Finis terrae

Dies ist die letzte Ausgabe der Kolumne „Die schwarzen Kanäle“. So notwendig die Kritik am Fundamentalismus in beiden großen Kirchen auch weiterhin sein dürfte, so unerträglich entwickelt sich dieser Rand der Kirche immer weiter nach rechts, weg von allen demokratisch tolerierbaren Perspektiven und wurde gerade im Kontext der Corona-Krise immer verschwörungstheoretischer. Mit Religion hat all das nichts mehr zu tun. Es ist schlicht eine Frage der Psychohygiene, sich nicht weiterhin Tag für Tag mit diesem stupenden Unsinn auseinanderzusetzen.

Die Rückkehr ins 19. Jahrhundert mit den Spekulationen über Freimaurer, die die Welt beherrschen und finanzstarken Institutionen und vor allem Personen, die die Fäden der Welt ziehen, ist zu geisteskrank, als dass man sich damit ernsthaft auf Dauer beschäftigen könnte. Da lese ich doch lieber die Romane von Umberto Eco, der im Foucaultschen Pendel und im Friedhof von Prag die gleiche Chose literarisch und aufklärerisch durcharbeitet hat. Es ist doch zum Verzweifeln, dass jene Phänomene, die Eco als typisch für die Leichtgläubigkeit der Menschen im 19. Jahrhundert beschreibt, im 21. Jahrhundert munter weiterverbreitet werden.

 „Don’t feed the troll“ heißt es in den Debatten des Internets immer und zunehmend bekam man den Eindruck, dass die Kritik der schwarzen Kanäle nicht zuletzt auch zum Weiterfortbestehen dieser Katastrophe beiträgt. Das muss nicht sein. Deshalb nun die letzten beiden Notizen zu diesem unersprießlichen Thema.


Todessehnsucht

Es fällt schwer, sich in den Tagen rund um das Osterfest 2020 mit der unverkennbaren Todessehnsucht katholischer Fundamentalisten, aber auch evangelikaler Narren ausein­anderzusetzen. Sie können es gar nicht erwarten, sich zu infizieren und danach andere in den Tod zu reißen. Sie preisen jeden Priester, der sich mit dem Virus angesteckt hat oder ihm erlegen ist, als wäre er ein Märtyrer des Glaubens. Sie polemisieren gegen jeden, der der Vernunft folgen und das Social Distancing beachten will, schmähen ihn als unchristlich und beharren darauf, dass es ein verbrieftes religiöses Recht sei, nicht nur an den wöchentlichen Zeremonien teilzunehmen, sondern auch die nicht-christliche Welt mit dem Corona-Virus zu infizieren. Denn das ist, so viel haben wir inzwischen aus der Corona-Epidemie gelernt, die nahezu unausweichliche Folge derartigen Verhaltens. Denn verschiedene Religionen und Konfessionen haben sich neben den Fußballfans und den Partygängern als die Superspreader der Krise erwiesen. Gottesdienste, religiöse Festivals, Kirchenkonzerte – sie alle haben Tausende von Menschen infiziert. In besonders verantwortungsloser Weise die orthodoxe Kirche Russlands.

Auffallend ist nun, dass die katholischen Traditionalisten sich einerseits die Subjektivierung der Religion zu eigen machen wollen (als religiöse Individuen Gottesdienst in der Kirche zu feiern), dies aber bewusst, ja strategisch gegen den Staat und die Gesellschaft als Verteidigung der überlieferten Religionsausübung durchsetzen möchten. Sie wollen den Staat (und darüber hinaus die Bischöfe und die Priester) zwingen, wider alle Vernunft an der Verbreitung des Virus teilzunehmen. Und sie stilisieren sich zu Opfern bzw. Märtyrern institutioneller Willkür, wenn ihnen dieses Recht einen Infektionshotspot zu bilden, verweigert wird. Sie stilisieren sich zu Opfern. Und Opfer sind ja in Zeiten von Pegida alle gerne. Vielleicht darf man aber gerade Traditionalisten daran erinnern, was historisch zum Umgang mit Seuchen gehörte. Dazu können wir uns ein Bild von Michel Serre über die Pest 1720 in Marseille anschauen. Es ist ein fürchterliches Bild, voller Leidender, Sterbender und Toter.

Wenn man in den Bildhintergrund zoomt, blickt man auf den Vorplatz der örtlichen Kirche und links daneben den kirchlichen Friedhof. Und ich vermute, die sich dort zeigende religiöse Kultur in Zeiten einer Seuche möchten die frommen Traditionalisten nicht re-etabliert sehen. Denn die Toten der Seuche werden alle vor dem Portal der Kirche abgelegt, um später auf dem Kirchhof vergraben zu werden. Und das erzeug­te auf dem Höhepunkt der Seuche durchaus jene Szenen, die wir rechts auf dem Bilddetail sehen: Berge von Leichen, Tote, die nicht angemessen beerdigt werden können, weil niemand mehr da ist, der dieses Werk der Barmherzigkeit tun könnte.

Das wäre, wie das Beispiel Bergamo zeigt, auch die Konsequenz, wenn wir aktuell dem Begehren nach Öffnung und Lockerung leichtfertig nachgeben würden. Vernünftig wäre es dagegen gewesen, zunächst einmal zu fragen, was wäre der Stadt Bestes, was dient dem Leben und dem Überleben der Menschen.


Ohne Kommentar (Zwei IDEA-Meldungen)


Ohne Kommentar - Immanuel oder Hermann (Leserkommentar taz-online)


Schwanengesang

„Ich aber meinte, es sei ächt christlich, die Frömmigkeit überall aufzusuchen
und unter welcher Gestalt es auch sei anzuschauen.“

200 Jahre ist es her, dass Friedrich Daniel Schleiermacher, einer der großen evangelischen Theologen, dies in einer der Auflagen seiner Reden über Religion geschrieben hat. Und immer noch gibt es Theologen in Deutschland, die diesen Gedanken auch nach 200 Jahren nicht einmal im Ansatz begriffen haben. Theologen, die jede Religion, die nicht Jesus Christus als Grundlage ihres Gedankengebäudes akzeptiert, als anti-christlich etikettiert. Ob es dabei um die Muslime, die Buddhisten, die Bahai oder die Juden geht, ist gleich. Alles antichristliche Bewegungen. Und so empört man sich, dass es die Vertreter christlicher Konfessionen in Deutschland überhaupt wagen, einem Aufruf von Papst Franziskus zu folgen, gemeinsam mit den Vertretern aller Religionen der Welt um ein Ende der Pandemie zu bitten. Unser wahrheitsliebender Theologe, ich meine konkret Helmut Matthies, aber hält daran fest, dass man niemals mit Andersdenkenden gemeinsam betet. Da ist er ganz biblisch: Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut! (Lukas 11, 23). Er findet es einen Skandal, wenn das Gebet von Moslems, Juden und Christen nicht dazu dient, Seelen zu sammeln. Vor 50 Jahren hätte man dies nicht getan und er unterstellt einfach, dass das damalige Handeln korrekt und das heutige falsch sei. Mich wundert nur, dass er nicht gleich 80 Jahre sagt, dann würde es noch verständlicher.

So aber sitzt er wie einst ein alter Blockwart an seinem Fenster nun vor seinem Monitor und führt Strichliste, wie oft der Name Jesus Christus in den interreligiösen Gebeten fällt. Gut ist für ihn nur, wer Christus benennt (der Vorsitzende der kath. Bischofskonferenz), schlecht ist, wer es nicht tut (die Vertreter des Protestantismus). Wenn diese pseudotheologische Symbolpolitik Christentum sein soll, wäre das Christentum eine lächerliche Religion. Matthies fragt nicht, ob Christus der Sache nach vorkommt, sondern nur, welches Stempelchen auf die Rede bzw. das Gebet gedrückt werden kann. Das erinnert an alte Späße, bei denen man Vertretern der Firma Coca-Cola Getränke von Pepsi-Cola, aber mit Coca-Cola Etikett, unterjubelte und sie um ein Geschmacksurteil bat, das dann natürlich positiv ausfiel. Wäre das Gebet der Muslime dann akzeptabel gewesen, wenn sie Isa, Marias Sohn ins Gebet mit aufgenommen hätten? Bei einem kann man jedoch sicher sein: was immer ein Vertreter der EKD oder des Protestantismus bei einem derartigen Gebet gesagt hätte, Hellmut Matthies wäre dagegen gewesen. Das ist seine Litanei seit seinen Studienjahren in den 70er-Jahren, die Fundamental-Opposition gegen die EKD. Whatever is, is wrong. Mit national gesinnten Kräften darf man paktieren, mit Muslimen, Juden oder Buddhisten zusammen beten nicht. Nun kann man lange diskutieren, ob – wenn es denn nur einen Gott gibt -, nicht alle zum selben Gott gebetet haben müssen. Aber das war gar nicht Gegenstand der Bitte. Sondern die Dokumentation einer gemeinsamen Haltung der Menschheit in der Abwehr dieser Krise. Und da setzt Matthies auf Abgrenzung, Ausgrenzung. Sein Schibboleth heißt Jesus Christus. Dagegen setze ich auf die alte Haltung Schleiermachers:

„Ich aber meinte, es sei ächt christlich, die Frömmigkeit überall aufzusuchen
und unter welcher Gestalt es auch sei anzuschauen.“

Finis.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/125/am697.htm
© Andreas Mertin, 2020