Sieben mal Sieben

Ein Buch zur Begegnung von Kunst und Kirche

Andreas Mertin

Braun, Helmut (Hg.) (2019): Sieben mal Sieben. Kunst des 21. Jahrhunderts in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Lindenberg i. Allgäu: Kunstverlag Josef Fink.

Ein wunderschönes Buch liegt vor mir, riesengroß (24x34 cm), in weißem Kunstleder gebunden, mit Kopfsilberschnitt ausgestattet. Die Größe des Buches ermöglicht großformatige Abbildungen, die das Blättern und Studieren zu einem Genuss machen. So schöne Bücher wünscht man sich öfter.

Das Thema des Buches sind Kunstwerke und Kunsthandwerk, welche in den Kirchengebäuden der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Bayern ihren Platz gefunden haben. Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts ist in den Kirchen ja ein Konsens darüber entstanden, dass die bisherige Kleinkrämerei in Sachen und Kunst und Gestaltung nicht mehr angesagt ist. Und auch die zeitgenössische Kunst ist seit einigen Jahrzehnten wieder bereit, sich auf die Kirche als Auftraggeber einzulassen.


Klappentext

Sieben mal Sieben – das sind 49 Kunstwerke und Projekte, die Einblick in das aktuelle Kunstschaffen im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern geben. In sieben Kapiteln werden jeweils sieben Arbeiten aus den letzten 20 Jahren vorgestellt, die sich durch eine besonders innovative künstlerische Idee, Gestaltung oder auch Materialität auszeichnen. Alle Arbeiten sind auf Initiative oder unter Beteiligung des landeskirchlichen Kunstreferats entstanden. Der Herausgeber ist der Kunstreferent der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Die ersten Kapitel sind den „klassischen“ künstlerischen Aufgabenfeldern in kirchlichem Kontext gewidmet: Unter dem Titel „Gemeinschaft“ wird die Neuausstattung evangelischer Kirchen mit den Prinzipalia Altar, Kanzel und Taufstein thematisiert. Das Kapitel „Zeichen“ rückt das Kreuz als zentrales Symbol des christlichen Glaubens in den Mittelpunkt. Unter „Gefäß“ werden die liturgischen Geräte für Abendmahl und Taufe vorgestellt und unter „Farbe“ raumprägende Objekte in den Farben des Kirchenjahres. Das Kapitel „Raum“ zeigt dauerhafte Interventionen wie Wandmalereien, Glasfenster und Installationen. Unter dem Titel „Zeit“ werden temporären Kunstaktionen wie Ausstellungen und Performances präsentiert. Die letzte Rubrik „Bild“ behandelt das breite Spektrum der Neuerwerbungen für die landeskirchliche Kunstsammlung.

Jedes der sieben Kapitel besteht aus einer Einführung ins Thema, einer Bildstrecke mit großformatigen Abbildungen und informativen Objekttexten. Den sieben Themen-Kapiteln sind drei Einführungen vorangestellt, die die landeskirchliche Kunstarbeit in einen größeren Kontext einbetten. Hans-Peter Hübner erinnert an das Potential historischer Kirchenräume in der Fläche der bayerischen Landeskirche als kulturelle und identitätsstiftende Begegnungsorte, deren Erhaltung von ihrer lebendigen Nutzung abhängt. Das Zusammenspiel von Theologie und Kunst beschreibt Susanne Breit-Keßler programmatisch für die Kulturarbeit der bayerischen Landeskirche. Sie stellt die verbindende Kraft von Kunst und Religion in der Wahrnehmung und Transzendierung des Alltags als Chance heraus, sich auf das je andere einzulassen. Helmut Braun greift den Gedanken der Kunst als Vermittlerin zwischen Gott und der Welt auf und zeigt Möglichkeiten der Schaffung von Freiräumen für die Entwicklung von Kunst und für deren Begegnung auf. Ein Orts- und ein Künstlerregister sowie eine Karte mit den 49 ausgewählten Werken in den sechs bayerischen Kirchenkreisen runden die Publikation ab.

Soweit der Klappentext zum Buch.


Kurze Anmerkungen

Nun ist das Thema Kunst und Kirche ein heikles Thema, ein überaus vermintes Gelände, auf dem sich zu bewegen für niemanden unproblematisch ist. Das liegt zum einen an einer nun bald 2500-jährigen Vermessungsarbeit in der jüdisch-christlichen Theologie, einer kontroversen Theoriebildung, die mit dem strikten Bilderverbot im 6. Jahrhundert vor Christus beginnt und bis zur autonomen Kunst im 20. Jahrhundert reicht. Das Konfliktpotential liegt darin, dass gerade in der Kirche die Verwechslung von Kunst und Kunsthandwerk, von Auftragskunst und freier Kunst so naheliegt. Nicht alle in Auftrag gegebene Kunst muss gleich schlechte Auftragskunst sein, nicht jede Auftragskunst ist damit gleich schon nur Kunsthandwerk. Es ist und bleibt ein schmaler Grat, auf dem sich Kunst in der Kirche bewegt.

Wenn ich das jeweils aktuelle Kunstforum International aufschlage, frage ich mich häufig, was davon in Kirchen Platz finden könnte. Und wenn ich einen Ars-Mundi-Katalog aufschlage, frage ich mich, warum davon so viel auch in Kirchen zu finden ist. Schon Paul Tillich hat sich 1930 gefragt, wie Kultus und Form, wie Alltag, Gegenwart, Wirklichkeit in der Kirche zu ihrer Wahrheit gebracht werden können:

Was der Kunst-Dienst durch Beispiel und Gegenbeispiel zeigen will, ist enthalten in diesen drei Forderungen: Alltag, Gegenwart, Wirklichkeit. Sie sind Ausdruck der einen Forderung: Wahrheit. Es ist wie ein Gericht über die Religion, dass sie, die Zeuge der Wahrheit schlechthin sein soll, ständig beschämt wird durch die Wahrhaftigkeit derer, die draußen stehen, die ihrem Kultus und Mythos fernbleiben und die um der eigenen Wahrhaftigkeit willen fernbleiben müssen, solange kultische Gestaltung nicht Gestaltung aus Wahrheit und Wirklichkeit geworden ist. Es ist bezeichnend und beschämend zugleich für unsere religiöse Lage, dass in dieser Ausstellung allein ganz durchschlagend die profanen Geräte sind, die ausdrücklich sich als nichtkultisch geben. Eine einfache Schale beschämt auch im letzten religiösen Sinn fast alles, was an kultischem Gerät hier vereinigt ist. Wohl sind Ansätze da, auch in der Gestaltung der kultischen Geräte, und wir wollen denen dankbar sein, die hier Wege gebahnt haben. Aber fast ausnahmslos werden diese Ansätze durchkreuzt von dem alten falschen Verständnis von Kultus als einem Sondergebiet neben der Breite, dem Alltag und der Wirklichkeit des Lebens. Fast immer wird der Kultus der Gegenwart entrückt und dadurch seines letzten Ernstes beraubt.

Diese kritische Haltung Paul Tillichs sollte der Kirche immer Mahnung sein. Was schreiben wir den Dingen einfach nur zu und was haben die Kunstwerke uns zu sagen bzw. zeigen?

Einer der einleitenden Texte beginnt mit den Worten „Kunst und Kultur entstehen nur da, wo es Menschen gibt, wo Menschen an Orten zusammenleben und ihren Lebensraum gestalten“. Abgesehen von der nun schon längeren Debatte darüber, ob nicht auch Tiere Kunst schaffen können oder ob nicht auch unsere nächsten Verwandten, die Neandertaler Kunst und Kultur besaßen, würde ich mich fragen, ob es nicht eine für die Gegenwart wesentlich bedeutungsvollere Aussage wäre, wenn man sagte: „Auf Menschen stoßen wir nur dort, wo es Kunst und Kultur gibt, wo Kunst Raum findet und die Umwelt gestaltet.“ Das kann man verknappen zu dem Satz: Erst Kunst macht uns zu Menschen. Und schon haben wir einen emphatischen Begriff von Kunst und Mensch, der die Kunst für uns unausweichlich macht.

Anderes macht von Voraussetzungen Gebrauch, die häufig auf Kirchenveranstaltungen artikuliert werden, die ich aber durch die empirischen Befunde nicht gedeckt sehe. Etwa wenn man sagt, dass es Kunst und Kirche verbinde, dass sie es mit dem ganz Anderen zu tun hätten. Diese Ansicht teile ich nicht. Einmal abgesehen davon, dass „der/die/das ganz Andere“ schon vorab theologisches Heimspiel ist, das der Kunst kaum Luft zum Atmen lässt, fragt sich, was man damit eigentlich gewinnt. Den selbst wenn Kunst sich mit dem oder der „ganz Anderen“ beschäftigen würde, würde sie doch etwas völlig anderes darunter verstehen als die Theologie. Vor 40.000 Jahren, als die visuelle Vergegenwärtigung der Welt zum Handlungsspielraum des Homo Sapiens wurde, war der/die/das ganz Andere noch nicht einmal ansatzweise in seinem Bewusstsein. Und doch schuf er diese Bilder. Kunst und Religion sind in dieser Frage keine Geschwister. Jede Religion ist eine späte Nachgeborene in der menschlichen Anstrengung, diese Welt zu verstehen und zu deuten. Religion in einem reflektierten Sinn entsteht etwa 12.000 vor heute und damit 30.000 Jahre nach den ersten Versuchen des Homo Sapiens, sich die Welt durch Bilder zu erklären und sich zur Welt in ein visuelles Verhältnis zu setzen. Theologen sollten mehr Respekt vor der Kunst zeigen und akzeptieren, dass sie die Erstgeborene in der Kultur ist. Das verbietet es aber, sie mit Begriffen zu besetzen, die aus der Theologie stammen.

Auch das nächste, wozu ich etwas anmerken möchte, hat etwas mit der Sprache zu tun, nämlich mit der verwendeten rahmenden Begrifflichkeit. Gemeinschaft – Zeichen – Gefäß – Farbe – Raum – Zeit – Bild sind nur in einem begrenzten Sinn Begriffe des „Betriebssystems Kunst“. Sie kommen zwar ab und an in diesem vor, sind dort aber nicht prägend oder gar erkenntnisleitend. Sie gehören eher in den Raum der Kirche, noch mehr vielleicht sogar in den engeren Bereich des Kirchenbaus. Das zeigt, dass das Buch vor allem binnenkirchlich denkt und argumentiert. Es zeigt die Bedeutsamkeit ästhetischer Gestaltung in der Kirche. Aber es zeigt weniger das notwendig Verstörende der Kunst, das, was Paul Tillich das „expressive“ genannt hätte. Sicher, man kann die Irritation, die von der Kunst ausgeht, nicht im Rahmen einer Dauerinstallation perpetuieren. Und vermutlich macht es wenig Sinn, beim Abendmahl jedes Mal in einen sinnlich bedingten Reflexionsakt über das Abendmahlsgerät zu geraten. Es wäre kontraproduktiv. Es zeigt aber auch, dass es gar nicht so viel Sinn macht, bei den Prinzipalien die Kunstfrage zu stellen. Seit 120 Jahren hat das Design eine derartige Aufwertung erfahren, dass wir es nicht mehr unter „Kunst“ camouflieren müssen, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Vielleicht wäre Kirche moderner und aktueller, wenn sie bewusst von „Sieben mal Sieben – Design des 21. Jahrhunderts“ geschrieben hätte.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/122/am684.htm
© Andreas Mertin, 2019