01. Februar 2021

Liebe Leserinnen und Leser,
diese Ausgabe des Magazins trägt den Titel „Theologische Biographien“. Wie Wolfgang Vögele in seinem Beitrag schreibt, ist diese Form der biographischen Besinnung in den Vereinigten Staaten unter dem Stichwort „Personal Essay“ viel verbreiteter als sie es im deutschen Kontext ist. Gibt man „Personal Essay“ in die Google-Suche ein, stößt man auf eine Fülle von Schreibschulen, die ihren Klient*innen das treffsichere Schreiben eines Personal Essays lehren wollen. Das zeigt, dass derartiges Schreiben einerseits als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird, andererseits aber auch, dass es bei den Studierenden diverse Unsicherheiten erzeugt – sonst müsste man es nicht lehren und lernen. Im Unterschied zur Biographie, die zeigt, was einem im Leben geschehen ist oder geschieht, gewichtet und wertet der Personal Essay stärker, er greift Linien und Brüche heraus. So schreibt eine derartige Lehrstube für Personal Essays an ihre Klientel:

Der Personal Essay ist die freieste Form der Literatur: Dies macht ihn auch am schwierigsten zu definieren. Im Großen und Ganzen kann er in zwei Abschnitte unterteilt werden: Erzählung und Meinung. Es ist ein Bericht über die eigenen Erfahrungen. Es sind die eigenen Gedanken zu einem Thema. Die besten Essayisten können diese Abschnitte zusammenweben.

Die in diesem Heft vorgestellten akademischen Personal Essays kreisen nicht zuletzt um das Studium, die Dozent*innen, die Mitstudierenden sowie die Vorlesungen und Seminare.

Aber schon die berühmten historischen Bilder zeigen, dass es dabei nicht immer bloß um das Repetieren eines Wissensstoffes geht. Schaut man genau hin, dann sieht man neben den eifrig Mitschreibenden auch Gesprächsbedarf, Widerspruchsgeist und nicht zuletzt Langeweile unter den damaligen Zuhörern. Auf der 1380 von Laurentius de Voltolina gemalten Miniatur (aus dem Kupferstichkabinett der Gemäldegalerie in Berlin), aus einem Buch des Henricus de Allemania (Heinrich von Friemar d. Älteren), die uns eine Vorlesung des Aristoteles zeigt, kann man das sehr gut studieren.

Unter VIEW finden Sie quasi in biographischer Reihenfolge fünf Personal Essays von Andreas Mertin, Jörg Herrmann, Wolfgang Vögele, Harald Schroeter-Wittke und Karin Wendt.

Unter JOURNAL finden Sie ebenfalls einen Personal Essay, freilich ist er keine theologische Biographie, weshalb wir Burckhard Dückers Impressionen seines Aufenthalts als Gastprofessor in China in einer besonderen Rubrik hervorgehoben haben.

Zwei IMPULSE gibt es in diesem Heft. Ein Blick auf die gerade erwähnte Vorlesung im 14. Jahrhundert und eine Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk des 15. Jahrhunderts: Bertold Furtmeyrs „Baum des Lebens und des Todes“.

Unter RE-VIEW setzt sich Wolfgang Vögele in zwei Rezensionen mit Biographien von Wilhelm Fahlbusch und Hans Blumenberg auseinander. Andreas Mertin stellt uns die erste deutschsprachige Ausgabe von Nany Cunards Anthologie NEGRO vor. Barbara Wucherer-Staar wirft einen Blick zurück auf ein Streetart Festival aus dem Jahr 2012.

Unter POST konnten und wollten wir uns einen wenn auch indirekten Kommentar zu den jüngsten Entwicklungen in den USA nicht verkneifen. Aber schauen (und hören) Sie selbst …

Das nächste Heft 130 des Magazins für Theologie und Ästhetik, das Anfang April 2021 erscheint, steht unter der Überschrift „Ent-Festung“. Diesen Titel haben wir uns von der Künstlerin Madeleine Dietz geborgt. Wir wollen den vielen Prozessen des Nomadischen, des Verflüssigens und des Aufweichens der (Diskurs-)Grenzen nachgehen, die Europa in den letzten Jahrzehnten zunehmend bestimmten. Wem zu diesem Thema etwas einfällt, den laden wir zur Mitarbeit ein.

Für dieses Heft wünschen wir eine erkenntnisreiche Lektüre!

Andreas Mertin, Jörg Herrmann, Horst Schwebel, Wolfgang Vögele und Karin Wendt



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