Click and Pray

Zur aktuellen Ikonographie des Religiösen XV

Andreas Mertin

Die Gestaltung eines Buchcovers ist heute viel einfacher als noch vor Jahrzehnten. Da mussten Buchgestalter sorgfältig die Schriftart wählen, den Einband designen und dann den Buchtitel auf den Rücken des Einbandes drucken. All das war eine Kunst wie ein Blick auf die eigenen Bücherwände zeigt.

Heute wird aber nicht mehr bloß der Einband gestaltet und der Buchrücken verziert, ein Eyecatcher auf dem Titel muss her, der visuell andeutet, was mit bzw. in dem Buch gesagt werden soll. Und auch das ist vorbei: vor einigen Jahrzehnten beauftragte man Illustratoren oder Fotografen mit der Titelbildgestaltung oder man nahm ein Kunstwerk einer Künstler*in, das den Geist des Buches repräsentierte. Heute – in Zeiten der Digitalisierung – gibt es dafür Bildagenturen, in deren Suchmasken man ein paar Stichworte eingibt und schon werden diverse Variationen scheinbar (aber auch wirklich nur scheinbar) passender Motive angeboten. Man muss nur noch auf ein optisch passendes Bild klicken und es etwas nachbearbeiten: das Motiv etwas beschneiden, eventuell ein Logo aufs Bild oder ein paar passende Icons. Und dann ist das Buchcover fertig. Die Welt kann so einfach sein, warum noch länger über Bildgestaltungen und Visualisierungen nachdenken? Das hat ja auch schon in der Kindheit mit Lego und Duplo funktioniert, warum nicht heute auch bei Webseiten und Büchern? Und so kann man sich aktuell durch tausende von gesichtslosen Webseiten klicken, die alle eines eint: der Rückgriff auf Bilder, die man schon vergessen hat, wenn man die Webseite wieder verläßt. Und bei Buchtiteln ist es nicht anders.

Nehmen wir ein Buch, das gerade frisch aus der Druckerpresse gekommen ist. Schauen wir es uns zunächst ohne Coverbild an:

Freiheit digital
Die Zehn Gebote in Zeiten des digitalen Wandels

können wir lesen, geschrieben mit einer Titelschrift wie etwa Cambria und einem Untertitel geschrieben vermutlich mit Trebuchet MS. Also eine Aufmerksamkeit erheischende Serifenschrift mit einer klaren serifenlosen Unterzeile.

So ist der Inhalt in etwa angezeigt und man kann überlegen, wie dieses Buch mit einem Coverfoto gestaltet werden soll. Überlegen Sie einmal für sich selbst, wie Sie vorgehen würden. Orientiert man sich am Titel „Freiheit digital“? Oder visualisiert man den Untertitel „Die Zehn Gebote in Zeiten des digitalen Wandels“? Und wie visualisiert man den Topos „digitaler Wandel“ bzw. noch spezifischer „in Zeiten des digitalen Wandels“? Das sind gar nicht so einfache Fragen, auch nicht, wenn man die Datenbank einer Bildagentur nutzt. Denn würde man in die Suchmaske der  Bildagentur „Zehn Gebote“ eingeben, bekäme man nur triviale Illustrationen von zwei Gesetzestafeln. Gäbe man dagegen „Freiheit“ ein, dann ergießt sich eine Fülle von verkitschten Bildern glücklicher Menschen in Naturlandschaften mit erhobenen Händen über den Bildschirm. Nun könnte man ganz direkt „digitaler Wandel“ eintippen, aber die dann erscheinenden Bilder könnten die binnenkirchliche Klientel doch etwas verschrecken. Nun gibt es naheliegende, weil ikonographisch vorgeprägte Bilder, aber die kollidieren dann doch mit der Thematik der Zehn Gebote und passen eher zum Thema „Schöpfung“.

Man möchte aber eigentlich niemand verschrecken, der „digitale Wandel“ soll eher nach ‚Taste of Freedom‘ schmecken, es muss irgendwie oder durch irgendetwas an Religion erinnern und zugleich das Gefühl vermitteln, das alles – digitale Welten, Freiheit und Kirche - gehe geradezu selbstverständlich zusammen. Es soll mit anderen Worten das Grundgefühl der Evangelischen Kirche in Deutschland – Ausgabe Hannover – visualisieren.

Das Ergebnis könnte dann so aussehen wie auf dem nebenstehenden Buchcover der jüngsten Denkschrift der EKD. Ja, das ist es, ein den digitalen Wandel wie kaum ein anderes Bild repräsentierendes Motiv (/Ironie off).

Gut, es wurde von anderen Anbietern auch schon zum Thema Stadtflucht verwendet, freilich auch das ein Thema der Veränderung der Lebenswelten. Die Zeitschrift Brigitte fand dasselbe Bild bei Shutterstock und nutzte es unter der Überschrift „Zu wem passt Fernarbeit wirklich?“. Ja, zu wem nur? Sowohl die Fernarbeit wie die Stadtflucht sind nicht allgemeingesellschaftliche, sondern höchst schicht­spezifische Probleme. In der Situation der dargestellten Busines-Frau befinden sich nur sehr wenige in unserer Gesellschaft.

Ruft man das Foto bei iStock auf, dann erkennt man, dass es aus einer Sequenz von vier Bildern stammt, die sich alle in Details unterscheiden. Auf zweien hat die „Business-Frau“ keine Schuhe an, einmal wird sie im Halbporträt gezeigt. Auf drei Bildern steht die untergehende Sonne im Zentrum des Fotos, nur einmal rahmt die Abendröte das Foto. Die junge Frau trägt immer einen Zopf-Dutt und immer eine große Sonnenbrille.

Beschrieben ist das Foto bei iStock mit einem holprigen, nach einer Google-Übersetzung klingenden Text so: „Junge Geschäftsfrau arbeitet am Computer im Café auf dem Felsen.“ Auch das bildet kaum eine Realität unserer Gesellschaft ab.

Im vorliegenden Fall unterscheidet sich die Nutzung auf dem Buchcover von den anderen Ingebrauchnahmen dadurch, dass in der Covergestaltung noch sechs (vermutlich ebenfalls bei iStock erworbene) Icons vor das Foto geschoben wurden: betende Hände, WLAN, Kerze, Einkaufswagen, Kreuz, sicheres Internet. Schön abwechselnd und durch eine punktierte Linie verbunden also je ein Symbol für Digitales und eins für Religiöses. Die Symbole können nicht im Bild sein, sondern wurden appliziert.

Man muss sich das Foto im Hintergrund also als eines auf einem Display (wie einen Bildschirmhintergrund) vorstellen, auf dem dann die Symbole erscheinen. Diese Applikation von Symbolen auf Bildern hat kunsthistorisch eine jahrhundertealte Tradition.

Im vorliegenden Fall sind die Symbole durch eine punktierte Linie verbunden. Diese Verbindung ist aber natürlich nur eine imaginäre, denn nur als virtuelle Kerze, nur als virtuelles Gebet, nur als virtuelles Kreuz, also als Symbole, die auf Abbilder von Ur-Bildern verweisen, können sie hier Verwendung finden. Das alles kann man also in der digitalen Freiheit machen: beten, kontaktlos ins Internet gehen, xxxx, shoppen, xxxx, gesichert surfen. Die xxxx stehen für die/meine Unsicherheit über das von ihnen Symbolisierte. Offenkundig steht ein Symbol für die Kerze, aber wofür steht die dann? Soll das ernsthaft ein Symbol für Spiritualität sein? Und wofür steht das Kreuz? Für die Kirche, das Christentum? Oder ist das alles nur frei assoziiert? Dann fiel der Buchgestaltung im Blick auf die Kirche und das Christentum nur die Symbole Kreuz, Kerze, betende Hände ein? Und stehen diese drei Symbole auf derselben Bedeutungsebene wie WLAN, Einkaufskorb und Verschlüsselung? Wäre das funktional-symbolische Äquivalent von Kirche nicht eher Internet? Und was wäre das funktional-symbolische Äquivalent von Einkaufkorb im Bereich des Religiösen? Die Sakramente oder das Heil? Und was ist das funktional-symbolische Äquivalent für das sichere Internet? Vielleicht das Beichtgeheimnis? Mir will das alles nicht einleuchten. Offenkundig gibt es keine Symbolik, die religionsspezifisch für das Internet oder religionsanalog zum Internet wäre.

Was also ist die „symbolische“ Botschaft des Covers und vor allem des Coverbildes? Müssen wir uns das so vorstellen, dass es sich um eine modernisierte Variante des Zopf-Dutts aus früheren Zeiten handelt? Vor 12 Jahren publizierte die ZEIT das nebenstehende Bild über eine Vikarin, die mit dem Predigen beginnt. Würde man das Cover der Denkschrift als modernisierte Variante begreifen, dann legt eine heutige Vikarin bei der Predigtvorbereitung die Füße hoch und nutzt ihr Notebook im Café auf dem Berg um die Predigt vorzubereiten. Exegese en passant mit Cappuccino oder Aperol Spritz. Eine schreckliche Vorstellung – aber nicht ganz ausgeschlossen.

Aber vermutlich soll das Bild nur irgendwie den Zeitgeist, die permanente Nutzung digitaler Technologien, die Religion und die Freiheit zusammenbringen. Dann müsste man das als misslungen bezeichnen. Eine merkwürdige Zeit in der Freiheit und Freizeit miteinander verwechselt werden. „Junge Geschäftsfrau arbeitet am Computer im Café auf dem Felsen“ hat nichts mit Freiheit zu tun, jedenfalls nicht mit Freiheit im emphatischen Sinn. Es gibt durchaus Bilder, die das verkörpern, Lukas Cranachs Blutstrahl der Gnade etwa oder Eugène Delacroix‘ „Die Freiheit führt das Volk“. Und es gibt Kunstwerke, die die christliche Glaubensgeschichte mit den neuen virtuellen Welten verbinden, wie etwa Miao Xiaochuns „Zero Degree Doubt“ aus der Lutherausstellung von 2017. So aber reicht die Geistesgegenwart nur bis zur relaxten Geschäftsfrau mit Laptop im Café auf dem Felsen. Ein Armutszeugnis.     

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/131/am726.htm
© Andreas Mertin, 2021