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Magazin für Theologie und Ästhetik


Terra sigillata oder: gebrannte Erde

Eine Ausstellungskritik

Andreas Mertin

Prospekt der Ausstellung "Terra. Das dritte Element""Erde" als Thema der Kunst ist in gewisser Hinsicht immer verstörend. Nicht nur, weil sich hier all zu leicht trivialisierende kunsthandwerkliche Mißverständnisse (Kunst und Natur) nahelegen oder die BluBo-Kunst zu unverhofften Ehren kommen könnte, sondern auch, weil mit der Themengebung notwendig eine bestimmte Form der Inhaltlichkeit vorgegeben ist. Dieser Ambivalenz der Themengebung kann nachspüren, wer im Einladungsprospekt zur Ausstellung "Terra. Das dritte Element" im Bremer Gerhard Marcks Haus die Zwischentöne mitliest:

"Ähnlich dem Wasser besitzt auch die Erde als Ausgangspunkt künstlerischer Arbeiten zahlreiche Bedeutungen. Sie stellt die Grundlage allen Lebens und Wachsens dar, ermöglicht den großen Kreislauf vom Anfang bis zum Ende aller Lebewesen. Sie speichert seit Jahrmillionen Informationen über die Geschichte unseres Planeten, aber auch unseren jetzigen Umgang mit ihr als Ressource. Die mythologische Darstellung der Erde als Frucht bringende Gottheit »Gaia« oder »Tellus« ist seit Jahrhunderten Gegenstand der Kunst.

Wieder einmal nutzt das Bildhauermuseum die Möglichkeit in einer Themenausstellung, zeitgenössische Künstler nach ihren unterschiedlichen Ansätzen zu befragen. In der Hauptsache sind es Bildhauer, deren künstlerische »Antworten« ausgestellt sind. Außerdem werden Aquarelle und Fotografien neben Installationen und Körperabdrucken, Strickarbeiten und Pflanzen gezeigt."

Während im Rahmen einer vierteiligen Ausstellungsreihe die Orientierung an den vorsokratischen Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde noch plausibel erscheint [aber warum dann die Abweichung zum Ausstellungstitel TERRA, der diese Logik doch gerade zum Unverbindlichen hin durchbricht?], ist der gerade zitierte quasi-mythologische Ton der Begründung künstlerischer Beschäftigung mit Erde doch befremdlich. Solcher Verbrämungen bedarf es für das künstlerische Schaffen der Gegenwart nicht. Man kann Derartiges geistreich in besinnliche Katalogaufsätze einfliessen lassen [dann aber bitte in seiner vollen kulturgeschichtlichen Breite und nicht nur mit ein paar Bonmots aus der griechischen Mythologie!], als Begründungsfigur hat es aber einen faden Beigeschmack. Warum werden dann nicht auch die negativen Aspekte mit benannt, die in Deutschland Erde als künstlerisches "Argument" in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts so schwierig gemacht haben und die erst in der künstlerischen Aufarbeitung ihrer Ambivalenz durch Anselm Kiefer wieder diskursfähig wurden?

Der Katalog zur Ausstellung wurde zudem leider übereilt erstellt. Um Fotos vor Ort präsentieren zu können, wurde offenbar in Kauf genommen, dass eine sorgfältige Kontrolle der Abbildungen nicht mehr möglich war. Einige Abbildungen sind daher misslungen (z.B. von Arbeiten Tobias Rehbergers), was sehr bedauerlich ist. Zudem ist auch der Katalog mit Lyrismen gefüllt, die der Präzision der künstlerischen Arbeiten nicht angemessen ist (z.B.: "Die Utopie, dauerhaft in ein paradiesisches Arkadien zurückzukehren, wo der Mensch in Harmonie mit der Natur leben kann, gilt gemeinhin im technischen Zeitalter als romantisches Ideal vergangener Epochen, das sich überlebt hat." Das verstehe, wer will.)

Die Künstlerinnen und Künstler können freilich nichts für diese Schwächen, sie wollen an ihren Arbeiten gemessen werden. Diese werden in der Ausstellung unter sechs Gesichtspunkten präsentiert:

  • Mensch und Erde: SYLVIA KORNMACHER (Hamburg)
  • Landschaft: PETER SAUERER (München) - TOBIAS REHBERGER (Frankfurt)
  • Steine und Minerale: SILKE PRADLER (Bremen) - MAGDALENA JETELOVÁ (Bergheim bei Köln) - WERNER HENKEL (Bremen)
  • Erde zum Arbeiten: MADELEINE DIETZ (Landau/Pfalz) - BARBARA NEMITZ (Berlin)
  • Pflanzen und Gärten: N55 (Kopenhagener Künstlergruppe [Ingvil Aarbakke, Rikke Luther, Jon Sorvin und Cecilia Wendt])
  • Boden als Grund: HANSWERNER KIRSCHMANN (Bremen)

Von den ausgestellten Arbeiten haben nicht alle die Qualität, die man angesichts des Hauses und der Herausforderung des Themas erwarten durfte. Einiges wirkt beliebig und nur mit Mühe mit dem Titel "Terra. Das dritte Element" verknüpft. Dennoch versammelt die Ausstellung auch interessante Positionen, die gerade im Kontrast von Elementarität und postmoderner Leichtigkeit ihre Wirkung entfalten.


Erde zum Arbeiten heißt das Stichwort, unter dem die Arbeiten von Barbara Nemitz und Madeleine Dietz vorgestellt werden. Tatsächlich sind dies die beiden Künstlerinnen, die der Themenstellung am nächsten kommen und deren Oeuvre die größte Kontinuität qualitätvoll künstlerischer Auseinandersetzung mit "Erde" aufweist.

Madeleine Dietz zeigt im White Cube des Museums ihre Arbeit "Kein Rosenhain" aus geschichteten getrockneten Erdschollen, deren runde Formen in der Gesamtheit und deren durch den Zufall bestimmte Erdbruchstellen im Detail einen höchst interessanten Kontrast zur rechtwinkligen Architektur des Raumes bilden. Kunst und Natur, Ordnung und Chaos, Fragilität und Stabilität bilden einige der von Gegensätzen lebenden Arbeit. Im vorliegenden Kontext erweist sich "Kein Rosenhain" eher als Meditationsobjekt, während sie im religiösen Kontext (St. Petri, Dortmund 1996) stärker erdhafte Assoziationen auslöste.

Barbara Nemitz hat in der Ausstellung einen riesigen Erdhügel aufgeschüttet und diesen dann "bestickt". Im Kontrast zur artifiziell-formalen Arbeit von Madeleine Dietz wirkt der Erdhügel wuchtig und elementar, die Bestickung wunderbar grotesk. Leider zeigt sich anhand der Katalogfotos, dass der Kern des Erdhügels zu 90% aus Styroporplatten besteht, ein Fakt, der in der Arbeit nicht thematisiert wird und nur zufällig zum Vorschein kommt. Die Erde ist also nur Haut, nur äußere Kruste, nicht monumental. Erst im Nachhinein stellen sich so weitere Fragen zum Thema Erde und menschlicher Erdbearbeitung.


Steine und Minerale haben mehrere Künstlerinnen und Künstler als Stichwort zugeordnet bekommen, u.a. Magdalena Jetelová, die aber viel passender unter dem Stichwort "Landschaft" einen künstlerischen Pas de deux mit Tobias Rehberger vollzogen hätte.

Von Magdalena Jetelová wird eine 12 Schwarzweißbilder umfassende Fotodokumentation ihres Iceland-Projektes aus dem Jahr 1992 gezeigt. Jetelová war nach Island gefahren und hatte dort mittels Laserstrahl die Nahtstelle zwischen Ost und West nachgezeichnet. Die Fotos (unter den Vorgaben der Künstlerin von Werner J. Hannapel angefertigt) haben eine außerordentlich starke Ausdruckskraft, der Kontrast von künstlichem/artifiziellem Laser und der Gewalt der Natur ist beeindruckend. Warum allerdings im Katalog die Bilderrahmen mit abgebildet werden, ist nicht ganz einsichtig, mehr Platz für die Darstellung der Arbeiten wäre besser gewesen.


Unter dem Stichwort Pflanzen und Gärten wird ausschließlich die Künstlergruppe N55 aus Kopenhagen rubriziert. Ironisch ist ihre Präsentation im Rahmen der Ausstellung insofern, als die Gruppe in ihrer Arbeit auf "Erde" verzichtet, also nur einen negativen Bezug herstellt.

N55 hat auf ihrer Plattform in Kopenhagen u.a. ein Modul entwickelt, mit dem ein 3-4 Personen-Haushalt sich mit den notwendigen Pflanzen im Haushalt selbst versorgen kann und so unabhängig von äußeren Faktoren wird. Auf ihrer Homepage können die Beschreibungungen der Werke abgerufen werden: The Modular Hydroponic Unit enables persons to produce their own food without access to land and without the use of soil. The system is dimensioned to provide a considerable supplement to the daily household of 3-4 persons and it can easily be extended. The plants can be grown indoors all year round with a small amount of artificial light, which at the same time can be used as a source of ambient light and heating. The system is constructed in such a way that anyone is capable of installing and using it. This hydroponic system is a modified version of the Home Hydroponic Unit (see no. 5: Manual for Home Hydroponic Unit.). The Modular Hydroponic Unit is a low pressure system which uses only flexible hoses for fittings, water delivery and drain, and thus the risks of breakages, leaks and overflows are minimised. The cost of purchasing and running the Modular Hydroponic System is low, and it is easy to change its configuration.


Unter dem Stichwort Landschaft endet unser Rundgang durch die Ausstellung - nicht ganz zufällig - im Bereich der aufklärerischen Ironie. Sowohl Peter Sauerer als auch Tobias Rehberger kommentieren heiter- bis bitter-ironisch-beklemmend das Thema "Erde".

Peter Sauerer zeigt drei geschnitzte(!) italienische Landschaften, die auf den ersten Blick idyllisch anzusehen sind, bei näherer Betrachtung aber immer fragiler und konstruierter werden. Paestum, Paliano, Palestrina - italienische Orte/Landschaften und zugleich gestaltgewordene Erinnerungen, die nun als Tropen an der Wand hängen.

Von Tobias Rehberger wird eine farbige Tusche-Aquarell-Serie präsentiert. Der erste Eindruck läßt unvermeidlich an Trivialität denken, an die Fülle stupider Fingerübungen von Hobbymalern. Dieser Eindruck bleibt auch nach mehrmaligem Betrachten bestehen und bekommt daher seine schockierende Desillusionierung bei der Reflexion des Titels der Serie "S.M.V. (Somme, Marne, Verdun)". Die "Banalität des Bösen" von der Hannah Arendt sprach, gilt im übertragenen Sinn eben auch vom Anblick jener Landschaften, die Schauplatz der martialischen Schlachten des Ersten Weltkrieges waren. So starben in der Region von Somme im Juli 1916 während einer alliierten Offensive über eine Million Soldaten, bei einer deutschen Offensive im März 1918 weitere 380 000 Soldaten. Der Anblick der Erde aber verrät nichts von seiner Geschichte, er ist und bleibt - trotz all des vergossenen Blutes, trotz allen Leidens und Schreckens - banal.

In der Hebräischen Bibel wurde die Tatsache, dass der aus der Erde geformte Mensch wieder zu Erde wird, konsequenterweise als Relativierung der Krönung der Schöpfung begriffen. "Erde" ist in biblischer Perspektive ein mehrdeutiger Begriff. Als (Staub, lockere Erde) gehört er ebenso zu den menschlichen Trauer-, Buß- und Selbstminderungsriten wie zur Vorstellung, daß der Mensch nur aus gebildet und damit ein Nichts ist. Aber auch das dem Ausstellungstitel "Terra" mehr entsprechende (Erde, Land) ist konsequent von der Erkenntnis bestimmt, dass die Erde geschaffen und nicht ein Gott, d.h. religiös aufgeladen, ist. Etwas mehr von der religiösen Entmythologisierung der Erde, die aus der jüdisch-christlichen Aufklärung stammt, hätte auch der Ausstellung gut getan. Allein Rehbergers Arbeit läßt sich in diesen Kontext abendländischer theo-ästhetischer Aufklärungsarbeit einzeichnen.


Nur einige Arbeiten sind explizit im Rahmen der Ausstellung entstanden. Die stärksten sind älteren Datums - wie die von Magdalena Jetelová (1992) oder Tobias Rehberger (1993). Und beide sind im engeren Sinne reflexive Arbeiten. "Erde" als Thema im engeren Sinne wiederum bearbeiten nur wenige Werke - wie die von Madeleine Dietz (1996) und Barbara Nemitz (2001). Und beide sind mit Fug und Recht als elementare Arbeiten zum Thema zu bezeichnen.

Insgesamt wurde aber von der Konzeption her eine Chance vertan, unter dem Titel "Erde" künstlerisch jenen Konstellationen und Interventionen nachzugehen, die der Vorsokratiker Empedokles vor fast 2500 Jahren in Gang gesetzt hat: Wasser, Erde, Feuer und Luft, die durch die Kräfte Liebe und Haß bewegt werden.


© Andreas Mertin 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 12/2001
https://www.theomag.de/12/am34.htm