Die Schwarzen Kanäle hat die bisherige Kolumne "Was ich noch zu sagen hätte - Ein Bloggsurrogatextrakt" nach 27 Folgen abgelöst. Ich fokussiere mich in der neuen Kolumne, das Projekt Netzteufel der Evangelischen Akademie Berlin als Anregung aufgreifend, auf Meldungen und vor allem Leserkommentare der Plattformen idea und kath.net. Weiterhin bleibt diese Kolumne eine ironische und satirische Kolumne. Auch wenn ich die Kritisierten beim Wort nehme, kann ich sie dennoch nicht ernst nehmen. Sie sind und bleiben ein Element der Kategorie Realsatire.



Peter Winnemöller als Gendertheoretiker

Eine Sache anders oder neu zu benennen verändert diese Sache auch von seinem Inhalt her.

Der vorstehende Satz gehört zum Kerngehalt der Gendertheorie. Er könnte von Judith Butler stammen oder eine theologische Auslegung der Benennung der Tiere durch Adam in der Genesis beschreiben. Die Benennung eines Phänomens ist nicht neutral, nicht deskriptiv, sondern als Sprechhandlung wirksam und verändernd. Es ist nicht dasselbe, ob ich "Schwarzer“ „Neger“ oder „Nigger" sage, sondern jedes Mal etwas anderes. Wird eine Sache mit einem Wort bezeichnet, geschieht mehr als nur eine Spiegelung des Gegenstandes. "Eine Sache anders oder neu zu be­nen­nen verändert diese Sache auch von seinem Inhalt her." Nun stammt dieser gerade zitierte Satz nicht aus einem Text von Judith Butler, nicht aus einer Verlautbarung irgendeines Gen­der­referates, sondern von dem reaktionären Katholiken Peter Winnemöller, der sich seine Argumen­te immer da holt, wo er sie gerade braucht. Aktuell ärgert ihn die Umbenennung einiger Referate in der Erzdiösese Freiburg und da greift er schnell mal auf gendertheoretische Argumente zurück. Wird schon keiner merken. Konkret wurde etwa das bisherige Seniorenreferat und das bisherige Behindertenreferat unter dem neuen Referatstitel "Inklusion - Generation" zusammengefasst. Das ärgert Winnemöller. Er findet:

Abgesehen davon, dass Referatszuschnitte in öffentlichen Verwaltungen immer mal den Nimbus von „Frauen und Gedöns“ haben, kann man überlegen, ob Begriffe wie „Senioren“ oder „Behinderte“ nicht deutlicher uns aussagekräftiger sind.

"Frauen und Gedöns" ist eine Assoziation, die Winnemöller hat, ich nicht. Jedem das Seine. Und er könnte ja nun angesichts seiner neuen gendertheoretischen Einsichten sich mal fragen, warum der Referatstitel "Behinderte" etwas anderes ausdrückt als der Referatstitel "Inklusion". Denn es waren ja nicht irgendwelche Linke, die sich hier lautstark geäußert hätten, sondern die entsprechenden Verbände, die weg von einer deskriptiven (und oft auch herabsetzenden) Kategorie zu einer Begriffswahl wechseln wollten, die den positiven Willen der Gesellschaft ausdrückt, Behinderte nicht zu benachteiligen. Deshalb: Inklusion. Tatsächlich ist Inklusion weitergreifend als der dann doch herabsetzende Begriff „Behinderte“.

Und man kann sich fragen, warum der Begriff "Senioren" schlechter als Referatstitel sein soll als der Begriff der "Generation". Ursprünglich hatte „Senior“ eine begrenzte Bedeutung, er bezeichnete einen Mann zwischen 45 und 60 Jahren, während das lateinische "senex" für Menschen ab 60 gebräuchlich war (senil ist noch ein Reflex darauf). Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde "Senior" zu einem euphemistischen Begriff für alle "Alten". Generation dagegen, wenn man es im soziokulturellen Sinn fasst, ist eine Altersgruppe, die eine zeitgezogene Ähnlichkeit aufweist. Es deutet zudem gut an, dass das, was wir als "alt" oder "jung" bezeichnen, seit langem im Fluss ist. Insofern haben beide Recht: Peter Winnemöller und das Erzbistum. Ersterer, weil Benennungen tatsächlich die Sache verändern, letzteres, weil die vorgenommenen Benennungen das zu Beschreibende tatsächlich wesentlich besser und vor allem sprachlich neutraler erfassen als die bisherigen Begriffe.


Hauptsache Knast

In einem Gesellschaftssystem zu leben, in dem alles nach Recht und Ordnung verläuft, ist für manche, die sich ihre Wirklichkeit und ihr Rechtsempfinden frei nach Schnauze zusammenbasteln, schwer erträglich. Sie verstehen nicht, dass der spontane Reiz, für diese und jene Straftat gleich die Höchststrafe zu erteilen, regressiv und für keine Gesellschaft sinnvoll ist. Unser so genanntes Rechtsempfinden hat mit dem gesellschaftlich reflektierten ‚Recht‘ häufig wenig zu tun, allzu oft ist es bloß archaisch und regressiv. Allenfalls falls man selbst erwischt wird, hofft man auf liberale Lösungen.

Aktuell geht es darum, dass das Bistum Osnabrück einem geständigen Priester, der inzwischen 85 Jahre alt ist, in einem Altenheim wohnt und dem zahlreiche sexuelle Übergriffe gegenüber Minderjährigen in den 80er- und 90er-Jahren vorgeworfen werden, die Rente auf 1000 Euro kürzen will. Nun ist das, weil der Betroffene in einem Altenheim wohnt, allenfalls eine symbolische Geste, weil an dieser Stelle die Sozialsysteme der Gesellschaft greifen würden. Zynisch gesprochen: das Bistum spart hier zu Lasten der Gesellschaft. Weitergehend wird überlegt, ob man den Pfarrer nicht laisiert und ihm die Bezüge ganz streicht. Das Ergebnis ist dasselbe. Für einen Außenstehenden ist auch das keine sinnvolle Handlung für eine Kirche. Hier räumt die Kirche ein Problem weg, über das sie selbst 30 Jahre hinweggesehen hat. Sie bestraft nur scheinbar den Täter, zieht aber nicht Konsequenzen für diejenigen, die ihm ein fortgesetztes Handeln ermöglicht haben.

Kath.net berichtet über den Fall und gleich der erste Kommentator, der sich Gandalf nennt, ergeht sich in ganz unweisheitlichen Rachephantasien. Der Fall geht ihn überhaupt nichts an, er ist Österreicher, lebt knapp 1000 Kilometer vom Geschehen entfernt und meint dennoch, hier die große Stammtisch-Rede schwingen zu müssen:

Nun kann man sich schon fragen, was „wirkliche Kinderschänder“ eigentlich sind – das Recht kennt diese Bestimmung nicht, nur der so genannte Volksmund. Man kann ihm zugute halten, dass er vielleicht überführte und rechtskräftig verurteilte Straftäter nach § 176 StGB meint, aber dieser Fall liegt hier nicht vor. [Vermutlich spielt er aber auf Kardinal Pell an, den er nicht wirklich für einen Kinderschänder hält, auch wenn dieser dafür verurteilt wurde.]

Darüber hinaus kann die katholische Kirche in Deutschland niemanden ins Gefängnis stecken; Gott sei Dank! – die Protestanten müssten sich sonst Sorgen machen. Die Kirche kann aber den Fall der Staatsanwaltschaft übergeben. Und das hat sie konkret auch getan: „Alle Beschuldigungen wurden umgehend der Staatsanwaltschaft zugeleitet“, schreibt Bischof Bode im Brief an die Gemeinde. Diese habe zwar die Strafbarkeit der geschilderten Vorgänge festgestellt, aber aufgrund von Verjährung keine Ermittlungen aufgenommen.

In konkreten Fall ist die Staatsanwaltschaft also nach der Untersuchung der Vorgänge zu dem Ergebnis gekommen, dass sie zwischenzeitlich verjährt sind, es also ein Verfahrenshindernis zur Strafverfolgung gibt. Das entspricht voll und ganz dem deutschen Recht. Also kann weder ein österreichischer Katholik, noch ein deutscher, noch irgendein anderer Bürger oder Bürgervertreter diese Person einfach ins Gefängnis stecken. Es wäre schlicht rechtswidrig.

Grundsätzlich dienen Verjährungen ja dem Rechts­frieden, auch wenn das manchen nicht gefällt. Niemand möchte nach 30 Jahren für eine Tat bestraft werden, die er in Jugendzeiten begangen hat. Nur am Stammtisch und mit Vorliebe beim Thema Sexualität denkt man anders: „An der Sex-Front herrscht Raserei. Eine Gesellschaft in Angst rettet sich in Verfolgungsfantasien.“ (Bundesrichter Thomas Fischer) Und ihr Mittel dazu ist die Rechtswillkür. Unabhängig von Recht und Ordnung gilt nur eins: der Täter muss so oder so ins Gefängnis. Nur ist das kein Recht.

Vergegenwärtigen wir uns, worum es geht: Die Taten geschahen bis in die 90er-Jahre an bis 12-Jährigen. Dann setzt nach heutigem(!) Recht ein Verjährungsaufschub ein bis zum 30. Lebensjahr der Betroffenen. Das wäre 2008. Je nachdem, um welchen Tatbestand es geht, setzen dann unterschiedliche Verjährungsfristen ein. Bei zehnjähriger Verjährung wäre die Tat 2018 verjährt, bei zwanzigjähriger Verjährung 2028. Soweit die heutige Rechtslage. Und würde nach heutigem Recht geurteilt, müsste auch der 85jährige Beschuldigte vor Gericht.

Allerdings darf niemand nach Regeln verurteilt werden, die zum Zeitpunkt seiner Tat gar nicht galten, also etwa erst später in Kraft traten. Das ist hoffentlich jedem unmittelbar einsichtig. Genau diesen Fall haben wir hier vorliegen.

Denn vor dem 1. April 1998 verjährten sämtliche Fälle des sexuellen Missbrauchs an Kindern, auch die schweren Fälle, zehn Jahre nach Tatvollzug. Wenn die Tat also 1995 geschah, war sie 2005 verjährt. Es ist deshalb falsch und dient keinesfalls dem Rechtsfrieden einer Gesellschaft, Strafen oder auch Prozesse für jemanden zu fordern, der nach den damals gültigen Regeln nicht mehr zu betrafen ist (und nur rechtsmissbräuchlich zu bestrafen wäre). Sonst führen wir heute Strafregeln ein für ein Verhalten, das früher nicht strafbar war und verurteilen Menschen im Nachhinein munter dafür. Das öffnet der reinen Willkür Tür und Tor. In manchen Ländern ist zum Beispiel das Tragen des Minirocks bei Frauen strafbar. Würde man das rückwirkend in Deutschland unter Strafe stellen, wäre plötzlich ein Drittel der Gesellschaft im Gefängnis.

Was nun die Forderung nach einer gehaltlosen Gefängnisstrafe angeht, so ist sie eine rein sadistische Phantasie. Der muss nicht nur mit Gefängnis bestraft werden, der darf auch keine Rente beziehen. Wie sadistisch muss man veranlagt sein, um das zu fordern? Selbstverständlich bekommt ein Rentner während der Haftzeit weiter Rente, sie wird im Gefängnis nur nicht ausgezahlt und um den Haftkostenbeitrag (je nach Zelle und Verpflegung bis zu 430 Euro pro Monat) gekürzt. Selbstverständlich gehen von der Rente auch gerichtlich angeordnete Entschädigungen für die Opfer ab. Alles andere aber ist eine Verletzung von elementaren Rechten und der Menschenwürde – die eben auch Straftäter besitzen. Und man sollte auch daran denken, dass solche Regelungen nicht nur bei Sexualstraftaten, sondern auch bei ganz anderen Straftaten gelten.

Was hinter der Forderung von Gandalf steckt, ist der Wunsch nach der Rückkehr zu einem archaischen Rechtssystem. Dann wären wir wieder in der Horde der steinzeitlichen Stammesgesellschaft. Das passt natürlich zu einem Fundamentalisten. Demgegenüber ist bereits das Ius Talionis und erst recht das biblische „Augenersatz um Auge, Zahnersatz um Zahn“ (so die Übersetzung von Buber / Rosenzweig) ein bemerkenswerter Fortschritt im Rechtssystem.

„(Rechtswegen sollte) Auge für Auge (sein), Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß. Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Beule für Beule, (daher muss der Täter Geld dafür geben).“

Dieser Gedanke dient gerade dazu, die Rachephantasien Dritter abzuweisen und zivilisierte gesamtgesellschaftliche Regelungen an ihre Stelle zu setzen. Unser heutiges Strafrecht hat sich daraus entwickelt, hat aber sehr viele weitere Gesichtspunkte in sich aufgenommen. Das Ergebnis ist übrigens ein kontinuierlicher Rückgang der Verbrechen, nachdem als abschreckend gedachte Strafen nicht den gewünschten Erfolg hatten und durch andere Maßnahmen ersetzt wurden. Trotz gestiegener Sensibilität stoßen wir nicht auf mehr, sondern eher auf weniger Fälle sexuellen Missbrauchs.

Genüsslich erwähnt nun die lokale Presse, dass die Kirche ja nicht an staatliche Regelungen gebunden sei, und deshalb einen Priester auch 50 Jahre später noch dort bestrafen kann, wo es der Staat nicht mehr dürfe. Wo dabei der Gewinn liegen soll, sehe ich nicht. Nachdem man 30 Jahre lang weggeschaut hat, rächt man sich nun symbolisch am Täter, indem man ihn bestraft. Die Opfer haben dadurch weder Genugtuung noch werden potentielle künftige Opfer geschützt. Man setzt ein Zeichen und das lautet: dass der Staat gnädiger ist als die Religion. Ist das sinnvoll? Wollte man wirklich etwas tun, dann müsste man an Präventionsmaßnahmen arbeiten, an Systemen, die Verbrechen wie die jetzt gemeldeten verhindern würden. Daran arbeitet das Bistum Osnabrück, vielleicht könnte da noch mehr geschehen. Dazu kann auch die Laisierung gehören, insofern damit die Aufgabe kirchlicher Privilegien verbunden ist. Die Kürzung oder Streichung von Rentenbezügen ist aber auch nur eine regressive Rachephantasie. Sie mag vielleicht vom Kirchenrecht gedeckt sein, aber das spräche dann eher gegen das Kirchenrecht. Gerade am humanen Umgang mit denen, die gegen die Regeln humanen Umgangs verstoßen haben, erweist sich die Stärke eines Rechtssystems. Daran sollten wir uns halten und auf symbolische Gesten der Befriedung des Zorns der Gemeinden verzichten.


Verwirrte unter sich

Auf kath.net artikulieren sich die Verwirrten der Gesellschaft. Es geht weiterhin um Strafverfolgung von Verbrechen und Entschädigungen der Opfer.

Ein interessantes Beispiel für eine derartige Verwirrung ist folgender Beitrag (s. Screenshot). Abgesehen davon, dass die Verlängerung einer Verjährungsfrist keinem Opfer hilft, das bis zum heutigen Tag Schaden erlitten hat, sonst würde Recht rückwirkend eingesetzt, wäre natürlich zu fragen, was eigentlich knapp unter niemals ist? Denn Mord verjährt nicht. Faktisch meint der Verwirrte aber die Strafandrohung und nicht die Verjährung. Die Mindeststrafe für Mord ist 15 Jahre, die Maximalstrafe für Missbrauch 20 Jahre. Ein Richter kann also durchaus auch heute schon je nach Straftat einen Sexualstraftäter sehr lange wegsperren. Und er kann verfügen, unter welchen Bedingungen eine vorzeitige Entlassung möglich ist. Eine Mindeststrafe für Missbrauch in Höhe von 14 Jahren ist dagegen schlicht vollständig unsinnig. Da hat jemand keine Ahnung, was § 176 StGB an Straftatbeständen umfasst. Selbst bei Totschlag beträgt die Mindeststrafe aus guten Gründen nur 5 Jahre. Aber hier offenbart sich wirklich die Raserei am Stammtisch.


Gedankenspiel

Würde man übrigens in einem völlig ahistorischen Exkurs die Zeugung Jesu nach §176 StGB beurteilen, dann handelte es sich in jedem Fall um einen sexuellen Missbrauch. Maria war, nach allem was wir wissen können, unter 14 Jahre alt. Zumindest legen einige urchristliche Quellen sehr viel Wert auf ein frühes Datum, das Protoevangelium des Jakobus spricht explizit von 12 Jahren. Mit 14 Jahren wäre sie normalerweise verheiratet worden, bis dahin war sie ihrem künftigen Mann Josef anvertraut, also verlobt. Das ist genau der Gesetzesrahmen, den unser heutiges Gesetz vorsieht. Das ändert sich auch nicht, wenn man, wie der biblische Text, von einer Einwilligung der Maria in das Geschehen nach der Verkündigung durch den Engel ausgeht. Wir müssten es konkret das nennen, was es ist: Missbrauch einer Minderjährigen. Aber das ist und bleibt ein Gedankenspiel: wie würde das zu beurteilen sein, was die Bibel uns erzählt, wenn es heute geschähe? Nur dass dieses Gedankenspiel permanent im Blick auf Mohammed und selten im Blick auf die Bibel angestellt wird. Ich würde die Foristen von kath.net ja gerne fragen, ob ihrer Ansicht nach nun Gott ins Gefängnis muss, weil er sich an einer Minderjährigen vergangen hat. Aber das würden sie (vielleicht nicht einmal zu Unrecht) als Blasphemie ansehen. So bleibt es beim Gedankenspiel.


Quod licet Iovi, non licet bovi

Während der fundamentalistische Mob tobt, um einen 85jährigen beschuldigten Priester ins Gefängnis zu bekommen, obwohl dafür keine Rechtsgrundlage besteht, erregt er sich auf der anderen Seite darüber, dass ein bereits rechtskräftig verurteilter Kardinal für das gleiche Vergehen ins Gefängnis soll. Nur ist dieser Kardinal ein bekannter Konservativer – zumindest in moralischen Fragen. Und nachdem er durch eine Jury in Australien nach angelsächsischem Recht einstimmig verurteilt wurde und auf die Verkündigung seines Strafmaßes wartet, sitzt er jetzt in Haft – und natürlich ist es für seine Verteidiger Isolationshaft. Und sie finden es ein Verbrechen, dass ein wegen Missbrauch verurteilter Kardinal ins Gefängnis muss und dort nicht einmal täglich die Messe feiern kann – weil Alkohol in der Zelle verboten ist. Nun kann man wenig über Vorgänge schreiben, die fernab in Australien passiert sind. Aber es ist schon interessant, wie unterschiedlich die Urteile im Forum auf kath.net ausfallen, wenn es sich das eine Mal um einen nicht verurteilten Priester aus dem Bistum Osnabrück und das andere Mal um einen verurteilten Kardinal aus Australien handelt. Absurder geht es kaum. Nun könnte man einwenden, dass der Priester im Bistum Osnabrück sein Vergehen ja eingeräumt hat, während der Kardinal seine Vergehen bestreitet (leugnet, würde kath.net schreiben, wenn sie gegen den Kardinal eingestellt wären). Aber das ändert nichts an der fatalen Einstellung zum Rechtssystem. Man vertraut ihm nur, wenn es im eigenen Sinne/Interesse urteilt. Sonst arbeitet man an seiner Unterminierung.


«La majorité des faits, grâce à Dieu, sont prescrits» (Barbarin)

Im Augenblick werden geradezu im Wochenrhythmus Kardinäle für Missbrauch oder Vertuschung desselben verurteilt. Und jedes Mal ist der Aufschrei bei kath.net-Foristen groß. Der Forist wedlerg bewegt sich haarscharf jenseits der Grenze der Verleumdung, wenn er einem französischen Gericht Rechtsbeugung vorwirft. Denn dieses hat keinesfalls verjährte Fälle abgeurteilt – auch in Frankreich arbeiten solide Richterinnen -, sondern dem Urteil einen nicht verjährten Fall des Jahres 2014 zugrunde gelegt.

„Ein Betroffener hatte sich 2014 persönlich an den Kardinal gewandt. Der aber habe nicht reagiert und seinem Priester erst 2015 den Umgang mit Jugendlichen verboten.“

Die Information ist leicht zugänglich, selbst die Wikipedia verzeichnet sie schon am Tag des Urteils. Dass ein Richter über die Strafforderung der Staatsanwaltschaft hinausgeht, ist zudem nichts Besonderes, es hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit Bewertungsmaßstäben. Ein anderer Kardinal, der auch angeklagt werden sollte, weil er dem nun verurteilten Kardinal zur Vertuschung geraten hatte, wurde vom Vatikan unter Verweis auf seine diplomatische Immunität geschützt.

Das vielleicht Problematischste an den Kommentaren ist die zu Tage tretende Überzeugung, die Kirche und ihre Vertreter stünden über dem weltlichen Recht. Genau für diese Überzeugung muss Barbarin ins Gefängnis.


Schwarzbrot

Peter Hahne hat auf einer Veranstaltung im ost­westfälischen Lübbecke seine 800 Zuhörer dazu aufgerufen,

 „keine mundgerechten Häppchen auf dem Buffet der Weltanschauungen zu liefern, sondern das biblische Schwarzbrot des Evangeliums, um den Lebenshunger einer rat- und rastlosen Gesellschaft zu stillen.“

Bei Peter Hahne weiß man natürlich immer schon, bevor er auch nur den Mund aufmacht, was er sagen will. Sein Aussagenspektrum ist für einen Journalisten erschreckend klein. Und man weiß auch, dass Hahne, der sich gerne obskuren Initiativen für Sprachpflege und gegen Gender anschließt, es selbst mit der deutschen Sprache nicht so hat. Er möchte schöne Sprachbilder einsetzen, kühne Metaphern nutzen, denkt sie aber nicht zu Ende. Sein Lobpreis des Schwarzbrotes im Ostwestfälischen mag vielleicht adressatenorientiert zu sein, ist aber als Metapher doch etwas dürftig. Schwarzbrot, so sieht es der Volksmund, ist im Vergleich zu anderen Brotsorten dann eben doch ein hartes Brot, man nimmt es, wenn nichts anders da ist. Sein Vorteil liegt in seiner Haltbarkeit, aber es ist nicht das Erste, wonach man greift, sondern das Letzte. Biblisches Schwarzbrot (also Brot mit hohem Roggenanteil) gab es zurzeit Jesu sicher nicht, es ist eher europäischen Ursprungs, biblisch dürfte eher Gerstenbrot oder Weizenbrot sein. In Johannes 6, 5-15 erörtert Jesus im Kontext der Speisung der 5000 die Brotfrage und nutzt dann das preiswertere Gerstenbrot. Dieses wird an die 5000 verteilt.

Also ist das von Hahne beschworene Evangelium als Schwarzbrot eigentlich ein Bild-Wort, aber eines, das dem Begriff „Evangelium“ zuwiderläuft.

Evangelium: von griechisch εὐαγγέλιον euangélion „Gute Nachricht“ oder „Frohe Botschaft“.

Die Frohe Botschaft der zuwendenden Gnade Gottes ist also ein Schwarzbrot? Das haben wir bisher immer anders verkündet. Es ist natürlich klar, was Hahn sagen will: wenn man spirituell am Verhungern ist, dann ist das Schwarzbrot „Bibel“ ein hungerstillendes Element. Und doch spürt man sofort, dass an dem Bild nahezu alles schief ist. Im Voraus gesetzt ist die evangelikale Botschaft, dass die Bibel eben doch keine gute Botschaft ist, sondern eine Zumutung, der man nur unter Opfern (des guten Lebens) folgt. Das hat schon einen sehr asketischen Zug und passt wenig zu jenem „Fresser und Weinsäufer“, welcher Schwarzbrot – außer auf dem Westfälischen Abendmahl – wohl kaum zu sich genommen hätte.

Die Frohe Botschaft wird also nun als Schwarzbrot angepriesen, „um den Lebenshunger einer rat- und rastlosen Gesellschaft zu stillen“. Hört Hahne eigentlich, was er da sagt? Abgesehen davon, dass auch Westfalen dann, wenn es mehr als Schwarzbrot gibt, durchaus zu anderen Speisen greifen (das westfälische Abendmahl zeigt Schnaps, Bier und Schinken, in anderen Varianten Grünkernsuppe), das Evangelium als Schwarzbrot in diesem Sprachbild also nur eine vor-läufige Speise wäre, so fragt man sich doch, ob die „rat- und rastlose Gesellschaft“, deren Problem ja nicht der Mangel, sondern die Fülle ist, gerade auf Schwarzbrot wartet. Es ist schlicht ein schräges Bild. Ich kann weder erkennen, dass Hunger noch, dass Ratlosigkeit das Problem dieser Gesellschaft ist. Paulus, als er in Athen auf dem Areopag zum „Buffet der Weltanschauungen“ geladen wurde, war sich jedenfalls nicht zu schade, seinen Glauben als den nahrhaftesten anzupreisen.

Hahne führt nun in seiner „Fastenpredigt“ aus, seine westfälischen Zuhörer sollten

„keine mundgerechten Häppchen auf dem Buffet der Weltanschauungen zu liefern, sondern das biblische Schwarzbrot …“

Auch das überrascht. Denn genau dafür – mundgerechte Happen fürs Buffet – ist Schwarzbrot heute wegen seiner Festigkeit berühmt und in Gebrauch. Schwarzbrot wird nicht nur im Westfälischen gerne als rundes Pumpernickel-Scheibchen auf dem Buffet angerichtet oder sogar in mehreren Schichten gestapelt. Es ist jedenfalls nicht genuin dem Buffet entgegengesetzt. Aber ich fände es etwas merkwürdig, wenn alle anderen Religionen und Weltanschauungen Nahrhaftes zum Buffet beitragen würden, das Christentum aber nur Pumpernickel. Das scheint mir keine Frohe Botschaft zu sein. Und ein Buffet nur aus Pumpernickel ist doch etwas monokulturell und eher abstoßend.

Beim Deutschen Brotinstitut stieß ich dann auf Erläuterungen, die vielleicht als Subtext der Hahnschen Speisekultur gelesen werden könnten. Dort heißt es:

„Weiß und schwarz Brot ist eigentlich das Schibolet, das Feldgeschrei zwischen Deutschen und Franzosen“ schrieb Goethe am 24. September 1792 während der „Campagne in Frankreich“ und meinte, die Abscheu vor dem dunklen Kommissbrot, das er zwei requirierten Franzosen angeboten hatte, habe zu deren Flucht den letzten Ausschlag gegeben, nach allem anderen erlittenen Unheil des Krieges.

Die Empfehlung des schwarzen Brotes ist demnach eben auch insgeheim das Plädoyer für eine spezifisch „deutsche“ Variante des Evangeliums. Einem Franzosen käme es nicht in den Sinn, das Evangelium als Schwarzbrot zu bezeichnen, einem Hebräer erst recht nicht. Nur in einer deutschen Überlagerung der biblischen Botschaft macht es Sinn:

Das dunkle Roggenbrot wird somit als der spezifisch deutsche Dialekt im weiten Feld der Brotbereitung gekennzeichnet, und wie unmittelbar die Identifikation mit bzw. die Abscheu vor diesem „Dialekt“ die Menschen beherrscht, hat Goethe trefflich beobachtet.

Das folgende pathetische „Sprach-Bild“ von Hahne überlasse ich gerne homiletischen Seminaren zur kritischen Analyse:

„Seid strahlende Leuchttürme der Wahrheit im Nebel des Zeitgeistes, keine trüben Tranfunzeln einer belanglosen und angepassten Allerweltstheologie!“


Erregungszustand - נרתיק

Das ist ein gefundenes Fressen für all die Sexualneurotiker auf kath.net. Unter den zweitausend Veranstaltungen des Deutschen Evangelischen Kirchentages gibt es auch eine, die sich in künstlerischer Perspektive mit dem weiblichen Geschlecht beschäftigt. Das ist nun für normale, kulturell gebildete Menschen nichts Außergewöhnliches, seit Gustav Courbets „Ursprung der Welt“, spätestens aber seit Judith Chicagos „Dinner Party“ ist es eigentlich schon ein Stück Kulturgeschichte. Nicht aber für sexualgestörte kath.net-Redakteure. Die picken sich aus dem 2000 Veranstaltungen umfassenden Programmangebot des Kirchentages jene heraus, die nun ganz und gar nicht in ihr Weltbild passt. Wie sehr sexualneurotisch die kath.net-Redakteure fixiert sind, sieht man an der Überschrift, die sie dem Ganzen verpassen:

Heimlicher „Höhepunkt“ des Evangelischen Kirchentags: „Vulven malen“

Das hat schon Stürmer-Niveau, dessen Herausgeber ja auch ein Sexualneurotiker war. Wie kommt man als Redakteur von „Vulven malen“ auf „Höhepunkt“? Und wie von „Höhepunkt“ auf „Heimlicher ‚Höhepunkt‘“? Sigmund Freud hätte eine Antwort darauf. Und inwiefern ist eine öffentliche Programmankündigung „heimlich“? Ich glaube, man muss schon schwer gestört sein, um so etwas zu schreiben. Oder einfach nur dumm. Aber es geht noch weiter:

Ein biblischer Bezug (man erinnere sich an das reformatorische Prinzip „Sola scriptura“) zum Malen der weiblichen Scheide ist nicht angegeben. Ebenso wenig wird angegeben, ob für den Workshop Aktmalen angeplant ist oder ob heterosexuelle Männer als Teilnehmer erwünscht oder unerwünscht sind.

Da geht die sexuelle Phantasie der Redaktion mit ihr durch. Sie liest zwei Wörter „Vulven malen“ und schon kommt es zum verbalen Brechdurchfall. Man fragt sich, ob heterosexuelle Männer auch beim Vulven malen dabei sein dürfen. Hechel, hechel. Wirklich ein Fall für den Psychiater.

Aber vielleicht darf man an dieser Stelle zwei Anmerkungen machen. Vielleicht liest sich der Redakteur einmal Levitikus 18, 6-18 durch. Es dürfte keinen Text der Weltliteratur geben, der so dicht Benennungen der weiblichen Scham gefüllt ist. In den zwölf Versen wird die „Scham“ zwanzigmal benannt. Da wird man schon einmal fragen dürfen, was denn an ihr so bedeutsam ist, dass ihr so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das weibliche Genital ist jedenfalls durchaus Gegenstand biblischer Reflexionen. Soweit zum „sola scriptura“. Nun könnte die Redaktion einwenden, ihr ginge es um das Malen des weiblichen Genitals. Das stünde nicht in der Bibel. Nun hat so etwas die Verächter des zweiten Gebotes noch nie davon abgehalten, selber munter Gott und Jesus Christus zu malen, obwohl davon nichts in der Bibel steht. Wer im Glashaus malt …

Aber etwas anderes ist viel bedeutsamer. Ohne die Darstellung der weiblichen Scham ist Religion nicht zu haben. Denn am Anfang der religiösen Welterkundung der Menschheit steht der künstlerisch festgehaltene Blick auf die weibliche Scham. Die knapp 30.000 Jahre alte so genannte „Venus von Willendorf“ und die 200 analogen Fundstücke dieser Zeit dokumentieren, dass am Anfang menschlicher Zivilisation genau das stand, was kath.net nun am Evangelischen Kirchentag so verwerflich findet: die künstlerische Darstellung des weiblichen Geschlechts. Und die Rötelspuren auf dem Objekt im Wiener Naturhistorischen Museum belegen, dass auch vor 30.000 Jahren die Vulva bemalt war. Wer das lächerlich macht, weil seine sexualneurotischen Phantasien mit ihm durchgehen, hat von Religion wenig verstanden. Sie ist allemal komplexer als es ihre kleinbürgerlichen Apologeten sich träumen lassen.

Nie wieder Florenz?

Kath.net empört sich über Kunstwerke, die in der Fastenzeit in und vor Innsbrucker Kirchen gezeigt werden. Für die Redaktion sind das natürlich wie fast schon zu erwarten keine Kunstwerke, sondern nur „Kunst“, also sogenannte Kunst. Derlei Herabsetzungen Bildender Kunst haben im religiösen Kontext eine lange Tradition, die bis in die ersten Verwendungen des Begriffs „Entartete Kunst“ in den katholischen Kunstblättern Ende des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Die kritisierten Künstler sind herausragende Vertreter der Kunst Österreichs, sind also keine Hobbykünstler. Es gibt genügend Anlass, sorgfältig über ihre Arbeiten nachzudenken. Einer der Künstler hatte ein Kruzifix aus dem Müll gerettet und aus ihm eine komplexe Zeitansage gemacht. Das ist nun gerade bei Jesus nicht unplausibel: Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird. Bei kath.net wird dem Künstler dagegen Blasphemie vorgeworfen. Nun ist von Jesus Christus kaum anders als metaphorisch zu reden, weshalb das Kunstwerk gut in eine christliche Kirche passt. Auch Jesus selbst war ein Meister der kühnen Metapher. Aber bei kath.net und bei LifeSiteNews ist das gewollte Missverstehen seit langem Programm.

Lustig wird es, wenn kath.net dann auch noch davor warnt, eine andere Kirche zu besuchen, weil dort ein Künstler eine Figur mit einem deutlich sichtbaren nackten Penis ausgestellt habe. Das kann natürlich nicht toleriert werden und ist Christen nicht zuzumuten. Das würde ganz gut begründen, warum kath.net keine Reisen nach Florenz organisiert, denn dort ist der biblische David in seiner ganzen Pracht ja unvermeidbar. Nicht nur das Original in der Accademia, sondern auch die großen und kleinen Kopien verteilt über die ganze Stadt sind unübersehbar. Und man dürfte auch nicht die Brancacci-Kapelle besuchen, denn dort wäre ja nun auch Adam unübersehbar nackt (samt Penis) dargestellt. Das Christentum ist kulturell ohne Akt-Darstellungen kaum zu denken. Aber mit der Kultur haben es weder kath.net noch LifeSiteNews besonders.

Man kann sie mit guten Gründen als Kulturbarbaren bezeichnen.

Das wird dann besonders deutlich an den erregten Zuschauerkommentaren, die sich unter der obigen Meldung ergießen. Man kann sie mit guten Gründen faschistisch nennen. Da ist die Rede von der „kranken“ bzw. „vermeintlicher“ Kunst, von den Homosexuellen, die vermutlich derartige Werke schaffen würden, von „Machwerken“, „Unsäglichkeiten“ usw. Streckenweise klingt es wie die explizite Sprache von faschistischer Kunsttheoretiker.

Nationalsozialisten wie etwa Wolfgang Willrich definierten, was für die Besucher zur Betrachtung geeignet war und was für die Betrachter schädlich war, und sorgten für klare Sichtweisen.

Und es ist schon interessant, was sie dann (wie ihre heutigen Erben) dem Publikum als verdammenswerte Bilder vor Augen führten.

Wolfgang Willrich montiert 1937 Ausschnitte von Werken von neun Künstlern auf einem Bild zusammen, um dem Publikum die Verderbtheit dieser zu demonstrieren. Und siehe: es sind vor allem Nackte, die er präsentiert.

Davor muss man das Publikum selbstverständlich bewahren. (Nicht umsonst verbindet sich kunsthistorisch der Humanismus mit der Akt-Darstellung.)

Und die österreichischen Erben der Kunstzensur des Jahres 2019 möchten das nur allzu gerne fortsetzen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/118/am660.htm
© Andreas Mertin, 2019