Differenz und Union
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„Talking Union“Eine folkmusikalische ErinnerungAndreas Mertin Der Begriff der Union, dem Wolfgang Vögele im Hauptartikel dieses Heftes mit Blick auf die badische Unionsurkunde von 1821 nachgegangen ist, hat in der amerikanischen Tradition einen weiteren Beiklang, nämlich den der sich in Gewerkschaften organisierenden Arbeiter am Beginn des 20. Jahrhunderts. Viele der großen amerikanischen Gewerkschaften tragen das Wort „Union“ als Selbstbezeichnung. Union-LiederAus dieser Tradition stammend und an diese Tradition anknüpfend gibt es eine Fülle von Folk-Liedern, die bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt in der aufbegehrenden studentischen Kultur populär waren und vor kurzem sogar durch Fans von Bernie Sanders im amerikanischen Wahlkampf re-aktualisiert wurden. Und es gilt heute immer noch, sobald man die ersten Töne solcher Lieder hört, kann man mitsummen: „Which Side Are You On?“ Dieses Lied wurde 1931 von Florence Reece, einer Ehefrau eines Minengewerkschafters nach einem Überfall durch die örtlichen Machthaber auf ihr Haus geschrieben. Es basiert musikalisch auf einem baptistischen Hymnus: Lay The Lily Low (hier in der populären Gitarren-Version von Charlie Byrd). Man muss das Lied „Which Side Are You On?“ aber erst einmal in seiner ursprünglichen Version aus dem Mund von Florence Reece hören und es befreit von der späteren popmusikalischen Glättung durch seine Popularisierung wahrnehmen, um der Not der Menschen und ihrem Wunsch nach einer starken Union auf die Spur zu kommen: Florence Reese singt. Die Union-Lieder sind in ihrer populären Verbreitung an eine bestimmte Gruppe von auch heute noch bekannten und populären Folksängern geknüpft, zu nennen sind dabei vor allem Woody Guthrie (1912-1967) und Pete Seeger (1919-2014). Letzterer gründete 1941 mit einigen seiner Mitstreiter:innen die linke Gewerkschaftsband The Almanac Singers. Das Faszinierende dieser nur ein gutes Jahr bestehenden Band ist ihre politische Lernfähigkeit bei gleichzeitiger Beständigkeit in den Grundanliegen. Ursprünglich eine pazifistische Band, förderten sie später den bewaffneten Kampf gegen Hitler und den Faschismus. Von dieser Gruppe und ihrem musikalischen Umfeld gibt es eine Reihe von Union-Liedern, die 1941 unter dem Titel „Talking Union“ erschien und die Lieder „All I Want“ von Jim Garland, „Get Thee Behind Me Satan“ und „Talking Union“ von Lee Hays, Miliard Lampell und Pete Seeger, „The Union Maid“ von Woody Guthrie und Millard Lampell, „Union Train“ von Lee Hays und schließlich „Which Side Are You on?“ von Florence Reece enthielt. Diese Platte wurde 1955, nachdem sich die Band längst aufgelöst hatte, bei Folkways Records erweitert mit nun 13 Liedern wieder aufgelegt. Neu hinzu gekommen sind nun „We shall not be moved“, „Roll the Union on”, „Casey Jones”, „Miner’s Lifeguard”, „Solidarity Forever”, „Join the Union”, „Hold the Fort”. Auf Youtube gibt es darüber hinaus weitere Zusammenstellungen der Union-Lieder, u.a. eine Kompilation, die die dreizehn Lieder sammelt und auf historischen Aufnahmen basiert. Cover-VersionenZu den Union-Liedern gehört auch die Geschichte ihrer Cover-Versionen. Erst die Popularisierung der Lieder machte sie international berühmt. Which side are you on wurde nicht nur von Pete Seeger und den Almanac Singers, sondern auch von Deacon Blue, Dropkick Murphys, Natalie Merchant, The Nightwatchman und Tom Morello, Ani DiFranco, , Rebel Diaz, Panopticon, Billy Bragg gesungen. Und natürlich begleitete auch dieses Lied die Wahlkampagne von Bernie Sanders. Solidarity Forever stammt aus dem Jahr 1915 und wurde von Ralph Chaplin geschrieben. Es war ein Song für eine spezifische Gewerkschaft (Industrial Workers of the World), wurde aber auch von anderen Gewerkschaften übernommen. Noch heute wird es auf amerikanischen Gewerkschaftstreffen gesungen. Coverversionen stammen unter anderem von Utah Philipps, Fast Rattler, Joe Glazer, Jesse Thomas Brown. Dessen Version ähnelt in ihrer Langsamkeit der raren Coverversion von Leonard Cohen aus dem Jahr 1970. Auch dieses Lied wurde in den letzten Jahren insbesondere durch die Fans von Bernie Sanders in Erinnerung gerufen: Das Lied Talking Union stammt ursprünglich von den Almanac Singers, wurde 1941 für einen Gewerkschaftskongress geschrieben. Merkwürdigerweise gibt es nicht sehr viele Coverversionen des Stücks. Pat Foster & Dick Weissman, John Greenway und John Glazer mit Charlie Byrd & Mike Seeger werden aufgeführt. Woody Guthrie schrieb 1940 Union Maid „for a union song from a female point of view“. Musikalisch basiert es auf dem Lied „Red Wings“ von Kerry Mills aus dem Jahr 1907. Es gibt diverse Cover-Versionen, zu nennen wären vielleicht die der Old Crow Medicine Show (2006), Peter, Paul & Mary (2003). In Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie gibt es von diesem Lied auch eine Bluegrass Cover Quarantine Edition (2020) der Gruppe „The New Students“, die den Leser:innen nicht vorenthalten werden soll. EpilogÜberhaupt sind die Quarantäne-Lieder der Gruppe ein interessantes Beispiel, wie sich räumliche Differenz und musikalische Union miteinander verbinden lassen. Wenn ich es recht sehe, hat die Gruppe in der Corona-Zeit weit mehr als 100 Lieder in dieser Form veröffentlicht. Die technische Logik des verwendeten Acapella-Programms ermöglicht es, dass ein und dasselbe Gruppenmitglied gleich mehrfach in der Performance der Lieder auftreten kann: als Sänger:in und als Musiker:in verschiedener Instrumente.
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/132/am734.htm |