Die Loggia und Odeo Cornaro

Oder: Vom maßvollen Leben

Andreas Mertin

Eigentümlich verborgen ist in Padua die „Loggia e Odeo Cornaro“. Das ist umso merkwürdiger, weil das Gebäude-Ensemble bereits in der berühmten Kunstgeschichte von Vasari erwähnt wird und der Bauherr bis in 20. Jahrhundert zu den Bestseller-Autoren eines maßvollen Lebens gehörte. Vielleicht liegt es schlicht daran, dass die Öffnungszeiten für das touristische Publikum so begrenzt sind (Di-Sa 10-13 Uhr). Lohnenswert ist der Besuch der frühesten Renaissance-Bauten von Padua in jedem Fall.

Giorgio Vasari schreibt über den Bau des Hauses:

… (dort machte er) die Bekanntschaft des großmütigen Herrn Luigi Cornaro verschaffte, eines venetianischen Edelmanns von seltenem Verstand und wahrhaft königlichem Sinn, wie seine vielen ehrenvollen Unternehmungen kund tun. Anderer rühmlicher Eigenschaften nicht zu gedenken, fand er Freude an der Baukunst, deren Kenntnis jedes großen Fürsten würdig ist; er hatte die Werke von Vitruv, von Leon Battista Alberti und anderen Schriftstellern gelesen, welche über diesen Gegenstand geschrieben haben und fühlte Verlangen, was er wusste praktisch auszuüben. Als er daher die Zeichnungen Falconettos sah und vernahm, mit welcher Gründlichkeit er über jene Gegenstände redete und alle Schwierigkeiten [difficultà] aufklärte, die in den verschiedenen Ordnungen der Baukunst entstehen können, wurde er von solcher Liebe für ihn ergriffen, dass er ihn in seinem Haus aufnahm und einundzwanzig Jahre ehrenvoll beherbergte, denn so lange dauerte noch das Leben Giovan Marias. In dieser Zeit führte er viele Werke mit Messer Luigi aus; weil aber dieser die Altertümer Roms in der Wirklichkeit zu betrachten wünschte, wie er sie in den Zeichnungen Giovan Marias gesehen hatte, ging er dahin, Falconetto mit sich nehmend, in dessen Gesellschaft er jedes Ding aufs Genaueste betrachten wollte. Danach nach Padua zurückgekehrt, begann er nach der Zeichnung und dem Modell Falconettos die sehr schöne reich ausgeschmückte Loggia im Haus der Cornaro nahe beim Santo, dann aber den Palast nach einem Modell von Messer Luigi selbst zu erbauen. Auf einem Pfeiler dieser Loggia sieht man den Namen Giovan Marias in Stein gehauen.[1]

Jacob Burckhardt schreibt in seinem Buch „Die Kultur der Renaissance in Italien“ im vierten Abschnitt über „Die Entdeckung der Welt und des Menschen“ und darin im sechsten Kapitel über die Biographik. Er skizziert die Leistungen der Italiener auf diesem Gebiet, insbesondere der Bewohner von Florenz. Ein Drittel dieses Kapitels widmet er aber mit ausführlichen Zitaten einem Lebensphilosophen aus Padua, dem Humanisten Luigi bzw. Alvise Cornaro (1467-1566). Ich zitiere im Folgenden seine komplette Schilderung:

Es wäre indes ungerecht, diese Zusammenstellung von Selbstbiographen zu schließen, ohne einen sowohl achtbaren als glücklichen Menschen zu Worte kommen zu lassen. Es ist dies der bekannte Lebensphilosoph Luigi Cornaro, dessen Wohnung in Padua schon als Bauwerk klassisch und zugleich eine Heimat aller Musen war. In seinem berühmten Traktat „Vom mäßigen Leben" schildert er zunächst die strenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach früherer Kränklichkeit ein gesundes und hohes Alter, damals von 83 Jahren zu erreichen; dann antwortet er denjenigen, welche das Alter über 65 Jahren hinaus überhaupt als einen lebendigen Tod verschmähen; er beweist ihnen, dass sein Leben ein höchst lebendiges und kein totes sei. „Sie mögen kommen, sehen und sich wundern über mein Wohlbefinden, wie ich ohne Hilfe zu Pferde steige, Treppen und Hügel hinauflaufe, wie ich lustig, amüsant und zufrieden bin, wie frei von Gemütssorgen und widerwärtigen Gedanken. Freude und Friede verlassen mich nicht . . . Mein Umgang sind weise, gelehrte, ausgezeichnete Leute von Stande, und wenn diese nicht bei mir sind, lese und schreibe ich, und suche damit wie auf jede andere Weise anderen nützlich zu sein nach Kräften. Von diesen Dingen tue ich jedes zu seiner Zeit, bequem, in meiner schönen Behausung, welche in der besten Gegend Paduas gelegen und mit allen Mitteln der Baukunst auf Sommer und Winter eingerichtet, auch mit Gärten am fließenden Wasser versehen ist. Im Frühling und Herbst gehe ich für einige Tage auf meinen Hügel in der schönsten Lage der Euganeen, mit Brunnen, Gärten und bequemer und zierlicher Wohnung; da mache ich auch wohl eine leichte und vergnügliche Jagd mit, wie sie für mein Alter passt. Einige Zeit bringe ich dann in meiner schönen Villa in der Ebene zu; dort laufen alle Wege auf einen Platz zusammen, dessen Mitte eine artige Kirche einnimmt; ein mächtiger Arm der Brenta strömt mitten durch die Anlagen, lauter fruchtbare, wohl angebaute Felder, alles jetzt stark bewohnt, wo früher nur Sumpf und schlechte Luft und eher ein Wohnsitz für Schlangen als für Menschen war. Ich war's, der die Gewässer ableitete; da wurde die Luft gut und die Leute siedelten sich an und vermehrten sich, und der Ort wurde so ausgebaut wie man ihn jetzt sieht, so daß ich in Wahrheit sagen kann: an dieser Stätte gab ich Gott einen Altar und einen Tempel und Seelen, um ihn anzubeten. Dies ist mein Trost und mein Glück so oft ich hinkomme. Im Frühling und Herbst besuche ich auch die nahen Städte und sehe und spreche meine Freunde und mache durch sie die Bekanntschaft anderer ausgezeichneter Leute, Architekten, Maler, Bildhauer, Musiker und Landökonomen. Ich betrachte, was sie neues geschaffen haben, betrachte das schon Bekannte wieder und lerne immer vieles, was mir dient, in und an Palästen, Gärten, Altertümern, Stadtanlagen, Kirchen und Festungswerken. Vor allem aber entzückt mich auf der Reise die Schönheit der Gegenden und der Ortschaften, wie sie bald in der Ebene, bald auf Hügeln, an Flüssen und Bächen mit ihren Landhäusern und Gärten ringsum daliegen. Und diese meine Genüsse werden mir nicht geschmälert durch Abnahme des Auges oder des Ohres; alle meine Sinne sind Gott sei Dank in vollkommen gutem Zustande, auch der Geschmack, indem mir jetzt das Wenige und Einfache, was ich zu mir nehme, besser schmeckt, als einst die Leckerbissen zur Zeit da ich unordentlich lebte."

Nachdem er hierauf die von ihm für die Republik betriebenen Entsumpfungsarbeiten und die von ihm beharrlich vorgeschlagenen Projekte zur Erhaltung der Lagunen erwähnt hat, schließt er: „Dies sind die wahren Erholungen eines durch Gottes Hilfe gesunden Alters, das von jenen geistigen und körperlichen Leiden frei ist, welchen so manche jüngere Leute und so manche hinsiechende Greise unterliegen. Und wenn es erlaubt ist, zum Großen das Geringe, zum Ernst den Scherz hinzuzufügen, so ist auch das eine Frucht meines mäßigen Lebens, daß ich in diesem meinem 83. Altersjahre noch eine sehr ergötzliche Komödie voll ehrbarer Spaßhaftigkeit geschrieben habe. Dergleichen ist sonst Sache der Jugend, wie die Tragödie Sache des Alters; wenn man es nun jenem berühmten Griechen zum Ruhm anrechnet, daß er noch im 73. Jähre eine Tragödie gedichtet, muß ich nicht mit zehn Jahren darüber gesunder und heiterer sein als jener damals war? — Und damit der Fülle meines Alters kein Trost fehle, sehe ich eine Art leiblicher Unsterblichkeit in Gestalt meiner Nachkommenschaft vor Augen. Wenn ich nach Hause komme, habe ich nicht einen oder zwei, sondern elf Enkel vor mir, zwischen zwei und achtzehn Jahren, alle von einem Vater und einer Mutter, alle kerngesund und (soviel bis jetzt zu sehen ist) mit Talent und Neigung für Bildung und gute Sitten begabt. Einen von den kleineren habe ich immer als meinen Possenmacher (buffon-cello) bei mir, wie denn die Kinder vom dritten bis zum fünften Jahre geborene Buf fönen sind ; die größeren behandle ich schon als meine Gesellschaft, und freue mich auch, da sie herrliche Stimmen haben, sie singen und auf verschiedenen Instrumenten spielen zu hören; ja ich selbst singe auch und habe jetzt eine bessere, hellere, tönendere Stimme als je. Das sind die Freuden meines Alters. Mein Leben ist also ein lebendiges und kein totes, und ich möchte mein Alter nicht tauschen gegen die Jugend eines solchen, der den Leidenschaften verfallen ist."

In der „Ermahnung", welche Cornaro viel später, in seinem 95. Jahre beifügte, rechnet er zu seinem Glück unter anderem auch, dass sein „Traktat" viele Proselyten gewonnen habe. Er starb zu Padua 1565, mehr als hundertjährig.[2]

Soweit Jacob Burckhardt. Dass Luigi Cornaro wirklich 104 Jahre alt wurde, wird heute unter Bezug auf zeitgenössische Quellen bezweifelt. Es dürften doch ‚nur‘ 84 Jahre gewesen sein, da hat er ein wenig gemogelt. Das schmälert aber seinen Einsatz für die Künste und die Architektur nicht. Man kann die ästhetischen Initiativen Cornaro goutieren, ohne seinen makrobiotischen Ansichten zu folgen.

Nietzsche widmet Cornaro in der Götzen-Dämmerung einige Zeilen im Abschnitt über die Verwechslung der Folge mit der Ursache.

Ich nehme ein Beispiel. Jedermann kennt das Buch des berühmten Cornaro, in dem er seine schmale Diät als Rezept zu einem langen und glücklichen Leben – auch tugendhaften – anrät. Wenige Bücher sind so viel gelesen worden, noch jetzt wird es in England jährlich in vielen Tausenden von Exemplaren gedruckt. Ich zweifle nicht daran, daß kaum ein Buch (die Bibel, wie billig, ausgenommen) so viel Unheil gestiftet, so viele Leben verkürzt hat wie dies so wohlgemeinte Kuriosum. Grund dafür: die Verwechslung der Folge mit der Ursache. Der biedere Italiener sah in seiner Diät die Ursache seines langen Lebens: während die Vorbedingung zum langen Leben, die außerordentliche Langsamkeit des Stoffwechsels, der geringe Verbrauch, die Ursache seiner schmalen Diät war. Es stand ihm nicht frei, wenig oder viel zu essen, seine Frugalität war nicht ein »freier Wille«: er wurde krank, wenn er mehr aß. Wer aber kein Karpfen ist, tut nicht nur gut, sondern hat es nötig, ordentlich zu essen. Ein Gelehrter unsrer Tage, mit seinem rapiden Verbrauch an Nervenkraft, würde sich mit dem régime Cornaros zugrunde richten. Crede experto.[3]

Wer in Padua zu Besuch ist, sollte es dennoch nicht versäumen, diesem Kleinod einen Besuch abzustatten. Es zeugt von Zeiten, in denen kulturinteressierte Bürger alles taten, um die Künste auch angemessen zur Aufführung zu bringen. Ab und an werden auch heute noch in der Loggia und dem Odeum Cornaro Stücke aufgeführt.

Anmerkungen

[1]    Kupper, Daniel (Hg.) (2008) Giorgio Vasari: Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, von Cimabue bis zum Jahre 1567,

[2]    Burckhardt, Jacob (1934): Die Kultur der Renaissance in Italien. Berlin: Deutsche Buch Gemeinschaft, S. 313ff.

[3]    Nietzsche, Friedrich: Götzen-Dämmerung. Nietzsche-Werke, Bd. 2, S. 971

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/133/am735l.htm
© Andreas Mertin, 2021