Photographie und Bildwelten
|
||||||
Christi Himmelfahrt in christdemokratischer FassungZur aktuellen Ikonographie des Religiösen XVIAndreas Mertin Frühmorgens am 13. Mai 2021 twittert die Christlich Demokratische Union Deutschlands nebenstehendes Bild und erntet anschließend dafür einen gehörigen Shitstorm. Warum die Social-Media-Community so ungehalten reagiert, soll an dieser Stelle nicht groß erörtert werden. Offenkundig meinen einige, die Trennung von Staat und Kirche verbiete es, dass Parteien religiöse Illustrationen verwenden. Das ist natürlich Unsinn. Nach der Logik dürfte es weder die CDU noch die CSU geben. Selbstverständlich können Parteien auch auf religiöse Bilder zurückgreifen. Im Rahmen der „aktuellen Ikonographie des Religiösen“ interessiert mich, warum die CDU konkret diese Illustration zu Lukas 24, 50f. wählt. Man könnte in einer naheliegenden sozusagen „leichten Lesart“ des Geschehens vermuten, die Verantwortlichen hätten einfach bei Alamy „Christi Himmelfahrt“ eingegeben und dabei sei das nun verwendete Motiv als eines der ersten aufgetaucht. Und ohne großes Nachdenken garnierte man ihn mit dem CDU-Kampagnenlogo und einigen zudem teilweise noch falsch zugeordneten Bibelversen.[1] Das klärt aber noch nicht, warum die Partei überhaupt auf Christi Himmelfahrt reagierte, warum man es also für notwendig hielt, an diesem Tag das aktuelle CDU-Logo auf eine Bibelillustration zu drucken. Ist die Himmelfahrt Christi etwas, das für die aktuelle Politik der CDU besonders wichtig wäre (und für die Politik anderer Parteien nicht)? Oder ging es darum, den Christi-Himmelfahrt feiernden Gläubigen zu versichern, dass die CDU auch an diesem Tag an sie denkt? So wie ein Ministerpräsident zum Ramadan grüßt? Man weiß es nicht, aus dem Tweet selbst wird es nicht deutlich. Jedenfalls wird es sich wohl kaum um eine verkappte Form der Ironie oder der Satire handeln auch wenn man aktuell an vieles in Sachen misslingender Ironie gewohnt ist. Hier aber ergibt es eigentlich keinen Sinn. Wenn der Tweet aber ernst gemeint ist (vielleicht im Sinne von Leitbildkultur), könnte man überlegen, mit welchem Bild uns die CDU dann zu Pfingsten beglücken wird. Vielleicht hat die CDU aber auch nur Peter Hahne für einen kurzen Moment an den Partei-Computer und an den Twitter-Account gelassen, der liebt ja so schlichte Verknüpfungen, aber als Theologe würde er nicht Lukas und Markus verwechseln. Aber darum geht es mir im Folgenden nicht. Sondern darum, das gewählte Bild einmal genauer zu betrachten. Von mir aus kann jede Partei auf biblische Geschichten und biblische Geschichte Bezug nehmen, das kann man dann immer noch kontrovers diskutieren. Auch die aktuelle Politik der großen demokratischen Parteien zehrt von Impulsen, die das Christentum und zuvor das Judentum in diese Welt eingebracht haben.[2] Darauf auch mit Hilfe der religiösen Ikonographie zu verweisen, halte ich für durchaus legitim. Die Frage ist nur, worum geht es im konkreten Beispiel und warum haben die Betreiber des Twitter-Accounts ausgerechnet dieses Bild ausgesucht? Zunächst einmal muss man sich in Erinnerung rufen, dass die Himmelfahrt Jesu im Neuen Testament drei Mal erwähnt wird, im Markus-Evangelium im 16. Kapitel und im Lukas-Evangelium im 24. Kapitel sowie in der Apostelgeschichte im ersten Kapitel. Jeweils geschieht diese Erzählung mit unterschiedlichen Akzentuierungen:
Bilder, die die Himmelfahrt Jesu nach diesen Akzentuierungen imaginieren, gibt es unzählige in der christlichen Kunstgeschichte. Man hat also die freie Auswahl, man kann alte oder neue, evangelische oder katholische, komplexe oder reduzierte Bilder wählen. Die Wikipedia, die ja heutzutage oft zur Erstorientierung dient, verzeichnet folgende Beispiele: Einmal wird die Himmelfahrt mit den Frauen am Grabe und damit mit der Auferstehung in Verbindung gebracht, zweimal wird fokussiert Maria in den Vordergrund gestellt, einmal wird darauf verwiesen, dass sich Jesus der Sichtbarkeit entzieht. Die Webgallery of Art verweist darüber hinaus unter dem Stichwort „Ascension of Christ“ auf herausragende Werke von Rembrandt (1638), Perugino (1496), Donatello (1460), Luca della Robbia (1448), Andrea da Firenze (1366) und vor allem natürlich Giotto di Bondone (1305). Luca della Robbias Terrakotta-Gestaltung kommt dabei der Bildlösung aus dem Tweet der CDU noch am nächsten. Wenn wir nun auf das von der CDU verwendete Bild schauen, dann sehen wir, dass sie keines der herausragenden Werke der abendländischen Kunstgeschichte, nicht einmal eines der bekannteren Werke aus der christlichen Illustrationskunst gewählt haben, sondern die sogar noch mit einem Grafikprogramm bearbeitete Version einer in Deutschland kaum genutzten amerikanischen Bibelillustration des späten 19. Jahrhunderts. Das Bild stammt, wenn ich es korrekt recherchiert habe, aus dem folgenden Buch:
Dieses Buch war außerordentlich erfolgreich, 27 Editionen zwischen 1873 und 2016 verzeichnet das Bücherverzeichnis Worldcat.[3] Der Verfasser, Charles Foster lebte von 1822 bis 1887 und war zugleich auch der Verlags-Chef des Unternehmens. Von ihm stammen noch andere einschlägige Werke wie etwa „First steps for little feet in Gospel paths“ (14 Editionen von 1882 bis 2018), „The story of the Bible“ (7 Editionen von 1884 bis 1975), „Bible pictures and what they teach us, containing 315 illustrations from the Old and New Testaments with brief descriptions” (4 Editionen zwischen 1886 bis 1897). Im weiteren Sinne gehört das alles zur Traktatliteratur, die in einem Jahrhundert, in dem das Christentum seine Selbstverständlichkeit verlor, nun durch vereinfachte Texte und eingängige Bilder die christliche Botschaft kommunizieren wollte. Das ordnet sich ein in die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der etwa in Frankreich Gustave Doré 1866 seine Bibel-Illustrationen publizierte oder in Deutschland Schnorr von Carolsfeld 1860 seine Bilderbibel auf den Markt brachte. Dabei ist Doré natürlich um Welten qualitätsvoller als Schnorr von Carolsfeld, aber sein Publikum war ja auch ein anderes. Leicht erkennbar ist das Bild, das schließlich im CDU-Tweet Verwendung findet, durch die Illustrationen von Schnorr von Carolsfeld beeinflusst bzw. setzt diese in modifizierter, ja trivialisierter Form um. Man kann bei Charles Foster die Kenntnis der Arbeiten von Doré wie von Schnorr von Carolsfeld voraussetzen. Das Werk von Gustave Doré ist ihm aber wohl zu komplex und vielleicht auch zu sehr vom Orientalismus beeinflusst, während Schnorr von Carolsfeld schon in die erwünschte Richtung geht, aber noch weiterer Vereinfachung und pathetischer Zuspitzung bedarf. Während bei Schnorr von Carolsfeld die Engel (wie in der Apostelgeschichte) noch zum Geschehen selbst gehören, sind sie bei Foster zum barockisierenden Rahmen geworden, die Erhebung der Arme wird zum emphatischen „Flügelschlag“, die geerdete Figur zur freischwebenden, der jugendliche Christus zum mittelalten Bärtigen. Die von der CDU verwendete Illustration unterscheidet sich aber noch einmal von der Vorlage. Und das erklärt sich aus der Bildbeschreibung der Bildagentur:
Das Entscheidende ist hier das „digital improved“. Digital verbessert. Also nicht digital bearbeitet („edited“), nein: verbessert. Photoshop sei Dank ist also die Gloriole um Christus Kopf dramatisch hervorgehoben worden und der Himmel strahlt kantenbetont ins Irdische. Wer das verstehen will, sollte sich Umberto Ecos „Reise ins Reich der Hyperrealität“ und hier den Abschnitt „Die Krippen Satans“ durchlesen, publiziert in seinem Buch „Über Gott und die Welt“.
Darum geht es oft in der Politik und darum geht es letztlich im Tweet der CDU: um Komplexitätsreduktion. Deshalb konnte man nicht auf eines der großen Kunstwerke des späten Mittelalters oder der frühen Neuzeit zurückgreifen, deshalb reichte nicht einmal die Bibelillustration des 19. Jahrhunderts, die schon zu Propagandazwecken geschaffen wurde, sondern diese Vorlage musste noch einmal „digital improved“ werden, damit auch jeder/jede die Botschaft als eindeutige versteht. Das ist Twitter: alles auf Wiedererkennbares und Eingängiges verkürzen. Und das Überraschende ist, dass sich die CDU nicht für diesen Vorgang der Komplexitätsreduktion der biblischen Botschaft auf ein Propagandabild entschuldigt, sondern nur für die falsche Zuschreibung des Zitates im Bild an Markus. Der Kulturverlust, der sich im CDU-Tweet offenbart, ist nicht die Vermischung von Religion und Politik (die zur Programmatik der CDU gehört), nicht die Anbiederung an die deutschen Christen, sondern die Reduktion der kulturellen Vielfalt und Ausdruckskraft des Abendlandes auf ein für die Propaganda zugerichtetes Bild. Nicht die Himmelfahrt aus der kleinen Passion von Albrecht Dürer, nicht die Himmelfahrt wie sie Jean Fouquet für das Stundenbuch entworfen hat, nicht die fast schon cineastische Feuerflammengloriole, die Mantegna Christus verpasst hat, nichts davon wurde genutzt. Stattdessen ein computerbearbeitetes Lehrbild aus der Propagandaabteilung des Christentums, das dann zudem noch mit Schrift zugekleistert wurde. Das zeigt, dass die CDU die Kultur, für die sie doch angeblich eintritt, gar nicht mehr versteht. **** Epilog INur weil es so lustig ist, die Stellungnahme eines radikalen Demokraten zum CDU-Tweet: Darüber kann man nun länger nachdenken: Wie jagt man Menschen mit Hilfe einer Geisel? Warum sollte Jesus die CDU aus dem jüdischen Tempel jagen? Inwiefern ist Wahlwerbung mit Jesus niederträchtig? Was ist eigentlich eine Niedertracht, die nicht mehr übertroffen werden kann? Und warum eignet sich Giottos Darstellung der Tempelreinigung nun gerade ganz und gar nicht, um Jesus als Vorbild hinzustellen? Epilog IINicht mehr lustig, sondern nur noch dumm ist folgender Kommentar: Ja, mit der Bildung steht es in Deutschland nicht zum Besten. Anmerkungen[1] Die Zuordnung der Bibelsprüche ist natürlich nur peinlich. Sie gibt Auskunft über die „Bibelfestigkeit“ der CDU. Der rechts zitierte Vers stammt nicht aus Markus 16, sondern ist der Einheitsübersetzung von Lukas 24, 51 entnommen. Und auch die Bibelillustration bezieht sich auf die Lukasstelle, erkenntlich durch die erhobenen Arme. [2] Vgl. Habermas, Jürgen; Reemtsma, Jan Philipp (2001): Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001. Frankfurt am Main: Suhrkamp. [4] Eco, Umberto (1985): Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. 3. Aufl. München: C. Hanser. |
||||||
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/131/am730.htm |