Caspar David Friedrich

Inbegriff romantischer Naturauffassung und christlicher Weltsicht –
und die Düsseldorfer Romantiker

Barbara Wucherer-Staar

Selten sind von Caspar David Friedrich (1771 Greifswald – 1840 Dresden) kostbare Inkunabeln zu sehen. Eine schöne und plausible Schau im Kunstpalast Düsseldorf zeigt mit rund 120 Arbeiten Beziehungen zwischen dem Werk Friedrichs, dem „Inbegriff romantischer Naturauffassung und christlicher Weltsicht“[1] und Landschaften der Düsseldorfer Romantik.

Etwa 30 Gemälde und 20 Zeichnungen Friedrichs und seiner Dresdener Kollegen Carl Gustav Carus (1789–1869), Ludwig Richter (1803–1884) und Ernst Ferdinand Oehme (1797–1855) stehen im Dialog mit Werken der Düsseldorfer Andreas (1815–1910) und Oswald Achenbach (1827–1905), Carl Friedrich Lessing (1808–1880), Johann Wilhelm Schirmer (1807–1863).

Sichtbar wird der Geschmackswandel von sächsischer Landschaftsmalerei der Frühromantik hin zu Anfängen eines gesellschaftskritischen Realismus im Rheinland.


Landschaft wird zur Kathedrale - Ramdohrstreit 1809

Es gehe nicht an, empört sich der Schriftsteller Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr, dass Landschaftsmalerei plötzlich „in die Kirche schleichen und auf Altären kriechen“ dürfe. Warum?

Wie ein Altarbild hatte Caspar David Friedrich das Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar) (1808) in einem eigens dafür abgedunkelten Raum inszeniert. Das Bild, ursprünglich für eine Haus­kapelle gemalt, zeigt ein Kreuz mit einem Heiland im Profil, der im Licht unnatürlicher Strahlen­bündel leuchtet. Die Kreuzigungsszene steht auf der Silhouette eines von Tannen umwachsenen Felsgipfels. Eingefasst ist das Bild in einem eigens geschnitzten, vergoldeten Rahmen, mit gotischen Säulen, Engelsköpfen und dem allsehenden Auge Gottes.

Mit diesem Altarbild und zwei weiteren „Manifestbildern“ - Programmbildern der deutschen Romantik - tritt Friedrich spektakulär und erfolgreich an eine größere Öffentlichkeit.[2]

In den weit verbreiteten, prominenten Kulturzeitschriften „Zeitung für die elegante Welt“ und dem „Journal des Luxus und der Moden“ entbrennt eine Fehde um den Altar. Kritiker wie der konservative Basilius Friedrich von Ramdohr werfen dem Künstler vor, dass er eine Landschaft mit christlicher Symbolik zum Altar- und Andachtsbild aufwerte, anstatt – gemäß akademischem Credo – in einem Altarbild „Heilsgeschehen“ darzustellen.[3] Friedrich verteidigte sich, auch Maler wie Gerhard von Kügelgen (1772-1820), der Dresdener Kunsttheoretiker Christian August Semler (1767-1825), u. a. halten dagegen.[4]


Kulturtransfer

Deutlich zeigt die Schau: es gibt nicht „eine“ Romantik, vielmehr Facetten einer „Weltanschauung“, unterschiedliche Reaktionen auf das Zeitalter der Aufklärung und den zunehmenden Rationalismus. Das Unergründliche und Mystische sowie die menschliche Gefühlswelt werden in den Mittelpunkt gestellt.

Arbeiten Friedrichs und der Düsseldorfer Romantiker entstehen vor dem Hintergrund einer als zerrissen empfundenen Gegenwart. Um 1800 vollzieht sich ein gesellschaftlich bedingter Umbruch in der Kunst: Die Ideen der Aufklärung und die demokratischen Ideale der Französischen Revolution wirken auf ein breiteres Bürgertum. Es war die Zeit Goethes, Schillers, Kants, August Wilhelm und Friedrich Schlegels, Alexander und Wilhelm von Humboldts; der aufkommenden Wissenschaft, der Beobachtung von Naturphänomen sowie einer neuen Auffassung von Religion und Natur-Philosophie (Schleiermacher, Novalis). Mit Beginn der Industrialisierung werden neue gesellschaftspolitische Lehren von Marx und Engels wichtig.

Der Bildungskanon des 18. Jahrhunderts wird abgelöst, die Landschafts- und die Porträtmalerei aufgewertet. Mit Johann Wolfgang von Goethes Farbenlehre (1809) sowie Philipp Otto Runges Farben-Kugel (1810) wird die Farbe ein zentrales Ausdrucksmittel. In der Auseinandersetzung mit Friedrichs Werk (Ramdohrstreit, 1809) wird Landschaft zur führenden Gattung bei der Durchsetzung eines offenen Kunstbegriffs.

Zwischen dem Rheinland und Sachsen herrschte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein lebendiger und vielschichtiger Kulturtransfer. Ab 1826 stellte Friedrich zeitgleich mit dem Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, Wilhelm Schadow (1788–1862) und der frühen Generation der Düsseldorfer Malerschule in verschiedenen landesweiten Akademieausstellungen aus.

Die Zusammenarbeit war von Kritik und Polemik aber auch von Anerkennung geprägt. Seit den späten 1820er-Jahren bezogen sich Künstlerkollegen in Düsseldorf und Sachsen zwar auf Friedrichs Werke, verdrängten sie jedoch zunehmend. Ihre Bilder waren wesentlich größer, pathetischer und dramatischer. Sie erzählten lebendige Geschichten und überzeugten mit technischer Raffinesse.

Stetig gewann diese Malerei an Einfluss, vor allem auf die Kunstentwicklung an der Elbe, sodass schließlich führende Düsseldorfer Maler an der Dresdener Akademie lehrten. Während die Düsseldorfer Malerschule internationalen Ruhm erlangte waren Friedrichs Werke nicht mehr en vogue, auch wurden sie zunehmend düsterer.


Caspar David Friedrichs Atelier als Ort für Meditation

Die Lebensbühne Atelier ist in Kerstings Porträt Caspar David Friedrich in seinem Atelier (1812) ein umschlossener, karger Raum für Arbeit und Meditation. Lediglich Staffelei, ein Stuhl und ein Tisch und eine Reißschiene seien darin gewesen, berichtet sein Kollege Kügelgen, nichts sollte Friedrich von seiner Arbeit ablenken.

„Schließe Dein leibliches Auge,“ rät er, „damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehst dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkel gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“



Düsseldorfer Ateliers als Ort der Begegnung

Die Düsseldorfer Maler dagegen repräsentierten sich meist als lebendige Künstlergemeinschaft, für die das Atelier Treffpunkt, Inspirations- und Kreativitätsquelle war (Johann Peter Hasenclever, Atelierszene, 1836).


Vergänglichkeit - Natur als Sinngefüge menschlicher Existenz

Vergänglichkeit - ein zentrales Thema der Romantik – variiert Friedrich in zahlreichen Zyklen - Tages- Jahreszeitenbildern und Lebensaltern. Sein zentrales Werk Die Lebensstufen (um 1834/35) - fasst solch einen Prozess zusammen. Mit fünf Figuren an der See zeigt es die Entwicklung des Menschen vom Kind (Mitglieder seiner Familie, meist im Profil, der Mann könnte Friedrich sein) zum Greis (Friedrich selbst als Rückenfigur im Vordergrund), fünf ihnen zugeordnete Segelschiffe im Meer symbolisieren ihre Lebensreise.[5]

Exkurs – Friedrichs Rückenfiguren. Sie stehen in seinen Gemälden stellvertretend für den Betrachter vor einer Landschaft und blicken in die Ferne auf das, was er sehen könnte. Eine Besonderheit der Schau sind zwei kleine, farbintensive Ikonen, die Personagen Frau am Fenster, 1822, die - bildfüllend und akzentuiert durch Bildrahmen, Ausschnitt der Stube und Fenster - gerade noch Raum für Masten eines Segelschiffs außerhalb des Fensters lässt. Mit weit ausgebreiteten Armen blickt diese Frau vor der auf- oder untergehenden Sonne (um 1818, nur in Düsseldorf ausgestellt) in eine weite, lichtgetränkte Landschaft als ob sie Leben und Zukunft umarmen wolle. Sie zählen zu den seltenen Frauenbildnissen Friedrichs und zeigen seine Gattin Caroline. In seinem Werk ist die Frau gleichberechtigte Partnerin und hat Zugang zu allen realen und ideellen Lebensbereichen.[6] Fensterbilder sind in der Romantik ein beliebtes Motiv.


Seestücke

Gegenüber Friedrichs Seestücken, etwa dem kleinen, ruhigem Felsenriff am Meeresstrand (1824) schildert Andreas Achenbachs monumentales Gemälde Ein Seesturm an der norwegischen Küste (1837) eine dramatische Katastrophe: ein Segelschiff zerschellt im Unwetter im aufgewühlten Meer vor Steilklippen. Es liest sich wie ein Gegenstück zu Friedrichs ruhigem, kurz zuvor gemalten Zyklus Lebensstufen seiner Familie: die Seefahrt anonymer Menschen als eine „navigatio vitae“ in rauer See als Synonym für die Gefahren des Lebens. Als Inspiration werden niederländische Seestücke des 17. Jahrhunderts angeführt.[7]


Gottes Kathedrale

In Folge des umstrittenen Kreuzes (Tetschener Altar, 1808, eine Studie wird in der Leipziger Ausstellung gezeigt) entsteht über Jahre hinweg eine Reihe mit dem Motiv der Kreuzigung. Sie unterstreicht Friedrichs Auffassung, Natur sei von Gott geschaffen und stehe über jeder weltlichen Instanz.

In einer spiegelbildlich symmetrisch austarierten Ideallandschaft rahmt Friedrich ein Kreuz im Gebirge (um 1812, Kunstpalast Düsseldorf) vor der Vision einer gotischen Kathedrale in der Bildmitte mit Felsen und Fichten ein. Gestrüpp, Dornen, Steine und Geröll erschweren den Zugang zum Gipfel (und zur Erlösung). Ob der Betrachter ankommt?

Die Chiffre gotische Kathedrale lässt sich als Vision eines idealen Reiches in (unerreichbarer) Ferne deuten und auch als politischer Verweis auf das deutsche Nationalgefühl unter napoleonischer Fremdherrschaft. Über sein zentrales Symbol, die Kirchenruine (Ruine Eldena, um 1828) und die gotische Kathedrale notiert der Künstler (um 1830): „ … Die Zeit der Herrlichkeit des Tempels und seiner Diener ist dahin, und aus dem zertrümmerten Ganzen eine andere Zeit … hervorgegangen….“ Als zentrale Motive, die ebenfalls das Neue symbolisieren und sich in vielen seiner Bilder finden nennt er… „Hohe schlanke immer grüne Fichten …“ (die stellvertretend für den Gläubigen stehen) und ein Himmel mit „…lichten, leichten Wölkchen…“.[8]

Ein etwa 25 Jahre später gemalter Gottesdienst in der Zuchthauskirche (dritte Fassung, 1837) des Düsseldorfer Malers Wilhelm Heine (1813-1839) dagegen zeigt deutliche Kritik an der Politik des Vormärz. Oppositionelle, scheinbar gleichgültig teilnehmende Arbeiter oder Studenten werden von Militär bewacht. Das Bild gilt als erstes politisch-kritisches Bild der Düsseldorfer Malerschule, in dem die Ablehnung einer starren Kirchenpolitik und der herrschenden Ordnung proklamiert wurde.


Landschaft: Idylle, Andacht und Protest

Friedrichs Arbeiten zum Freiheitskrieg, in denen die Landschaft Träger gesellschaftlicher Aussagen wird, sind subtil. Dennoch ist die Bildsymbolik eines wandernden Chasseur im Walde (um 1813) bereits für seine Zeitgenossen eindeutig: „ … Einem französischen Chasseur, der einsam durch den beschneiten Tannenwald geht, singt ein auf einem Stamm sitzender Rabe sein Sterbelied ... “ heißt es in der liberalen Tageszeitung „Vossische Zeitung“ 1814.[9]

Weit lebendiger - und differenzierter - als Friedrich erzählen Düsseldorfer Romantiker von unterschiedlichsten Andachten in der Natur. Etwa von einem betenden Paar in mittelalterlicher Kleidung (Carl Friedrich Lessing, Die Tausendjährige Eiche (Kat. 27) oder - im beliebten Topos eines Freundschaftsbildes mit politischer Konnotation - wie Lessing und Johann Wilhelm Schirmer bei der Rast unter einem Baum über ein Tal hinweg in die Ferne schauen (Lessing, Zwei Jäger, 1841).

Ernst Ferdinand Oehme überrascht mit einer kritischen Szene. In seiner Landschaft im Erzgebirge mit betenden Bergleuten (1826) verurteilt er den Abbau von Rohstoffen im Erzgebirge und Kinderarbeit. Andacht wird zur „ … Fürbitte, um den Gefahren unter Tage zu entgehen.“[10]

Exkurs: Das Mittelalter galt als ideelles Symbol für nationale Einheit und Stärke nach dem Zusammenbruch des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ (1806) und einem Leben unter napoleonischer Fremdherrschaft. Lessing führte als einer der ersten das Motiv des edlen Räubers und Ritters als Symbol für Freiheit und Tugend in heimatlicher Landschaft oder auf Burgen ein. Beliebt waren auch Pilgerreise und Wanderung auf einem Lebensweg. Friedrichs Landschaftsthemen - Heimat und Glaube, Seestücke, vom Mond beschienene Nachtstücke und seine Arbeitsweise (Studien in der Natur) - werden modifiziert entwickelt.


Landschaft: Anlass zur Meditation

In den letzten Jahren wurde sein Werk „neu“ entdeckt: Die lange Zeit gültige Auffassung von der Idee des Sublimen und Gefühlvollen seiner Werke[11] wurde relativiert - Friedrichs bildnerische Strategie basiert auf einem exakt kalkulierten, differenzierten geometrischen Ordnungsgefüge. Dem Betrachter eröffnet er dadurch Assoziationsräume, die bis zu einem gewissen Grad aus dem biografischen, gesellschaftlichen und historischen Kontext heraus verstanden werden können, die eine festgelegte Interpretation aber verweigern.

Seine schon früh festgelegte bildnerische Strategie veranschaulicht seine dahinter liegende Religionsphilosophie. Auf der Grundlage der oben genannten Gestaltungsprinzipien entwickelt er eigene spirituelle Metaphern für diese Polarität zwischen Alltag, dem Diesseits und dem Ausblick auf das transzendente Jenseits. Es entstehen Assoziations- und Reflexionsräume. Seine Bilder können im historischen Kontext erschlossen werden und enthalten zudem mehr oder weniger verschlüsselte, subtile Hinweise. Eine relativ offene Bildform lässt religiöse und individuelle Interpretationen ebenso zu wie gesellschaftliche oder politische Deutungen.

Mit dem aufkommenden Realismus, der Düsseldorfer Malerschule, einer breiteren Bildung des Bürgertums, der Weiterentwicklung der Naturwissenschaften, beginnender Industrialisierung und dem Aufkommen der Psychologie als Wissenschaft Ende des 19. Jh. gerät sein Werk in Vergessenheit. Mit jeweils verschiedenen ideellen und ideologischen Schwerpunkten wird das Werk von Friedrich im 20. Jahrhundert in Verbindung mit existenziellen Krisensituationen instrumentalisiert. Eine größere Öffentlichkeit lernt sein Werk um 1900 kennen - im Zuge einer Neubewertung und historischen Erforschung der Kunst des 19. Jahrhunderts durch Hugo von Tschudis „Die deutsche Jahrhundertausstellung. Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775-1875“ in der Königlichen Nationalgalerie in Berlin 1906.

Mit ihm beginnt ein „Anfang der Moderne“, der für viele bis hin zu abstrakten Werken eines Mark Rothko und Gerhard Richter reicht. Friedrich ist heute Allgemeingut. 2006 wurde im Rahmen der Diskussion darüber, was ein einbürgerungswilliger Ausländer wissen musste, die Kreidefelsen auf Rügen sogar in einen „deutschen Bildungskanon“ aufgenommen.


Ausstellung / Literatur

Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker, Kunstpalast Düsseldorf, 15. Oktober 2020 bis 7. Februar 2021, Kunstpalast Düsseldorf; Museum der bildenden Künste Leipzig 03. März bis 06. Juni 2021

Bettina Baumgärtel, Jan Nicolaisen (Hrsg.), Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker, Dresden 2020 (nachfolgend zitiert: AK 2020)


Anmerkungen

[1]    Barbara Wucherer-Staar, Caspar David Friedrich, Inbegriff romantischer Naturauffassung und christlicher Weltsicht, ein Anfang der Moderne um 1800, in: Brockhaus, Die Infothek, Infothek-Service, © F.A. Brockhaus, 2006; nachfolgend zitiert: bws 2006

[2]    Von diesen drei Programmbildern der deutschen Romantik - Das Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar), 1807; Dresden, Galerie Neue Meister, Der Mönch am Meer, um 1809; Berlin, Nationalgalerie und seinem Gegenstück Abtei im Eichwald, 1809-10; Berlin, Nationalgalerie werden „Mönch“ und „Abtei“ 1810 an der Berliner Akademie ausgestellt und von dem preußischen Kronprinz Friedrich Wilhelm angekauft, Friedrich wird kurz darauf zum Mitglied der Berliner Akademie ernannt.

[3]    Der schärfste Verriss erscheint im Januar 1809 in der „Zeitung für die elegante Welt“. „Zentral- und Luftperspektive fehlen, moniert Kammerherr von Ramdohr – „… wo steht der Maler des Bildes überhaupt? Weshalb wirkt der Berg wie aus der Ferne betrachtet, erscheinen Einzelheiten wie Tannenzweige oder Efeu aber ganz nah? Was für eine Art Licht ist es, bei dem nicht zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang zu unterscheiden ist? Und warum ist keine Differenzierung zwischen Vorder-, Mittel- und Hintergrund zu erkennen?“ (Zitat nach: bws 2006)

[4]    Ursprünglich wohl für den schwedischen König Gustav Adolf IV. entworfen, als Altarbild Weihnachten 1808 in Friedrichs Atelier inszeniert, wurde das Werk von den Auftraggebern Graf und Gräfin von Thun und Hohenstein auf Schloss Tetschen aufgestellt. Auf eine andere, symbolische Verbindung, nämlich zu der Bruderschaft der Freimaurer, weist der Kunsthistoriker Hubertus Gaßner 2006 hin (Hubertus Gaßner (Hg.), Caspar David Friedrich. Die Erfindung der Romantik (München, 2006).

[5]    Friedrichs Werk in seiner Gesamtschau ist geprägt von Zyklen, die von den Zeitenbildern Runges angeregt wurden. In frühen Folgen verbindet er Tages-, Jahres- und Lebensalter, in späten Folgen verschränkt Friedrich Naturzyklisches und Eschatologisches und lässt es zugleich eine Metapher der Weltentstehung und Schöpfung sein. Seine abstrakte Montagetechnik auf der Basis seiner Religionsphilosophie führt er weiter aus. … entsprechend erweitert der Maler die Folge über den Raum und die Zeit des irdischen Daseins hinaus. Friedrichs Zyklen erinnern an die Tradition der „Bilderbogen“, die in der zweiten Hälfte des achtzehnten und besonders im neunzehnten Jahrhundert weit verbreitet und beliebt waren (Werner Busch, Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion, München, 2003). Der Kunsthistoriker Werner Hofman sieht in Friedrichs Zyklen eine lehrhafte Ikonographie im Sinne lutherischer Bildprogramme (Werner Hofmann, Caspar David Friedrich. Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit, München, 2005). (nach: bws 2006).

[6]    Ihre Stellung im Bild wird auch interpretiert als die einer Mittlerin „… an der Schwelle zwischen Innen und Außen, Diesseits und Jenseits.“ (s. Bettina Baumgärtel, Stille Schau auf die Landschaft und Andacht in der Natur, in: AK 2020, S. 51).

[7]    Exkurs: Eine Besonderheit unter den sonst ruhigen Seestücken Friedrichs ist ein geometrisch organisierter Berg aus kantigen Eisschollen, dessen Formation Friedrich aus unterschiedlichen Blickwinkeln zusammenmalt, Das Eismeer (1823-24). Als Pendantbild entstand Der Watzmann (1824-25). Hier gibt es im Gegensatz zu seinen früheren Landschaften keine Figuren oder Symbole wie Kreuze und Bäume. Den Zugang zu den verlassenen, vereisten Gipfeln versperrt der Maler durch optische Brüche, extreme Nahsicht oder hintereinander gestaffelte Erhebungen und Abgründe. Der Versuch des Menschen, Gott näher zu sein, wie es das Bergmotiv in der christlichen Religion symbolisiert, muss scheitern. Beide Gegenden hat der Künstler nie gesehen. Den Watzmann, eine der bedeutendsten Gebirgsdarstellungen der deutschen Romantik, hat Friedrich aus früheren Reiseskizzen durch den Harz und das Riesengebirge sowie einer Aquarellstudie seines Schülers August Heinrich zusammengemalt. Er nimmt es als Anlass für seine gemalte Kritik gegenüber der zeitgenössischen Auffassung, Landschaft solle abwechslungsreich und vielfältig dargestellt werden („varietas“), wie z. B. im berühmten Schmadribachfall (1821-22) des Deutschrömers Joseph Anton Koch (1768-1839) oder in Adrian Ludwig Richters (1803-1884) Der Watzmann, 1824. Das Eismeer wurde von Zeitungsberichten und zeitgenössische Darstellungen über die Nordmeerexpedition des Engländers William Edward Parrys (1819-20) angeregt, etwa durch das Panorama „Winteraufenthalt der Nordpol-Expedition“ des Physikers, Malers und Photographen Johann Carl Enslens (1759-1848) und basiert auf früheren Ölstudien des Künstlers – vielleicht auch ein Verweis auf das eisige Klima unter der Regierung Metternich. Erst bei genauem Hinsehen entdeckt der Betrachter Mast und Heck des Seglers unter den Schollen. Weiterführend zum Motiv des Berges bei C. D. Friedrich (z. B. Wanderer über dem Nebelmeer, 18) s. a. bws 2006.

[8]    Wolken und Nebel sind für Friedrich mehr als nur „Stimmungselemente“, sie sind konstitutive Metaphern für das „Ewige“ und das „Flüchtige“. Bereits Goethe soll sich für seine „Wolkenbilder“ interessiert haben. Der Kunsthistoriker Werner Busch weist darauf hin, dass es ein Skizzenbuch Friedrichs mit sorgfältigen Wolken-Zeichnungen von 1806 gibt, angeregt von dem Traktat „Eléments“ des französischen Malers Pierre-Henri de Valenciennes´ (1750-1819), das 1799/1800 in Frankreich, 1803 auf Deutsch erschien (nach bws 2006).

[9]    Auch unter der Regierung des Fürsten Metternich zeichnet er Figuren in der verbotenen altdeutschen, nationalen Tracht.

[10]   Baumgärtel, wie Anm. 6, S. 52.

[11]   Helmut Börsch-Supan, Karl Wilhelm Jähnig, Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, München, 1973.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/128/bws28.htm
© Barbara Wucherer-Staar, 2020