Arbeitswelt und Sozialethik

Eine Rezension

Wolfgang Vögele

Hans Joachim Schliep, Christus in der Arbeitswelt. Der Sozial- und Kirchenreformer Wilhelm Fahlbusch (1929 bis 2014), Fromm-Verlag: Saarbrücken 2020, 115 Seiten

Wenn in diesem Themenheft über „Theologische Biographien“ Wege in die Theologie in Form von personal essays dargestellt worden sind, so passt dieser schmale Band, der der Biographie, der Ethik und der Theologie des Hannoverschen Pfarrers Wilhelm Fahlbusch (1929-2014) gewidmet ist, ganz hervorragend in diese Reihe, obwohl Fahlbusch eine Generation älter war als die Verfasser der personal essays. Hans Joachim Schliep, Pfarrer und ehemaliger Leiter des Hauses kirchlicher Dienste in Hannover, hat es unternommen, Leben, Wirken, Ethik und Theologie des 2014 verstorbenen Sozialreformers prägnant darzustellen und dabei die Verknüpfung zwischen Predigt, akademischer Lehre und kirchlicher Einflussnahme in ihrer Verschränkung konzise darzustellen. Schliep kommt das Verdienst zu, Dokumente aus kirchlichen Archiven und Materialien aus dem Bestand der Familie gesichtet, geordnet und in diesem Band in einer übersichtlichen, kompakten Darstellung von Leben und Werk zusammengestellt zu haben.

Schliep beginnt mit dem Abriss von Fahlbuschs Biographie (8ff.)[1]: Er entstammte einer „kirchenkritischen, sozialistisch bzw. sozialdemokratisch eingestellten Eisenbahnerfamilie“ (11). Das Theologiestudium in Göttingen finanzierte er sich durch die Arbeit als Werkstudent. Mit Hilfe seiner – nicht nur theologischen – Göttinger Lehrer begann er früh mit der Reflexion von Ethik und Praxis. Zentral wurde für ihn von Anfang an die Frage nach dem Fortbestand des Glaubens in einer industrialisierten, modernisierten und zunehmend kirchenfremden Arbeitswelt. Alle diese Fragen sollten zu Kernelementen seiner kirchlichen, akademischen und synodalen Tätigkeit werden. In der Verknüpfung und Vernetzung dieser Tätigkeitsbereiche liegt der Grund dafür, dass Fahlbusch kirchlich und sozial etwas erreichen konnte.

Nach ersten Tätigkeiten als Pastor engagierte er sich im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt, der damals im sog. „Amt für Gemeindedienst“ angesiedelt war. Das beinhaltete eine umfangreiche Seminar- und Vortragstätigkeit, unter anderem an den Akademien in Loccum und Friedewald, wobei er letztere mit aufbaute und ihr Profil formte. Von Anfang an war Fahlbusch mit der kritischen Frage des kirchlichen Establishments konfrontiert, was denn das Engagement für Arbeiter, die Kooperation mit Gewerkschaften mit dem Auftrag des Evangeliums zu tun habe. Fahlbusch ließ sich nicht darin beirren, dieses Engagement in einer aus der Perspektive der Kirche als ‚gottlos‘ beschriebenen Arbeitswelt in den Kern und Fokus kirchlicher Tätigkeit zu rücken. Er strebte einen Humanismus der Arbeitsbedingungen an, der für ihn dem Auftrag des Evangeliums entsprach. Für ihn bestand eine „tiefe Kongruenz zwischen christlichem Glauben und Humanität“ (33). Damit reagierte er auf Bonhoeffers Gedanken einer mündigen, religionslosen Welt (49f.) und prägte dessen Thesen zu einem christlichen „Realismus“ eigener Art um (63). Nach der Seite der Sozialethik engagierte sich Fahlbusch deshalb in Fragen der Mitbestimmung, der sozialen Marktwirtschaft (43ff.), der Humanisierung der Arbeitswelt, der Digitalisierung, der Verbesserung von Ausbildungsgängen.

Dabei nutzte Fahlbusch die Ämter, die er in seiner Person verknüpfte: die Leitung des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt in der Hannoverschen Landeskirche, die Professur für Sozialethik an der evangelischen Fachhochschule Hannover, die Tätigkeiten als Studienleiter an der Evangelischen Akademie Loccum und die vielfältige Mitwirkung am Programm der Sozialakademie in Friedewald (70ff.). Über mehrere Wahlperioden war Fahlbusch Mitglied der Hannoverschen Landessynode und arbeitete dort in der sozialliberalen Gruppe offene Kirche mit. In seiner Sicht war das nur konsequent, denn der Einsatz für die Kirche in der Arbeitswelt bedingte die selbstkritische Frage nach den Arbeitsbedingungen innerhalb der Kirche. Schliep konstatiert zu Recht, dass in Fahlbuschs Sicht Kirchenreform und Sozialreform zusammengehörten: Fahlbusch selbst sprach von einer „Fundamentaldiakonisierung“ der Kirche (94). Schliep fasst den Zusammenhang von Sozialethik und Ekklesiologie in der Wiedergabe eines Vortrags von Fahlbusch so zusammen: „Die Verkündigung, Lebensdeutung und Glaubensweckung (…) brauche die Demokratisierung und die Vielfalt kirchlicher ‚Ämter‘, / damit wirklich die Sprachfähigkeit im Glauben und die Verantwortungsfähigkeit für das Leben erreicht werden können.“ (104f.)

Fahlbusch stellte sich dieser Aufgabe, indem er in einem Viereck von Funktionen agierte: in der kirchlichen Verwaltung (Amt kirchlicher Dienste, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt), in der sozialethischen Lehre (Ev. Fachhochschule), bei Tagungen und Vorträgen (Ev. Akademien Loccum und Friedewald) sowie als Mitglied der Landesynode. Auch nach seiner Pensionierung setzte er sein Engagement fort.

Schliep zeigt sehr genau, wie sich bei Fahlbusch praktische und politische Tätigkeit mit theologischer und sozialethischer Reflexion verbanden und beides sich gegenseitig ergänzte und verstärkte. Der Hannoverschen Landeskirche, obwohl sie ihm gelegentlich kritisch gegenübertrat, hat das nicht geschadet.



[1]    Alle Seitenangaben im Text beziehen sich auf das vorgestellte Werk.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/129/wv044.htm
© Wolfgang Vögele, 2021