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Magazin für Theologie und Ästhetik


RAUMFLUCH(T)

"PLUG-IN Einheit und Mobilität"
Westfälisches Landesmuseum Münster

Marcus Lütkemeyer

"Seid schnell, auch im Stillstand!" So könnte der Imperativ unserer auf Beschleunigung ausgerichteten Alltagswelt lauten. Denn die Gegenwart erscheint als ein "Raum der Ströme" in dem das Internet mit Zugriffszeiten im Gigaherztakt eine ebenso grenzenlose wie eigengesetzliche Verfügbarkeit eröffnet hat. Virtueller und materieller Overflow durchdringen und überlagern auch kleinste Ordnungen, wie das Private - was die eigene Verortung zunehmend erschwert.

Dass Mobilität und Einheit sich nicht zwangsläufig widersprechen, verhandelt derzeit eine groß angelegte Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster in Kooperation mit dem Siemens Kulturprogramm. So sind 19 internationale Künstler(-gruppen) unter dem Titel PLUG-IN eingeladen, Strategien räumlicher und kommunikativer Vernetzung zu erspinnen.

In den 60er Jahren bezeichnete PLUG-IN ein architektonisches Konzept zur Wiederbelebung des öffentlichen Raums, nicht zuletzt um die schwindende Natur durch eine fantastische, vielfältige Umwelt zu ersetzen. Mit wissenschaftlichem Ernst wurden (absurde) Raum-Strategien ungeachtet ihrer Realisierungsmöglichkeiten ausgetüftelt, die vornehmlich von den Technikeuphorien der Star-Trek-Epoche inspiriert waren. Erst Fortschrittsresignation und allgemeine Rezession zu Beginn der 70er ließen auch die PLUG-IN-Utopie versiegen, deren Errungenschaften paradoxerweise von der konsumorientierten "Wegwerf-Architektur", etwa uniformer Einkaufszentren einverleibt werden sollten.

Inwiefern der PLUG-IN-Begriff seit seiner Wiederbelebung in den 90er Jahren künstlerische Verfahren angeleitet hat und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse mit neuen Inhalten gefüllt wurde, beabsichtigte die Schau in Münster aufzuzeigen. Dabei geht es nun um rein skulpturale Sachverhalte, die eine ortsbildende Verschränkung von öffentlicher und privater Sphäre zu organisieren vermögen, ohne die Integrität des Individuums zu gefährden.

Jedoch lässt sich im Landesmuseum nur vereinzelt vermitteln, dass PLUG-IN nicht nur eine Form des ästhetischen Handelns bezeichnet, sondern auch das verantwortungsvolle Engagement der Mitmenschen verlangt. Vielmehr erzeugt die soziale Dimension der überwiegend für den Außenraum konzipierten Projekte im auratischen Ambiente einen irritierenden Zwiespalt zwischen Ethik und Ästhetik. Ausnahmen bilden allein Silke Wagners "Aktion-Fluchtwagen", in der antirassistischen Interessengruppen ein Kleinbus als Plattform politischer Arbeit zur Verfügung gestellt wird - und Olaf Nicolais "Antenna Tree", eine Camouflage, die mittels eines als Palme getarnten Sendemastes Musik über einen eigens eingerichteten Radiosender (88,4 KHZ) in die Haushalte strahlt.

Gerade die museale Ballung der ebenso hintersinnigen wie skurrilen Exponate suggeriert einen Zusammenhang, der dem gesellschaftlich wirksamen Potential der einzelnen Konzepte nur bedingt gerecht wird und den Rahmen bloßer kunsthistorischer Revision nicht aufzubrechen vermag - wodurch vor allem die Räume im Obergeschoss als PLUG-IN-Discount erscheinen. Denn leider wird kaum bedacht, dass PLUG-IN zum Andocken eine gewisse Verbindlichkeit einfordert - ohne jedoch zu erforschen, wie sich ein solches Interface im Detail gestaltet. Insofern an diesen Schnittstellen Fragen der Kompatibilität zu bedenken sind, müsste die Ausstellung über geschichtliche Dimensionen hinaus auch auf die mediale Bedeutung von PLUG-IN verweisen: als vorinstallierter Garant konfliktfreien Datentransfers - was letztlich dem Diskurs über die Neu-Bestimmung von öffentlicher und privater Sphäre wesentliche Impulse geben könnte.

Unter http://www.plug-in-muenster.de/ kann die Ausstellung (einschließlich eines virtuellen Rundgangs) betrachtet werden.


© Marcus Lütkemeyer 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 12/2001
https://www.theomag.de/12/ml1.htm