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Kennen Sie das? Ihre Kinder haben sich am Wochenende irgendwo mit Smartphone und Tablet verkrümelt, sind in ihre Apparate vertieft und von nun an nicht mehr ansprechbar. Der Ruf zum Essen verhallt ohne Antwort, das energischere Nachhaken wird mit Worten quittiert wie: „Komme gleich, nur noch diese Runde.“ Aus einer weiteren Runde wird dann schnell noch eine und noch eine und noch eine Runde. Manchmal hilft am Ende nur noch der Entzug der Hardware, um das Spiel zu unterbrechen und einen Wiedereintritt ins analoge Leben herbeizuführen. Die Spiele, die unsere Kinder so zu fesseln vermögen, sind natürlich keine caritativen Initiativen, um Eltern eine ungestörte Zeitungslektüre zu ermöglichen. Es geht ums Geschäft. Was kostenfrei beginnt, mündet bald in das Angebot sogenannter In-App-Käufe.
Solche Spiele können süchtig machen, insbesondere Online-Spiele. Man kann sie Tag und Nacht spielen, nach der letzten Runde folgt mit Sicherheit eine neue Herausforderung und immer so weiter bis zur physischen Erschöpfung und darüber hinaus. Irgendwann wird der Spaß zur Sucht, zur Abhängigkeit vom ausgebufften Belohnungssystem des Spiels, mit dem die Entwickler die Gamer so lange wie möglich bei der Stange halten wollen. Seit 2018 ist Gaming Disorder eine offizielle Diagnose im Manual der Weltgesundheitsorganisation. „Ich würde sagen, gerade der Altersbereich der 14- bis 16-Jährigen ist besonders betroffen“, sagt der Kinder- und Jugendmediziner Franz Joseph Freisleder. „Hier müssen wir doch von circa vier Prozent Gaming-Süchtigen ausgehen, oder zumindest von erheblich riskantem Gamingverhalten." Wie bei den stofflich basierten Süchten kommt es bei den Spielsüchtigen zu Kontrollverlusten und Entzugserscheinungen. Alles kreist um das Spiel. Man liest von verzweifelten Eltern, abgebrochenen Ausbildungen, Verwahrlosung und Vereinsamung, ja sogar von Todesfällen aufgrund von tagelangem ununterbrochenem Spielen wird berichtet.
Wussten Sie, dass 80 Prozent aller auf YouTube gesehenen Videos von der Plattform selbst vorgeschlagen wurden? Offenbar lassen sich die User gerne fremdbestimmen und von der Plattform ohne Vorbehalte füttern. Die schöpft aus einem schier unendlichen Vorrat an Videos. Wer sich eine Zeit lang auf die grenzenlose Unterhaltung durch den Algorithmus einlässt, kann feststellen, dass die vorgeschlagenen Filme nicht unbedingt anspruchsvoller werden. Im Gegenteil. Sie werden lauter, auf Krawall gebürsteter, extremer. Das liegt an der Programmierung, die dahintersteckt. Denn der YouTube-Algorithmus folgt keinen Qualitätskriterien, sondern legt mit jedem neuen Vorschlag eine kleine Schippe Zuspitzung und Krawall drauf.
Um Werbung geht es auch bei Google. Damit verdient der Konzern aus dem Silicon Valley seine Milliarden. Nach außen gibt sich Google gern als Weltverbesserungsunternehmen, das u.a. an der Mobilität und der Medizin der Zukunft arbeitet. Im Kern ist es aber nichts anderes als eine Suchmaschine, die ihre Dollars mit personalisierter Werbung verdient und so dafür sorgt, dass immer noch mehr konsumiert wird. Dasselbe Ziel verfolgen Amazon und Netflix. Wer schon mal bei Amazon bestellt hat, kennt die Nachwirkungen: es werden beständig Produkte vorgeschlagen, die „andere Nutzer auch gut fanden“. Der erst 1994 gegründete Online-Händler machte im Jahr 2019 einen Umsatz von 280 Milliarden US-Dollar und ist nach Apple und Microsoft das drittwertvollste Unternehmen der USA. Der Gründer Jeff Bezos gilt heute mit einem Vermögen über 100 Milliarden Dollar als der reichste Mann der Welt. Für Kinder ist Amazon im Übrigen ein schier grenzenloser Spielzeugkatalog, der vom Lego-Set bis zum Halloween-Kostüm alles bieten kann, was das Herz begehrt, und mehr.
So kultivieren die neuen Digitalkonzerne eine Unkultur des unendlichen Konsums und bombardieren ihre User permanent mit Werbungen, Nachrichten, Vorschlägen und Anreizen. Und natürlich bitten sie auch ständig um Feedback, um ihre Algorithmen laufend verbessern zu können. Das fühlt sich ein wenig so an, wie sein eigenes Grab schaufeln. Okay, werden Sie vielleicht sagen, niemand muss da mitmachen. Das stimmt. Jede und jeder hat die Freiheit, den Aus-Knopf zu drücken. Aber das fällt offenbar schwer. Vielleicht wird es leichter, aus den Skinner-Boxen des digitalen Kapitalismus auszubrechen, wenn man seine Mechanismen durchschaut. Wie fanden Sie diesen Artikel? |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/124/jh35.htm |