außer der Bezeichnung „AfD-Abgeordneter“ stimmt daran nichts. Es war im Hinterhof eines Bremer Theaters und zusammengetreten wurde er auch nicht. Pech für Kelle, dass das Geschehen gefilmt wurde und man sich nicht nur auf Aussagen des Opfers verlassen musste. Alles Weitere, was Kelle schreibt, ist schlicht unbewiesen und pure Spekulation. Dass die Antifa dahinter steckt kann sein, es könnte aber auch ein Raubüberfall gewesen sein. Man weiß es nicht. Alles andere ist Propaganda. Die Geschichte mit dem Kantholz – erfunden. Die Geschichte mit den Kopftritten – erfunden. Schläge aufs Gesicht – er­funden. Vermummt – wahrscheinlich nicht. Real ist das, was die WELT so zusammenfasst:

Drei Angreifer folgten Frank Magnitz. Einer von ihnen sprang dem AfD-Politiker, den Ellbogen voraus, von hinten an. Magnitz, der die Angreifer offenbar nicht kommen hörte, stürzte, von dem Ellbogen im Nacken getroffen, wohl mit den Händen in den Taschen. Der Kopf, die rechte Gesichtshälfte zuerst, prallte auf das Pflaster. Der Attackierte blieb liegen. Die drei Täter verschwanden der Bremer Staatsanwaltschaft zufolge in die Dunkelheit. Kein Kantholz, keine Fußtritte, auch kein „Gegenstand“, mit dem die Täter Magnitz nach ersten Angaben der Polizei malträtiert haben sollten.

Kelle aber liest daraus einen Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Das, was am Montag in Bremen passiert ist, kann der erste Schritt sein, der auch unser Land in den Strudel zurück zu den Straßenschlachten und Mordtaten rechter und linker Extremisten in der Weimarer Republik reißen kann.

Ich habe selten derartigen Schwachsinn gelesen. Als die Kölner Bürgermeister-Kandidatin Henriette Reker 2015 bei einem politisch motivierten Attentat mit mutmaßlich rechtsextremem Hintergrund mit einem Bowiemesser schwer verletzt wurde, war das scheinbar kein Wendepunkt. War ja nur eine rechte Tat mit Tötungsabsicht. Und das ist ja kein Wendepunkt. Als der CDU-Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein, 2017 von einem Kritiker seiner liberalen Flüchtlingspolitik mit dem Messer traktiert wurde, war das auch kein Wendepunkt. War ja nur gegen die Flüchtlingspolitik. Als aber jemand einen AfD-Politiker von hinten stößt und der äußerst unglücklich stürzt, ist das Ende der Berliner Republik angesagt. Wie verblendet muss jemand sein, der so einen Bullshit von sich gibt? Wenn man die im Vergleich zum Deutschen Herbst nun geradezu harmlosen Vorfälle ernsthaft als geschichtliche Wendepunkte begreift, dann ist man nicht mehr zurechnungsfähig. Selbst wenn die Antifa beteiligt wäre, nichts rechtfertig diese Verzerrungen bundesrepublikanischer Wirklichkeit.


Fake News mit Fake News

Heute vermeldet kath.net, man habe endlich die linksliberalen Medien, die Homopropagandisten und liberale Jesuiten der Verbreitung von Fake-News überführt.

In Amerika war ein Video viral verbreitet worden, das scheinbar den Angriff katholischer Schüler auf einen indigenen Protestteilnehmer in Washington zeigt. Man sieht in dem viralen Video, wie sich ein Schüler mit dem Trump-Logo MAGA (Make America Great Again) scheinbar einem trommelnden Ureinwohner Amerikas entgegenstellt und ihn verhöhnt. Scheinbar, denn was auf den ersten Blick offenkundig scheint, ist es nicht, denn der eigentliche Konflikt findet ganz woanders statt, nämlich zwischen einer Gruppe von Black Hebrew Israelites, die aggressiv die Jugendlichen angegangen waren und den katholischen Trump-Fans, die von einer Lebensschutz-Veranstaltung kamen. In diese Situation stößt die von einer anderen Demonstration kommende Gruppe der Indigenen mit ihren Trommeln und stellt sich zwischen die Schüler und die Afroamerikaner. In dieser Situation entsteht das virale Video und führt zu falschen Schlussfolgerungen einiger Medien, die die Ursprungssituation nicht kennen. Das alles ist bei Übermedien durch Stefan Niggemeier gut aufbereitet worden. Kath.net möchte daraus nun sein eigenes Süppchen kochen und möchte eine anti-liberale Verschwörungstheorie in die Welt setzen. Es sei ein Komplott zur Denunziation der Lebensschutzbewegung, das hier bösartig in Gang gesetzt worden sei. Und weil es dafür kaum Indizien gibt, muss man mit Unterstellungen arbeiten. Und wie wir es von den Fake-News-Vorwürfen von Donald Trump kennen, arbeitet man selbst mit Fake-News:

Was Medien wie CNN und andere allerdings verschwiegen: Aus Videos, die ein umfassenderes Bild der Sache zeigen, geht klar hervor, dass die Schüler dort einfach auf den Bus warteten und von einer Gruppe von Afro-Amerikanern, die zur Gruppe von Philipps gehörten, beleidigt wurden und als „crackers“ und „school shooters“ und „Pädophile“ verunglimpft wurden.

Zum einen verschwiegen es CNN & Co nicht, sie wussten es in dem Moment nicht besser. Zum anderen ist klar, dass die Schilderung von kath.net, die ja viel später erfolgt, keinesfalls zutreffen kann. Denn – selbst wenn man nicht recherchiert – ist es unwahrscheinlich, dass eine Gruppe Indigener und eine Gruppe Black Hebrews gemeinsam eine Demonstration für mehr Rücksichtnahmen auf die Ureinwohner Amerikas organisieren. Tatsächlich, das wird bei einer kurzen Recherche zum Geschehen klar, gibt es einen heftigen Konflikt zwischen der indigenen Gruppe und den Black Hebrews. Es sind drei unterschiedlich Demonstrationen, die parallel stattfinden und zufällig an einem Punkt zusammentreffen. Der aggressive Auslöser, darin sind sich inzwischen alle einig, ist die Gruppe der Black Hebrews, die von Anfang an andere beleidigen und beschimpfen. Ihre Opfer werden sowohl die katholischen Trump-Fans wie die indigenen Protestierenden. Kath.net sucht nun die Gruppe der Indigenen herabzusetzen, indem sie sie den Black Hebrews zuordnet. Das ist klassischer Rassismus, indem es den Protest der Indigenen dem der afro-amerikanischen Splittergruppe denunziatorisch zuordnet. Vor allem ist es aber die Verbreitung von Fake-News, denn als kath.net die Empörung in die Welt setzt, sind alle Fakten längst bekannt und medial ausgebreitet. Mit anderen Worten: kath.net hat ein Interesse daran, den Protest der Ureinwohner Amerikas als Spielart einer schwarzen Splittergruppe darzustellen, obwohl beide Bewegungen nun aber auch gar nichts miteinander zu tun haben. Wenn man anderen die Verbreitung von Fake-News vorwirft, wie kath.net es hier in Trumpscher Manier gegenüber CNN tut dann sollte man zumindest nicht selbst Lügen verbreiten.

Für mich bleibt nach all dem nur die Frage, warum Schulen ihre Schüler mit Bussen(!) auf eine Demonstration der Lebensschutzbewegung schicken und vor allem: warum diese dabei MAGA-Kappen tragen. Es scheint mir mehr eine republikanische als eine religiöse Veranstaltung gewesen zu sein.


Wahre Märchen

Der evangelikale Grandseigneur Peter Hahne ist geehrt worden und hat, wie Idea meldet, dabei eine nette Märchenstunde gehalten.

Gegen die negative Darstellung der neuen Bundesländer in vielen Medien hat sich der langjährige Fernsehmoderator und Bestsellerautor Peter Hahne (Berlin) gewandt. „Wer nur noch von Dunkeldeutschland faselt, hat keine Ahnung, was die Mitteldeutschen in Wahrheit geleistet haben. Während im Westen viele auf dem Sofa die Fernsehbilder von der Friedlichen Revolution 1989 verfolgt haben, riskierten Bürger in der DDR ihr Leben, um eine Diktatur zu Fall zu bringen.“

Da hat der „langjährige Fernsehmoderator und Bestsellerautor“ wohl einiges durcheinandergebracht. Die „linke“ Rede vom „Dunkeldeutschland“ gab es tatsächlich einmal Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts und hätte es damals beinahe zum Unwort des Jahres gebracht. Sie entstand aus der Enttäuschung darüber, dass eine Bevölkerung, die gerade einer Diktatur entkommen war, sich nun keineswegs in die Mitte der demokratischen Gesellschaft begab, sondern in erstaunlichem Maße auch reaktionären und gewalttätigen Bewegungen hinterherlief. Dennoch, das stellte seinerzeit sowohl die Presse wie die Mehrheitsgesellschaft fest, war es nicht gut, von Dunkeldeutschland zu reden, es war ein Schimpfbegriff. So wie im amerikanischen Alltag das N-Wort ein Schimpfbegriff war. Wie in Amerika haben sich die Verhältnisse allerdings inzwischen geändert. Die diskriminierten Bewegungen haben sich das herabsetzende Wort zur Selbstbeschreibung angeeignet. Sie wählten eine sprachliche Strategie, die das Wort, das demokratisch Gesinnte nicht verwendeten, nun zur Kampfparole im eigenen Mediendiskurs stilisierte. Das kann man in Amerika in unendlichen vielen Rap-Songs wahrnehmen und man kann es in Deutschland bei den Ultrarechten beobachten. ‚Dunkeldeutschland‘ ist nämlich längst zur Selbstbezeichnung von Pegida-Anhängern und Neofaschisten geworden. Wenn Peter Hahne mit seinem Satz jemanden kritisieren wollte, dann hätte es also nicht die Westmedien, sondern die AfDler und Pegidianer getroffen. Die faseln tatsächlich von Dunkeldeutschland und sind stolz darauf. "Die mitteldeutschen Refugien, das sagenumwobene 'Dunkeldeutschland' könnte als Überlebenskern unserer Nation eine elementare Bedeutung bekommen" (B. Höcke).

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/117/am653.htm
© Andreas Mertin, 2019