Das Museo del Precinema in Padua

Eine kurze Empfehlung

Michael Waltemathe

Direkt am Prato befindet sich der Palazzo Angeli. Dieses Gebäude beherbergt im Dachgeschoss das Museo del Precinema. Zum Einlass klingelt man unten an der Tür und steigt dann drei Stockwerke im Treppenhaus nach oben. Beim Aufstieg wird man von Schattenbildern auf den Museumsbesuch eingestimmt. Das im Jahr 1988 gegründete Museum[1] ist klein und wirkt sehr familiär.

Der Besuch beginnt mit einer kurzen Filmvorführung in einem kleinen Vorführsaal im Museum. Eine filmische Einführung in ein Museum für Pre-cinematik ist zwar ein etwas befremdlicher Einstieg, ein Eintritt durch die Hintertür, in diesem Fall aber interessant und kurzweilig.

Das Museum im Dachgeschoss des Palastes lebt von der Atmosphäre des Raumes. Die Sammlung des Museums ist thematisch sortiert und bietet viel Raum zum Entdecken. Man stöbert sich durch den Dachboden der Kino-Kunst.

Pre-Cinematik, also der Vorläufer der Kinokunst und -kultur, wird vor allem durch die Sammlung der Gründerin Laura Minici Zotti dargestellt[2]. Diese Sammlung ist höchst beeindruckend.

Sie zeigt anhand zahlloser Exponate den Weg der bildlichen Darstellung von der Malerei über Graphik und fotografische Reproduktion bis hin zum bewegten Bild. Der Besucher kann im Museum sowohl die Ästhetik als auch die Technik der Reproduktion visueller Weltwahrnehmung nachvollziehen.

Die Ausstellung führt den Besucher durch die Entwicklung dieser Reproduktionsversuche. Exponate, die vom 18. bis zum 20. Jahrhundert datieren,[3] stellen die technischen Entwicklungen und die verschiedenen Annäherungsversuche an eine möglichst realistische Reproduktion des Geschauten oder Imaginierten dar. Dabei ist zweierlei zu beobachten: Mit fortschreitend besserer Darstellungs- und Betrachtungstechnik nähert sich die Reproduktion dem menschlichen Blick auf alltägliches Erleben an. Dabei geht es um die Perfektion bildlicher Darstellung in Perspektive aber auch Plastizität durch z.B. Stereodarstellungen und Raumbilder in Stereoskopen[4] oder Linsensystemen wie beim Megalethoskop[5]. Obwohl diese Betrachtungstechniken nicht notwendigerweise auf fotorealistische Darstellungen angewiesen sind profitieren sie natürlich davon. Dem Museum gelingt es beispielhaft sowohl an Medien als auch an Betrachtungsgeräten diese Entwicklung nachzuzeichnen und den Bezug zwischen Abbildungs- und Betrachtungstechnik deutlich zu machen.  Während die Annährung durch Stereoskop oder Megalethoskop auf die individuelle Betrachtung setzt, stellen Projektionssysteme dann das Bild vor ein größeres Publikum. Die Projektion als Schritt zur Bildbetrachtung durch größere Gruppen ist der entscheidende Schritt zu dem was später den sozialen Aspekt des Kinos ausmacht. Hier liegt einer der Höhepunkte der Ausstellung. Die Sammlung zeigt zahlreiche beeindruckende Exemplare der magischen Laterne (Laterna Magica)[6].

Diese frühen Projektionsgeräte finden sich sowohl in den ursprünglichen technisch innovativsten Formen als auch aus späterer Zeit in Form von Kinderspielzeug wieder. Hier zeigt die Ausstellung die Transformation neuer Technik in Alltagsgegenstände und dann Kinderspielzeug. Neben den Projektionsgeräten selbst sind die ausgestellten Projektionsmaterialien, die Medien zu sehen. Auch hier sind Alltagsszenen und Inhalte mythologischer Art nebeneinander zu sehen. Bei beiden versucht technischer Fortschritt die ‘realistische’ Darstellung zu verbessern, eine Beobachtung die man natürlich auch bei modernen Kinofilmen machen kann. CGI- und andere Special-Effects-Verfahren machen das Unmögliche zeigbar. Frühe Versuche dieser Art kann man in der Sammlung des Museums sehen. Hier finden sich dann auch Darstellungen aus der christlichen Bildgeschichte. Als Projektion haben diese zum Beispiel in der Missionstätigkeit eine Rolle gespielt.

Ein weiterer wichtiger Schritt in der Annäherung der künstlichen Darstellung an die menschliche Alltagswahrnehmung ist die Abbildung von Bewegung. Ausgestellt sind Laterna-Magica-Bilder, die durch Folien oder mechanische Schieber einfache Bewegungen zeigen können. Technisch ausgefeiltere und dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen angepasstere Apparate bilden dann ganze Bewegungsabläufe ab und sind dem was später Kinofilm ausmacht sehr nahe.

Hier bietet das Museum zahlreiche Exponate früher Betrachtungsgeräte. Exemplare von Phenakistiskopen[7], Praxinoskopen[8] und Zoetropen[9] und die dazugehörigen Medien sind zu finden.

Die Ausstellung im Museum fasziniert auf drei Ebenen. Erstens zeigt sich technische Entwicklung bildlicher Darstellung sowohl an den Betrachtungsgeräten als auch an den verwendeten Medien. So ist das Museum auch ein Museum für Fotografiegeschichte. Die fotografischen Darstellungen aus dem 19 Jh. zeigen eben auch die technischen Anfänge der Fotografie und die künstlerischen Methoden des Umgangs mit dieser. Ohne die Entwicklung der Albumin-Fotografie[10] wären Geräte wie das Megalithoskop nicht möglich gewesen. Faszinierend dabei ist, dass der Aufnahmeumfang von Albumin-Aufnahmen den heutigen Geräten in vieler Hinsicht nahezu identisch ist. Diese hohe Qualität ist im Museum eindrucksvoll zu erleben.

Zweitens zeigt das Museum immer wieder auch die Differenz zwischen Dokumentation und Illustration. Geschichten werden illustriert und Zeitgeschichte dokumentiert. Bei beiden Formen geht es in der Pre-Cinematik immer darum, das Bild zugänglich zu machen auf eine Art und Weise, die die Betrachter in das Bild hineinzieht, das Bild dem Alltagserleben möglichst gleich macht. Die bleibende Faszination dieser Darstellungsformen zeigt sich beispielhaft heute immer noch an Gesellschaften wie der ‘London Stereoscopic Company’[11], deren Neugründer der Physiker und Musiker Brian May ist. Der Versuch Geschichten und Geschichte bildlich so darzustellen, dass sie die Betrachter teilhaben lässt, in sie eintauchen lässt ist in der Pre-Cinematik genau so erkennbar und erlebbar wie in aktuellen Virtual-Reality-Angeboten.

Drittens zeigt das Museum den Spagat zwischen Realismus und Abstraktion, den die Einführung neuer Technik mit sich bringt. Die historischen Exponate zeigen eindrücklich wie das unbewegte Bild immer ‘besser’ wird. Es wird detailreicher, es wird coloriert, es wandelt sich von der Illustration und Graphik zur Fotografie. Das Stereobild wird räumlicher, das Megalithoskop zieht den Betrachter in die Szene, der Projektor bringt das Bild in denselben Raum mit dem Publikum.[12] Technisch entwickelt sich der Projektor weiter. Das Bild wird heller, die Projektionsfläche größer und die Darstellung realistischer. Einige der ausgestellten Projektoren erlauben mehrere Projektionen gleichzeitig. Überblendungen und damit erste Bewegungen sind so auch projizierbar.

Bewegung kommt ins Bild und wird dann in den Anfängen ganz abstrakt. Die ausgestellten Zoetrope zeigen naturgemäß abstrahierte und reduzierte Bewegungsabläufe. Hier dominiert die reine technische Möglichkeit die bildliche Darstellung. Ein gezeichnetes Skelett bewegt sich. Ein Pferd läuft. Das illustriert Bewegung, reduziert sie und macht sie analysierbar. Aber es ist nur abstrahierte Darstellung von Alltagsrealität. Die Alltagsablösung durch das bewegte Bild bleibt dann der Cinematik überlassen und ist im Museum nicht mehr dargestellt. Einzig das ausgestellte Praxinoskop deutet allein durch die Verlängerung der Spieldauer schon den Übergang zum Kino an.

Animation von Bernard de Go Mars, CC BY-SA 4.0,
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=94671549

P.S.

Als der venezianische Landschafts- und Vedutenmaler Canaletto (eig. Giovanni Antonio Canal, 1697-1768) in Padua war, richtete er im Palazzo Angeli, dem heutigen Haus des Pre-Cinema-Museums eine Camera Obscura ein und gestaltete damit zwischen 1745 und 1746 eine Vedute des Prato della Valle:

Anmerkungen

[1]    Vgl.Museo del Precinema: The Museum, http://www.minicizotti.it/en/the-museum/ (abgerufen 29.09.2021)

[2]    Vgl. Ebd.

[3]    Vgl. Ebd.

[4]    Zur Geschichte und Verbreitung des Stereoskops als Massenmedium ist die folgende Magisterarbeit sehr lesenswert: Schönfeld, Jochen, Die Stereoskopie. Zu ihrer Geschichte und ihrem medialen Kontext, https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/46157/pdf/mag_komplett.pdf?sequence=1&isAllowed=y (abgerufen am 29.09.2021). Die Ausführungen zum Amerikanischen Stereoskop (S. 28ff.) und die Beschreibung des Zusammenhangs von Wissenschaftlicher Darstellung und massenmedialer Wirkung illustrieren den gesellschaftlichen Kontext dieser Form der bildliche Darstellung von Alltagswelt scharfsinnig.

[5]    Für eine bildliche Darstellung siehe https://www.getty.edu/art/collection/objects/33800/carlo-ponti-megalethoscope-italian-about-1862/, eine Funktionsbeschreibung und Bemerkungen zur Geschichte finden sich hier: https://www.cooperhewitt.org/2016/02/07/day-and-night-2/ (beide Linka abgerufen am 29.09.2021)

[6]    Lexikon der Filmbegriffe, Artikel Laterna Magica, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/l:laternamagica-783, (abgerufen am 29.09.2021).

[7]    Lexikon der Filmbegriffe, Artikel Phenakistiskop, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/p:phenakistiskop-833, (abgerufen am 29.09.2021).

[8]    Lexikon der Filmbegriffe, Artikel Praxinoskop, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/p:praxinoskop-838, (abgerufen am 29.09.2021).

[9]    Lexikon der Filmbegriffe, Artikel Zootrop, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/z:zoetrope-852?s[]=zootrop, (abgerufen am 29.09.2021).

[10]   Fritz Jörn, Scharf wie 140 Gigapixel, FAZ Technik vom 26.04.2016, https://www.faz.net/aktuell/technik-motor/fruehe-fotografie-scharf-wie-140-gigapixel-14199180.html, (abgerufen am 29.09.2021).

[11]   The London Stereoscopic Company Ltd., https://www.londonstereo.com/, (abgerufen am 29.09.2021).

[12]   So wird dann bei der Projektion von religiösen Motiven auch das Transzendente in der Mitte der Gemeinschaft sichtbar. Dieser Effekt wird sicherlich bei ersten Projektionen vor religiösen Gruppen deutlich erlebbar gewesen sein. Auch sei an dieser Stelle bemerkt, dass sich im Museum eine Camera Obscura befindet. Diese stellt einen Projektionsraum dar, in den die Außenwelt durch ein optisches System projeziert wird. So betreten die Besucher in besonderer Weise eine Abbildung der Außenwelt. Sie werden Teil des optischen Systems, teil der Kamera. Diese Dimension geht bei der Projektion durch die Laterna Magica verloren.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/133/miwa08.htm
© Michael Waltemathe, 2021