Glaubensküche

Oder: Die Vernunft mahnt die Kirchen zur Toleranz

Andreas Mertin

Für einen humanistisch orientierten Zeitgenossen im 16. oder 17. Jahrhundert müssen die diversen Streitigkeiten zwischen den Konfessionen überaus merkwürdig erschienen sein. Kann ein Mensch mit Vernunft verstehen, worüber die sich da streiten und warum in dieser einander ausschließenden Heftigkeit? Warum können vernünftige Menschen sich nicht auf eine gemeinsame Lösung des Problems einigen bzw. bei Akzeptanz der Verschiedenheit der jeweiligen Deutungen sich wenigstens gegenseitig anerkennen? John Locke schreibt in seinem 1690 erschienenen „Essay Concerning Humane Understanding“ am Beispiel der Eucharistie etwas belustigt darüber, wie sehr der tradierte religiöse Deutungsrahmen die Wahrnehmung bestimmt:

Die grosse Hartnäckigkeit, mit der Menschen das Entgegengesetzte in den Religionen fest glauben, obgleich Beides oft gleich widersinnig ist, ist die Folge, wenn man von solchen überliefertem Grundsätzen in seinem Denken ausgeht und sein Urtheil darauf stützt. Solche Menschen trauen lieber ihren Augen nicht, verzichten auf das Zeugniss ihrer Sinne und halten ihre eigne Erfahrung für Lüge, als dass sie Etwas zuliessen, was diesen heiligen Sätzen widerspräche. Man nehme einen einsichtigen Katholiken, der von dem ersten Beginn seines Denkens und seiner Begriffe stets den Grundsatz eingeprägt bekommen hat, dass er glauben müsse, was die Kirche glaubt (nämlich die Kirche seiner Konfession), oder dass der Papst untrüglich sei, und der niemals bis zu seinem 40 oder 50sten Jahr einen Zweifel dagegen vernommen hat; so ist dieser gewiss ganz geeignet, die Lehre von der Verwandlung bei dem Abendmahl leicht in sich aufzunehmen, trotz aller Unwahrscheinlichkeit und trotz des klarsten Zeugnisses seiner Sinne. Dieser Grundsatz hat solche Gewalt über seine Seele, dass er das für Fleisch hält, was seine Augen als Brot sehen.[1]

Nun ist Locke ziemlich anti-katholisch eingestellt, seine Skepsis über die Standpunkte in der Abendmahlsfrage dürfte aber von vielen Zeitgenossen geteilt worden sein. Ähnlich schreibt auch David Hume, die Frage, „wie Christus bei dem Abendmahl empfangen wird“ sei doch eher „philosophischer Natur“, müsse also dementsprechend beantwortet werden.[2]

Aber die religiösen Subjekte halten sich nicht an derlei Vorgaben, sondern pflegen einen durchaus idiosynkratischen Umgang mit ihren theologischen Traditionen. Selbst durchaus verwandte Haltungen wie Reformierte und Lutheraner brauchen Jahrhunderte, bis sich die religiöse Vernunft so weit durchsetzt, dass man trotz aller Differenzen eine Union bilden kann. Das muss für ‚neutrale‘ Beobachter, also die Neutralisten im 16. und 17. Jahrhundert verstörend gewesen sein.

Um das Jahr 1600 erscheinen mehrere Stiche und Gemälde, die die Konfessionsstreitigkeiten ironisch aufs Korn nehmen. Sie sind immer so angelegt, dass die Vernunft bzw. der Friede die exponierten Vertreter der Konfessionen zum gemeinsamen Mahl in die Glaubensküche (Culina opiniorum) einlädt und sich zugleich über die Idiosynkrasie der Eingeladenen lustig macht.

Auffällig ist die der heutigen Rezeption eher abträgliche starke Überlagerung der Bilder mit Text-Paneelen, die man in Barockzeiten eher unter dem Bild erwarten würde und die heute das Verständnis eher behindern als fördern. Aber ohne sie wäre die Bilder vielleicht auch gänzlich unentzifferbar. Der Anschaulichkeit halber stelle ich zunächst das Gemälde vor, bevor ich mich dann dem etwas komplexeren Stich zuwende.

Bild 1: Anonym, Der Frieden ermahnt die Kirchen zur Toleranz, nach 1600

Anonym, Der Friede ermahnt die Kirchen zur Toleranz, 1600 – 1624, Öl/Lwd., h 132cm × w 163cm (Bild)

Blicken wir zunächst einmal auf das Offensichtliche: wir sehen vier Männer und eine Frau in einem Raum. Drei der Männer sitzen an einem gedeckten Tisch, der vierte bückt sich zu einer Schale am Feuer. Die Frau betritt beschwingt von links mit einer Pflanze in der linken Hand die Szene, mit der rechten stützt sie sich auf eine Texttafel. An der Wand hängen zwei Ölgemälde. Sieben Schrifttafel rahmen das Geschehen.

Für Betrachter*innen des beginnenden 17. Jahrhunderts vermutlich intuitiv einsichtig, besteht diese Szene aus zwei ineinander verschränkten religiösen Grundmotiven. Zum einen das Motiv, dass das Bildthema bestimmt: vier unterschiedliche konfessionelle Haltungen repräsentiert durch vier Männer. Zum anderen das allegorische Motiv von Justitia, Caritas und Pax, eine in dieser Zeit häufiger zu findende Zusammenstellung, wie auf der nebenstehenden Abbildung zu erkennen ist. Diese ist auch deshalb interessant, weil hier Ares (unten rechts) als der von den drei Frauen zu Befriedende dargestellt wird. Auf unserem satirischen Gemälde werden die Vertreter der Konfessionen (Ecclesia) diese Rolle einnehmen.

Es ist eine bizarre Gruppe, die nur auf den ersten Blick einträchtig am und um den Tisch sitzt. Man könnte zunächst vermuten, jeder habe zum gemeinsamen Festmahl etwas mitgebracht, der eine ein kleines Kalb, der nächste eine leckere Suppe, der dritte musikalische Unterhaltung und der vierte vielleicht Fisch. Ein Dinner for four sozusagen. Aber schnell erkennt man, dass nicht für vier, sondern nur für drei gedeckt ist, die rechte Figur also vom gemeinsamen Mahl ausgeschlossen ist, sie muss am Katzentisch und vor allem arg nah am Feuer speisen.

Physiognomisch bzw. durch äußere Kennzeichen können wir jede einzelne der Figuren identifizieren, auch wenn es sich nicht um porträthafte Darstellungen handelt. Auf der linken Seite sitzt der Reformator Johannes Calvin (1509-1564), neben ihm – durch die Tiara kenntlich – der Papst. Hier ist freilich keine persönliche Zuordnung möglich, es könnte sich um jeden (oder keinen[3]) der Päpste des 16. Jahrhunderts handeln. Dann folgt Martin Luther (1483-1546) und schließlich dürfte auf der rechten Seite der Täuferführer Menno Simons (1496-1561), der Namensgeber der Mennoniten, knien. Damit haben wir die Repräsentanten der Reformierten, der Katholiken, der Lutheraner und der Täufer versammelt.

Schaut man sich die Darstellung von Calvin näher an, dann sieht man, dass er eigentlich im Blick auf das Mahl den besten Teil bekommen hat. Vor ihm liegt ein feines Kalb, das er gerade mit Orangensaft beträufelt. Kalbsbraten nach französischer Art bzw. Kalbsbraten à l'orange. Wie kommen ausgerechnet die als asketisch verschrienen Reformierten zu dieser schönen Speise? Das hat sprachliche Gründe, die die beige­füg­te Texttafel erläutert.

Denn dort lautet die nieder­län­dische Botschaft: „Dit Calf fyn ist“ (das Kalb ist fein) und das klingt eben lautmalerisch wie Calvinist. Was nun den Saft der Orangen betrifft, so spielt er auf Wilhelm von Oranien an, den Förderer der reformierten Bewegung in den Niederlanden.

Das erklärt auch, warum Calvin versucht, mit seiner linken Hand Orangenschalen in den Brei des Papstes zu werfen. Das entspricht der historischen Rolle der Oranier, die die hegemonialen Bestrebungen des spanischen Katholizismus in den Niederlanden zunichtemachten. Und so notiert der Text über dem Papst, dass der Brei (niederländisch pape) bitter geworden ist, weshalb die Katzen nicht daran lecken wollen. Und schon haben wir die nächste Lautmalerei: Catte lecken = Katholiken. Dem Papst werden zudem noch die Worte in den Mund gelegt, er hoffe bei der Rückkehr seines Kochs aus Spanien (eine Anspielung auf Philipp II. von Spanien bzw. auf Herzog Alba[4]) werde der den Rest der Gesellschaft vertreiben.

Martin Luther hat keine Speise zum Mahl mitgebracht. Stattdessen spielt er mit einer Knicklaute zum Essen auf. Auch auf Hans Holbeins berühmten Bild „Die Gesandten“ steht die Knicklaute symbolisch für Luther. Ick raecke de luyr teer aen lautet der Text auf der Tafel über ihm und damit haben wir lautmalerisch das Wort „Lutheraner“. Luther möchte den Takt angeben, aber niemand, so klagt er, will sein Spiel verstehen.

Bleibt schließlich Menno Simons übrig, dessen Texttafel wie nach einem Bildersturm auf dem Boden liegt, und der mit einiger Sorge auf die anderen Mahlteilnehmer blickt. Seine Furcht ist nur allzu berechtigt, muss er doch in Gegenwart der anderen Konfessionen als Täufer mit dem Tode rechnen, weshalb er wohl nicht zufällig beim Feuer platziert ist. „Ick herdoper myn broot“ bekennt er dennoch, er tunkt es in eine Schale, was an die (Wieder-) Täufer denken lassen soll. Die Mennoniten mussten am längsten darauf warten, dass die anderen mit ihnen in zumindest befriedende Gespräche eintraten – ohne gleich eine Union anzustreben.

Damit haben wir die Protagonisten des Dramas kennengelernt, die Calvinisten, die Katholiken, die Lutheraner und nicht zuletzt die Täufer. Sie befinden sich zwar zusammen in einem Raum, der Glaubensküche, aber getrennt durch sorgsam kultivierte religiöse Überzeugungen, einander ausgrenzend und bedrohend. Das ist die Ausgangslage des Bildes. Und seine Frage lautet, ob diese Differenz die letzte Antwort ist, oder ob es nicht so etwas wie eine Union geben kann.

Die Rahmung geschieht nun durch allegorische Figuren, von denen eine leibhaft in der Küche präsent ist und zwei durch allegorische Bilder im Bild vergegenwärtigt werden.

Die durchaus besorgt blickende rot gekleidete Frau mit einem Oliven-Zweig in der Hand wird durch die begleitende Texttafel als Frieden (Vrede) vorgestellt. Sie sagt auf der Texttafel: Willkommen Freunde allzusammen, nehmt den Frieden in die Hand. Mehr als ein Friedensangebot kann der Frieden nicht machen, die Sache müssen die Eingeladenen selbst in die Hand nehmen, sie müssen erst einmal Frieden schließen. Dem steht die in der Kernszene geschilderte Eigensinnigkeit der Beteiligten im Weg. Und so hat auch die Personifikation des Friedens nur eine sehr geringe Hoffnung auf Erfolg, wie die zweite Texttafel unter ihrer rechten Hand verkündet: von Hunderten, die diese Botschaft gehört / gelesen haben, hätten maximal zehn sie verstanden.

Unterstützt wird die Botschaft der Pax bzw. des Friedens durch die Personifikationen von Justitia und Caritas, also Gerechtigkeit und Liebe. Das geschieht durch die beiden Gemälde im Bildhintergrund.

Das rechte Gemälde ist dabei recht konventionell, es geht über tradierte Darstellungen nicht hinaus. Die Caritas verteilt ihre Gaben an die Kinder: mit der Linken schüttet sie Wasser in eine Schale, in der Rechten hält sie einen geöffneten Granatapfel, der in der Barocksymbolik zum Sinnbild der Mildtätigkeit, des reichen Schenkens barmherziger Liebe geworden war.

Das Gemälde an der Frontseite des Raumes ist deshalb interessant, weil es indirekt noch einmal das Gesamtthema als Bild im Bild aufgreift und kommentiert. Und es ist das einzige Bilddetail, dass nicht durch einen Begleittext kommentiert wird.

Es zeigt die Gerechtigkeit (Justitia, kenntlich durch die Putte mit der Waage und Schwert), die dem Frieden (Pax, kenntlich durch die Putte mit dem Olivenzweig) erst zum Sieg und damit auf das Podest verhilft. Am dunklen Abendhimmel, der offenbar durch rote Brandfeuer einer Stadt im Hintergrund erleuchtet wird, wendet sich der zündelnde Zorn bzw. die Zwietracht bzw. der Krieg fluchtartig ab. Vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges und vor allem der Spanisch-Niederländischen Konflikte ist der Hinweis auf den Krieg, der durch dieses Bild im Bild mitgesetzt wird, bedeutsam. Schon die ‚Rede‘ des Papstes hatte ja auf diesen Konflikt verwiesen. Und hier ist es nun die „Gerechtigkeit“, die zur Etablierung des Friedens führt. Ohne Gerechtigkeit kein Frieden.

Im Vergleich zu den nun vorzustellenden Kupferstichen wird der Akzent auf dem Gemälde etwas anders gesetzt. Es mag sein, dass es von Menschen in Auftrag gegeben wurde, die an religiöser Toleranz interessiert waren. Das war in der damaligen Zeit sicher kein geringer Teil der Gesellschaft. Aber dennoch lässt das Gemälde eine Gewichtung erkennen, die eine gewisse Sympathie für die calvinistische Position erkennen lässt. Das wäre eine Verschiebung der Akzente gegenüber den Kupferstichen, die mehr Sympathie für Martin Luthers vermittelnde Position erkennen lassen. Insofern spricht einiges dafür, das Gemälde zeitlich etwas später ins 17. Jahrhundert zu datieren, als der Einfluss des Calvinismus in den Niederlanden gestiegen war.

Die Position des religiösen Humanisten Dirck Volkertszoon Coornhert (1522-1590), die für die nun vorzustellenden, zeitlich etwas früher anzusetzenden Kupferstiche bildgebend gewesen sein soll, spiegelt sich im Gemälde nicht (mehr).

Die Rede ermahnt die Kirchen zur Vertragsamkeit

Drugulins Bilderatlas von 1867 katalogisiert die niederländische Version des Blattes unter der Bezeichnung „Der Confessions-Schmaus“, datiert es ebenso wie das deutsche Gegenstück in das Jahr 1570.[5] Das Problem der Kupferstiche ist, dass es sie in verschiedenen Varianten (1, 2) gibt, die auf unterschiedliche Leser*innen zielen und immer wieder gedruckt wurden. Das Rijksmuseum datiert sie grob zwischen 1560 und 1624, immerhin eine Spanne von 64 Jahren. Klar ist aber durch die indirekte Erwähnung des Herzogs Alba, dass es sich auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Niederlanden bezieht. Da vorausgesetzt wird, dass Herzog Alba die Niederlande bereits verlassen hat (Dan Tian Tyrannie myn oude Kock, nu gevloden, Comt hij weder heißt es im niederländischen Blatt), ist der Terminus post quem für die Anfertigung des Blattes ganz eindeutig das Jahr 1573, in dem Herzog Alba die Niederlande auf eigenen Wunsch verließ.

Die Datierung, die das Rijksmuseum für die deutsche Ausgabe des Flugblattes gibt (ab 1560) muss daher mindestens auf eine Zeit nach 1573 korrigiert werden, wahrscheinlich entstand das Blatt aber sehr viel später. Auch die niederländische Vorlage kann natürlich nicht vor 1573 entstanden sein. Das niederländische Blatt, über das das Rjiksmuseum verfügt, ist zudem von Claes Jansz. Visscher gedruckt, der seine Druckerei erst 1611 gründete.

Wenn die Kupferstiche mit dem abgebildeten Hirsch zudem einen Hinweis auf den religiösen Humanisten Dirck Volkertszoon Coornhert (= Kornhirsch) enthalten sollten, dann müssten dessen einschlägige Schriften zur Religionstoleranz bereits publiziert worden bzw. bekannt gewesen sein. Seine Schrift „De Nederlanden: nood en hulp“, in der er eine Versammlung der Konfessionen über strittige Fragen vorschlägt, wurde 1580 geschrieben und gedruckt, seine Schrift „Wortel der Nederlandse oorlogen met suggesties voor binnenlandse eendracht“, in der er fiktional einen friedensorientierten Konfessionsdialog nachzeichnet, wurde 1581 geschrieben, aber erst 1590 publiziert, was eine spätere Datierung der Kupferstiche nahelegt.[6]

Auf den ersten Blick sieht man, dass auf diesem Stich eine Person zusätzlich auftritt. Neben die handlungsbestimmende Ratio im Zentrum des Bildes tritt noch eine Frau, die je nach Deutung die Verträglichkeit, Toleranz oder Herzlichkeit verkörpert. In einem subtilen Sprachspiel zwischen Hert (Hirsch) und Hertz (Herz) klagt sie darüber, dass die am Tisch versammelten Speisenden eher die Hörner (des Hirsches) als das Herz interessiert. Dass überhaupt ein Hirsch zum Festmahl gebracht wird, deutet das Rijksmuseum als Hinweis auf den religiösen Humanisten Coornhert, der wie auch die herbeigeeilte Magd in seinen Schriften zu Verträglichkeit, Toleranz und Herzlichkeit mahnt.

Aber diese neue Figur ist nicht die einzige Veränderung, denn auch die Konstellation der anderen Figuren wurde variiert. So rückt Luther in die Mitte des Tisches und der Papst nach rechts. Der Täufer wird ganz links platziert. Dadurch kommt zumindest eine logisch erscheinende Abfolge von links nach rechts im Blick auf die Entfernung oder Nähe zu Rom zustande: Täufer – Reformierte – Lutheraner – Katholiken. Aber dadurch sind auch einige interessante Interaktionen nicht mehr möglich. So kann Calvin die Orangenschalen nicht in den Brei des Papstes werfen und diese daran hindern, den Brei zu lecken. Um dennoch das schöne Sprachspiel durchführen zu können, muss einfach behauptet werden, der Brei sei vergiftet und bitter wie Galle, weshalb die Katzen ihn nicht wie gewohnt lecken wollen.

Das zweite Auffällige ist, wie aggressiv die Ratio = Vernunft die am und vor dem Tisch Versammelten angeht. Das ist ein ganz anderer Tonfall als die Rede des Friedens auf dem vorher betrachteten Gemälde. Hier deutet sich schon der herablassende Ton der Aufklärung gegenüber den Ansichten der Religion an. Den Täufern wird vorgeworfen, die Katzen (Katholiken) zu schlagen, den Reformierten, die Nachbarn zu beschweren, den Lutheranern, sich bei allen zu bedienen, ohne sich festzulegen, den Katholiken, tyrannisch zu morden. Alle bekommen sozusagen ihr Fett weg. Einigkeit oder gar eine Union kommt so nicht zustande. Die Religionen müssen sich belehren lassen. Der werbende Charakter der Rede für den Frieden ist damit aufgegeben, es wird drängender und zudringlicher.

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Exkurs: „das auch wol ein besunder buch davon zu schreiben were“ – Ein barocker Erklärtext

Was das deutsche Blatt auszeichnet, ist ein erklärender Text unter dem Bild, der dieses für deutsche Leser*innen, die der niederländischen Sprache nicht mächtig sind, verständlich machen soll. Zur Vergegenwärtigung: das Blatt ist 26 cm hoch und 34 cm breit. Leider ist die Amsterdamer Version am unteren Rand etwas abgeschnitten, so dass der Text am Ende nicht restlos entzifferbar ist. Er lässt sich aber durch eine vom Bildindex Marburg dokumentierten Version aus der Bayerischen Staatsbibliothek ergänzen.[7] Der Text fasziniert durch seine barocke Sprachgestalt und bietet zusätzliche Informationen und Deutungen (die freilich nicht alle überzeugen können). Er nimmt das Bild stark aus deutscher (lutherischer) Perspektive wahr.

Hie siehestu, gunstiger leser, die figur welche da Culina opiniorum die Glaubensküchen genant wirdt, voller mysterien und geheimnys also das auch wol ein besunder buch davon zu schreiben were. Und ist aus dem Original Hollendschen, in welchem sie in bedewtung der namen und vast aller worter ihre volkomene kraft hat, in etwas höher Teutsch ubersatzt.

Es werden aber darin furgebildet die drei furnembste und mechtigste Religionskirchen der heutigen Christenheit, jde nach ihrer art; mit noch zwo darneben gehenden Secten, welche doch an macht der andern dreien keiner zuuergleichen. Und sind diese alle fünf je jderein wider die andern vier, und ein also große uneinigkeit zwischen allen, das sich eins wol verwunderen möchte wie man sie hieher in eine kuchen hab bringen kunnen.

Die Eindracht hie stehende meindt ein jder sol nur das Hirsch (so in Hollentsch ein Hert, und eins menschen Hertz auch ein hert genant wird) ansehen, damit sie fridsam wurden.

Der Pfaf, so in Holl. ein Pap, und ein brej auch ein Pap genent wirdt, ist gute kost für kinder und alte weiber, hat aber die art, wie er elter wirdt, wie sewrer und schimliger er wirdt.

Gleich das gebraten kalb, in Holl. ein Calf (dardurch die umb des Glaubens willen gewurgte und gebrannte Calfinisten verstanden werden) ein manliche kost ist; und hat das Calf, wie es lenger lebt wie es großer, stercker, und gewaltiger wird.

Durch die Laut, in Holl. en Lute, verstanden werden die Lutheri seliger meinung sindt; spilen und sitzen in gutem friden, lassen die Casuer und Catten, das ist, Goesen und papwen, zusamen kempfen bis sie es mued werden.

Den Tauffer siehet man auch sein brot in die bratpfan tauffen, und nit in den brei oder papkessel: achtende das fett des gebratenen Calfs krefftiger zu sein in zu speisen dan die alte weiber kost. Das jin aber nachgegeben wirdt, er esse wol gern visch, mache aber die finger nit gern mass, ist so vil; sie wollen des fridens gern mit geniessen, aber umb ein sicheren Friden zuerlangen, mit anderen Evangelischen nit helffen vechten, sondern forchten die feust mit bluet und schweiss nass zu machen.

Durch die Charitas oben dem schornstein, das Haus der Liebden (ein besondere Sect also genant) verstanden wirdt: davon zu melden das spacik nit leiden wil.

Die Ratio hie stehende ist durch Gottes gnad die Köchin gegenwertiger kuchen geworden und heist sovil als bescheidenheit oder redlichkeit da zuvoren der koch Tyrannis ist gewesen, welcher allein gut verstat hat den Pap wol zu kochen, und den mit Romanej (ein süßes gedrenck also genant) das ist, mit Romischen bullen und ablasbriefen wol zu wurtzen: das Calf aber hatte er mit Cappers (ein kraut also genant) verschmoort und angebrat, das ist, durch die Cappetreger, durch rath und ingeben der gecappeten münch und paffen lassen marteren und doeten, da er auch des Spilmans und Tauffers nit verschonet hat.

Erkennbar deutet das Blatt die Darstellung aus deutscher Perspektive – so wird die Bedeutung des Luthertums in den Niederlanden für die damalige Zeit maßlos überschätzt. Die zentralen Gesprächspartner waren, das wird nicht zuletzt aus den Schriften von Dirck Volkertszoon Coornhert deutlich, die Katholiken und die Reformierten, d.h. die Calvinisten. Die fünfte auf dem Blatt benannte Bewegung, eine Sekte, die angeblich hy de liefden (Haus der Liebe) genannt wurde, habe ich nicht identifizieren können. Ich glaube, es handelt sich eher um ein Missverständnis der allegorischen Darstellung der Caritas – vielleicht, weil sie wie die anderen Beteiligten eine eigene Texttafel hat. Plausibel erscheint mir eine Darstellung einer derartigen Sekte auf dem Bild nicht.

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Das Interessanteste an den Blättern ist für mich das Motiv der Glaubensküche bzw. des Confessions-Schmauses – das kannte ich bisher nicht. Die Staatsbibliothek zu Berlin nennt das Blatt etwas amüsiert „Die erste Kochshow in den Niederlanden? Die Glaubensküche oder der Reformationsschmaus.“ Es scheint aber kein verbreiteter Topos der Zeit gewesen zu sein, außer diesem Blatt habe ich keine weiteren Beispiele gefunden. Wenn konfessionelle Streitigkeiten in der damaligen Zeit visualisiert wurden, dann waren die Gewichtungen in der Regel eindeutig verteilt: entweder zugunsten der Katholiken oder zugunsten der Protestanten. Neu an diesen Darstellungen ist der bewusst neutrale Standpunkt, der hier vertreten wird. Es geht nicht um einen Religionsfrieden im Sinne der Machtstabilisierung zwischen den Religionen (wie in Augsburg oder Münster/Osnabrück), sondern es geht um die Frage, warum religiöse Differenzen überhaupt zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen müssen. Und die Antwort lautet: weil die Konfessionen immer nur auf das Eigene schauen und nicht das Gesamtwohl im Blick haben.

In der Glaubensküche könnte ein reiches und differenziertes Mahl angeboten werden, keinesfalls nur ein Einheitsmahl, wohl aber eines, dass die Spezifika der lokalen Küchen mit aufnimmt. Ob dabei die Ratio die Küchenmeisterin sein muss, scheint mir fraglich. Das könnten die Konfessionen auch aus sich heraus leisten.

Anmerkungen

[1]    Locke: Versuch über den menschlichen Verstand.

[2]    Hobbes: Grundzüge der Philosophie

[3]    Der visuellen Überlieferung nach waren alle Päpste der in Frage kommenden Zeit vollbärtig. Insofern handelt es sich hier wohl um ein Symbolporträt.

[4]    Wenn sich die Anspielung auf Herzog Alba und dessen erwünschte Rückkehr bezieht, müsste der Papst in die Zeit nach 1573 datiert werden. Also Gregor XIII. (1572-1585) oder Sixtus V. (1585-1590). Freilich intervenieren die Spanier erst 1621 wieder in den Niederlanden, als das Bild bereits entstanden war.

[5]    Drugulin, Wilhelm Eduard (1867): Historischer Bilderatlas. Verz. e. Sammlung von Einzelblättern z. Kultur- u. Staatengeschichte vom 15. bis in d. 19. Jahrhundert. Hildesheim: Gg. Olms.

[6]    Beide Schriften finden sich in: Coornhert, D. V.; Gruppelaar, J. (2009): Politieke geschriften. Opstand en Religievrede. Amsterdam: Amsterdam University Press (Bibliotheca Dissidentium Neerlandicorum Amsterdamse Gouden Eeuw Reeks).

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/132/am727.htm
© Andreas Mertin, 2021