Die Schwarzen Kanäle hat die bisherige Kolumne "Was ich noch zu sagen hätte - Ein Bloggsurrogatextrakt" nach 27 Folgen abgelöst. Ich fokussiere mich in der neuen Kolumne, das Projekt Netzteufel der Evangelischen Akademie Berlin als Anregung aufgreifend, auf Meldungen und vor allem Leserkommentare der Plattformen idea und kath.net. Weiterhin bleibt diese Kolumne eine ironische und satirische Kolumne. Auch wenn ich die Kritisierten beim Wort nehme, kann ich sie dennoch nicht ernst nehmen. Sie sind und bleiben ein Element der Kategorie Realsatire.


Sozialdarwinismus oder: Peter Winnemöller kritisiert Paulus

Der kath.net-Krakeeler vom Dienst, Peter Winnemöller, echauffiert sich in seiner wöchentlichen Kolumne über einen Text, in dem er die „Auferstehung des Sozialdarwinismus“ erkannt haben will. Was war passiert? In einer Kirchenzeitung hatte eine Redakteurin gefordert, der Zölibat solle fakultativ sein. Zur Begründung hatte sie darauf hingewiesen, dass zum Menschsein auch die Sexualität und die Fortpflanzung gehöre. Eigentlich ein gut katholisches Argument, das gerade auch katholische Reaktionäre schon seit längerem gegen die Ehe für Alle genutzt hatten, weil diese ja nicht der Fortpflanzung diene. Nun aber finden sie das gerade noch selbst gebrauchte Argument verwerflich, weil es das verpflichtende Zölibat in Frage stellt.

Im Würzburger katholischen Sonntagsblatt hatte die Redakteurin Anna-Lena Herbert u.a. Folgendes geschrieben:

Mit dem Zölibat spricht man den Priestern ein großes Stück Menschsein ab. Denn wie jede Art auf diesem Planeten ist der Mensch auf Fortpflanzung hin angelegt. Das steckt in seiner DNA. Danach lebt – und liebt – er. Jemandem von vorneherein eine Beziehung zu verbieten, ist falsch; nicht nur im Hinblick auf Biologie, sondern vor allem auf Zwischenmenschlichkeit und soziale Nähe.

Diese Art der Argumentation findet Winnemöller verwerflich, ja nazistisch, was schon im Teaser des Textes hervorgehoben wird. Nun ist am Teaser so ziemlich alles falsch. Wenn eine Redakteurin ihre Meinung artikuliert, ist das zunächst einmal nicht eine Verlautbarung des Bistums, sondern eine als solche auch gekennzeichnete subjektive Meinung. Nur in Diktaturen und totalitären Organisationen stimmen die Ansichten des Diktators oder des Eigentümers mit denen der Journalisten überein. In Demokratien ist das nicht so. Das nennt man Freiheit der Presse und der Meinung. Nun weiß ich nicht, was für Winnemöller „Naziargumente“ sind, aber der Sozialdarwinismus ist nicht genuin nazistisch, sondern wurde auch von den Nationalsozialisten vertreten – aber nicht nur. Seine Hauptverbreitungszeit hatte er im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Aber auch christliche Prediger in Amerika entwickelten Formen des Sozialdarwinismus. Man kann vom Nazismus auf Sozialdarwinismus schließen, aber nicht vom Sozialdarwinismus auf Nazismus. Das ist ein klassischer logischer Denkfehler von Winnemöller. Noch nicht geklärt ist dabei die entscheidendere Frage, ob die Redakteurin überhaupt sozialdarwinistisch argumentiert hat. Was schließlich „laizistische Vorurteile“ sein sollen, erschließt sich mir nicht. Können Laizisten nur Vorurteile äußern (ist die Wortkombination also ein Pleonasmus), oder gibt es auch laizistische Urteile? Jedenfalls kommt Laizismus als Trennung von Religion und Staat im Artikel der Redakteurin überhaupt nicht vor (die Redakteurin ist erkennbar keine Laizistin, allenfalls Laiin). Sie deshalb darunter zu rubrizieren ist Rufschädigung und dient dem Schüren von Vorurteilen. Winnemöller kritisiert die oben zitierte Äußerung der Redakteurin nun so:

Während in der Gesellschaft ein Kampf gegen Rechts tobt, kann eine Kirchenzeitungsredakteurin Sozialdarwinismus in Reinkultur predigen.

Zunächst einmal kann man tatsächlich in vielen rechten und rechtsextremen Diskursen eine fast ungebrochene Fortsetzung der nationalsozialistischen Argumentationsschablonen wahrnehmen. Nur wird heute nicht mehr auf die Geburtenrate der Juden, sondern die der Muslime verwiesen und in Kontrast gesetzt zur Geburtenrate bei Christen (früher: Volksdeutschen). Das ist ein rhetorisches Schema, das tatsächlich von den Nazis gepflegt wurde und den Nazismus überlebt hat. Freilich finden sich derartige Argumente nicht selten auch bei Thilo Sarrazin, auf kath.net und bei seinen LeserInnen in ihrer Mission zur Rettung des christlichen Abendlandes.

Winnemöller sieht die rechte Argumentation aber nun ausgerechnet bei der Kirchenredakteurin und ihrer Forderung nach Freiwilligkeit des Zölibats. Und er begründet das so:

Das Drama des Kommentars liegt nicht im erhobenen Postulat an sich. Liest man die Begründung für die Priesterehe mit nüchternem Verstand, so packt einen das Grausen. Die Autorin macht das volle "Menschsein" allein am erfüllten Fortpflanzungstrieb fest. Das ist eine sozialdarwinistische Argumentation in Reinkultur. Mensch ist bei Frau Herbert nur der, der sich erfolgreich fortgepflanzt hat. … Man wendet sich mit Grausen.

Das hat die Redakteurin nicht einmal ansatzweise geschrieben, Winnemöllers Zusammenfassung ihrer Argumentation ist schlicht Verleumdung. Sie hat nur auf die unbestreitbare Tatsache hingewiesen, dass Leben auf dieser Welt auf Reproduktion angelegt ist. Und sie fragt, wie man beim Priesteramt diese biologische Tatsache außer Acht lassen kann. Das hat mit Sozialdarwinismus gar nichts zu tun. Anscheinend hat Winnemöller überhaupt keine Ahnung davon, was Sozialdarwinismus ist. Er kann nicht einmal zwischen biologischen und biologistischen bzw. sozialdarwinistischen Argumenten unterscheiden. Er unterstellt der Kritisierten Sozialdarwinismus (den sie gar nicht vertreten hat), um ihr dann explizit Nazi-Argumente bescheinigen zu können. Das ist bösartig und ehrverletzend. Sozialdarwinismus, das lernen wir heute schon in der Schule, ist mit drei Thesen verbunden: 1) Dass das evolutionäre Modell der Biologie in wesentlichen Punkten auf soziale und gesellschaftliche Prozesse übertragen werden könne. 2) Dass es gutes und minderwertiges Erbgut bei unterschiedlichen Menschen(gruppen) gäbe. 3) Dass gute Erbanlagen gefördert und schlechte verhindert werden müssten. Nur alle drei Punkte zusammen charakterisieren sozialdarwinistisches Denken. Keines der drei notwendigen, aber für sich noch nicht hinreichenden Merkmale des Sozialdarwinismus kommt im Text der Redakteurin vor. Keines!

Sie argumentiert zunächst erkennbar anthropologisch: Der Mensch ist ein auf Fortpflanzung angelegtes Wesen. Dass der Mensch ein auf Fortpflanzung angelegtes Wesen ist, steht auch im katholischen Katechismus, dort steht auch, dass das mehr ist, als nur ein biologischer Tatbestand: „Infolgedessen ist die Sexualität … keineswegs etwas rein Biologisches, sondern betrifft den innersten Kern der menschlichen Person als solcher.“ Dann argumentiert die Redakteurin ethisch bzw. mit Blick auf das Menschenrecht: Der Verzicht auf diese Anlage darf nicht erzwungen werden, sondern muss freiwilliger Akt sein. Und daraus schlussfolgert sie: Der erzwungene Zölibat widerspricht der notwendigen Freiwilligkeit. Nun kann man bestreiten, dass der Zölibat tatsächlich erzwungen ist, denn niemand wird (heute noch) zum Priestertum gezwungen. Nur wer Priester werden will, muss den Zölibat leben. Im Sinne der Askese ist der Verzicht tatsächlich einer auf das vollumfängliche Ausleben menschlicher Möglichkeiten. Ob das im konkreten Fall des Zölibats sinnvoll ist, ist zurzeit strittig. Aber halten wir fest: evolutionstheoretisch argumentiert die Redakteurin nicht, vielmehr anthropologisch. Es geht überhaupt nicht um das Survival of the fittest. Sie argumentiert nicht mit der Qualität des Erbgutes. Auch hier geht es ihr um Anthropologie: was gehört zum Menschsein? Und schon gar nicht meint sie, bestimmte Gene müssten gefördert, und andere begrenzt werden. Damit hat sie überhaupt nichts am Hut.

Peter Winnemöller meint nun, die Redakteurin schlicht von oben herab abfertigen zu können:

Priester könnten auch dann nicht heiraten, wenn der Zölibat optionale Lebensform von Priestern wäre. Die Weihe ist ein Ehehindernis. Allenfalls könnte man verheiratete Männer zu Priestern weihen. Es gibt gute Gründe dagegen.

Diese Gründe würde man natürlich gerne wissen, denn nach der biblischen Überlieferung waren so gut wie alle(!) Apostel verheiratet und selbst der eine, auf den sich alle für die Ehelosigkeit berufen, fordert explizit, es sei zumindest sein Recht, zu heiraten:

Haben wir nicht das Recht, eine Schwester im Glauben als Frau mitzunehmen, wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und wie Kephas?

Ja, Apostel haben das Recht(!) eine Frau zu haben, so schreibt es Paulus an die Korinther. Und er schreibt nicht, „wenn sie vorher schon verheiratet waren“ oder: „wenn sie dabei keusch leben“. Wirft Winnemöller nun auch Paulus Nazi-Argumente avant lettre vor, weil dieser für die Apostel das Recht auf eine Ehe verteidigt? Das würde man doch gerne wissen. Biblisch würde es ihm jedenfalls schwerfallen, seine Argumente zu stützen. Die Schwiegermutter des Petrus zeigt, dass die Ehe zumindest kein Hindernis ist, höchste kirchliche Ämter zu erlangen. Ironisch wies ein Kommentator um Forum von kath.net auf Bischof Julianus hin:

Geboren als Sohn des süditalienischen Bischofs Memorius, heiratete Julianus um 403 Titia, Tochter des Bischofs Aemilius von Benevent. Seine kirchliche Laufbahn begann er als Lektor und Diakon in der Gemeinde seines Vaters. Bereits 417 wurde er von Papst Innozenz I. zum Bischof … ernannt.

So viele Bischofstöchter und Bischofssöhne und Ehepaare auf einmal. Da hat Winnemöller viel zu entwirren. Aber gut biblisch ist es:

„Das Wort ist glaubwürdig: Wer das Amt eines Bischofs anstrebt, der strebt nach einer großen Aufgabe. Deshalb soll der Bischof ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet, nüchtern, besonnen, von würdiger Haltung, gastfreundlich, fähig zu lehren; er sei kein Trinker und kein gewalttätiger Mensch, sondern rücksichtsvoll; er sei nicht streitsüchtig und nicht geldgierig. Er soll ein guter Familienvater sein und seine Kinder zu Gehorsam und allem Anstand erziehen. Wer seinem eigenen Hauswesen nicht vorstehen kann, wie soll der für die Kirche Gottes sorgen? Er darf kein Neubekehrter sein, sonst könnte er hochmütig werden und dem Gericht des Teufels verfallen. Er muss auch bei den Außenstehenden einen guten Ruf haben, damit er nicht in üble Nachrede kommt und in die Falle des Teufels gerät.“

Daraus können wir zumindest schließen, dass Peter Winnemöller zumindest nach dem Timo­theus­brief kein Bischof werden könnte: denn er ist nicht rücksichtsvoll, dafür aber streitsüchtig und hochmütig. Und vor solchen Bischöfen bewahre uns Gott. Dann doch lieber verheiratete Priester mit Kindern.


Eingeschränkte Freiheit

Man kann bei einigen sich bis heute katholisch nennenden Staaten sehen, was dort Menschen droht, die anderer Meinung sind. Das ist nicht irgendetwas, was in der Provinz geschieht, sondern Teil staatlicher Politik. In Polen etwa werden weltanschaulich Andersdenkende verfolgt. Wobei Andersdenkende hier nun gerade keine politischen Dissidenten meint, sondern Andersdenkende im Blick auf die alle anderen Religionen dominierende katholische Religion. Kürzlich hatte eine Gemeinde in Polen symbolisch die Sünden der Menschen aufgelistet und dabei explizit auch Gender und LGBT als Sünden benannt. Das ist eine merkwürdige Ansicht, aber jeder hat ein Recht auf Irrtümer. Dummheit ist ein Menschenrecht, das man verteidigen muss.

Eine polnische Aktivistin hatte nun diese Herabsetzung anders Denkender zum Anlass genommen, die berühmte Schwarze Madonna von Tschenstochau ihrerseits mit einem Nimbus aus Regenbogenfarben zu versehen, um diese auch für den LGBT-Diskurs zu reklamieren. Das hat einige Plausibilität für sich, denn das „schwarz“ der Schwarzen Maria bezieht sich ja explizit auf die Ausgegrenzten der Gesellschaft: „Nigra sum sed formosa“. So steht es zumindest wortwörtlich auf einigen der Schwarzen Madonnen unter Bezug auf das Hohelied verzeichnet.

Die Aktivistin Elzbieta Podlesna hat die Symbolik der von der katholischen Kirche bekämpften LGBT-Bewegung für den Nimbus benutzt: es sind sechs Farben, nicht sieben wie bei der Friedensbewegung. Und so verwendet sie Rot für das Leben, Orange für die Gesundheit, Gelb für das Sonnenlicht, Grün für die Natur, Königsblau für die Harmonie und Violett für den Geist. Das sind alles Motive, die durchaus mit der biblischen Maria in Übereinstimmung zu bringen sind.

In allen aufgeklärten und demokratischen Ländern dieser Erde wäre das überhaupt kein Problem. Nur haben wir wenige dieser aufgeklärten Länder. Nicht einmal in der EU sind alle Länder aufgeklärt. Das zeigte sich auch in Polen, das sich seiner Katholizität so rühmt: die Urheberin des Bildes wurde verfolgt, ihre Wohnung durchsucht, Computer, Telefon und Unterlagen beschlagnahmt, sie selbst festgenommen. Warum? Angeblich wegen der Verletzung der religiösen Gefühle der polnischen Katholiken. Diese dürfen zwar die Gefühle aller LGBT-Vertreter und Gendertheoretiker verletzen, das ist ja auf dieser Erde nie ein Problem, aber sie werden empfindlich, wenn man einem Kunstgegenstand aus der Zeit zwischen dem 6. und 14. Jahrhundert eine neue Sichtweise angedeihen lässt, ihn sozusagen neu rahmt. Allerdings trug die biblische Maria nie einen Heiligenschein, das ist ein Framing bzw. Branding viel späterer Zeiten.

In der christlichen Kunst wurde ab dem 2. Jahrhundert die antike Gloriole zuerst dem Gottessohn Jesus Christus und den Päpsten, dann dem dreifaltigen Gott und den Engeln, später der Gottesmutter Maria und letztlich den Heiligen gegeben.

Nun ist der Nimbus kein exklusiv christliches Signum, sondern ein auch vom Christentum genutztes Zeichen. Allerdings spricht nichts dagegen, in anderen Kontexten und anderen Zeiten ein verändertes Framing oder Branding vorzunehmen. Die feministische Theologie hat das im 20. Jahrhundert getan, die alte Theologie tat dies erfolgreich im 5. Jahrhundert (Theotókos). Man muss dem nicht folgen, nimmt es zur Kenntnis und belässt jedem seine Überzeugungen.

Nur die Feinde der Freiheit im 21. Jahrhundert sehen das anders. Sie meinen, quasi Exklusivrechte auf die Darstellung der Madonna zu haben und anderen andere Lesarten verbieten zu können. [Nur im laizistischen Frankreich gab es einmal im Rahmen eines Gerichtsprozesses zur Verwendung des Abendmahlsmotivs in der Werbung die Idee, dass wegen der Trennung von Staat und Kirche die katholische Kirche ein exklusives Recht auf religiöse Motive habe, weil der Staat sich nicht in die Religion einmische. Das hat sich freilich nicht durchgesetzt.] In der Sache haben sich nicht einmal die christlichen Kirchen selbst auf eine Deutung Marias einigen können.

Selbst die Verbindung der Maria mit einem Regenbogen ist nicht neu, sondern gehört seit Jahrhunderten zur traditionellen religiösen Ikonographie des Christentums. Bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts kombiniert Rogier van der Weyden Maria mit dem Regenbogen, andere wie etwa Hans Memling sind ihm darin gefolgt. Aber vermutlich nur in Polen kann es passieren, dass man die religiösen Gefühle verletzt, wenn man eine Schwarze Madonna mit dem Regenbogen in Verbindung bringt.

Wie ist es um einen Staat und seine dominante Religion bestellt, die Menschen verfolgen und inhaftieren lassen, nur weil sie in einer an Harmlosigkeit kaum zu überbietenden Aktion den Nimbus der Maria in Regenbogenfarben gestaltet haben?

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/119/am668.htm
© Andreas Mertin, 2019