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Magazin für Theologie und Ästhetik


Nach dem Happy End ist vor dem Happy End

Zwischen finalem Kuss und Lebensanschauung -

Auf den Spuren eines gemeinen Filmtricks

Julia Helmke

"Uns ging es gut - Zelluloid Paradies. In der Pause gab es Eis , und wenn es tragisch wurde, Tränen ... wurde mitgeflennt. Doch eine Sache, die war klar. Es kam nichts anderes in Frage: Ganz am Schluss - was auch sonst ? - ein Happy End." Wolfgang Niedecken, Deutschrock-Comeback des Jahres, scheint zwanzig Jahre nach dem Erscheinen seines BAP-Songs "Happy End" über Kindheitserinnerungen in kölschen Kintopps auch in Sachen Kultur am Puls der Zeit zu sein.

Bereits seit Beginn des letzten Jahrhunderts überziehen die Filmstrategen Hollywoods die gesamte Welt mit einer einfachen Botschaft: Kinobesucher wollen unterhalten werden, Spannung und Entspannung erfahren, die Sicherheit eines guten Endes.

Der Überraschungssieger des Jahres 2001 in Deutschland scheint ihnen - noch immer - recht zu geben: "Hast Du den schon gesehen ? - Ein schöner Film mit so einer schönen Geschichte und vor allem einem schönen Ende!" Mit dieser Empfehlung, die von Mund zu Mund, von Programm- zu Multiplexkinos wandert, katapultierte sich die kleine italienische Komödie Brot und Tulpen in die Kino-Charts, mit einer Verweildauer von bisher sieben Monaten.

Für den Höhepunkt des Wohlfühl-Erlebnisses der Zuschauer verwendet Regisseur Silvio Soldini die einfachste und älteste aller dramaturgischer Schlusssequenzen: das "kiss off", das finale Happy End. Hausfrau Rosalba tanzt. Sie ist ausgebrochen aus ihrem Familienalltag in Pescara, in Venedig findet sie eine temporäre Bleibe, ein neues Leben mit Fernando, dem suizidgefährdeten Kellner und ehemalige Musiker. Bruno Ganz hat Silvia Mancini zurückgeholt, vom Parkplatz ihres Einkaufszentrums weg, als sie meinte zurückkehren zu müssen. Nun halten sie sich fest, wiegen sich, blicken einander in die Augen. Ein sanfter Kuss. Close up. Halbtotale. Totale. Venedig, die Welt, ein immerwährender Sommernachtstanz. Abspann.

Neu und noch nie gesehen ist das nicht. Hundert, Tausend, Hunderttausendmal enden Filme mit: Küssen, Umarmungen, Blicken: Ich liebe dich, ich vergebe dir, alles wird gut

Der Beachtung wert ist, dass die Zustimmung zu diesem Film die Grenzen von Alter, Geschlecht und den diversen Milieus von Kinozuschauer überschreitet. Überbleibsel der Bergman-Godard-Clique mögen den Film ebenso wie Schwarzenegger-Fans; Seniorenkreise ordern die Komödie zum Nachmittagskaffee und selbst Jugendliche lassen sich zum Hochzeitstag der Eltern mit ins Kino einladen.

Da die meisten Register filmtheoretischer wie filmgeschichtlicher Standardwerke den Begriff als solchen nicht aufführen, wirkt es zuerst widersinnig, die Geschichte des Film (und des 20. Jahrhunderts) in das Paradigma des Happy Ends zu pressen. Dagegen sprechen harte Fakten, das Verhalten der Zuschauer, die aus dem Kino treten. Deren erste Reaktion lautet zumeist: das war ein schönes Happy End! / Das war ein kitschiges Happy End! / Das war aber ein unglaubwürdiges Happy End, der Film wäre besser gewesen ohne!

Happy End dient im Nachhinein als Gradmesser der Filmbewertung; die Gewissheit eines glücklichen Filmausganges bedeutet für viele notwendige Motivation, sich aufzumachen zum Kinoerlebnis - wie für andere, weniger, aus eben diesem Grund die Entscheidung nicht ins Kino, in diesen Film zu gehen.

Dramaturgisch fällt die Antwort einfach aus, pragmatisch. Das Happy End bildet einen Teil der Auflösung und des Ausklanges jeden populären Filmes. Nach dem point of attack in der Exposition des Filmes sind Figuren und Situationen etabliert. Fährten werden gelegt, der Zuschauer wird eingeladen, sich über Thema, Ziel und Konflikt der Geschichte selbst zu orientieren, Vermutungen über den Fortgang der Geschichte zu entwickeln. Die Erzählung spitzt sich linear spannungsvoll zu - um Langeweile als Gift jedes Kinoerfolges zu verhindern - und verlangt nach einer Auflösung. Das Happy End bietet hierzu eine der bestmöglichen Schlussvarianten.

Psychologisch weckt diese Konzeption von Film den detektivischen Spürsinn im Menschen: Das Wissen um einen linearen Handlungsaufbau vermittelt von Beginn an das Gefühl einer kognitiven Kontrolle. Wenn die faktische Auflösung den bis ins Bewußtsein aufgestiegenen Erwartungen des Zuschauers entspricht - manche verscherzen sich und ihren Nebensitzern damit regelmäßig den Kinogenuss, indem sie ab der zweiten Minute ihre Ahnungen zum besten geben: du, ich glaube, der ist es, das geht schief, die beiden kriegen sich bestimmt - erfolgt ein angenehmes Gefühl der bestätigten Prognosefähigkeit.

Die Lösung Happy End wird gewählt, da berechnende Drehbuchschreiber die Identifikation mit dem Helden, der Heldin konsequent durch Übereinstimmung in der Problementstehung fördern. Die Freude am Erfolg des Problemlösens bedeutet ein glückliches Ende, unerfüllte Wünsche und Hoffnungen der Zuschauer erfüllen sich. Nicht zuletzt: mit dem ausgeführten Happy End bestätigen sich Werte und Normen: die konnten nicht anders als wieder zueinander zu finden; Wahrheit / Liebe setzt sich schlussendlich durch; was Recht ist, muss Recht bleiben.

Der Verdacht auf Manipulation stellt sich ein. Offen bleibt, ob die Zuschauer nicht konditioniert wurden, im Spürnasen-Wettbewerb auf die Annahme eines Happy Ends als sicheren Punktgewinn zu setzen.

Ein Gedankenspiel wäre es wert. Beim Happy End handelt es nicht nur um einen dramaturgischen Kniff, sondern das inhärente Ziel - der Höhepunkt des Mediums Film als ganzen. Poetischer: Happy End birgt das Geheimnis der Kinematographie, dem Orson Welles` "Rosebud" in Citizen Kane seinen enigmatischen wie bisher unerreichten filmischen Ausdruck verliehen hat.

Happy ending. Forever

Am Anfang der Filmgeschichte stand nicht das Happy End. Soviel ist klar. Man staunte über die Bewegung, das Abbilden von Realität in fließender zeitlicher und räumlicher Dimension. Illusion! warnten viele, Verwirrung der Sinne und des Wesens.

Im Medium des Filmes als Kunst experimentierten Filmemacher, suchten nach Spezifika, sich gegen das Über-Ich der "seriöseren" Kunstgattungen von Theater und Literatur abzugrenzen, entdeckten die Montage, die Wirklichkeit rhythmisierte, schnitt, zergliederte.

Lumierès Stern sank, Mélies` stieg auf. Illusion war sein Ziel, er wollte Realität verändern, Phantasien produzieren. Dazu brauchte es Geschichten, Träume, Wunder. Der Weg vom showing zum telling hatte begonnen.

Der Film als Medium der Massen verdankte seine frühe Popularität dem, was bereits in Theater und Literatur am besten lief und sich verkaufte, ausbaute und perfektionierte: (Heterosexuelle) Liebesgeschichten im Melodram oder der Komödie.

Körper und Blicke versprachen Einlösung, Erlösung, animierten Besucher zum Kauf einen nächsten Billets. Umarmungen wurden gezeigt, Küsse. Das kam an.

Die Grundstory war einfach, ein Film nach dem anderen wurde abgedreht. Vom Broadway warb man Drehbuchschreiber zuhauf ab, übernahm deren erfolgreichste Komödien. Standardisiert, vom Fließband. Die Erfahrung von Missverständnissen, Standesunterschieden, asymmetrischer Kommunikation von Mann und Frau rekurrierte auf die Erlebniswelt der Zuschauer. Das setting war zumeist angesiedelt in Kulissen, die nicht der Alltagswelt entsprachen, vereinfachte die Illusion vom meist noch nie so erlebten, vom endgültig guten Ende. Manchmal gelangen Meisterwerke. Eines davon schuf F.W. Murnau mit Sunrise. Ein Ehepaar hat sich entfremdet, als die Annäherung geglückt, die Liebe wieder aufgeflammt ist, muss der Weg des Nachts über den See bewältigt werden. Ein Sturm zieht auf, das Boot kentert, Suchaktionen im Dorf verlaufen ergebnislos. Vergebliche Hoffnung. Sie wird gefunden, festgeklammert an schmaler Bootsplanke, halbertrunken. Der Kuss des Mannes bei Sonnenaufgang erweckt sie zum Leben, Rettung für beide, strahlendes Lächeln und dauerndes Familienglück belohnt vorhergehende Qualen.

Gedreht in der Dekadenzphase des Stummfilmes verband Murnau das Theatralische mit dem Realistischen so eindrucksvoll, dass Wogen der Leidenschaft - so der deutsche Verleihtitel - zu den Klassikern der Filmgeschichte und selten erreichtem Vorbild für Happy Ends wurde.

Irgendwann in den 10er oder zu Beginn der 20er Jahren geschah, was als fixes Datum nicht mehr festzustellen ist: Die Inhaltsangabe happy ending verschmolz mit der Ankündigung The end. Der terminus technicus und genreüberschreitende Gattungsbegriff Happy End ward geboren.

Tucholsky gegen Brecht - die frühe Sozialkritik

1929 erweist sich in Deutschland als Höhepunkt des Happy Ends, besser: der Kritik am Happy End.

Lange Jahre schon schleichen die Gebildeten Deutschlands um den Film wie um den heißen Brei. Kosten, genießen seine verderbte Suggestivkraft, speien ihn wieder aus. Einige Biedermänner stört die moralische Gefährdung, die - trotz letztgültiger Wiederherstellung höherer Ordnung - durch offenherzige Szenen und so manches Happy End hervorgerufen wurde. Bildende Künstler, die den Film als Medium der Avantgarde zu retten suchen, verdammen die Erzählstruktur und mit ihr ein wie auch immer geartetes Ende als Verrat an der Sache, Grundlage trivialer, schlechter Filme.

Die maßgeblichste Kritik äußern Intellektuellen, die einen sozialkritischen Anspruch ihr eigen nennen. Die gesamte Filmindustrie sei eine Illusionsmaschine, die Arbeiter und Entfremdete betrüge, indem sie sich in den dunklen Kinosälen aus der Realität wegträumten, statt sie zu verändern. Opium fürs Volk, und das Happy End sein deutlichster Ausdruck.

Früher, so argumentieren sie, das "Kapital" im Brevier, versuchte die Religion, die Leiden der Jetztzeit als Bewährung umzudeuten und stellte Belohnung im Jenseits in Aussicht. Ein überwältigendes Happy End am Tag des Jüngsten Gerichtes, an dem angeblich weder Schmerz noch Hunger sein werden und Gott alle Tränen abwische.

Nun verlagere die Filmindustrie das Täuschungsmanöver ins Diesseits. Tränen dürfen fließen. Seien es Tränen über erlittene Erniedrigungen im Schreibbüro, im Fabrikakkord oder in der Einsamkeit des Grosstadt, sie werden umgewandelt - leihweise - in die Identifikation mit den Freudentränen der Helden zum glücklichen Ende. Vielleicht sitzt ein Verehrer neben einem, der das Taschentuch reicht, um die Tränen zu stillen. Kleines Glück, das man noch im Halbdunkel der Illusionsmaschine Kino ersehnt, mit dem sich die Bürger fälschlich zufrieden geben. Seht ihr nicht, wettern sie, dass dies alles ein gemeiner Trick ist, der Kraft zum Widerstand lähmt, eine US- kapitalistische Augenwischerei.

Programmatisch taufen Bert Brecht und Kurt Weill ihr sozialkritisches Musical über ein Leben zwischen Heilsarmee und Amerikas Fabrikschornsteinen "Happy End". Ein kaum bekanntes Stück nach einer Novelle von Elisabeth Hauptmann, das 1929 auf Berlins Bühnen Premiere feiert. Der Bezug zum Heilsbringer Kino ist nicht zu übersehen, so heißt es in einem ihrer Songs. "Dann machen wir's uns nett, dann gehen wir halt ins Kino, das fällt nicht ins Gewicht."

Ins Gewicht fallen die Bosse, die den Lohn vorenthalten, die Studiobosse, die jedem Ausflug in die Welt der bewegten Bilder ein Happy End aufoktroyieren. Nicht alle Intellektuellen, genaugenommen eine Minderheit, teilen die Ablehnung des Kinos. Kritische Zeitgenossen wie Victor Klemperer, Kurt Pinthus, Georg Lukacs, Alfred Polgar und selbst Alfred Kerr fühlen sich angezogen vom neuen Medium. Kurt Tucholsky bekennt sich dazu, eifriger Kinogänger zu sein. In seinen Gedichten nimmt er das Sujet der Kinomanie und der Happy-End-Sehnsucht mit Spott aber auch unverhohlener Zuneigung auf, spekuliert über die zweistündigen Verwandlungen eines Berliner Kassierers in einen mutigen Leinwandhelden, das Spiel mit dem Traum, die Frage nach dem "Danach" des Happy Ends.

Im selben Jahr entsteht "Die Angestellten". Ein "Markstein auf dem Weg zur Politisierung der Intelligenz" nennt Walter Benjamin den Essay seines Freundes, des Soziologen und Filmtheoretiker Siegfried Kracauer. Dessen Ansatz ist ein gesellschaftskritischer, in dem Sinne "dass gute Filme immer einen gesellschaftskritischen Anspruch hätten." Die Klientel, die Kracauer untersucht, sind die kleinen Leute, die Kinosäle füllen, populäre Filme und Happy Ends bestaunen. Als einer der ersten gesteht er - trotz konstatierter Entfremdung auf allen Seiten - Kino wie Kleinbürgertum zu, dass ein berechtigtes Bedürfnis nach Entspannung und Unterhaltung existiere, den das allabendliche billige Vergnügen in gebotener Unschuld erfülle.

Un fin à l`americaine

Der Freispruch hat genützt oder nicht. Hollywoodfilme gewinnen weiter an Boden und nationalen Kinoanteilen.

Respektabelster Konkurrent bleibt bis weit in die Nachkriegszeit der französische Film. Für seine Macher bedeutet das Happy End als Filmgeschichte einen Affront. Der Begriff des Happy End existiert nicht: un fin à l'americaine nennen sie es. Umständlich, despektierlich. Das Vermeiden von Anglizismen reicht als Erklärung nicht aus. Ihn als Ablehnung des amerikanischen Filmsystems zu deuten, schlägt fehl. Das größte Geschenk Frankreichs an den Film, die Nouvelle Vague, bewundert das Genrekino Hollywoods. Mit Vergnügen variieren Truffaut, Godard, Chabrol die Grundelemente des festen Genrekanons, übernehmen, modifizieren, inkulturieren. Nur auf eines der Bestandteile verzichten sie einmütig, auffällig: auf ein gutes - amerikanisches - Ende. Wahrscheinlich liegen doch kulturgeschichtliche Unterschiede vor:

Eine Frau, ein Mann fahren in ihren Autos durch die Stadt. Ein grauer Novembertag. Sie suchen einander. Begleitet werden sie von gepackten Koffern, bereit den Ort von Glück und Schmerzen für immer zu verlassen. Intrigen, Stolz und Furcht. Das Übliche. Jeder wartete auf ein Wort, eine Geste des anderen. Die Autos nähern sich der Straßenkreuzung, wenige Meter trennen die Stoßstangen. Sie blickt suchend umher, während er sich nach einem zwischen das Gaspedal gefallenem Photo tief hinunterbückt. Er schaut auf, sie schnäuzt sich ins Taschentuch. Die Ampel schaltet grün, beide geben Gas, verlieren sich. Der Weg ins Nichts beginnt. Die melancholischen Gesichter lösen sich zu Chansons von Jaques Brel langsam in die Namen der mitwirkenden Schauspieler auf.

In der zweiten Version regnet es in Strömen, die nächtlichen Straßen sind fast leer. Sie, die Frau, wird von ihrem psychopathischen Ex-Ehemann verfolgt, auf dem Beifahrersitz des Mannes schubbert eine halbvolle Flasche Gin. Er führt den Hals zum Mund, die Rücklichter verschwimmen. An der Kreuzung verliert er die Kontrolle, fährt in ihren seitlich heranhetzenden Wagen hinein. Die Chevrolets kommen zum Stehen. Unverletzt steigen sie aus, erkennen sich. Rennen einander in die Arme, wiederholen: Ich liebe dich, ich liebe Dich, du Sinn meines Lebens, alles ist gut. Unendlicher Kuss. Beide Autos explodieren. Die Silhouette des Paares hebt sich zu symphonischen Klängen von Celine Dion mit einer Kamerafahrt in den Nachthimmel auf.

Frankreich versus Amerika. Noch Fragen?

Remakes und Heucheleien

Kein Wunder, dass Hollywood bei der Adaption französischer Erfolgsfilme vor allem auf die Veränderung des Endes Wert legte. In A bout de souffle stirbt Jean Paul Belmondo von einer verirrten Polizeikugel, sein Gelegenheitsdieb Michel Poiccard verblutet auf der Straße, banal, tragisch. Richard Gere findet sich breathless in einem klassischen Showdown wieder, sein Jesse Lujack besitzt bis zur letzten Sekunde die Möglichkeit sein Leben zu retten. Bewusst entscheidet er sich für den Heldentod, erlebt eine mystische Überhöhung als Märtyrer eines dream of freedom.

Die amerikanischen Remakes fallen, auch vom Erfolg, hinter die Originale zurück, floppen. Keines ist jedoch so weit gegangen, für die vermeintliche Gleichung Hollywood = Happy End = Erfolg den Ausgang des Handlungsverlaufes um 180 Grad zu wenden.

1993 erfüllte diese Aufgabe im vorauseilenden Gehorsam der Niederländer George Sluizer. Fünf Jahre zuvor hatte er sich mit seinem Erstlingswerk Spoorloos einen Achtungserfolg erworben; ein neuer Alfred Hitchock vermerkten die Kritiker. In den USA angekommen engagierte Sluizer Jeff Bridges und Sandra Bullock, drehte seinen eigenen Film mit identischen Dialogszenen nach - bis auf das Ende. Im Original bleibt die entführte Frau im niederländischen Thriller nach jahrelangem Warten und Hoffen tot, im Remake wird sie gerettet, der Mord als Traum dechiffriert. Eine Umkehrung, die fast den Atem raubte, bei Kritik wie Publikum in den zweifelhaften Ruhm des anbiederndsten Happy Ends erreichte.

Zensur und die Freiheit des Director"s Cut

Gar so simpel wollte das Publikum dann doch nicht getäuscht werden. Die 70er Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen. Cassavetes, Polanski, Scorsese. "Zu viel Karfreitag, zu wenig Ostern," beschied Pater Frank, Scorseses Freund und früherer Beichtvater, abschlägig auf die Schlussszene von Taxi Driver angesichts der Selbstzerstörung des Vietnamveteranen Travis Bickle alias Robert de Niro.

Doch das Credo der zu entsprechenden Zuschauerhaltung Happy End blieb bestehen, bedrohte Abtrünnige bei Nichtbefolgen mit Erfolgsverlust bis hin zur Inquisition.

Bei screenings der SF-Romanverfilmung Blade Runner schüttelte das Testpublikum den Kopf, man wolle den Helden Harrison Ford nicht immer zusammengeschlagen und im zerrissenen Mantel sehen, in der Schlussszene gar die Verwandlung in einen außermenschlichen Replikanten erleben. Die Produzenten von Warner Brothers reagierten sofort, fürchteten um den Erfolg. Der englische Regisseur Ridley Scott konnte nur zusehen, wie die Schnittmeister ein Happy End aus überzähligen Filmmetern des gekürzten Shining von Stanley Kubrick zusammenpappten, Detektiv Deckard eine unglaubwürdige Liebesgeschichte vor dem Abspann verpassten. Gut zehn Jahre später, in der Freiheit eines Director"s Cut, gab der Film das unhappy End preis, avancierte Blade Runner - The Director"s Cut zum Kultfilm einer düster-schwelgenden Zukunftsvision.

Die Frage, wer über das glückliche Ende bestimmt, traf nicht nur ausländische, sondern auch widerspenstige Regisseure aus dem eigenen Stall. Der "Fall" Terry Gilliam, der um das Happy End prozessierte, zeigte als einer der wenigen öffentlich den Kampf zwischen formalem Machtanspruch und künstlerischer Ohnmacht. Gilliam, in L.A. aufgewachsen und in London zu den Monty Pythons konvertiert, verweigerte Kürzungen und ein positiveres Ende seiner Bürokratie-Satire Brazil den Studios. Die Geldgeber verklagten den Regisseur, der nicht klein beigab und eine kaum gekürzte Fassung in Europa aufführte. In den USA erschien eine vom Produzenten Sid Sheinfeld um fünfzig Minuten verstümmelte und zensierte Fassung mit hoffnungsvollem Ende, die als "Sheinfeld-Brazil" unterging. Ein Happy End ohne konvergenten Vorlauf, sprich Film, funktioniert nicht.

Gilliam selbst verteidigte sein Ende als "ambivalentes Happy End", die Katastrophe habe nicht eingesetzt, sein Held sei wahnsinnig geworden, aber habe sich nicht den Schergen totaler Überwachung ergeben. Das "klassische" Happy End - eine Frage der Interpretation?

Die 90er Jahre, ein Artefakt

Zeiten, in denen Menschen ihr Leben Filmhandlungen angleichen, sich und anderen selbst Regieanweisungen geben: "Ich komme mir vor wie im Film" / "Wenn das jetzt ein Happy End mit uns werden soll, müsste der Held, das bist du, mich küssen", verlangen nach neuen Ideen für die Illusion auf der Leinwand.

Die jungen Köpfe des "New Hollywood" der 90er Jahre überraschen in vielen Produktionen, Mainstream wie Independent, indem sie mit einem "offenen" Ende schließen. Die Abschlusssequenz setzt Deutungsmöglichkeiten frei, verwirrt im besten Sinne. Bei näherem Hinsehen greifen Regisseure wie Paul Thomas Anderson oder Spike Jonze dabei genau in die Filmtrickkiste, die - Verärgerung des Publikums nicht ausgeschlossen - einem Happy End in Ausnahmefällen dient: zum deus ex machina, zur plötzlichen, unerwartbaren Auflösung filmischer Probleme

In Andersons Magnolia regnet es Frösche, in Jonzes Being John Malkovich erblickt man den tot geglaubten Puppenspieler in den Augen eines kleines Mädchens. Wendungen, die der Zuschauer nicht vorhersehen konnte. Der Artefaktcharakter des Kinos wird einer Wahrnehmung von Wirklichkeit gegenüberstellt, die alles und nichts mehr erklärt. Das macht Kino wieder spannend und sehenswert.

Das neue Hollywood, das so neu nicht ist, spielt hier mit den eigenen Happy End-Traditionen. Es bricht sie, da Fragmentierungen in die gegenwärtige Befindlichkeit passen. Es belebt sie wieder, um die misstrauisch gewordenen Menschen - "wenn das Kino nichts anderes zeigt als meine Lüge vom Leben oder ein absurdes Special-Effects-Gehasche, warum soll ich es mir anschauen? " - neugierig zu machen auf das Ende.

Die Dichotomie von dramaturgischem Kniff in kulturgeschichtlicher Beschränkung oder Lebensanschauung in der Kontinuität sozial- und zeitgeschichtlicher Umwälzungen erweitert sich, seitdem es das Kino gibt, um die Frage des gender-Ansatzes. Szenen, wie sie der Schweizer Schriftsteller Kurt Marti 1960 - in der Hochphase noch ungebrochener Happy-End-Komödien und Melodramen - beobachtet und aufgeschrieben hat, stützen die These, dass Happy End neben allem anderen eine subjektive, teil-bewusste Angelegenheit ist, die sich der Analyse entzieht.

Aus seinen "Dorfgeschichten": "Sie umarmen sich und alles ist wieder gut. Das Wort ENDE flimmert über ihrem Kuss. Das Kino ist aus. Zornig schiebt er sich zum Ausgang, seine Frau bleibt im Gedränge hilflos stecken , weit hinter ihm. Er tritt auf die Straße, bleibt aber nicht stehen und geht, ohne sie abzuwarten, geht voll Zorn und die Nacht ist dunkel. Atemlos, mit kleinen verzweifelten Schritten holt sie ihn ein, er geht und sie holt ihn wieder ein und keucht. Eine Schande, sagt er im Gehen, eine Affenschande, wie du geheult hast, mich nimmt nur wunder warum, sagt er. Sie keucht.. Ich hasse diese Heulerei, sagte er, ich hasse da. Sie keucht noch immer. Schweigend geht er und voller Wut, so eine Gans, denkt er, und wie sie nun keucht in ihrem Fett. Ich kann doch nichts dafür, sagt sie endlich, ich kann wahrhaftig nichts dafür, es war so schön, und wenn es schön ist, muss ich halt heulen. Schön, sagt er, dieser elende Mist, dieses Liebesgewinsel, das nennst du schön, dir ist ja wirklich nicht mehr zu helfen. Sie schweigt und geht und keucht. Was für ein Klotz denkt sie, was für ein Klotz."

Literatur als Reflexion entzieht sich dem Happy End ebenso wenig wie die Alltagssprache, die in ihrem Gebrauch der Raffiniertheit des Happy Ends bei weitem nicht gerecht wird.

Bei der Schlagzeile: "Ein tolles Happy End für Tennisspieler X in Wimbledon !" wird das Happy End, wenigstens als Punktgewinn, in bleibender Erinnerung bleiben. Beim filmischen Original dient das Happy End dazu, den Film als Kinoerlebnis zu vervollständigen.

Erinnerungslücken. Was bleibt, ist Gefühl.

Erinnern Sie sich an das Ende der "bedeutendsten Filme des Jahrhunderts", an Filmklassiker wie Dr. Schiwago, Vom Winde verweht, Fellinis 8 ½ - die übrigens alle kein Happy End aufweisen können - oder, leichter, an die Schlusssequenzen von drei Kinofilmen, die Sie persönlich zuletzt gesehen haben?

Das Ende verfolgt den Zweck, die Zuschauer behutsam aus der dunklen warmen Höhle der fiktionalen Welt in die Realität zu heraufzuführen, aus dem regressiven Reich platonischer Schatten zu entlassen in Gegenwart des Ich. Ein glückliches Ende hilft dabei, sich nach Filmende nicht mehr mit der Thematik des Filmes zu beschäftigen, den stabilen Zustandes des: "Es gibt noch viel mehr im Leben" / "das hat mich jetzt abgelenkt, entspannt" zu bekräftigen. Das Happy End an sich, so standardisiert wie originell es sein mag, ist letztendlich unwichtig. Was haften bleibt, sind Schwingungen, Stimmungen im Filmerleben. Momentaufnahmen, die meist das Ende aussparen, bei dem der Zuschauer gedanklich auf den Weg ins Draußen vorbereitet.

Die Frage: Danach stellt sich nicht

Bei Brot und Tulpen könnte dieser Effekt ausbleiben. In der Szene der Auflösung steht Rosalba auf dem Parkdeck des Einkaufszentrums, packt die Tüten ins Auto, neben sich ihr Sohn, der mal wieder die Schule geschwänzt hat. Nichts ist schrecklich, nur Alltag eben, die Wirklichkeit. Dann ist Fernando da, im bunten Hemd, gelbe Blümchen in der Hand, ernst wie stets. In all seiner umständlichen Sprechart eines Isländers in Italien gesteht er seine Liebe, möchte sie zurücknehmen nach Venedig.

Beim Zuschauer, der den beiden durch die verschiedenen Kanäle von Zufällen, zwischenmenschlichen Grenzüberschreitungen, wachsender Zuneigung gefolgt ist, steigt die Spannung, die Kombinierlust: Macht sie das ? Wäre es nicht verrückt, ihre Ehe und Familie aufzugeben? Würde ich das tun, warum nicht ? Gleichzeitig ruft der geübte Kinogänger aus dem Gedächtnis Sequenzen früherer Filmen ab, vergleicht: Bei Brücken am Fluss hat die Frau es nicht gewagt, dabei war Clint Eastwood mindestens so charmant wie Bruno Ganz.

Zwei Atemzüge später spielt Rosalba bunt geschminkt und strahlend das Akkordeon. Man sieht sie tanzen und küssen - der Happy End- Effekt setzt ein. Doch mitten im Gedankengang: "Na, ob das hält", bricht das Pathos: "Könnten wir uns jetzt nicht eigentlich duzen?" fragt Silvia Mancini. Man lacht, befreit. Ein Satz, der Illusion und Realität verbindet, der den Moment des Artefakts als Zusammenfassung des Filmes haften lässt.

Die Frage, ob und wie es weitergeht, ist unwichtig. Der deus ex machina war nicht vonnöten, keine Fee, die die beiden auf einem Tulpenteppich über die Dächer der Kloake Venedig fliegen lässt.

Alles passt für diesen einen Moment .

Ein Film, der frei bleibt von externen Überfrachtungen.

Ein Film, der vom kulturellen Kontext profitiert, sich ihm nicht unterordnet.

Ein Film, der das machen darf, was er kann: eine Geschichte filmisch zu erzählen, alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einzusetzen - dieser Film hat ein gutes Ende. Braucht weder "Darüber hinaus", noch "Danach", wie Kurt Tucholsky dichtete:

Es wird nach einem Happy End im Film jewöhnlich abjeblendt/ Man sieht nur noch in ihren Lippen den Helden seinen Schnurrbart stippen - da hat `se nun den Schentelmen./ Na, und denn....?/ Denn jehn de beeden brav ins Bett. Naja, diss is ja auch jan nett/ A manchmal möchte man schln jern wissen: Wat tun ´se wenn ´se sich nich kissn?/ Die könn ja och nich imma penn...!/ Na, und denn...?/ Denn säuselt im Kamin der Wind. Denn kriecht des junge Paar ´n Kind/ Denn kocht ´se Milch, dann kocht ´se üba. Denn macht er Krach, denn weent ´se drüba/ Denn wolln sich beede jänlzlich trenn´n..../

Na, und denn...?/ Denn is det Kind nich uffn Damm. Denn bleim de beeden doch zesamm./ Denn quäln ´se sich noch manche Jahre. Er will noch wat mit blonde Haare: vorn doof und hinten minorenn..../ Na, und denn....?/

Denn sind ´se alt. Der Sohn haut ab. Der Olle macht nu och bald schlapp/ Vajessen Kuß und Schnurrbaatzeit - Ach Menschenskind, wie liecht det weit!/ Wie der noch scharff uff Muttern war, det ist schon beinah nich mehr war !/ Der olle Mann denkt so zurück: Wat hat er nu von seinem Jlück?/ Die Ehe war zum jrößten Teile vabrühte Milch und Langeweile/ Und darum wird beim Happy End im Film jewöhnlich abjeblendt.

(Und das ist gut so.)


© Julia Helmke 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 13/2001
https://www.theomag.de/13/juhe1.htm