Ich fokussiere mich in dieser Kolumne, das Projekt Netzteufel der Evangelischen Akademie Berlin als Anregung aufgreifend, auf Meldungen und Leserkommentare der Plattformen idea und kath.net. Weiterhin bleibt diese Kolumne eine ironische und satirische Kolumne. Auch wenn ich die Kritisierten beim Wort nehme, kann ich sie dennoch nicht ernst nehmen. Sie sind und bleiben ein Element der Kategorie Realsatire.


Iterativismus2 – Sex, Sex, Sex

Schon beim faschistischen Tradi-Portal kreuz.net war die Konzentration auf das Thema „Homosexualität“ extrem auffallend. Kaum ein Tag, an dem nicht über dieses Thema in abfälligster Weise geschrieben wurde. Kath.net steht dem allerdings nur wenig nach. Auch hier ist es immer die „Homo-Lobby“, die dies oder jenes tut, ganz so, wie bei den Nationalsozialisten die Juden als angebliche Weltverschwörer dienten. Da ist kath.net ziemlich stürm(er)isch. Würde man die Schreiberlinge freilich als das bezeichnen, was sie erkennbar sind, nämlich eine Form des Klerikal-Faschismus, würden sie laut aufschreien. Und wenn man kath.net als „klerikal-faschistische Lobby-Plattform“ bezeichnen würde, wäre das Geschrei noch lauter. Die Goldene Regel „Was Du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu“ beherzigen sie jedenfalls nicht. Aber ihre Fixiertheit auf das Thema Sexualität ist schon bemerkenswert. Als wenn Jesu sich nur auf Sex bezogen hätte. Nun ist dieser traditionalistische Iterativismus nicht nur im Blick auf Themen wie Homosexualität auffällig, auch bei den Stilmitteln wiederholen sie sich gerne.

Es ist der 31. Dezember 2018 und der unvermeidliche P.W., allen Leserinnen und Lesern dieser Kolumne wohlvertraut, eröffnet seinen Schwanengesang folgendermaßen:

Es ist Silvester, da darf der Montagskick vielleicht mit einem (zugegeben alten) Witz beginnen. Was die Genesis verschweigt. Mose wurde vom Volk Israel ein zweites Mal auf den Berg Sinai geschickt, um die Gebote nachzuverhandeln. Mose kam zurück und sprach: Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: ich konnte ihn auf zehn runterhandeln. Die schlechte: Das sechste Gebot bleibt unverändert drin. Was hier als Scherz daherkommt und (im scherzhaften Kontext) wenigstens noch Verhandlungen mit Gott in Betracht zieht, ist in der grausigen Wirklichkeit unserer Tage längst überholt. In einem Interview forderte der Beauftragte für Homosexuellenseelsorge im Bistum Osnabrück quasi eine einseitige Änderung der Bundesurkunde. In einem Interview … forderte der Franziskanerbruder den Katechismus zu ändern.

Schon diese kleine Anekdote ist bemerkenswert.

  1. Man könnte zum Beispiel fragen: Welches Gebot ist dringeblieben? Klar: das sechste! Aber was ist Gegenstand des sechsten Gebotes? Da kann man nun jeden Juden fragen. Er wird sofort antworten: „Du sollst / wirst nicht töten!“ Das hieße, Mose habe den Israeliten das Tötungsverbot nicht ersparen können? Nun, Katholiken zählen die Zehn Gebote anders als Juden und fassen als sechstes Gebot lieber „Du sollst / wirst nicht ehebrechen!“
  2. Man könnte zum zweiten fragen, an wen sich dieses Gebot eigentlich wendet? Erkennbar nicht an Frauen, denn die werden im neunten Gebot (Katholiken) bzw. zehnten Gebot (Juden) unter die Sachgegenstände gezählt: „Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört.“ Der Witz erweist sich so als chauvinistischer Witz unter Männern, die gerne die Ehe brechen möchten, aber es nun nicht dürfen.
  3. Wie oft ist Moses auf den Berg zu Gott zum Empfang der Gebote geklettert? Laut Exodus 34 eigentlich zweimal, nach P.W. aber wohl dreimal, sonst macht sein Witz keinen Sinn. Denn nach dem ersten Besuch erfahren die Israeliten ja nicht den Inhalt der Gebote, weil Moses die Tafeln zerstört. Dann kehrt er um und Gott schreibt die Gebote ein zweites Mal. Und im Witz von P.W. kehrt Mose nun ein weiteres Mal um, um den endgültigen Umfang der Gebote und den Fortbestand des Ehebruch-Verbots zu erfahren.

Man könnte das fortsetzen und sich fragen, inwiefern ein Gebot, dass sich an Männer richtet, die Frauen heiraten, nun geändert wird, wenn man über Männer redet, die Männer heiraten. Aber da ist die katholische Welt ja etwas anders gestrickt als die protestantische Welt.

Jedenfalls ein Jahr später, es ist der 09. Dezember 2019, 11 Monate und 9 Tage sind vergangen, muss P.W. wieder einmal einen Montagskick schreiben und was wählt er als Thema? Na klar: die Homosexualität – das liegt im Advent ja auch nahe (so sehr, dass selbst lateinamerikanische Satiriker bei Netflix sehr zum Entsetzen der katholischen und evangelikalen Geistlichkeit einen schwulen Jesus auftreten lassen, aber das ist ein anderes Thema). P.W. jedenfalls nutzt dieses Thema auch, und weil das ja schon ein Jahr vorher so gut geklappt hat, wählt er aus seinem geradezu unerschöpflichen Reservoir an Witzen, den einen, den er kennt und überschreibt das mit „Ein alter Theologenwitz“:

Glaubt man erfahrenen Priestern, so wurde dieser Witz schon auf Melchisedechs Primiz erzählt. Mose kommt den Sinai herunter und wird bevor er beim Volk ankommt, von einigen der ältesten abgefangen. Und, wie war es, lautet die Frage. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, antwortet Mose, ich konnte ihn auf zehn herunterhandeln. Das war die gute, doch die schlechte lautet, der Ehebruch ist noch drin. So alt dieser Witz sein mag und so absurd es einem erscheint, es wird sehr aktuell, denn zeitgeistige Theologen und Bischöfe wollen diesen alten Makel nun endlich beseitigen. Hätte sich das Gebot Gottes mehr an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientiert, so hätten wir doch heute auf dem synodalen Weg ein Problem weniger. Sodom und Gomorra könnten noch immer blühende Metropolen sein, hätte sich Gott mehr um die Lebenswirklichkeit der Menschen gekümmert. … Es geht um Wertschätzung aller denkbaren Lebenspartnerschaften. Dabei wird die Homosexualität als eine bereichernde Variante menschlicher Sexualität aufgefasst.

So gut, so unendlich langweilig. Und natürlich witzig, überaus witzig. Ich vermute nur, die Mehrzahl der Leserinnen und Leser wird den Witz daran nicht bemerken. Versuchen wir erst mal ins Bewusstsein zu rufen, wann besagter Melchi­sedek nach der biblischen Erzähllogik eigentlich gelebt hat. Damit hätten wir die Zeit, ad quem der Witz entstanden ist (weil: so wurde dieser Witz schon auf Melchisedechs Primiz erzählt). Nun, die mythische Erzählung datiert den mythischen König und Priester Melchi­se­dek auf den Beginn des 2. Jahrtausends vor Christus, sagen wir also 1950 vor Christus.

Nun überlegen wir, wann denn Mose nach der biblischen Erzähllogik gelebt hat. Da gibt es viel Streit unter den Gelehrten, aber man wird ihn – wenn man denn an die Historizität des Moses glaubt – in die Zeit irgendwann zwischen 1500 und 1200 vor Christus datieren können. Dann wäre der Witz über Moses also um 1950 vor Christus das erste Mal erzählt worden, also 400 bis 700 Jahre vor dessen Existenz. Bemerkenswert. Man muss es nur glauben und erzählen. Und erfahrene Priester, die ja nach der Art Melchisedeks berufen sind, erzählen viel (Witze). Und auch dieses Mal beinhaltet der Witz die Chose mit dem Ehebruch, nur werden die Gebote nicht im Einzelnen aufgezählt.

Interessant ist aber P.W.s Ansicht, Sodom und Gomorra hätte vermieden werden können, wenn Gott die Zehn Gebote anders formuliert hätte. Nun will ich nicht bestreiten, dass Gott über die Fähigkeit der Zeitreise und der Zeitumkehr verfügt, aber für Menschen gilt das nicht. Wie hätten die Bewohner von Sodom und Gomorra von den Zehn Geboten wissen können?

Die Leserinnen und Leser mögen sich kurz an den Firmungsunterricht bzw. den Konfirmationsunterricht erinnern: erst kommt in Genesis 1-11 die Urgeschichte, dann folgen in Genesis 12-36 die Vätergeschichten mit Abraham, Isaak und Jakob. In deren Rahmen wird in Genesis 19 auch vom Untergang von Sodom und Gomorra erzählt. Dann kommt in Genesis 37-50 die Josefs­-Novelle, und erst die führt die Israeliten nach Ägypten und ermöglicht so die deutlich spätere Geschichtserzählung von Moses.   

Erst mit dem Exodus-Buch befinden wir uns in der erzählten Welt des Moses. Und auch da dauert es noch einige Kapitel bis wir zu den Zehn Geboten und zur Erzählung vom Goldenen Kalb kommen (Ex. 20 und 34). Wie also hätten die Bewohner von Sodom von Moses Zehn Geboten wissen können? Weil sie ihnen ins Herz eingeschrieben waren? Selbst wenn man davon absieht, dass Genesis 19 eher ätiologische Züge trägt, ist eine wie auch immer geartete Verknüpfung von Genesis 19 mit dem Verbot des Ehebruchs wenig sinnvoll.

Fassen wir zusammen: Peter Winnemöller erzählt einen misogynen Witz, um ihn nun gegen die Homosexuellen zu wenden. Dabei verwechselt er die Zeitebenen der Erzählungen aus dem Pentateuch und erfindet neue Geschichten zur biblischen Überlieferung hinzu. So viel Dreistigkeit würde Peter Winnemöller einem historisch-kritischen Exegeten / einer historisch-kritischen Exegetin nicht erlauben. Aber man darf gespannt sein, was P.W. im Advent 2020 zum Thema Homosexualität und misogyne Witze wieder zu erzählen hat. Das einzige, was er austauscht, sind ja die kritisierten katholischen Handlungsfiguren: mal ein Beauftragter, mal eine Synode. Mal sehen, was danach kommt. Der Papst? Wäre ihm zuzutrauen.


Jägermeister

Pellegrino, ein Meister der deutschen Grammatik und Rechtschreibung, meint P.W. in seiner Gebots-Lyrik noch toppen zu können. Nicht ein Gebot werde im aktuellen Katholizismus aufgegeben, sondern gleich deren drei! Neben dem bereits benannten Verbot des Ehebruchs kämen auch das Gebot „Du sollst nicht lügen“ (weil die Amtsträger lügen) und nicht zuletzt das Gebot „Du sollst nicht stehlen“ (weil Kirchensteuer erhoben wird) hinzu. Offenkundig hat er aber den Sinn der Erzählung von den 10 Geboten nicht recht verstanden.

Er meint jedenfalls, das alles geschehe nach dem „linken“(!?) Motto „Zehn kleine Jägermeister“. Mir war gar nicht klar, dass dieses Sauf-Lied unter „linke Politik“ lief. Eigentlich setzte sich das Album „Opium fürs Volk“ der Toten Hosen doch eher mit „Glauben und Religion“ auseinander. Aber ich bin dem Hinweis auf die Toten Hosen und ihr Lied natürlich dankbar, denn es ist auch heute nach 24 Jahren immer noch von unveränderter politischer Aktualität:

Zwei kleine Jägermeister baten um Asyl
Einer wurde angenommen,
der andere war zu viel …


Hetze und Lügen zum x-ten Mal

Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken hat kath.net als das bezeichnet, was es ist: als scharf agierende rechte Stimme im deutschsprachigen Katholizismus. Persönlich finde ich das als sehr milde formuliert. Man könnte, ohne der Wahrheit zu nahe zu treten, kath.net als Hetzer- und Lügen-Plattform bezeichnen, die rechte Ideologie mit dem Deckmantel angeblicher katholischer Frömmigkeit kaschiert. Kath.net erregt sich über die Etikettierung durch Sternberg und geifert und hetzt gegen ihn. Wie um ihm dann doch Recht zu geben, veröffentlicht kath.net am selben Tag folgende Lügengeschichte: Deutsche Grüne wollen ‚Klimaflüchtlinge‘ aus der ganzen Welt aufnehmen. Gefunden hat kath.net dieses Märchen bei der Bild-Zeitung und zahlreichen Accounts der AfD. Und weil kath.net seriösen Journalismus betreibt, haben sie die Fakten sofort gegengecheckt und die Wahrheit veröffentlicht.

Nein, das haben sie nicht. Sie haben ehrenrührig die Lüge weiterverbreitet, sie haben den faschistischen Ideologen der AfD Munition geliefert und ihre Klientel mit rechten Lügen gefüttert. Nichts an dem Bericht ist zutreffend. Claudia Roth hatte in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland darauf verwiesen, dass wir angesichts der Klimakatastrophe in die paradoxe Situation geraten könnten, dass ganze Staaten untergehen, schlicht weil ihr Staatsgebiet eine Insel ist, die überschwemmt werden wird. Die Bewohner, die deshalb flüchten müssten, wären, da ihr Staat nicht mehr existiert, de facto staatenlos. Staatenlosigkeit ist aber etwas, was in der Perspektive der Begründer des Deutschen Grundgesetzes ein Unding darstellt, weil sie angesichts des Nationalsozialismus erfahren hatten, was Staatenlosigkeit bedeuten kann. Claudia Roth macht sich nun konkret anhand pazifischer Inselstaaten wie Tuvalu oder Kiribati Gedanken, wie man dieses Problem angehen kann. Nur um es den frommen Leserinnen und Lesern ins Bewusstsein zu rufen: beide Inseln sind nahezu ausschließlich von Christen bewohnt, beim kleineren Staat Tuvalu sind es nahezu ausschließlich Kongregationalisten, beim größeren Staat Kiribati sind es mehrheitlich Katholiken. Das dämliche Argument mit den migrantischen Muslimen zählt hier also nicht.

Claudia Roth sagt in ihrem Interview nun, wir müssen Regeln schaffen, dass diese Menschen (diese Geschwister könnte man in christlicher Nomenklatur sagen) nicht in die Staatenlosigkeit fallen. Oberste Priorität habe dabei, so sagt sie, dass “Menschen in ihrer Heimat bleiben können”. In dieser Hinsicht ist ihre Aussage völlig klar – sie ist für eine regionale Lösung. Das löst aber nicht aber vermutlich nicht alle staatsrechtlichen Probleme. Deshalb suchen die Grünen nach einer staatsrechtlichen Lösung, die international trägt:

Auch muss sich die internationale Staatengemeinschaft darauf einigen, wie sie mit dem erwartbaren Verlust ganzer Staatsgebiete umzugehen gedenkt. Entsprechende Debatten und Verhandlungen bedürfen deutlich mehr Nachdruck. Wenn absehbar ist, dass beispielsweise Inselstaaten im Pazifik vollständig verschwinden, muss dringend festgelegt werden, welche völkerrechtlichen Folgen der Verlust des Territoriums für die Betroffenen, ihre Staatsangehörigkeit und ihren Schutzanspruch mit sich bringt. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass Staatenlosigkeit de facto und de jure verhindert wird. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, Lösungen international voranzutreiben — etwa die Idee eines Klimapasses, dessen individueller Ansatz den Betroffenen ermöglicht, selbstbestimmt und frühzeitig über ihre Migration zu entscheiden.”

Daneben erwähnt Claudia Roth noch weitere Staaten:

“Natürlich will die Kaffeebäuerin aus dem Benin nicht nach Bamberg ins Anker-Zentrum. Wenn sie schon umsiedeln muss, dann wenigstens regional. Es geht also primär darum, Mechanismen und Lösungsansätze vor Ort zu unterstützen — in der afrikanischen Tschad-Region zum Beispiel, wo große Dürre herrscht, oder in Bangladesch, wo ganze Landstriche vom Meer verschluckt werden.”

Nur um auch das festzuhalten: Das westafrikanische Benin mit dem Katholizismus als größter Religion; den zentralafrikanischen Tschad mit je zur Hälfte Muslimen und Christen, sowie Bangladesch als einzigem muslimischen Staat in der Aufzählung. Und jedes Mal betont Roth: Es geht also primär darum, Mechanismen und Lösungsansätze vor Ort zu unterstützen.

Wer daraus die Meldung macht Deutsche Grüne wollen ‚Klimaflüchtlinge‘ aus der ganzen Welt aufnehmen betreibt bewusst Hetze, er lügt, um Ressentiments hervorzurufen. Er verleumdet andere Menschen und in diesem Fall sogar zu Lasten von Christen und Christinnen auf der ganzen Welt. Und man kann ja auch kurz erwähnen, welche Bedeutung Flüchtlinge aus den genannten Ländern in Deutschland haben: 2018 kamen 108 Flüchtlinge aus Benin nach Deutschland, 63 kamen aus dem Tschad, 177 aus Bangladesch, keiner aus Tuvalu und Kiribati. Von all diesen Flüchtlingen wurden 30, also 11% als Asylanten anerkannt.

Als kath.net die Meldung veröffentlichte, war längst in zahlreichen anderen Medien klargestellt worden, dass es sich um eine verleumderische Zeitungsente handelte. Jeder sorgfältig arbeitende Journalist, jede sorgfältig arbeitende Journalistin musste dies wissen. Es reicht nicht, auf die Meldung der Bild-Zeitung zu verweisen, um seiner Sorgfaltspflicht nachzukommen. Man muss, wenn man so etwas publiziert, zumindest bei der beschuldigten Seite nachschlagen, was sie denn konkret gesagt hat. In diesem Fall handelte es sich um öffentlich zugängliche Quellen. Wer dennoch unverdrossen Lügen verbreitet, kann sich nicht darauf berufen, er habe nicht gewusst, dass es sich um Fake-News gehandelt habe. Den Leserinnen und Lesern von kath.net bietet der Artikel nun die Gelegenheit zur nun wirklich geifernden Hetze. Und das mit Argumenten, die unmittelbar der AfD oder den Neonazis zugerechnet werden können. Da wird die Kanzlerin zur Kommunistin und Klima-Flüchtlinge zu IS-Terroristen, Mördern und Vergewaltigern. Wie krank kann man nur im Gehirn sein?

Das Erschreckende daran ist ja nicht, dass es Menschen gibt, die derlei Unsinn von sich geben, sondern dass eine Redaktion diesen Unsinn freischaltet und online hält. Dass sie im Kontext der Ausführungen von Claudia Roth nun die Christen und Christinnen der genannten Länder mit „IS-Terroristen, Taliban, Straftätern, Vergewaltigern, Mördern, Dieben“ assoziieren ist schon ungeheuerlich. Aber kath.net, diese „scharf agierende rechte Stimme im deutschsprachigen Katholizismus“ kümmert das nicht.


Eigentor

Kath.net hetzt gegen einen westdeutschen Bischof. Sie kommentieren eine Meldung, die aus „Hörensagen“ besteht. Es gibt einen Bericht des Deutschlandradios von einer Veranstaltung des WDR, auf der der Bischof gesagt haben soll … Und natürlich ist der Bischof, weil er sich nicht auf der rechtsgestrichelten Linie der Linzer Traditionalisten bewegt, als Bischof „umstritten“. Gibt es eigentlich unumstrittene Bischöfe? Mir ist aus den letzten 2000 Jahren keiner bekannt. Aber „umstritten“ ist ja so ein Epitheton, dass jeder aufgeklebt bekommt, der einem nicht passt. Und im vorliegenden Fall „wettert“ der Bischof auch nicht gegen das Zölibat oder „diffamiert“ es, sondern weist nur darauf hin, dass es historisch bedingt ist. Schließlich bekäme er sonst spätestens beim Besuch des Grabes seines Kollegen Severus in der Erfurter Severikirche Probleme. Denn dort träfe er nicht nur auf die Grablege des Bischofs, sondern auch seiner Gattin, der Hl. Vincentia und seiner Tochter, der Hl. Innocentia.

Kath.net wählt nun ein Symbolbild aus, das den Bischof herabsetzen soll. Das ist wirklich ehrenrührig. Denn es zeigt eben nicht, wie der Betreiber der verleumderischen Plattform apologetisch hinterherschiebt, einen Wendehals, sondern einen janusköpfigen doppelzüngigen Menschen, der einem anderen die Hand reicht, hinter seinem Rücken aber die Finger kreuzt. Diese Haltung dem Essener Bischof zuzuweisen ist klar ehrverletzend. Wenn man dem Bild nachrecherchiert, kommt man zum Stichwort „Freundschaftsmissbrauch“ bzw. „Missbrauch des Vertrauens“.

Verwechsle niemals Aufrichtigkeit mit Grobheit,
Falschheit mit Bildung und Freunde mit Kollegen

Darum geht es aber im vorliegenden Fall ganz und gar nicht. Der Bischof verhehlt ja nicht, was er denkt, ganz im Gegenteil, ihm wird vorgeworfen, dass er offen und ehrlich sagt, was er meint. Der Sinn der Zeichnung ist daher die Beleidigung und Herabsetzung des Bischofs, es ist Hetze. Die Bedeutung des Bildes fällt daher unmittelbar auf die Betreiber von kath.net zurück.


Fassungslos (Claude Goudimel und Petrus Ramus gewidmet)

In Deutschland erleben wir zurzeit das Phänomen, dass ausgerechnet jene das Recht auf Meinungsfreiheit für sich reklamieren, die angetreten sind, die freie Meinung abzuschaffen. Aber auch in anderen Ländern lässt sich strukturell Verwandtes beobachten. In der Schweiz beklagt sich ein Weihbischof darüber, dass er nicht mehr wie seit Jahrhunderten gewohnt, Homosexuelle wegen ihrer Sexualpraxis kritisieren darf. Schon immer hat die katholische Kirche Homosexuelle schikaniert und bei Gelegenheit auch verbrannt, aber in modernen Zeiten sind die säkularen Staaten doch tatsächlich so unverschämt, Homosexuellen Rechte einzuräumen zum Beispiel auf die Ehe. Und die Staaten bewerten die verbale Herabsetzung von homosexuellen Praktiken als Verletzung von Menschenrechten und gehen dazu über, auch das für strafbar zu halten. Ein Frommer kann also nicht mehr einfach hingehen und einen Homosexuellen als krank bezeichnen, wie dies tägliche Praxis bei den Hasskommentaren der Leser auf kath.net ist. Sie müssen damit rechnen, künftig für diese Hetze zur Verantwortung gezogen zu werden. Für einen Weihbischof, der weiterhin daran festhalten möchte, dass Homosexualität Sünde ist, erscheint das als ein Skandal. Ist es aber nicht. Es ist für eine humane Gesellschaft völlig normal, dass man Menschen, die gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht einer Minderheit hetzen und dies als Sünde bezeichnen, sich auch verantworten müssen. Religion rechtfertigt keinesfalls die Herabsetzung von Menschen. Der Weihbischof meint, er würde doch fein zwischen Sünde und Sünder unterscheiden. Wir lieben die Homosexuellen und hassen die Homosexualität – so ein Schwachsinn. Aber er äußert das angeblich „objektiv“ für alle Menschen, nicht nur für seine katholischen Schäfchen – die in dieser Frage freilich auch kaum seiner Meinung sein dürften. Meinetwegen kann er ja versuchen, Katholiken vorzuschreiben, was sie so alles machen dürfen und was nicht, aber er möchte stattdessen in allgemeine Gesetzgebungsverfahren eingreifen, die eben nicht nur Katholiken und ihre merkwürdige Sondermoral betreffen. Das muss man sich als aufgeklärter Mensch verbitten. Eine Gesellschaft, die den Genuss von Schweinefleisch verbieten würde, weil ein Teil der Bevölkerung aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch ist, wäre eine unfreie Gesellschaft. Niemand ist daran gehindert, im Rahmen seines Kultes auf etwas zu verzichten, eine Norm für andere erwächst daraus nicht.

Der Schweizer Weihbischof meint nun, gute katholische Tradition seit dem Mittelalter sei es, die Argumente des Gegenübers anzuerkennen, sorgfältig zu prüfen und vernünftig zu gewichten und dann der objektiven Wahrheit zuzuführen – die natürlich immer die katholische Wahrheit ist. Die Hugenotten werden auf diese Form der Beweisführung gut verzichten können, die bis zu 20.000 Toten im Gefolge der Bartholomäus­nacht sind ihnen Beleg dafür. In der Wende zwischen den 16. und dem 17. Jahrhundert verzeichnet die Stadtverwaltung von Lille 231 Prozesse zur Blasphemie, von denen 170 schlichtweg um den Vorwurf kreisen, der Angeklagte zeige protestantisches Verhalten. Aber das war natürlich objektive Wahrheit und führte deshalb zur Verurteilung der Protestanten. Das hätten manche auch heute gerne wieder. Nur die Verhältnisse sind (noch) nicht so. Und jene Homosexuellen, die im 16. Jahrhundert nach einer Hochzeit in einer römischen Kirche verbrannt wurden, werden auch eine andere Sicht auf die katholische Wahrheit haben.

Der französische Philosoph, Humanist und Essayist Michel de Montaigne (1533-1592) berichtet in seiner italienischen Reise (Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581), wie damals die „objektive Wahrheit“ in Rom auf Homosexuelle angewandt wurde:

„Römische Kirchenrechtler sagten mir, da die andere Vereinigung, jene von Mann und Frau, nur durch die Ehe legitimiert werde, seien diese Schlaumeier auf die Idee verfallen, ihre hiervon abweichende Art würde, wenn durch die Rituale und heiligen Handlungen der Kirche sanktioniert, gleichermaßen legitim. Acht, neun Portugiesen dieser kuriosen Sekte hat man jedoch verbrannt.“

Soweit zur katholischen Wahrheit. Und mancher Weihbischof würde vielleicht so etwas gerne auch heute noch zur Anwendung bringen. Und deshalb kann ich es auch nachvollziehen, dass larmoyantes Gejammer darüber, dass katholische Meinungen zur Verwerflichkeit der homosexuellen Sexualität demnächst allgemeingesellschaftlich nicht mehr erlaubt sind, den betroffenen Homosexuellen aus den benannten historischen Gründen jahrhundertelanger Diskriminierung vollständig egal sind.

Peinlich finde ich es, wenn jemand sich bzw. die katholische Kirche dezidiert lobt, weil man tolerant sei und die Ansichten des Gegenübers zur Kenntnis nehme und im gleichen Atemzug das Gegenüber als „LGBT-Lobby“ beschimpft. Ich vermute, der Weihbischof weiß gar nicht, dass Worte wie „Homo-Lobby“ oder „LGBT-Lobby“ herabsetzend sind, weil sie die Verteidigung von Menschenrechten zu bloßen Interessenvertretungen wie bei Wirtschaftsverbänden herabwürdigt.

Die Geschichte dieser bezeichnenden Herabsetzung beginnt in den Zeiten der amerikanischen McCarthy-Ära mit dem Wort „Homintern“, um die Homosexuellen als dem Kommunismus analoge Gefährdung der Gesellschaft darzustellen. Dann wurde der Begriff variiert in „Homo-Mafia“ mit erkennbar gleichen Zielen. Und spätestens seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts heißt es nun „Homo-Lobby“. Das soll einen soll einen zugleich macht- wie geheimnisvollen Einfluss der Schwulen- und Lesbenverbände auf die herrschende Politik und die führenden Medien suggerieren. Es ist und bleibt aber schlicht eine Verschwörungstheorie und sollte als solche auch behandelt werden. Und es ist eine Verschwörungstheorie, die erkennbar auf die Zerstörung der sexuellen Selbstbestimmungsrechte einer minoritären Gruppe zielt. Der rhetorische Gestus bleibt der des „Man wird doch wohl noch sagen dürfen, dass Schwule Sünde praktizieren“. Nein, das sollte man nicht, es verletzt deren Menschenrechte.


Universität

Im gleichen Text beklagt der Weihbischof, dass es an den Universitäten keine Freiheit für differente Meinungen mehr gäbe:

Bis jetzt konnten wir kontrovers und anständig diskutieren, ohne tätlich angegriffen oder niedergebrüllt zu werden: Wo ist unsere Gesprächskultur und angebliche Toleranz geblieben? Universitäten sind keine Orte mehr für offener Diskurse, Objekitivitätsbemühung (Wissenschaftlichkeit) und Wahrheitssuche. Schonräume verhindern den offenen Diskurs.

Das ist schlicht Bullshit. Und zwar aus zwei Gründen.

Zum einen kann an den Universitäten immer noch im Rahmen der Freiheit von Forschung und Lehre gesagt und vertreten werden, was man an Erkenntnissen gewonnen hat. Mir ist im deutschsprachigen Raum noch kein Universitätsseminar begegnet, in dem das nicht der Fall gewesen wäre. Man hört in Universitätsseminaren ziemlich viel Unausgegorenes, aber es ist nicht verboten. Man wird nur aufgefordert, für seine Ansichten Argumente und Belege zu erbringen. Etwas ganz anderes sind Störungen des Universitätsbetriebes von ideologischen Gruppen, die Veranstaltungen zu sprengen suchen. Aber auch da muss man klar sagen, dass im Vergleich zu früheren bewegten Zeiten (selbst noch in den 80er- und 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts) die aktuellen Verhältnisse nun wirklich absolut harmlos sind. Ja, es gibt ab und an Forderungen kleiner sektiererischen Gruppen, die Meinungsvielfalt zu beschränken. Aber dies hat keine Bedeutung für die Universität. Man kann heute im deutschsprachigen Raum an den Universitäten und in den Seminaren alles vertreten, ohne dass man irgendwie bedroht würde. Allerdings muss man damit rechnen, dass es anders als vielleicht noch vor 60 Jahren, energische Gegenstimmen gibt, die keinesfalls nicken und sagen, was für eine interessante Position. Der Diskurs ist lebendiger und kontroverser geworden. Freilich kann ich überhaupt nicht sehen, dass im Mittelalter (Abaelard) und in der frühen Neuzeit eine tolerante Atmosphäre an den Universitäten geherrscht hätte, vor allem angesichts von ketzerischen Positionen. Die mittelalterliche Toleranz bezog sich ja nur auf kontroverse Themen innerhalb eines engen Diskursrahmens, nicht auf grundsätzliche Infragestellungen.

Das Zweite, was ich an der Beschreibung des Weihbischofs problematisch finde, ist das Unterschlagen der strukturellen Gewalt gegenüber Abweichlern und Andersdenken, die über Jahrhunderte an den Universitäten praktiziert wurde. Jeder kennt die Namen Eugen Drewermann und Hans Küng und ihre Kämpfe mit der „objektiven Wahrheit“ der katholischen Kirche. Aber ihre Namen sind ja nicht die einzigen. Gerd Lüdemann wäre auf evangelischer Seite zu nennen. Ich habe bei mehreren Professoren studiert, die eigentlich katholisch waren, aufgrund ihrer Ansichten aber an einer evangelischen Fakultät unterrichten mussten. Da lobe ich mir die kleinen Streitereien der Gegenwart, die nach kurzer Zeit vergessen sind und niemanden am Lehren hindern.


Ach ja, die Linken

In regelmäßigen Abständen macht IDEA (oder auch die Junge Freiheit) mit Hilfe des Forschungsinstituts INSA darauf aufmerksam, dass angeblich in Deutschland zu wenig gegen Linksextremismus getan werde. Das Mittel dazu ist eine Umfrage, bei der gefragt wird, ob die Befragten der Meinung sind, dass in der BRD zu wenig gegen Linksextremismus getan werde. Nun weiß jeder, dass gefühlte Bedrohungen noch keine realen Bedrohungen sind. Wenn alle Welt glaubt, man werde gleich von Terroristen ermordet, so entspricht das keineswegs der beobachtbaren Wirklichkeit. Verantwortungsvoller Journalismus würde die Leserinnen und Leser darauf hinweisen, dass zwischen gefühlter Vernachlässigung des Linksextremismus und konkreter Bedrohungslage eine extreme Differenz besteht. Wenn also die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten innerhalb eines Jahres sagen wir einmal um 39%, die der Körperverletzungen um 27% und die der Brandstiftungen ebenfalls um 27% zurückgehen würde und dennoch 56% der Bevölkerung sagen würden, Linksextremismus würde durch die Behörden nicht entschieden genug bekämpft, müsste man als Redaktion für Aufklärung sorgen.

Und wenn nun insgesamt 19.409 rechts-extremistische Straftaten 4.622 links-extremistischen Straftaten gegenüberstehen und die Befragten dennoch meinen, man müsse sich rechten und linken Straftätern gleich widmen, dann stimmt etwas im Gefüge unserer Gesellschaft nicht. Genau das ist es, was Rechte erreichen wollen. Wenn sechs Tötungsversuchen auf rechter Seite, keinem einzigen auf linker Seite gegenüberstehen, und man das für analog hält, dann hat man jedes Maß verloren. Ja, unbestritten gibt es bei Brandstiftung, Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und Widerstandsdelikten mehr Vorfälle im linksextremen Bereich. Deutlich ist aber auch, dass es sich vor allem um Delikte um Kontext von Demonstrationen handelt. Bei den Rechtsextremen überwiegen aber die gegen Leib und Leben gerichteten Straftaten. Und insgesamt begingen sie 2018 mehr als vier Mal (!) so viel Straftaten wie Linksextreme. Nach meiner Logik müssten mindestens dreimal mehr Beamte sich um Rechtsextreme kümmern als um Linksextreme.

Das Interessante an der Meldung bei IDEA ist nun, dass die Plattform zwar die Zahlen der Erhebung von 2019 wiedergibt, nicht aber darüber informiert, dass sie im Vergleich zu Erhebungen aus früheren Jahren deutlich gesunken sind. Da INSA diese Daten aber regelmäßig erhebt, kann deren Tendenz schnell nachgeprüft werden. So ist die Sorge der Bundesbürger allgemein um 7% gesunken. Das darzulegen scheint aber nicht im Interesse von IDEA zu sein. Hier ist man mehr an der pauschalen Warnung vor dem Linksextremismus interessiert, als an der Aufklärung der Verbrechen in der Gesellschaft.


Was sind schon Morddrohungen?

Die Kommentare unter den Meldungen bei kath.net nähern sich immer mehr dem Stürmer-Niveau. Das müsste einen bei „glaubenstreuen“ Katholiken eigentlich überraschen, aber irgendwie tut es das dann doch nicht. Man hat zudem allzu oft das Gefühl, kath.net lanciere manche Meldungen nur deshalb, damit die Kommentatoren ihren Dreck abladen können. Aktuell vermeldet kath.net, der Ratsvorsitzende der EKD habe in einem Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen gesagt, er bekomme seit seinem Engagement für ein Rettungsschiff für Flüchtlinge vermehrt Morddrohungen. Das mache ihm eigentlich keine Sorge für sich selbst, er finde aber die Verrohung des Stils bedenklich. Das ist die Meldung. Aber warum erscheint sie bei kath.net? Damit deren Leser sich über den Ratsvorsitzenden erregen und so zur Entsolidarisierung unserer Gesellschaft beitragen können? Dafür spricht einiges.

Ein Kommentator mit dem auffälligen Pseudonym Winrod findet nun, Mord­drohungen seien schlimm, aber nicht schlimmer als bei anderen. Nun kann man schon bezweifeln, ob wirklich viele Menschen Morddrohungen bekommen. Es werden wohl vor allem bestimmte Menschen sein, also in Flüchtlingsfragen Engagierte. 2019 waren es Politiker, Anwälte, Umweltaktivisten und Kirchenvertreter, die Morddrohungen erhielten bzw. in einem Fall eben auch wegen ihres Engagements für Flüchtlinge ermordet wurden. Die bemerkenswerte Menschenverachtung, die sich darin ausdrückt, der Ratsvorsitzende solle sich doch bitte nicht beschweren, andere bekämen doch auch Morddrohungen, ist eine barbarische Haltung gegenüber dem Rechtsgut Leben. Jede einzelne Morddrohung ist für den Empfänger fürchterlich. Und sie kann nicht relativiert werden, indem man sagt, das geschehe aber öfter. Auch ein Mord wird nicht weniger schlimm, nur weil es so viele andere Morde in unserer Gesellschaft gibt. Jeder einzelne Betroffene einer Morddrohung hat ein Recht auf Solidarität. Im konkreten Fall dienen die Morddrohungen dazu, einen Menschen mundtot zu machen. Er soll sich nicht mehr äußern und engagieren.

Den nächsten Kommentar halte ich für kriminell, er hat das Niveau des faschistischen Stürmers. Der Kommentator meint, wenn ein Mensch eine Morddrohung bekomme, sei das schlimm. Und dann kommt tatsächlich ein relativierendes „Aber“. Und dieses „Aber“ wird so gefüllt, dass der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche über Leichen zu gehen scheine. Ernsthaft? Indem Bedford-Strohm nun wirklich infam und zudem auch nur assoziativ kriminelles Verhalten unterschoben wird, wird zugleich Verständnis für die konkreten Morddrohungen gegen ihn geweckt. Das erinnert fatal an die Versuche des Stürmers, Juden zu kriminalisieren, um die Endlösung der Judenfrage voranzutreiben. Man könnte Angst bekommen vor dem rechten Rand des Katholizismus.


Splatter-Theologie

»Ich bin rot und hab's erwogen
Und behaupt es unverweilt!
Könnt ich, würd ich jeden köpfen,
Der nicht meine Meinung teilt!«
Gottfried Keller

Ein unrühmlich bekannter österreichischer Weihbischof echauffiert sich über die Verbrechen der Welt, genauer über: das globale Blutbad im Blutrausch der Welt. Er liebt trotz des ernsten Themas die schrägen Lyrismen, schreibt von schäumenden und berauschenden Blutströmen:

Mit Kain hat der Blutstrom begonnen, der seither durch die Weltgeschichte schäumend und die Täter berauschend fließt. Namen und historische Ereignisse bilden seine Seitenarme und erinnern an Tschingis Khan, an die islamische Eroberung im 7. Jahrhundert, an die chinesische Kulturrevolution, an den Mord an den Armenier, an Ruanda, an die Menschenopfer der Azteken, and die zwei Weltkriege, an Hitlers Shoa und Stalins Archipel Gulag. An Kambodscha und viele andere Täter, berauscht am Blut ihrer Opfer. Getrieben von Gier oder ihrer Ideologie. Hinzuzufügen ist der Schrei Nietzsches: Gott ist tot, wir haben ihn getötet. Gottesmord, der sich fortsetzt durch immer radikalere Gottlosigkeit der modernen, westlichen Welt, die Gott heute in seinen Geboten, in seiner Offenbarung, in seiner Schöpfung und in ihren Gesetzen, bekämpft mit den Methoden eines harten oder weichen (ohne KZ oder Gulag) Atheismus.

Was fällt dabei auf – abgesehen von der schier unerträglichen Wortwahl angesichts von so viel Leid? Offensichtlich kommen in der Aufzählung keine Christen vor, es sind die Mongolen, die Muslime, die Nazis, die Atheisten. Die Christenheit bleibt außen vor. Dabei ist der Blutstrom der Ungnade, den das Christentum über die Welt gebracht hat, der längste und kontinuierlichste. Man muss nicht an das Deus lo vult denken und an die Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter, bei der man nach der legendarischen Überlieferung im Blut auf den Straßen waten konnte.

Es reicht, an die Bartholomäusnacht mit bis zu 20.000 Opfern zu denken, an den dreißigjährigen Religionskrieg in Europa mit vier bis acht Millionen Opfern. Das Christentum ist ohne seine Opfer nicht zu denken. Und selbst dort, wo man selbstgefällig auf die Anderen verweist, ist man doch auch Beteiligter. Stalin ist in einem orthodoxen Priesterseminar ausgebildet worden, Hitler war bis zu seinem Lebensende Katholik. Abstrakt von Ruanda zu sprechen, ohne die beteiligten Konfessionen zu benennen, ist Geschichtsklitterung. Die Bomben auf Nagasaki und Hiroshima fielen nicht einfach vom Himmel, sondern wurden von einem christlich geprägten Staat abgeworfen. Und nein, es ist nicht Hitlers Shoa, sondern die von Deutschen verantwortete Shoa, so leicht kann man Deutsche und Österreicher nicht exkulpieren. Die, die die Konzentrationslager in Funktion erhielten, waren nicht seelenlose Maschinen, sondern allzu oft eben: Christen. Und heute sind es wieder Menschen, die sich in Europa auf das christliche Abendland berufen, um ganze Bevölkerungsgruppen als Fremde zu jagen und zu vertreiben. Das Christentum hat die Menschen nicht daran gehindert, die größten Verbrechen zu begehen.

Aber der Weihbischof zielt natürlich auf etwas anderes. Er möchte die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte relativieren, indem er ihnen ein angeblich viel größeres Verbrechen der Menschheit gegenüberstellt: den Schwangerschaftsabbruch. Das ist unsäglich, so was zu schreiben, ist selbst ein intellektuelles Verbrechen. Es etikettiert Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen, als „Mörderinnen“, die einem „Blutrausch“ erlegen sind. Das zu behaupten ist schlicht pervers. Und es widerspricht der Rechtsprechung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 20. 09. 2018 Urteile des Deutschen Bundesverfassungsgerichts bestätigt: Man darf Schwangerschaftsabbrüche nicht mit dem Holocaust vergleichen und die ausführenden Ärzte nicht als "Mörder" diffamieren. Es ist damit schlicht verboten, hier herrscht aus grundsätzlichen Erwägungen keinesfalls Meinungsfreiheit. Alles andere würde, wie das EGMR zu Recht ausführt, zu Mord und Totschlag führen. Aber ein Weihbischof muss sich in seinem Furor ja nicht an Gesetze halten, er wird sich auf sein Gewissen berufen, das ihm nahelegt, abtreibende Frauen und ihre behandelnden Ärzte weiterhin als ‚MörderInnen‘ zu bezeichnen. Auf Jesus Christus wird er sich dabei freilich nicht berufen können. Der pflegte einen anderen Umgang mit Menschen.

Aber der Weihbischof geht noch viel weiter, man muss nur genau lesen, was er von sich gibt:

Und dann begann 1973 das nächste Blutbad, den Zahlen nach größer als alles, was es gab, unter dem Schutz und dem Druck von Heuchelei und legitimierter Lüge. Es begann in den USA mit dem Grundsatzurteil "Roe versus Wade", durch das in den USA Abtreibung legitimiert wurde. Inzwischen folgten fast alle Staaten der Welt den Amerikanern, auch unter Druck und mit Hilfe von unbeschreiblich viel Geld. … Die Gesetzeslage führte dazu, dass jedes Jahr Millionen von Kindern weltweit ermordet werden

Das ist schlicht rechtsradikale Propaganda, es ist die Meme von der weltweiten Verschwörung des Finanzkapitals zur Bevölkerungssteuerung. Heute sind alle rechtsextremen Seiten voller Hetze gegen George Soros und sein Programm. Selbst die katholische Plattform kath.net kann in klassisch antisemitischer Manier Texte titeln mit Überschriften wie „Millionen von George Soros für die Tötung von Ungeborenen“ und schreiben: „Soros soll bis jetzt insgesamt 14 Milliarden gespendet haben, um die sogenannte liberale Agenda bei Themen wie Abtreibung und Immigration zu pushen. Auch soll er direkt mehr als 100 Millionen US-Dollar investiert haben, um ‚liberalen Journalismus‘ zu unterstützen.“ Genau so schreiben Rechtsradikale. Der Weihbischof vermeidet allerdings die direkte namentliche Adressierung, er raunt „von unbeschreiblich viel Geld“, das hinter all dem stünde, aber er meint das Gleiche. Es ist und bleibt eine Verschwörungstheorie. Vor 150 Jahren hätte er noch von den „Weisen von Zion“ oder den „Freimaurern“ geraunt, heute geht es gegen die Open Society Foundations und deren Gründer. Zutreffender wird es dadurch nicht. Und es geht so weiter und weiter, im Tonfall kaum zu überbieten:

Aber wie beim Holocaust, er lässt sich nicht leugnen, auch die legitimierte Abtreibung wird sich nicht leugnen lassen, es wird das ‚wir taten es‘ in der Geschichte bleiben … Der Geist der großen und kleineren Mörder lebt weiter und mordet ohne Unterlass. Während man die Erinnerung vor allem an den Holocaust wach hält, geht der neue große Mord an den ungeborenen Kindern weiter und weiter und ihren Müttern will man verbieten zu leiden an ihrer Erinnerung an das, was sie getan haben und sie nicht vergessen können.

Man könnte all das für ganz und gar lächerlich und unendlich peinlich halten. Es desavouiert seinen Schreiber. Es schützt kein einziges Menschenleben, sondern hetzt nur gegen die betroffenen Frauen und Familien, indem sie als Mörder bezeichnet werden. Der Logik, wenn Abtreibung verboten wäre, gäbe es sie nicht mehr, wird kein Mensch mit Verstand folgen. Vernünftig ist es dagegen, eine Lösung zu suchen, bei der es die wenigsten Leidtragenden gibt. Und die Antwort wird lauten: sexuelle Aufklärung, soziale Absicherung und Verhütung. Daran hat der Weihbischof aber kein Interesse. Ihm geht es um seine kalte abstrakte Wahrheit – koste sie, was sie wolle. Aber ihn kostet es ja nichts.

Dass die Lebensschützer-Industrie nun endgültig in das politische Lager gewechselt ist, erkennt man daran, dass sie stolz verkündet, 52 Millionen Dollar für die Unterstützung der Wiederwahl von Donald Trump zur Verfügung zu stellen. Lebensschutz ist somit zu einem parteipolitischen Programm geworden. Dabei geht es überhaupt nicht um den Schutz von Leben. Die gegenwärtige US-Regierung tötet Zivilisten ohne Unterlass und Beschuldigte ohne Rechtsprozess. Da ist sie nicht zimperlich. Aber die Lebensschützer interessiert das internationale Recht nicht, sie verfolgen nur ihr Programm. Und da bedient Donald Trump ihre Interessen – im Interesse seiner Wiederwahl. Heute folgen Evangelikale und Katholiken in den USA der gleichen Logik, mit der Protestanten 1933 auf Adolf Hitler setzten: weil sie nämlich hofften, so mehr Einfluss im politischen Geschehen zu bekommen. Das Ergebnis kennen wir.

Wenn Lebensschutz aber zur reinen Propaganda geworden ist, erklärt es auch, warum nun eine derartig exzessive Wortwahl gewählt wird. In der Propagandaschlacht sind scheinbar alle Mittel erlaubt, der Zweck heiligt die Mittel. Und genau deshalb faseln die Splatter-Theologen vom globalen Blutbad im Blutrausch der Welt.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/122/am677.htm
© Andreas Mertin, 2019