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Ich fokussiere mich in dieser Kolumne, das Projekt Netzteufel der Evangelischen Akademie Berlin als Anregung aufgreifend, auf Meldungen und Leserkommentare der Plattformen idea und kath.net. Weiterhin bleibt diese Kolumne eine ironische und satirische Kolumne. Auch wenn ich die Kritisierten beim Wort nehme, kann ich sie dennoch nicht ernst nehmen. Sie sind und bleiben ein Element der Kategorie Realsatire.
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BRD 97% 2008 |
NRW 89% 1783 |
Köln 15% 0311 |
BRD 93% 3222 |
NRW 35% 1174 |
Köln 5% 0159 |
Nun zeigt sich, dass in der Gegenüberstellung der Äußerungen aus dem engeren Bereich des Bistums die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (1.783) sich gegen Woelki wendet und sich gut ein Drittel weniger (1.174) für ihn aussprachen. Aus der Stadt Köln äußern sich 311 gegen Woelki, 159 für ihn. Verkehrte Welt. Man könnte sogar von einer süddeutschen Stimmungsmache sprechen. Allein 710 Stimmen für Woelki kommen aus Bayern, 406 aus Baden-Württemberg, 120 aus Österreich, 38 aus der Schweiz.
Aber wie gesagt: Derlei Petitionen sagen überhaupt nichts zur Sache selbst aus. Sie haben weder etwas mit Lehramtstreue, noch mit Kirchenkritik oder mit Zeitgeist zu tun.
Sie geben nicht einmal eine Stimmung wieder. Sie sind völlig willkürlich und beliebig.
Und so bleibt es dabei: die schweigende Mehrheit sagt: nichts.
Manchmal ist man doch überrascht, wie es rechten Plattformen gelingt, durch Framing und Neusprech ein Ereignis in unserer Welt in sein Gegenteil zu verkehren. Aktuell meldet die rechte Plattform kath.net unter Berufung auf lifesitenews, dass ein US-Berufungsgericht es dem Konzern Youtube erlaubt habe, Menschen zu diskriminieren.
Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein, als diese Interpretation des Urteils. Es ist ein perfektes Beispiel für jene Form des „Doublethink“, das George Orwell in „1984“ beschreibt:
„[Winston Smiths] Gedanken schweiften in die labyrinthische Welt des Zwiedenkens (Doublethink) ab. Zu wissen und nicht zu wissen, sich des vollständigen Vertrauens seiner Hörer bewusst zu sein, während man sorgfältig konstruierte Lügen erzählte, gleichzeitig zwei einander ausschließende Meinungen aufrechtzuerhalten, zu wissen, dass sie einander widersprachen, und an beide zu glauben; die Logik gegen die Logik ins Feld zu führen; die Moral zu verwerfen, während man sie für sich in Anspruch nahm; zu glauben, Demokratie sei unmöglich, die Partei jedoch die Hüterin der Demokratie; zu vergessen, was zu vergessen von einem gefordert wurde, um es sich dann, wenn man es brauchte, wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, und es hierauf erneut prompt wieder zu vergessen; und vor allem, dem Verfahren selbst gegenüber wiederum das gleiche Verfahren anzuwenden. Das war die äußerste Spitzfindigkeit: bewusst die Unbewusstheit vorzuschieben und dann noch einmal sich des eben vollzogenen Hypnoseaktes nicht bewusst zu werden. Allein schon das Verständnis des Wortes Zwiedenken setzte eine doppelbödige Denkweise voraus.“ (George Orwell, 1984]
Soweit George Orwell in „1984“. Um was geht es aber im vorliegenden Fall? Ein Youtube-Kanal mit dem irreführenden Titel Prager University (die aber mit dieser nichts zu tun hat und auch keine Abschlüsse und Titel verleihen kann) war von Youtube aus dem Werbeprogramm, nicht aber von der Plattform geschmissen worden; zwei Videos waren gelöscht worden, weil sie verstörende Inhalte für ein potentiell jugendliches Publikum enthielten. Der Youtube-Kanal PragerU richtet sich gezielt an Jugendliche und verbreitet Meldungen der religiösen Rechten Amerikas, u.a. zu Abtreibungen, aber auch diverse Verschwörungstheorien. Der Kanal klagte nun gegen Youtube wegen der Verletzung des 1. Zusatzartikels zur amerikanischen Verfassung. Dieser garantiert die Meinungsfreiheit und verbietet dem Staat, Menschen aufgrund von Rasse, Religion etc. zu diskriminieren. Der 1. Zusatzartikel bindet jedoch nur Staat und Kommunen, nicht private Institutionen oder einzelne Menschen. Das war jedem klar, nur nicht den religiösen Rechten.
PragerU argumentierte nun, aufgrund seiner Monopolstellung käme Youtube eine staatsähnliche Funktion zu und deshalb käme für die Firma auch der 1. Zusatzartikel in Anschlag. Das hat das Gericht verneint. Übrigens nicht zu ersten Mal, bereits die Vorinstanz hatte vollkommen analog geurteilt. Das Gericht hat keinesfalls gesagt, man darf diskriminieren, es hat auch die diskriminierenden Äußerungen der Youtube-Kanal-Betreiber nicht bewertet, sondern nur den Geltungsbereich des 1. Zusatzartikels bestimmt. YouTube seinerseits hat in einem Statement klargestellt, dass die Videos des Kanals “weren’t excluded from Restricted Mode because of politics or ideology”. Es ging vielmehr um den Schutz Jugendlicher.
Aus der Nichtanwendbarkeit des 1. Zusatzartikels auf Privatfirmen nun den Schluss zu ziehen, diese dürften nun Diskriminierungen vornehmen (gemeint ist: die religiöse Rechte diskriminieren), ist absurd. Es ist ein deutliches Beispiel für ‚Neusprech‘. Gerade weil es Diskriminierungen verhindern und den Jugendschutz einhalten wollte, war Youtube gegen den Kanal von PragerU vorgegangen. Nach Auffassung von Youtube und nach seinen Regeln gehört es nicht zu den „Grundrechten“ eines Kanals, andere auf einem Kanal zu diskriminieren oder offensiv anzugehen. Zwar geht die amerikanische Verfassung in Meinungsfragen sehr weit, aber in bestimmten Fragen setzt sie dann aber doch Grenzen. Aber wie gesagt, darum ging es hier gar nicht. Sondern nur darum, ob eine private Firma hier den Regelungen unterliegt, die für den Staat gelten, oder ob sie zu diesen Fragen eigene Regeln aufstellen darf. Und hier waren alle bisher erfolgten Rechtsentscheidungen eindeutig.
In Deutschland haben wir regelmäßig ein ähnliches Phänomen, wenn Vertreter rechter Propaganda meinen, es handele es sich um Zensur, wenn Facebook oder Twitter ihre kruden Thesen und Theorien oder gar ihre Hasspropaganda einschränken. Der Bevölkerung soll vermittelt werden, wenn man nicht alles sagen dürfe, dann läge schon eine Zensur vor. Auch religiöse Rechte argumentieren so, wenn sie ihr Recht auf Diskriminierung Homosexueller aus dem Recht auf freie Religionsausübung ableiten.
Mit dem Zweisprech aus Orwells „1984“ verbindet die kath.net-Meldung noch etwas anderes. Kath.net insinuiert ja, dass eine Organisation wie Youtube und deren Muttergesellschaft an das Diskriminierungsverbot, dass dem Staat auferlegt ist, gebunden sei. Überträgt man diesen Gedanken auf die institutionelle Diskriminierung, die darin besteht, dass in der katholischen Kirche Frauen grundsätzlich nicht Priester werden können, obwohl das Grundgesetz die Diskriminierung von Menschen aufgrund des Geschlechts verbietet, dann wäre es ja interessant, ob kath.net hier ebenfalls einen aufzuhebenden Tatbestand anerkennt. Wenn man Youtube zwingen will, nach den Regeln zu spielen, die für Staatsorgane gelten, warum dann nicht auch die Kirche? Aber es gehört ‚natürlich‘ zu den Religionsrechten, andere Menschen zu diskriminieren.
Ich weiß nicht, wie viel Alkohol man in sich aufgenommen haben muss, um folgende Sätze von sich zu geben:
Die katholische Tradition atmet die frische Luft der ewigen Wahrheit. Der dekonstruktivistische Modernismus trägt in sich den Pesthauch des endgültigen Bedeutungsverlustes.
Wenn man so etwas schreibt, kann man noch nicht richtig zugedröhnt sein, weil erkennbar und bemüht artifiziell ein sprachlicher Parallelismus aufgebaut wurde:
katholisch |
Tradition |
atmen |
frische Luft |
ewig |
Wahrheit |
dekonstruktivistisch |
Modernismus |
in sich tragen |
Pesthauch |
endgültig |
Bedeutungsverlust |
Gleichzeitig muss man aber schon so viel intus haben, dass man nicht mehr merkt, welchen hanebüchenen Unsinn man da zu Papier bringt. Das wird deutlich, wenn man die Zeitschichten untersucht, denen die einzelnen Begrifflichkeiten entnommen wurden.
Opponierende Begriffe wie „Tradition“ versus „Modernismus“ entstammen der binnenkatholischen Diskussion der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einer Zeit also, als es die philosophisch-literarische Richtung der Dekonstruktion noch gar nicht gab. Die Bezeichnung Dekonstruktivismus als Denunziation der Dekonstruktion ist sogar noch späteren Datums. Für den sogenannten Modernismus kann die Dekonstruktion daher kaum verantwortlich sein. Vielleicht meinen manche, der „Modernismus“ sei nach dem II. Vatikanum auch noch in dekonstruktionistischer Perspektive erweitert worden, aber dafür sollte man dann doch auch Beispiele nennen. Deutsche Bischöfe, wie es der Autor obiger Zeilen insinuiert, fallen mir dazu nicht ein, nur französische Theologen und Philosophen haben mit diesem Gedanken gespielt.
„Pesthauch“ dagegen ist unter der Bezeichnung „Miasma“ einer der fatalsten Irrtümer der Menschheit. Man verstand darunter nämlich „krankheitsverursachende Materie, die durch faulige Prozesse in Luft und Wasser entsteht“ (Wolfgang Wegner). Nicht Bakterien, von denen man noch nichts wusste, sondern der „Pesthauch“ sollte angeblich die Pest auslösen. Wer also heute von Pesthauch in diesem Sinne spricht, der indiziert, dass er nur ein Symptom, nicht die Ursache bekämpfen will. Auf den oben zitierten Satz angewendet, bedeutet dies, dass der Bedeutungsverlust nicht durch den „Modernismus“ ausgelöst wird, sondern nur ein Symptom des Bedeutungsverlustes ist, der anders in der Regel gesamtgesellschaftlich verursacht ist. Aber das scheint dem Autor der obigen Zeilen nicht bewusst zu sein.
In Deutschland kann man dagegen das Wort „Pesthauch“ nach 1945 nicht mehr unbefangen nutzen auch wenn das unverdrossen weiter geschieht. Das Problem des Wortes liegt darin, dass es unter den Nationalsozialisten zum Denunziationswort für Juden wurde. 1944 schreibt Robert Ley, der Reichsleiter der NSDAP, sein antisemitisches Machwerk: Pesthauch der Welt. Und er rekurriert auf den mittelalterlichen Gebrauch des Miasmas als Ursache für das Leiden der Menschen. Und das macht er mit Worten, die den oben zitierten dualistischen Zeilen verblüffend ähnlich sind. Im Vorwort seines Pamphlets schreibt Ley (hier zitiert nach der englischen Übersetzung, da mir die deutsche Ausgabe im Moment nicht zugänglich ist):
This war is a battle between worldviews, and the side that has the strongest faith will be victorious. Only he who is convinced of the justice of his cause, and who in fact has justice on his side, who acts reasonably and correctly, who recognizes and follows the laws of nature, can have the strongest faith. All natural life is eternal battle, and battle is the father of all things. Battle, however, is possible only between two opposing poles and powers. Mankind has named these battling worlds "good" and "evil," "God" and "Satan," "noble" and "crude," "construction and destruction," "life" or "death."
Auf der einen Seite die glaubensstarke Seite, die die Wahrheit vertritt und auf der anderen Seite das Böse, der Satan, das Rohe, die Destruktion und der Tod. Wenn man es liest, mag man die Koinzidenz kaum glauben. Wort für Wort wiederholt sich hier ein Argumentationsschema der Nazis, nur dass es nun nicht die Juden sind, die der ewigen Wahrheit gegenübergestellt werden, sondern jene Kirchenmitglieder, die für die Modernisierung der Kirche eintreten.
Und das ist schon deshalb bemerkenswert, weil im ‚traditionellen‘ katholischen Glauben die Pest ein von Gott(!) gesandtes Schicksal ist, wie diverse Pestbilder des Mittelalters zeigen. Auf dem nebenstehenden Fresko aus St. Prokulus im Vinschgau sieht man, wie Gottvater die Pestpfeile schickt, während Christus und Maria sie mit ihren Schutzmänteln abwehren.
Erst im modernen, eher naturwissenschaftlich orientierten Denken, konnte die Pest als bakterienbedingte Krankheit wahrgenommen werden.
Erst diese moderne Erkenntnis setzte den Begriff „Pesthauch“ frei für seinen metaphorischen Gebrauch. Und hier schlugen nun die Nationalsozialisten zu, die die Juden als „Pesthauch der Welt“ bezeichneten so wie der Autor der obenstehenden Zeilen die angeblichen Dekonstruktivisten als Pesthauch der katholischen Kirche bezeichnet.
Was will aber der Autor der obigen Zeiten überhaupt den Leser*innen vermitteln? Er versucht ihnen nahezubringen, dass die liberaleren Bistümer in Deutschland den Untergang der Kirche bedeuten:
Bistümern wie Osnabrück, die der Ansicht sind, in einer weiteren Modernisierung liege die Zukunft der Kirche, werden sehr schmerzhaft, im schlimmsten Fall sogar durch Untergang, lernen müssen, dass der Modernismus in dieser Form verderblich ist. Der galoppierende Relevanzverlust, der sich in progressiv steigenden Austrittszahlen zeigt, sollte ein Aufwachen auslösen. Derzeit sieht es in der Tat danach aus, als liege die Zukunft der Kirche allein in der Tradition. Dort nämlich, wo Menschen ohne Belästigung durch eine blasphemische Zweinullerideologie katholisch sein dürfen, ist Wachstum zu verzeichnen.
Das sind nun Thesen, die sich leicht überprüfen und widerlegen lassen, indem man auf die Kirchenstatistik schaut, die aufgeschlüsselt nach Bistümern die Austrittszahlen verzeichnen. Danach hat das Bistum Osnabrück 2018 eine Austrittsquote von 0,65% (und gehört damit zusammen mit Paderborn und Münster zu den Bistümern in Deutschland mit den geringsten Austrittszahlen), das Bistum Regensburg von 0,71%, das Bistum Würzburg von 0,88%, das Bistum Eichstätt von 0,97% und das Bistum Augsburg von 1%. An der Spitze stehen Bistümer, die vor allem in Stadtstaaten liegen (Hamburg 1,74%, Berlin 1,98% sowie München und Freising mit 1,33%). Einen Zusammenhang zwischen der Theologie eines Bistums bzw. eines Bischofs und der Neigung seiner Schäfchen zum Kirchenaustritt ist aus diesen Zahlen nicht ablesbar. Der Autor kann seine denunziatorischen Thesen nur deshalb vertreten, weil er die realen Zahlen nicht benennt. Er spekuliert auf Zahlen, die noch kommen sollen, die aber noch unbekannt sind sowohl in Osnabrück wie in Würzburg oder anderswo. Wachstum gibt es in keinem deutschen Bistum und wird es auf absehbare Zeit nicht geben, ganz unabhängig davon, welche ewigen Wahrheiten in ihm verkündigt werden. Die Piusbrüder, die dem Autor vielleicht vorschweben, bilden aber nun gerade keine Kirche, kein Bistum, sondern sind nach altem Sprachgebrauch eine traditionalistische Sekte ohne kanonischen Status in der römisch-katholischen Kirche. Deren Wachstumsprozesse haben aber mehr mit fundamentalistischen Ängsten in einer globalisierten Welt als mit dem Erfolg ihres Glaubens zu tun. Nicht weil sie die Alte Messe propagieren oder die offene Gesellschaft angreifen, sind sie erfolgreich, sondern weil sie sich gegenüber der Welt einigeln und ihren Anhängern Wärme versprechen, indem sie Kälte nach außen propagieren. Dies kann niemals das Modell einer Weltkirche sein. Man kann es eher als Teil jener Verhaltenslehren der Kälte (Helmut Lethen) verstehen, die den Einzelnen gegen die wahrgenommenen Unsicherheiten der Welt immunisieren sollen. Aber geschlossene Ideologie war noch niemals eine Lösung.
Abseits der schwarzen Kanäle, ideologisch aber ähnlich argumentierend, heute etwas zu einem Kabarettisten, der sich gerne über Muslime, Greta Thunberg oder eben den Corona-Virus echauffiert. Er redet gerne über vieles, von dem er nicht viel versteht. Das mag bestimmten Lehrertypen eigen zu sein, aber im konkreten Fall ist es schlicht fahrlässig. Worum geht es? Zurzeit untersagen zahlreiche Landesregierungen Massenveranstaltungen, an denen über 500 oder auch 1000 Menschen teilnehmen. Das ärgert die Protagonisten der Kulturindustrie, die gerne auch in epidemischen Zeiten mit ihren Produkten Geld verdienen möchten. Ihnen ist die Gefährdung von (älteren) Menschen offenbar egal, die Motivation der staatlichen Organe in Deutschland und Österreich interessiert sie nicht, sie schauen nur auf ihre Kohle. Deshalb twittert Dieter Nuhr:
„Wir haben eine Erkrankungsrate von 0,0001 Prozent der Bevölkerung. Also ich würde gerne einfach auftreten am Wochenende …“
Nuhr behauptet zunächst also, auf eine Million Einwohner käme nur ein Erkrankter. Und deshalb wolle er einfach weiter auftreten und zwar am 13.03. in Hagen/Westf. und zwei Tage später in Wien. Nun kann sich zum einen die Zahl genauer anschauen, die Nuhr da twittert, zum anderen überlegen, warum die Behörden wohl Großveranstaltungen wie seine mit etwa 1600 Besuchern untersagen. Ersteres leistet die linke Tabelle unten, die die konkreten Erkrankungszahlen von Hagen, Deutschland, Österreich und Wien mit der Angabe von Nuhr in Vergleich setzt. Das andere leistet eine Kurve epidemischer Verläufe, die Greta Thunberg am gleichen Tag auf Instagram publizierte und die zeigt, was hinter den Befürchtungen bei Großveranstaltungen steckt und mit welcher Hoffnung man sie verbietet:
Im Blick auf seine Auftrittsorte Hagen und Wien liegt Nuhr für den Tag seines geplanten Auftritts um den Faktor 26 bzw. 30 falsch, bezogen auf NRW sogar um den Faktor 91. Das heißt: von einer Million Einwohner sind in Nordrhein-Westfalen 91 am Virus erkrankt und nicht nur einer, wie Nuhr behauptet. Nun könnte man sagen, er habe ja auch drei Tage vorher getweetet, aber dass die Kurve exponentiell steigen würde, war auch schon da bekannt. Nur pure Ignoranz kann davon absehen.
Was Nuhr offenbar überhaupt nicht versteht, ist die Intention bzw. Funktion des Veranstaltungsverbots. Es geht darum, Menschenleben zu retten, Menschen mit Vorerkrankungen und mit gehobenen Alter davor zu bewahren, ihr Leben zu verlieren und das nur wegen einiger unterhaltungssüchtiger Vollidioten, denen es egal ist, welche Konsequenzen ihr Verhalten haben könnte, weil sie ja nicht entsprechenden Letalitätsrisiken unterliegen. In einem Berliner Club mit deutlich weniger Besuchern, als die Veranstaltungen wie Nuhr haben, wurden später 30 Personen als infiziert diagnostiziert. Wenn diese 30 Personen in den Tagen danach je drei Personen anstecken, dann sind wir bei 90 Infizierten, dann bei 270, 810, 2430 usw. usf. Von diesen Menschen werden die allerwenigsten schwer erkranken, aber 10% gehören vielleicht zu den Menschen mit Vorerkrankungen und Immunschwächen. Die müssen das dann ausbaden.
In Mülhausen hat eine evangelikale Gemeinschaft eine Fastenwoche gefeiert. Das Ergebnis:
Der maßgebliche Teil der Infizierten im Südelsass hat sich nach Erkenntnis der Behörden während einer Fastenwoche in der protestantischen Freikirche "Porte ouverte chrétienne" Mitte Februar in Mulhouse-Bourtzwiller angesteckt. Der Raum Mulhouse gilt deshalb als einer der wichtigsten Infektionsherde für das Coronavirus in Frankreich. An dem mehrtägigen Treffen der Freikirche hatten pro Tag mehrere Hundert bis zu mehr als 2000 Menschen aus ganz Frankreich, aus französischen Überseegebieten und nach Auskunft der Gemeinde auch aus der Schweiz und Deutschland teilgenommen. Von zahlreichen Infizierten aus anderen französischen Regionen ist bekannt, dass sie sich in Mulhouse aufgehalten hatten.
Um Derartiges zu verhindern, werden größere Veranstaltungen verboten. Das scheint Nuhr aber egal zu sein. Hauptsache das Geld fließt. Er wird sagen, die Risikogruppen bräuchten ja nicht in seine Veranstaltung kommen. Werden sie auch nicht. Aber in ihrem Alltagsleben können sie jenen Unterhaltungssüchtigen begegnen, die sich lieber anstecken als auf ihre Mitmenschen Rücksicht zu nehmen.
Am Eindrücklichsten ist ein mit Grafiken aufbereiteter Bericht der Agentur Reuters, der zeigt, wie eine einzige Frau aufgrund ihrer Uneinsichtigkeit über 1000 Menschen ansteckte. Zwei Mal hat sie in dieser Zeit Großveranstaltungen aufgesucht. Bei einer angenommenen Letalitätsquote von 2 bis 3 Prozent, wäre sie in der Konsequenz dann fahrlässig für 20 bis 30 Tote verantwortlich.
Dass so etwas geschehen kann, wusste man aber schon zu der Zeit, als Dieter Nuhr fröhlich vor sich hin twitterte wohl wissend, was das auslösen würde. Aber selbst, wenn er sich nun darauf berufen wollte, dass er von der Sache als Nicht-Virologe ja keine Ahnung habe, so ist er als Person des öffentlichen Lebens aber in einer besonderen Verantwortung. Da will jede Äußerung bedacht sein. Ich habe nicht das Gefühl, dass Nuhr hier wirklich nachgedacht hat. Er dachte nur an sein Geld. Am 19.03. gibt Nuhr in seiner Sendung zu: "Viele haben diese Krankheit unterschätzt, ich übrigens auch, um es ganz deutlich zu sagen." Diese Erkenntnis kommt freilicich genau eine Woche zu spät.
Zurück zu kath.net. Ein scheinbar durchgeknallter, vielleicht aber nur unendlich naiver Schweizer Weihbischof meint, am Weihwasser und an den gewandelten Elementen der Eucharistie könne man sich nicht anstecken. Denn nach der Wandlung seien letztere ja de facto der Leib des Herrn, weswegen sie unmöglich die Gläubigen anstecken können. Er nennt so etwas Glauben, ich nenne es Wahnsinn. Er verweist auf das Wasser von Lourdes, in dem ja auch viele Kranke baden würden, ohne dass sich jemand ansteckt. So unbeleckt muss man schon sein. Das Wasser von Lourdes wird von den Behörden stark gechlort, enthält deshalb keine Bakterien und kommt so schon als Argument nicht in Frage. Weihwasser wird dagegen nicht gechlort und enthält deshalb in der Regel ein Vielfaches der Keime, die normalerweise zulässig wären. Und die Hände der Priester und der Gläubigen werden vor und während der Messe eben nicht kontrolliert. Und es braucht nur einen, der alle anderen dann ansteckt Elemente hin oder her.
Denn gibt es in der jüngsten Corona-Krise zwei Hotspots, von denen Gefährdungen für die Umwelt ausgehen: das eine sind die Clubs und die Party-Szene, das andere sind religiöse Veranstaltungen. Wenn Gott die Seinen kennt, dann verschont er sie offenkundig nicht, sondern sucht er sie mit Vorliebe aus. In Mülhausen wählte er ein charismatisches Treffen, das dann seine Viren über ganz Frankreich und nach Deutschland ausstrahlte. In Südkorea wählte er die Megakirche „Shincheonji Church of Jesus“, um den Virus möglichst breit unter die Leute zu bringen. Von 4800 Fällen des Coronavirus in Südkorea werden 60% dieser Megachurch zugeordnet. Aber auch Pfingstlertreffen gehören zu seinen Aktionsfeldern und selbst katholische Bischöfe nimmt er nicht aus. Dass Gott jedoch die Menschen verschonen würde, die er liebt, glaubt vermutlich auch der Bischof nicht. Das Land mit den meisten Fällen pro 1 Million Einwohner ist mit Abstand das katholische Italien, gefolgt von der bi-konfessionellen Schweiz, in der der Weihbischof lebt. Erst dann kommt das lutherische Norwegen, dann das katholische Spanien. Konfessionsspezifische Vorlieben scheint Gott nicht wirklich zu haben. Aber er lässt eben die religiösen Gebiete auch nicht aus, ganz im Gegenteil. In der barocken Predigtkultur war die Pest immer die Antwort Gottes auf die Sünden der Menschen. Das war, bevor man die Ursachen der Pest kannte.
Heute kennen wir auch die Übertragungswege des Corona-Virus und wissen, dass er sich durch die Wandlung nicht stoppen lässt. Wenn der Weihbischof es nicht glaubt, können wir gerne einen wissenschaftlichen Test starten virenbehaftetes Brot und Wein vor und nach der Wandlung. Ebenso wie beim Weihwasser werden sich auch hier die Viren nicht durch heilige Handlungen abschrecken lassen. Vor allem aber werden die Gläubigen, die sich beim Gottesdienstbesuch infiziert haben, nach dem Gottesdienst andere Menschen (Gläubige wie Ungläubige) anstecken, nur weil sie meinten, ihr eigenes Seelenheil pflegen zu müssen. Ob das wohl Gott gefällt?
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/124/am691.htm
© Andreas Mertin, 2020