Vom Zelebrieren des Namenlosen als NamenÜberlegungen zu einem ästhetisch verfassten Wirklichkeitskonzept
|
||||
"... Es gibt ja nur den Fluss und seine zwei großen Ufer.
Auf dem einen Erzählung, Idyll und die wütende Hoffnung auf Erklärung und Schluss. Auf dem anderen die einzige eine Erklärung, die sich ausbreitet und breitet hinein in sich selbst..." Inger Christensen Mythos und Metapher - Stilreflexionen"Tretet ein, denn auch hier sind Götter." Wer nach dem Zusammenhang von Mythos und Namen fragt, dem könnte leichterdings das Grimmsche Märchen vom "Rumpelstilzchen" in den Sinn fallen. Wer kennt nicht jenes unbefriedigende Gefühl beim Lesen dieses Märchens, das sich am Ende der Grimmschen Mär einstellt. Wohl hat die junge Königin und einstige Müllertochter ihr Kind vor dem unheimlichen Burschen gerettet, doch dass die bloße Nennung des richtigen Namens, dessen Auffindung ihr als Rätsel auferlegt war, hinreicht, ihren ehemaligen Verbündeten gar zur Hölle fahren zu lassen, kann dem aufgeweckten, analytischen Geist eines Lesers nur schwerlich genügen. Statt einer Erklärung bietet die Geschichte nichts anderes als eben diese Geschichte, als eben sich selbst. Und Geschichten wiederum sind, laut Hans Blumenberg, "topographisch vorgestellt immer Umwege".[1] Doch der Verweis auf "Rumpelstilzchen" birgt auch inhaltliche Relevanz. In einfachster Form vereint das Märchen die drei Grundthemen: Unbenanntes (in der Figur des Rumpelstilzchens), drohendes Chaos (in Form der Kindesentführung) und den Namen (wiederum Rumpelstilzchen), denen sich das zweite Kapitel "Vom Einbrechen des Namens ins Chaos des Unbenannten" aus Blumenbergs Arbeit am Mythos verpflichtet zeigt, und denen hier mit Rückgriff auf Blumenbergs Aufsatz "Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos" nachgespürt werden soll.[2] Einem bislang wenig berücksichtigten Phänomen jedoch gebührt bei der Bearbeitung des genannten Problemkreises ebensoviel Aufmerksamkeit und Reflexion wie dem zu untersuchenden Thema selbst, nämlich dem Stil. Der Blumenbergsche Text Arbeit am Mythos stellt den Interpreten eben vor jene Schwierigkeit einer beinah mythischen Übermacht, (ob der unsäglichen Belesenheit des Autors), die der Text selbst zu behandeln sucht. Ein wenig Licht auf die Blumenbergsche Schreibart vermag vielleicht seine "Wertschätzung der Metapher als einer irreduziblen Denkform"[3] zu werfen. Den Begriff der "absoluten Metapher" verwendet Blumenberg zur Kennzeichnung sprachlicher Bilder, "die semantische Gehalte umfassen, welche sich der Ausdruckskraft der begrifflichen und objektivierbaren Sprache von Philosophie und Wissenschaft entziehen. Ihm zufolge gibt es eine Dimension des unbegrifflich Metaphorischen, die sich nicht ins begrifflich Logische übersetzten lässt".[4] Vor diesem Hintergrund kann nicht nur erhellt werden, warum Blumenberg so in beinahe literarischer Weise um seine philosophischen Betrachtungen und Aussagen bemüht ist; zugleich gewinnt sein Interesse an mythischen, d.h. nicht logisch-begrifflich übersetzbaren Konstellationen Konturen. Mythen, von denen es heißt, dass sie keine Fragen beantworten, sondern im Erzählfluss nur alle möglichen verstummen lassen[5], und absolute Metaphern bewegen sich in offensichtlicher Parallele zueinander: "Absolute Metaphern beantworten jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantworteten Fragen, deren Relevanz ganz einfach darin liegt, dass sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden."[6] In dem so vorgestellten Sinn befindet sich die Problematik von Mythos und Name zwischen den beiden vermeintlichen Polen Erzählung und Erklärung, als zwei Ufern ein- und desselben Flusses: der Sprache. Blumenbergs Versuch über die "Gegenwärtigkeit des Mythos" und ihre "Bedeutsamkeit" zu schreiben - zwei Formulierungen, derer Blumenberg sich, im ersten Fall implizit, im zweiten explizit, bedient - , ist nach Kolakowski "weder eine Beweisführung noch eine Argumentation", es ist "Erweckung des mythischen Bewusstseins".[7] Alles andere liefe schließlich auch Gefahr, sich jenen wissenschaftlich-analytischen Methoden zu unterziehen, die gerade in ihrer 'Bewusstlosigkeit' sich selbst und dem mythischen Ansatz gegenüber zu betrachten sind. Blumenberg findet hier für seine kulturphilosophischen Überlegungen eine sprachlich eigene Weise, Bewusstsein über mythisches Bewusstsein wiederum als annähernd mythisches Bewusstsein zu 'erwecken'. Er verfolgt damit eine Linie, die der Schreiber eines ordentlichen philosophischen Aufsatzes nicht ohne Federlesen nachzeichnen darf. Adäquat über eine philosophische Arbeit, die sich wie die Blumenbergs ständig einem argumentativ-logischen Verfahren entzieht, zu schreiben, bedeutet eine kleine Unmöglichkeit. Sie sei im weiteren als 'Annäherung auf Distanz' unternommen. Die gewählten Motti bilden den begleitenden Kommentar im metaphorischen Medium, der hier - im Text - nicht gegeben werden kann. Annäherung auf Distanz: Die Relation zwischen Mythos und WirklichkeitDie Grube ist unser Jetzt, in dem alle sind und von dem nicht wegerzählt wird, Im ersten Kapitel von Arbeit am Mythos: "Nach dem Absolutismus der Wirklichkeit" stellt Blumenberg den Menschen in eine imaginäre (vom Menschen selbst intendierte) Entwicklung eines status naturalis, in dem der Mensch einer Realität ohnmächtig gegenübersteht, weil er sie nur als einzige und damit absolute begreift, im Gegensatz zu einer wiederum vermeintlichen Beherrschung der Wirklichkeit. Blumenbergs Kapitelüberschrift spielt bereits in ironischer Weise darauf an; das "Nach" dem Absolutismus der Wirklichkeit sieht im Grunde nicht anders aus als das 'Zuvor'. Die apodiktische These vom Mythos als überwundener Bewusstseinsstufe, - wie sie durch die Errungenschaften des aufklärerischen Denkens möglich wurde - deckt Blumenberg selbst als Fortschrittsmythos auf. In diesem Sinn wird von der Gegenwart, zu der, wenn auch in sublimierter Form gerade der Mythos gehört, nicht 'wegerzählt'. Der Begriff Mythos taucht bei Blumenberg in besonderer Bedeutung auf. Er begreift Mythen als etwas immer schon Rezipiertes, als Reaktion auf das, was hinter dem Mythos steht: eine existentielle Erfahrung, wie zum Beispiel die der Angst. Für den Grund der Reaktion und Rezeption muß der Begriff Mythos nur in der Umgangssprache zuweilen herhalten. "Auch wenn ich für literarisch fassbare Zusammenhänge zwischen dem Mythos und seiner Rezeption unterscheide, will ich doch nicht der Annahme Raum lassen, es sei 'Mythos' die primäre archaische Formation, im Verhältnis zu der alles Spätere 'Rezeption' heißen darf. Auch die frühesten uns erreichbaren Mythologeme sind schon Produkte der Arbeit am Mythos."[8] Der Unbedingtheitsanspruch, mit dem dem Menschen Wirklichkeit gegenübersteht, gehört zu seiner Existenz, ist eine anthropologische Konstante. Blumenbergs Konzeption vom "Absolutismus der Wirklichkeit" erinnert in vielem an Kolakowskis Vorstellung der Realität als gleichgültiger.[9] In beiden Fällen stellt dies für den Menschen ein erhebliches Problem dar, das (wie noch zu sehen sein wird) nicht einfach wegrationalisiert, noch einfach wegerzählt oder ignoriert werden kann. Ein Zustand, der den Menschen offenbar immer wieder in jene gefürchtete Konfrontation mit dem Absolutismus der Wirklichkeit versetzt, ist zum Beispiel die Angst, von der es, wie Blumenberg beobachtet, heißt, sie müsse immer wieder zu Furcht rationalisiert werden. Dem Mythos wird nun in die anthropologische Funktion zugewiesen, dem Menschen diese Phänomene 'vom Leib zu halten'[10], er soll für Distanz zum existentiellen Gefühl sorgen. Denn weniger Erfahrung, Erkenntnis oder Wissen, diese drei aufklärerischen Mittel, garantieren Distanz, als 'Kunstgriffe' im bloßen Gestus der Erklärung; so zum Beispiel die Einsetzung "des Vertrauten für das Unvertraute, der Erklärungen für das Unerklärliche, der Benennungen für das Unnennbare".[11] Etwas - eine Variable - wird vorgeschoben, das Ungegenwärtige wird so zum Gegenstand einer depotenzierenden Handlung und der jeweilige Name bürgt für die Identität mit den existentiellen Phänomenen, um deren 'Beschwörung' es dem Menschen zu tun ist. Bei einer Beschwörung der Angst beispielsweise, wird ja nicht der Begriff angerufen oder angesprochen, sondern die durch ihn repräsentierte Erfahrung der Angst. Und es ist die "sich immer wieder selbst antreibende Depotenzierung dessen, was noch hinter dem Mythos als das selbst Unmythische, weil Bildlose und Gesichtslose ebenso wie Wortlose steht: das Unheimliche, Unvertraute - Wirklichkeit als Absolutismus".[12] Solch eine Lebenskunst jedenfalls - wie Blumenberg das 'Erfinden' solcher Platzhalter nennt - ist notwendig, weil der Mensch eine Umwelt hat, in der er eigenmächtig und eigenverantwortlich aus den vielfältigen Eindrücken selektieren muß.[13] Welt zu haben, sei immer Resultat einer Kunst, und davon sei eben in Arbeit am Mythos die Rede, ja, Mythos, der im Grunde immer schon als Arbeit am Mythos auftaucht, ist selbst eine solche Lebenskunst. So einfach dies alles klingen mag, so simpel verhält es sich natürlich nicht. Blumenbergs Konzept der Lebenskunst 'Mythos' hebt die Schwierigkeiten, die Gründe, aus denen der Mythos entsteht, keineswegs auf. "Entfernung von, nicht Annäherung an, wird dann das Kriterium der Analyse seiner [des Mythos] Funktion"[14], schreibt er, sich gegen Ernst Cassirers Ansatz wendend, für den die mythische, neben der wissenschaftlichen und ästhetischen zwar auch eine "symbolische Form" ist, die jedoch nicht gleichrangig behandelt wird, sondern von Cassirer letztlich doch als überwunden gekennzeichnet ist.[15] Blumenberg jedoch distanziert sich von dieser Ansicht des Mythos als 'ästhetischem Anachronismus'[16] und versucht die andauernde "genuine Leistungsqualität" des Mythos vorzuführen: "Es wäre nicht nur und vielleicht nicht einmal eine 'symbolische Form', sondern vor allem eine 'Form überhaupt' der Bestimmung des Unbestimmten."[17] Hier macht sich nun das Prozessuale, das der von ihm gewählte Arbeitstitel im wahrsten Sinne des Wortes suggeriert, für sein Buch geltend. Arbeit am Mythos meint zunächst einmal die Arbeitshypothese für das, was der Autor selbst im Buch zu leisten versucht, und zum anderen bedeutet es Blumenbergs Verständnis von der Relation Mythos - Realität. Miteinander unabdingbar verknüpft, handelt es sich bei der Arbeit am Mythos um ein fortdauerndes Unternehmen - und das nicht nur für den Philosophen. Denn es gilt zu bedenken, dass mit der durch den Mythos zunehmenden Distanz zu der gefürchteten absoluten Realität vorzeitiger Schrecken, Angst und Entsetzen wie beabsichtigt in Vergessenheit geraten; damit aber bildet das Vergessen wieder die Vorbedingung für ein distanzloses Aufeinandertreffen mit dem Absolutismus der Wirklichkeit. Das 'Spiel' geht also weiter. Und so kann Blumenberg das Vergessen selbst als Indikator für die Distanz nehmen, wenn er sagt: "Dieses Vergessen ist die Leistung der Distanz durch Arbeit am Mythos".[18] Mit dem Mythos, der es versteht, die unvertraute Welt ein wenig heimischer erscheinen zu lassen, wird dem Bewusstsein versichert, "was es ein für alle Mal hinter sich wissen soll"[19] und nicht, was es ein für allemal weiß. Die Aufgabe, die nun verbleibt, mag eine Sache des Philosophen sein, so wie sich auch Blumenberg darum bemüht, nämlich: diesen Ablauf als solchen nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen; dass heißt, eine Zeit und ihre Zeitgenossen vor der hybriden Annahme zu bewahren, der elementare Schrecken, den Wirklichkeit in ihrer übermächtigen Gleichgültigkeit auf den Menschen immer wieder bewirken kann, sei irgendwann durch eine Geschichte oder eine Formel überwunden. Eine Welt voll von Namenlosem - Über das Verhältnis von Mythen und NamenWer weiß, ob der Granatapfel bei sich selbst weiß, dass er anders heißt. Der Mensch, dessen Leben kein langer, ruhiger Fluss ist, braucht Mythen. Und der Mythos braucht, um dem Menschen nicht nur Götter vom Leib zu halten - um die Erzählung in rechten Fluss zu bringen, Namen. So leichtfertig dies klingen mag, aber im deutschen Sprichwort: "Das Kind muß einen Namen haben" lässt sich noch beinah die Dringlichkeit heraushören, mit der eben das, was an sich keinen Namen hat, mit einem ebensolchen bedacht werden muß. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass anders nicht davon erzählt und somit keine Distanz zu jedweden, allein ob ihrer Namenlosigkeit beunruhigenden, Phänomenen erzeugt werden kann. Namen für das Namenlose heißt die anthropologische Devise. Namen in eben dieser Funktion evozieren Erkenntnis und Beherrschbarkeit des an sich Unbenennbaren. Sie bannen den Schrecken[20], versetzen das Unnennbare in einen Zustand, in dem mehr oder weniger lapidar Geschichten davon erzählt werden können: "Jeder Name, der durchgesetzt ist, jede Vernetzung von Namen, durch die sich deren Zufälligkeit aufzuheben scheint, jede Geschichte [...] reichern die Bestimmtheit gegen den Hintergrund von Unbestimmtheit ab".[21] Namen machen jonglierbar, was den Menschen, bevor er zum Erzähler wird, hätte erstarren lassen. Das Chaos, in das Blumenberg den Namen (bzw. die Namen) einbrechen lässt, ist das Chaos des Fremden, Unbekannten und somit Namenlosen und Unbenannten.[22] Wohl in Anlehnung an die Etymologie des Wortes 'Chaos' formuliert Blumenberg: "'Chaos' ist die bloße Metapher des Gähnens und Klaffens eines Abgrundes, der keiner Lokalisierung, keiner Beschreibung seiner Ränder oder seiner Tiefe bedarf, sondern nur der undurchsichtige Raum der Heraufkunft von Gestalten ist".[23] Den Dingen nicht nur irgendeinen, sondern ihren Namen zu geben bedeutet: Panik und Erstarrung (zum Beispiel in extremen Angstsituationen) zu lösen, und dies allerdings immer nur unter dem Schein kalkulierter Umgangsgrößen und geregelter Umgangsformen[24]: "Was wir durch die überlieferten Namen zu fassen bekommen, es ist ein Stück zu Gestalt und Gesicht bringender Bewältigung eines uns entzogenen zuvor".[25] Die Namengebung hat die weitere Eigenschaft, dass sich von nun an von dem durch den Namen scheinbar Identifizierten und damit Identifizierbaren Geschichten erzählen lassen.[26] Narrativ zumindest wird das Unbegriffene verfügbar, und es passiert etwas, das sonst vornehmlich der Kunst und dem Schönen zugeschrieben wird: den Schrecken - im Namen (und vermittels des Namens) - zu bannen. Begreifbar ist das Benannte deswegen jedoch - wie bereits erwähnt - nicht. Vielmehr verhält es sich mit den Namen und damit im Grunde auch mit den Geschichten, die um dieselben erzählt werden, so, wie es sich vor allem in der Frühromantik in der Erzählform der Arabeske, begriffen als ein erzählerischer Wildwuchs um eine imaginäre Mittellinie, gestaltet. Insofern könnte Blumenbergs Eingangssatz zum zweiten Kapitel kritisch gelesen werden: "Mythen sind Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit".[27] Zum einen kann es sich bei dem "narrativen Kern" um jene Grundmuster und Kerngeschichten handeln, wie für Blumenbergs Text Bild und Mythos des "Prometheus" den roten Faden liefert; zum anderen wäre es denkbar, dass über diesen Kern noch auf einer anderen Ebene zu verhandeln wäre. Die Beständigkeit des Kerns bestünde dann ja vielleicht in seiner, für die Namen durchaus konstitutiven Bestimmungslosigkeit, die wiederum die Marginalität bedingt, oder sie bestünde in dem, dem Mythos immanenten, Prinzip/Wirkmächtigkeit. Eine wichtige Voraussetzung für diese apotropäische Funktion des Erzählens ist die Säkularisierung der Texte, die Blumenberg hier selbst wiederum exemplarisch vorführt. Nur wenn die Texte nicht als dogmatisch heilig verstanden werden, kann in jener 'ästhetischen' Weise mit ihnen verfahren werden, die der Bannung des Chaos des Unbenannten bedarf. Einen möglichen inneren Beweggrund für dieses unorthodoxe Erzählen sieht Blumenberg in dem, was auch letztes Resultat der Bannung zu sein vermag: die alte Sehnsucht nach der Umkehrung der Hierarchie Mensch - Gott. Alle Namen fungieren in letzter Konsequenz als Variablen; sie sind gerade nicht das Identische, (denn es gibt ja nichts, womit sich etwas schlechthin Unbestimmbares bestimmen ließe), sondern das, was Distanz zum unmittelbar als Unbenanntem Erlebten schafft, auch wenn das Gegenteil - nämlich die Identität - geglaubt wird. An anderer Stelle heißt es bei Blumenberg: "Dass der Mensch ständig in Akten und Texten das produziert, was er selbst nicht versteht, und es dennoch oder gerade deshalb wiederholt und ritualisiert, dabei aber erst spät das Bedürfnis hervortreibt, sich für Sinn und Begreiflichkeit dessen, was er da tut, Versicherung zu verschaffen - das ist eine unter den Bedingungen eines sich ständig theoretisch absichernden Zeitalters schwer zugängliche Einsicht."[28] Dem Terror und Absolutismus der Wirklichkeit begegnet der Mythos mit dem freien Spiel der Namen und Geschichten. Die Götter haben keine Geschichte, machen jedoch Geschichten.[29] In der Formel 'Thema mit Variationen' fasst Blumenberg dieses Phänomen, wobei das Thema auf Distanzierung und Vergessen hin angelegt ist und die Variationen tatsächlich bis zur Unkenntlichkeit reichen.[30] Variation bedeutet für den Mythos aber auch manifestierbare Unerschöpflichkeit ihres Ausgangsbestandes[31], wobei die Tradition von bekannten Mustern durchaus zugleich die Demonstration von Neuheit bedeuten kann, neue Aspekte aufzeigt, die einem existentiellen Problem abgerungen werden. Doch ebenso wie nach Blumenberg Spekulationen über den 'Anfang' des Mythos müßig sind, ist auch ein 'Ende' nicht abzusehen, denn es gilt: nicht die endgültigen Triumphe des Bewusstseins über seine Abgründe: Bildung, Tradition, Rationalität, Aufklärung bedeuten weniger das, was einmal im Leben von Grund auf getan und für allemal getan werden kann, als vielmehr die ständig neu instrumentierbare Anstrengung zu depotenzieren, aufzudecken, aufzulösen, ins Spiel umzusetzen".[32] Das Zitat, das in sisyphusischer Manier wieder an den Titel "Arbeit am Mythos" erinnert, bewahrheitet sich jedoch noch auf andere Weise. Dass mit der Namengebung nicht alle Geschichten oder Mythen für immer ein Ende finden, beweist der Umkehrschluss. Eine Welt "voll von Göttern" (wie Blumenberg mit Thales von Milet formuliert)[33] - und somit auch angefüllt mit Namen - markiert eine Grenze der Namengebung, denn wenn alles voller Namen ist, mündet auch alles wieder in Chaos und Sinnlosem: "Wenn es eine Funktion des Mythos ist, die numinose Unbestimmtheit in eine nominale Bestimmtheit zu überführen und das Unheimliche vertraut und ansprechbar zu machen, so führt dieser Prozeß ad absurdum, wenn alles voll von Göttern ist."[34] Was bleibt, ist ein bloßes Aufzählen von Namen, denen die Geschichten nicht mehr nachkommen und das einer bloßen Sukzession der Ereignisse, wie sie ohnehin das alltägliche Leben bestimmen, gleichkommt. Der Name jedoch als sinnentleerte, unverbundene Worthülse und Variable bildet wieder jenes Numinose, das es neu zu benennen gilt. In diesem Zusammenhang erscheint es durchaus sinnvoll, das James-Joyce-Zitat, das Blumenberg als Motto für das zweite Kapitel wählt, näher zu betrachten: "Hunderte von Flussnamen sind in den Text verwoben. Ich glaube, er fließt."[35] Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, das Joyce-Motto in verschiedenen Lesarten auf die Mythos-Namen-Problematik anzuwenden. Das Zitat verblüfft zunächst durch das Spannungsverhältnis der beiden Sätze zueinander; lässt das "Flussnamen [...] verwoben" noch an einen aktiven Urheber eines Textes denken, wird diese Annahme zugleich von einer eher passiven Vorstellung konterkariert, dass der Text eigendynamisch flösse. Joyce' Bemerkung lässt überdies unschwer Anspielungen auf die Heraklit zugeschriebenen Flussfragmente erkennen. Unter anderem spielen diese Sätze auf Joyce' "Finnegans Wake" an, einem Text, der wohl zu den unverständlichsten und geradezu unübersetzbaren der Literatur zählt. Joyce versucht hier, wie er es ausdrückt, eine "nat language" zu entwerfen, eine 'Nacht-Sprache', die so schwierig zu knacken ist wie eine 'Nuss' (nut). Klaus Reichert beschreibt die Schwierigkeit und Qualität dieses Textes und seiner eigenwilligen Sprache so: "Jeder Versuch, sie zu verstehen, ist Übersetzung in ein anderes Medium"[36], und weiter bestimmt er in seiner Interpretation die Nacht als die Zeit, in der die Unterscheidungen des Tages aufhören sinnvoll zu sein.[37] Die Sprache 'verflüssige' sich hier. Dieses wohl auch von den Vorsokratikern beeinflusste Denken, in deren Vorstellung das Chaos ebenfalls etwas Flüssiges war, lässt sich auch in Blumenbergs Konzeption finden. Mythos, Namen und der Absolutismus der Wirklichkeit werden zwar annähernd in ihrer Funktion bestimmt, ihr Verhältnis untereinander ist jedoch nicht so oppositionell, wie es zuweilen erscheinen mag, ganz im Gegenteil besitzen diese Relationen offenbar 'fließende' Grenzen. Der Mythos entsteht aus einer Distanzierung zum Absolutismus der Wirklichkeit, (er selbst ist diese Distanzierung), und mündet auch wieder in ihm, wenn alles voller Namen ist, die keine "Bedeutsamkeit" mehr besitzen. So klärt der Mythos keineswegs etwas auf, im Gegenteil, "er verdichtet das Dunkel noch"[38], und dennoch vermag das Hervorbringen von Namen eine "Lesbarmachung des Unlesbaren"[39] zu bewirken. In der Arbeit am Mythos stecken beide Bewegungen: das Belegen mit Sinn und das Zerstreuen von Sinn, gerade darum kann der Mythos selbst absolutistische Wirklichkeit werden, nur heißt er dann nicht mehr Mythos. Wenn die Rezeption, die er bedeutet, nicht mehr greifbar ist, wird er eben das, was er zuvor war, bevor er Mythos wurde: Absolutismus der Wirklichkeit. Beständigkeit in der Veränderung - Mythen, Namen und ihre FunktionMan unterschätzte die menschliche Fähigkeit, Bei dem Versuch, die beiden Pole Beständigkeit und Veränderlichkeit zu umreißen, die auch als formales Prinzip für den Text gelten können, in dem Namenhaftigkeit und Namenlosigkeit ausgelotet werden, beruft sich Blumenberg unter anderem auch auf Walter Benjamin. Geschichten werden erzählt, um die Furcht zu vertreiben, alles Weltvertrauen, so Blumenberg, fängt mit den Namen an, zu denen sich Geschichten erzählen lassen. Auch in Benjamins Studie "Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen"[40], auf die Blumenberg rekurriert, stellt Benjamin ebenfalls als Eigenart und Wesen der menschlichen Sprache heraus, dass sie eine benennende ist; selbst die Dinge sprechen zu uns. "Die Übersetzung der Sprache der Dinge in die des Menschen ist nicht nur Übersetzung des Stummen ins Lauthafte, sie ist die Übersetzung des Namenlosen in den Namen."[41] Vom 'Glauben' an die treffende Benennung, um Macht, Verfüg- und Dienstbarkeit des Angerufenen zu erreichen, aber vor allem um ihm Wirklichkeit zuteil werden zu lassen, zieht Blumenberg Parallelen von der biblischen Namengebung bis hin zu den Anfängen der modernen Wissenschaft und bringt eine Fülle verschiedener Beispiele und Variationen des Namens als Thema des Mythos selbst. Sowohl die Kenntnis als auch die Unkenntnis von Namen birgt Machtpotentiale. Die heidnischen Götter, die, wie Blumenberg sie darstellt, kein Interesse daran haben, ihre Namen bekannt zu machen, schützen sich gleichsam auf diese Weise gegen eine Verfügbarkeit. Im Beispiel des biblischen Gottes treffen beide Motive, das der Verfügbarkeit und das der andauernden Distanz, zusammen. Einmal soll der Gott des Alten Testaments durch den Namen verfügbar sein, zum anderen entzieht er sich durch die Absurdität seines Namens, der im strengen Sinn keiner ist, sondern auf die Struktur dieses 'Tricks' nur hinweist: "Ich bin der Ich bin Ich" (2.Mose, 3,14). - Qualität und Quantität kommen in der jüdischen Version vor; die Vorstellung, die ganze Tora sei Name Gottes, steht zunächst gegen die Vielzahl der Namen des biblischen Gottes, doch dann wiederum mutet es wie eine Decouvrage der gesamten mythischen Funktion an, wenn es in der Kabbala heißt: 'Die Sprache Gottes besteht nur aus Namen'. Das, was man mit den Namen bestimmt und begriffen zu haben scheint, offenbart sich in der Fülle wiederum als noch längst nicht begriffen. Die eine Bestimmung verlangt nach vielen anderen Bestimmungen, - und auf das Ganze gesehen erklärt die eine nichts besser als die nächste. Es scheint an bestimmten Zeiten zu liegen, dem einen oder anderen Namen gewogener zu sein. Blumenbergs Gang durch die Geschichte der Geschichten und ihren Namen, wobei er selbst betont, dass die Mythen keine Chronologie haben[42], weist viele Spielarten des Themas 'Namen' auf. Als Offenbarung gewandet bringt der Name Verborgenes vor die Seele; die Neuzeit als Epoche, die für alles einen Namen gefunden hat, wäre ohne kategorisierenden Sinn nicht denkbar gewesen. Wie sich dies auch immer im einzelnen verhalten mag, je perfekter sich das Namenfinden und -geben entwickelt, umso ferner kann der Schrecken rücken, der einst die mythische Namensverleihung bedingte. Ist der Hintergrund der Mythen und des Schreckens vergessen gemacht, ist der Übergang in die Ästhetisierung vollendet. Die Mythen verblassen bis hin zu ihrer Auflösung.[43] Nur so kann der einstige Schrecken vielleicht wieder seine Renaissance erleben. Dies mag auch in der Eigendynamik der Namengebung begründet liegen, die ihre angeblich tatsächliche Richtigkeit so plausibel macht. Namen haben fürderhin im Mythos aber auch die Funktion, ein Netz von Bestimmtheit über Zeiträume hinweg zu knüpfen, indem sie ein Bild oder Emblem mit einem weiteren Namen verfugen. So kommt es auch zu Genealogien, Namenskatalogen wie kultischen Litaneien, in denen sich ebenfalls ein suggerierter (Heils-)Plan verbergen kann.[44] Es gestaltet sich so etwas, das auch 'der große Bluff' genannt werden könnte: "Dass die Welt bewältigt werden könnte, bringt sich früh zum Ausdruck in der Anstrengung, die Lücke im Ganzen der Namen zu vermeiden, was nur heißen konnte: durch Übermaß als vermieden auszugeben."[45] Die Angst vor dem Namenlosen und damit durch Geschichten noch nicht Gestalteten, sondern Ungestalten, treibt solch mythische Blüten. Im Grunde jedoch ist auch jeder Name nur der Versuch einer Bewältigung. So hat auch das Namenlose, wie der Name, seine verschiedenen Ausprägungen und seine Geschichte. Aller Geschichten Anfang bildet gleich und ist zugleich schon Mythos, der des Anfangs nämlich, eines allerersten. Um über diese Verlegenheit hinwegzutäuschen, - das Problem, irgendwo anfangen zu müssen, wo es keine 'Anfänge' gibt - , erfindet der Mythos einen Anfang, der den Anfang vergessen macht[46]. Wird hier der 'Anfangsschrecken' eliminiert, kann er jedoch auch über das Namenlose wieder in die Geschichten zurückgeholt werden. Der Name als Namenloses (wie anhand des biblischen Gottes bereits vorgeführt) ist eine weitere Form des Namenlosen. Das Für - und Wider die Namen erhellt auch Phänomene wie das der Personifizierung, die wichtig sind, das Andere als den Anderen in den Griff zu bekommen. In der Remythisierung wird diese Personifizierung zugunsten eines Neutrums aufgehoben, und zugleich bedeutet dies einen Schritt zur Reaktivierung: der Böse belebt den Mythos wieder als das Böse. "Die Namen, die das Erste gewesen waren, stehen als das Letzte noch bereit, wenn die Geschichten schon fast wieder vergessen sind."[47] Auf diese Weise kann Blumenberg noch allerhand mythische Namengebung bis hin in die heutige Zeit verfolgen. Wenn auch einzelne Mythen 'überholt' oder vergessen sind, die Prinzipien, die sie erforderlich machen, wirken unverändert weiter. So gilt auch für die zeitgenössische Wirklichkeit: "Die Welt mit Namen zu belegen heißt das Ungeteilte aufzuteilen und einzuteilen, das Ungriffige greifbar, obwohl noch nicht begreifbar zu machen."[48] Bei jenem "noch nicht begreifbar" handelt es sich jedoch keineswegs um eine Verheißung. Denn nicht im Begreifbar-Werden-Lassen liegt die Funktion der Namen und Geschichten, sondern in der "Unbefragbarmachung"[49]. Elementarer Verwirrung wird durch die Namengebung entgegengewirkt, indem eine Gestalt (als Eigenname) aus dem Kontinuum chaotischer Verwirrung durch den Eigennamen gelöst wird. "Der Mythos ist eine Ausdrucksform, dass der Welt und den darin waltenden Mächten die reine Willkür nicht überlassen ist."[50] Dieses System des Willkürentzugs, wie Blumenberg es nennt, trifft sehr wohl auch den aufgeklärten Geist. Vorgänge des Auf- und Einteilens, die er bezeichnet, gehören jedenfalls zum Handwerkszeug eines jeden Analytikers, dass er jedoch mit diesen Tätigkeiten nur seinen Teil zur längst überwunden geglaubten Mythenbildung und damit 'Arbeit am Mythos' leistet, ist eine Erkenntnis, die Blumenbergs Ausführungen les- und begreifbar werden lassen. Bestimmung wie verbleibende Unbestimmbarkeit durch die Namengebung, diese unauflösbare Ambivalenz ermöglicht allererst den Mythos und die Arbeit an ihm. Von der Produktivität der Mythen - Ein Ausblickalles schmerzt sich einmal durch bis auf den eignen grund Wie aller Mythen Anfang ohne den einen Anfang auskommen muß, so gestaltet sich auch dieses Ende, nur wie ein Ende von vielen - als vorläufiges. Gerade aber in diesem Unvermögen, zu tatsächlichen Fixpunkten zu gelangen, dem auch die Namengebung keinen tatsächlichen Abbruch tut, liegt die Produktivität des Blumenbergschen Ansatzes. Als erzählbare Wirklichkeit wird die Absolutheit der Wirklichkeit gebrochen, aber auch Geschichte, in der sich Geschichten ansiedeln wird nach hinten - in die Vergangenheit - wie nach vorne - in die Zukunft - offenes, das heißt gestaltbares Material. Es existiert keine Zeit, kein Raum, der diese Bearbeitung als die immerwährende Aufforderung zu neuer Interpretation nicht zuließe.[51] Dieser Anspruch an die Wirklichkeit, eine beherrschbare zu werden, ist wahrlich nicht neu, doch gerade in diesem Sinne steht die Blumenbergsche 'Arbeit am Mythos' solchem Denken gegenüber. Einmal, indem die Arbeit an der Wirklichkeit, wie wir sie interpretieren - als Mythos aufgedeckt wird, zum anderen, weil nicht Beherrschbarkeit das Postulat dieser 'Arbeit' ist (höchstens ihre vermeintliche Folge), sondern schlicht und ergreifend die Erzählbarkeit des Erfahrenen. Zurecht kann Blumenberg behaupten: "Eine Welt voll von Namen hat eine Qualität der Welt voll von Göttern bewahrt"[52]. Jede Namengebung lässt genug Raum für andauernde Bearbeitung dieser Namen. Auf diese Weise gesehen hat der Mythos, die Arbeit an ihm, nicht allein anthropologische Funktionen, wie die, die Schrecknisse einer unvertrauten Welt in Geschichten zu bannen oder auch Linderung für die durch ihn (den Mythos) erzeugten Gräuel zu bieten. Die Arbeit am Mythos erscheint als erkenntnistheoretisches Konzept der Welterfahrung, mit pragmatischen Implikationen. Auch wenn ihr Blumenberg eben jene epistemologischen Aspekte nicht offen zugesteht, sind sie doch allein schon in dem Sinn berührt, dass hier eine Variante von Kulturphilosophie vorliegt, die den Denkvoraussetzungen unseres Bewusstseins nachspürt. Interessant dabei erscheint, dass sich Sinn und Sinnlosigkeit in diesem Konzept beinah bis zur Ununterscheidbarkeit annähern. Der Mythos macht durch die bloße Vorgabe von Erklärbarem in der Nachfolge die Welt tatsächlich - auf Zeit - bestimmbar und damit erkennbar.[53] Dieser 'Trick intellektueller Hochstapelei' der Arbeit am Mythos führt wirklich zum gewünschten Effekt (aus diesem Grunde passt der Begriff Spiel hierfür auch so gut). Der Mensch weiß nicht, was er tut, aber hält das Unverstandene für eine alte Antwort, zu der noch die passende Frage gesucht werden muß. - Dies macht nach Blumenberg das Wirkungspotential des Mythos aus, dass in ihm solche elementaren Fragen heraustreten.[54] Dadurch dass der Mythos immer nur den Anschein gibt, es ginge um die Sache selbst, lenkt er nicht nur von seinen Mechanismen ab und von seiner sprachlichen Struktur, aus der er nicht unwesentlich besteht - er wirkt wie eine Bindung ans Objektive. Blumenbergs Ansatz, obschon er sich selbst kaum mehr darüber auslässt, macht nicht nur begreifbar, warum es so, mit Hilfe der Errungenschaften der (einer wohlgemerkt recht einseitig rezipierten) Aufklärung, zu einer vornehmlich einseitigen Perspektive auf das angeblich Objektive kam, er gibt auch Möglichkeiten zu einer 'Systematisierung' unsystematischen Denkens. Erzählend folgt er den 'vernünftigen'[55] Prinzipien des Unsystematischen, des Erzählten. Aktuelle Relevanz gewinnt seine "Arbeit am Mythos", indem zumindest die Hypothese formuliert wird, dass die derzeitige Wirklichkeit vom 'Mythos des alles Begriffenen', vom 'Mythos des Unmythischen' bestimmt ist, und dass gleichzeitig eben diese Mythen an ihr vorläufiges Ende gekommen sind. So ließe sich zumindest die Postmoderne als ein solches Bestreben, dem "Mythos des alles logisch-analytisch Sagbaren und Erfassbaren" auf ihre Weise mit neuen Geschichten zu begegnen, rezipieren. Eine Errungenschaft der Blumenbergschen Lektüre wäre es jedoch, nicht das Unsystematische sofort als unvernünftig zu disqualifizieren, noch eine Benennung sofort für Bestimmung und Erkenntnis zu halten. Wie es Kolakowski in seinem Essay bemerkt, scheitern am Thema Mythos alle Erklärungsversuche, denn das "mythische Projekt kann keine Gründe besitzen, es besitzt nur Motive".[56] Franz Josef Wetz versteht Blumenberg in dieser Hinsicht allerdings konträr zu Kolakowski und zitiert Blumenberg: "Der Mythos kann nicht mehr stattfinden".[57] Diesem Satz kommt durchaus Richtigkeit zu, dennoch bedeutet er gerade nicht, dass der Mythos für Blumenberg im Gegensatz zu den Konzeptionen von Kolakowski, Hübner oder Lévi-Strauss keine gegenwärtige Relevanz mehr besäße. Das Ende des Mythos ist lediglich ein Trick des Mythos und eine Bedingung seines Fortbestehens. "Es gibt", nach Blumenberg, "kein Ende des Mythos, obwohl es die ästhetischen Kraftakte des Zuendebringens immer wieder gibt".[58] Wetz' durchaus bestechende Argumentation, dass der Mythos als "lebensdienliche Fiktion" anerkannt wird, "die in dem Maße ihre Motivationsstärke und Überzeugungskraft verliert, wie sie als eine solche durchschaut wird"[59], geht wieder viel zu selbstverständlich vom Diktum der Vernunft aus. Gerade dies aber unterläuft der Mythos - vernünftigerweise - fortwährend, denn das "Zuendebringen des Mythos fortifiziert sein Überleben in einem anderen Aggregatzustand".[60] 'Mythos' bleibt sicherlich auch bei Blumenberg der Begriff für eine bestimmte narrative Ausprägung von Welterfahrung. Dennoch bleiben einige Fragen hierbei offen. Gerade im Namenskapitel erinnert die Position Blumenbergs an die G. Vicos, bei dem es heißt, jedes Wort "erzählt eine kleine Geschichte; oder: Jedes Wort ist ein kleiner Mythos"[61]. Dies aber ergebe eine Schnittmenge mit Namen und Wörtern aller Bereiche, gleich ob es sich nun um Philosophie, Religion oder Wissenschaft handelt. Untereinander schieden sie nur die verschiedenen "Verfahrensordnungen" von einander, doch münden alle an irgendeinem Punkt in absoluten, nicht mehr logisch einholbaren Begriffen, - in einer Form für das Unbestimmte überhaupt. Es verhielte sich dann mit den verschiedenen Weltzugängen etwa so, wie es Vilém Flusser in seiner 'philosophischen Autobiographie' "Bodenlos" beschreibt: "War man aber, wie jetzt, aus der Ordnung gerissen, dann konnte man die Welt aus weiter Sicht überblicken. Was man da erblickte, war keine Ordnung, sondern ein Chaos, auf das sich verschiedene, lächerliche und einander überschneidende Ordnungen drückten. Es war ein Vergnügen, zu beobachten, wie diese Ordnungen gleich Amöben in der chaotischen Nährsuppe herumschwammen, einander fraßen, sich teilten, und jede davon überzeugt zu sein schien, das Wesen der Suppe vorzustellen."[62] Das Zitat erinnert unter anderem auch so sehr an Blumenbergs Ausführungen, weil nach ihm der Mensch, nachdem er sich nicht mehr als Objekt seines Schicksal und auch nicht mehr - wie durch Epikur eingeläutet - als Subjekt desselben ansieht, sondern sich nur mehr als Zuschauer auch der eigenen Handlungen begreift.[63] Blumenberg legt so dem Leser seines Textes eine Radikalität nah - dergestalt dass der Mythos im Grunde umfassend ist und ein Bestandteil eines jeden Weltzugriffs - von der nicht auszumachen ist, inwieweit der Autor sie selbst intendiert. Jede Wirklichkeit stellt nach Blumenberg ein solches Chaos dar, das Namen fordert, zu denen Geschichten erzählt werden können, die wiederum eine neue Wirklichkeit gestalten, die ein neues Chaos bedeutet. Wie sehr hier manches an frühromantisches Gedankengut erinnert, mag hier mit Friedrich Schlegel gesagt sein: "Nur diejenige Verworrenheit ist ein Chaos, aus der eine Welt entspringen kann".[64] Und eben dies leistet der Blumenbergsche Mythos von der 'Arbeit am Mythos'. Mit Blumenbergs Ausdruck vom "Absolutismus der Wirklichkeit" wird zugleich aber auch eine etwas pessimistische Umschreibung anthropologischer Verfasstheit des Menschen als "standortgebundenem" und "gegenwartsbezogenem" Wesen gegeben. Auf diesen anthropologischen Umstand rekurriert Blumenbergs Wirklichkeitsentwurf, dem zugleich anthropologisch die Möglichkeit des Erzählens, des Mythos an die Seite gestellt ist. Die Thematik der Namensgebung zeigt nicht nur nochmals eindringlich die von Odo Marquard als Grundzug des Blumenbergschen Denkens bezeichnete "Entlastung vom Absoluten"[65], und auch nicht bloß ein weiteres Mal die konstitutive Bestimmung des Blumenbergschen Ansatzes im Modus der "absoluten Metapher". Der dicht verzahnte und von Birgit Recki transparent gemachte Zusammenhang von Anthropologie, Pragmatischem und Ästhetik in der Philosophie Blumenbergs[66] erreicht mit der Namensgebung eine Pointierung, die radikaler kaum sein könnte und gerade in ihrer Radikalität keinen Deut vom aufklärerischen Anspruch abweichen mag, ja diesen Anspruch erst vor dem Hintergrund dieser Radikalität deutlich werden lässt. Im Vergleich zur Metapher und ihrer Theorie, der Metaphorologie, vertritt die Namensproblematik den weitaus gemeineren Zug. Unter Namensgebung fällt letztlich jeder Akt der Begriffsbildung, der Terminologie und Terminologisierung. Diese aber gehört ganz wesentlich gerade auch zum philosophischen Selbstverständnis. An der Problematik der Namensgebung, wie Blumenberg sie im zweiten Kapitel von Arbeit am Mythos entrollt, wird die Kontingenz der Namensbildung und die Strategie im Gestus der Erklärung und Erhellung beleuchtet. Diese Strategie jedoch, die keine Strategie im engeren Sinne ist, sondern eine Kulturtechnik, ein kulturelles Verfahren bedeutet, ohne das überhaupt gar nicht gesprochen werden könnte, das auftaucht, sobald es Sprache gibt - dieses Verfahren also ist einmal, da es nicht umgangen werden kann, als anthropologisch zu begreifen, der - Gestus der Erklärung, der Schein des Erklärten aber ist, um mit Blumenberg zu sprechen, ein "ästhetischer" im Sinne seiner in seinen Werken vorgetragenen "impliziten Ästhetik".[67] Dies rückt die Ästhetik, entgegen der historischen und zeitgenössischen Einstufung ins Zentrum philosophischer Reflexion, es zeigt das Ästhetische und das ästhetische Verfahren als anthropologisches Bedürfnis des Menschen in Form kreativer Überlebensstrategie und Möglichkeit, deren Grenze - und dies bliebe vielleicht als Problematisches zu kennzeichnen - im Sinne des Ästhetischen als einer philosophischen Disziplin kaum mehr auszumachen wäre. Gleichwohl aber kann nunmehr von der ästhetischen Einstellung zur Welt oder vom ästhetischen Weltzugang nicht mehr als einem unter anderen gesprochen werden, sondern nur mehr von verschiedenen ästhetischen Einstellungen. Literaturverzeichnis
Anmerkungen
|