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Sinn und Geschmack fürs UnendlicheVorstellungen ausgewählter Videoclips LIIAndreas Mertin Man könnte die Videoclips zu den verschiedenen Stücken von DJ Shadow als religionsphilosophische Kabinettstücke begreifen, als Variationen verschiedener Motive des Deutschen Idealismus bis hin zu seiner materialistischen Entzauberung. Das ist sicher nicht so intendiert, aber auch nicht ganz fernliegend. Ich kannte DJ Shadow, obwohl der Name mir zunächst gar nichts sagte, von einem anderen mir sehr wohl bekannten Stück. Das war „Rabbit in your headlight“ der Gruppe UNKLE, zu dem Jonathan Glazer eines der wohl interessantesten Musikvideos des letzten Jahrhunderts abgeliefert hat, das ich 2001 hier im Magazin vorgestellt habe. Er gehört in den frühen 90ern zu den Vertretern des Turntablism, die ihrerseits wieder auf avantgardistischen Experimenten von Paul Hindemith, Marcel Duchamp und Jahn Cage aufbauen konnten. Aufgefallen ist mir DJ Shadow erst letztes Jahr als ich über die Staff Picks von Vimeo auf Nobody speak stieß, ein ziemlich heftig ‚kontroverstheologisches‘ Stück, das freilich wenig mit dem deutschen Idealismus zu tun hat. Ich will mich im Folgenden auf drei ‚religionsphilosophisch‘ ausdeutbare Clips von DJ Shadow beziehen. Ich will nicht behaupten, dass sich die drei Regisseure der Musikvideos (Marti Romances, Dan Emmerson bzw. Matt Devine) auf Überlegungen des Deutschen Idealismus beziehen, aber auffällig bleibt, dass sich in ihren Arbeiten Überlegungen spiegeln, die man gehäuft im Deutschen Idealismus findet. Und viele dieser Motive sind eben auch religionsgesättigt. DJ Shadow: „The Mountain Will Fall”, 2016Das Musikvideo zu DJ Shadows „The Mountain Will Fall” 2016 unter der Regie von Marti Romances erschienen, kontextualisiert das weitgehend eher meditative Stück in kosmische Welten. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass das Graphikstudio des Regisseurs an diversen Sci-Fi- Fantasy-Filmen und Computerspielen beteiligt war. Das Stück setzt symphonisch ein, eine Kamera fährt über virtuelle, lila gefärbte Wellenebenen, bevor dann unvermittelt ein Astronaut oder wenigstens doch ein Raumanzug eines solchen durch das Bild schwebt. Auf der Brust des Astronauten hängt ein kleines Kästchen, das blinkende Signale von sich gibt. Es könnte so etwas wie eine Höhle sein, in der sich der Astronaut befindet, freilich schwebt er durch den Raum. Nach 53 Sekunden ertönt eine Art Schrei und der Körper schwebt nun oberhalb des Gebildes, in dem er bisher war. Im Hintergrund erscheint der Kosmos mit Millionen von Sternen: der bestirnte Himmel über uns.
Der Astronaut schwebt weiter, manchmal beschleunigt das Bild, als wenn plötzlich der Film vorgespult würde. Man erkennt auf dem zurückgelassenen Planeten verschiedene sich bewegende wellenartige Strukturen. Dann erscheint eine riesige gleißende quadratische Lichtquelle über dem Astronauten, ein Licht auf das er zutreibt. Das Licht erweist sich als eine Art „Ereignishorizont“, den der Astronaut spektakulär durchbricht. Und nun beschleunigt sich sein Schweben durch das All dramatisch, er zieht einen Lichtstreif hinter sich her. Zwischen dem Astronauten und der Lichtquelle scheint es eine dauerhafte Verbindung durch die Lichtspur zu geben. Der Astronaut wird so zum Space-Surfer. Dabei steigert sich die Geschwindigkeit seines Fliegens durch das All. Irgendwann weitet sich die Perspektive ins Kosmische, der Astronaut ist nur noch ein atomischer Punkt im Ganzen. Aber plötzlich nimmt das Auge weitere derartiger Punkte mit ähnlichen Lichtstreifen wahr, Punkte und Streifen, die sich in fast vertrauter Weise zu einer festen Konstellation verbinden. Die Kamera fährt weiter zurück und vor dem Auge des Betrachters erscheint eine Art Sternbild, jenes eingangs gezeigte (etwas mit Photoshop verstärkte) Bildnis, das die Haltung des Astronauten im kosmischen Maßstab spiegelt. Dann endet das Video. Der Regisseur notiert zu seinem Clip:
Die benannte „kosmische Konstellation“ am Ende des Musikvideos ist jedoch die des gefallenen Menschen, dem seine bis dahin so selbstverständliche Krone (der Schöpfung und des Welteneroberers) vom Kopf gerutscht ist. Der gefallene Mensch befindet sich dabei immer noch in einer Konstellation, die wir vom vitruvianischen Menschen kennen: die Arme ausgebreitet, die Hände und Füße am ihm umgebenden Kreis in einem Quadrat gebunden. Der kosmische Mensch sonst eher Thema esoterischer Seiten ist freilich kein Sieger, sondern am Ende ein Opfer. DJ Shadow: Corridors (feat. Steven Prince), 2017Das Musikvideo zu DJ Shadows Stück „Corridors“, 2017 unter der Regie von Dan Emmerson produziert, 5:12 Minuten lang, arbeitet zunächst mit Atmosphären des Geheimnisvollen und Fließenden. Ein Mann mit einer Kühlbox und einer Taschenlampe läuft einen dunklen Gang eines uns unbekannten Gebäudes hinunter, zwei Frauen tauchen in einem düsteren Gewässer, einem kaum beleuchteten Schwimmbad. Nach 45 Sekunden ist der Mann an seinem Ziel angekommen und öffnet seine Box. Sie enthält ein transparentes, per Funk steuerbares Spielzeugauto mit vielen bunten LED-Lichtern. Nach zwei Minuten des Clips geraten die Dinge verstärkt in Fluss, die Musik beschleunigt sich, das bisherige Doppelmotiv des Autos und der Schwimmerinnen wird nun durch einen in einem Eisblock eingebetteten Plattenspieler ergänzt, auf dem eine Vinyl-Platte von DJ Shadow liegt. Nun überschlagen sich die Bilder, die Musik beschleunigt sich noch einmal, gerät ins Stocken, nimmt wieder Fahrt auf. Tonfluss, Wasserfluss und Lichterfluss ergänzen und überlagern sich. Die Zahl der Schwimmerinnen erhöht sich, sie ordnen sich nach der Art von Synchronschwimmerinnen. Nach 4:45 Minuten geraten Musik und Bilder spektakulär ins Stocken, sie stottern sozusagen und der Ton bricht ab. Die restlichen 20 Sekunden herrscht Schweigen. Die Kamera zieht sich aus dem Gebäude zurück. Als abschließende neue Bildebene taucht die Silhouette einer eine Kapuzenjacke tragenden Person vor einer Stadt auf, die in einer lilafarbenen Abenddämmerung liegt.
Dj Shadow und Dan Emmerson belassen es nicht beim Wasser, sie verorten die vom jungen Hegel beschriebene Entgrenzung, die vom Körper erfahrbare Sehnsucht nach dem Unendlichen, auch im Fluss der Lichter und der Töne. DJ Shadow: Bergschrund (feat. Nils Frahm), 2016Ehrlich gesagt kannte ich das Wort „Bergschrund“ bis dahin überhaupt nicht, noch wusste ich, dass es auch in nichtdeutschen Sprachen Verwendung findet. Es ist quasi ein deutscher Exportartikel. In der Sache bezeichnet es, wie mich die Wikipedia informiert, um „die Spalte zwischen fließendem Eis eines Gletschers und dem nicht fließenden Eis, das am Felsen festgefroren ist.“ Aber, auch das musste ich lernen, selbst Goethe kennt das Wort schon, wie 1779 aus seinen Briefen aus der Schweiz ersichtlich wird: „von anderen Gletschern sahen wir nur die Plätze, indem uns die Eismassen durch die Bergschrunden verdeckt wurden“. Es geht also wieder um eine Grenze von Festem und Fließendem, Realem und Imaginärem.
Das 2016 von DJ Shadow veröffentlichte Stück trägt also diesen merkwürdigen Titel „Bergschrund“ und wurde im gleichen Jahr auch als Musikvideo unter der Regie von Matt Devine vorgestellt. Der Clip beginnt damit, dass man sich zu nächtlicher Stunde in einer Art Vogelperspektive über einem fast leeren Parkplatz vor einem Owens Wines Liquors Geschäft befindet und einen Mann beobachtet, der Bier trinkend mit einem Sixpack in der Hand über den Parkplatz zu seinem Auto läuft. Es ist schon nicht mehr ganz geh-sicher und schwankt etwas. Plötzlich bleibt er stehen, weil er von oben durch einen grellen Lichtkegel erfasst wird. Er blickt nach oben, kann aber aufgrund des grellen Lichts nichts erkennen. Bis dahin befinden wir uns auf einer ganz normalen Realitätsebene, wie wir sie auch von amerikanischen Fernsehserien des von einem grellen Licht erfassten Spaziergängers am Strand kennen. Gleichzeitig spielt das Bild aber auch schon mit der anderen Bedeutungsebene des Bildes, der verschwörungstheoretischen Annahme, Aliens würden Menschen von der Erde entführen, um sie zu sezieren. Die Frage, ob wir es auch hier mit einer Unheimlichen Begegnung der dritten Art zu tun haben, wird in der nächsten Szene beantwortet, plötzlich wird der Protagonist vom Lichtstrahl angesogen und in die Luft erhoben. Das funktioniert aber nur, solange er vom Lichtstrahl erfasst ist. Sobald er diesen verlässt, ist er wieder „geerdet“. Deshalb führt er eine Art Pas de deux mit dem Lichtstrahl auf, um ihm zu entkommen. Aber immer wieder gerät er in dessen „Bann“, selbst als er sich an eine Reihe Einkaufswagen klammert. Erst als auch sein Sixpack Beer verschwunden ist, kann er sich zu seinem abgestellten Auto durchschlagen, wo er aber noch ein weiteres Mal vom Lichtstrahl erfasst wird. Und nun kommt ein Bruch, der etwas an die abschließende Szene aus Musikvideo zu Rabbit in your Headlights von UNKLE erinnert. Der Protagonist holt einen Kreuzschlüssel aus seinem Auto und wirft ihn auf seinen Verfolger in der Luft. Und dieser zerschellt daran paradoxerweise. Der Protagonist steigt ins Auto und fährt davon. Aber schon nach wenigen Sekunden blickt er in den Rückspiegel und erkennt, dass er von einem Polizeiwagen verfolgt wird. Und so wird klar, dass er auch schon zuvor nicht irgendwelchen Ufos und Aliens ausgesetzt war, sondern vermutlich schlicht in eine mit Helikopter und Polizeiwagen durchgeführte Polizeikontrolle geraten war. Weil er sich aber in seinem Alkoholzustand den Lichtkegel nicht erklären konnte, hat er zu einer in den USA nicht ganz unüblichen Ersatzplausibilisierung gegriffen: die versuchte Entführung durch Aliens. Er hat sich sozusagen vom Unendlichen über Gebühr affizieren lassen. Es bleibt offen, ob die Wahrnehmung am Ende die zutreffende Wahrnehmung ist, einen Polizisten sehen wir nicht, das Video bricht ab. Deutungen muss der Betrachter sich selbst suchen. Anmerkungen[1] Kant, Immanuel (2009): Kritik der praktischen Vernunft. In: Immanuel Kant und Wilhelm Weischedel: Werkausgabe, VII. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 55). [2] Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1907): Hegels theologische Jugendschriften. Nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin. Hg. v. Herman Nohl. Tübingen: J.C.B. Mohr. [3] Schleiermacher, Friedrich Daniel (2004): Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern: Meiner, F. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/120/am675.htm |