Was ist das für ein Weihnachts-Bild?

Und warum und wie sollte man es einsetzen?

Andreas Mertin

Das Bild der Welt in der Bilderwelt[1]

„Wir leben in einer Gesellschaft, die vom Bild dominiert wird. Wir sind eine Mediengesellschaft und ohne Beachtung der Bilder und ohne Produktion von Bildern gehen wir unter. Der Inhalt ist natürlich wichtig, aber ohne das richtige Bild ist der Inhalt nichts wert“.

Diese und ähnliche Sätze hört man in den letzten Jahren immer wieder und sie sollen die massiven Investitionen begründen, die in die mediale Nach- und Aufrüstung gesteckt werden, um optisch öffentlichkeitswirksam präsent zu sein. Aber ist dieser Satz von der Dominanz der Bilder überhaupt zutreffend? Stimmt es, dass Bilder heute wichtiger, be­deutsamer geworden sind als Worte und dass uns dies von vergangenen Zeiten unterscheidet?[2]

In einem trivialen Sinne ist es natürlich klar, dass wir gegenwärtig in einer Welt leben, die von Bildern überflutet wird. Ein normaler Mensch der westlichen Kultur des 21. Jahrhunderts sieht vermutlich an einem Tag mehr künstliche Bilder als ein Mensch des Mittelalters in einem ganzen Jahr oder vielleicht sogar in seinem ganzen Leben. Und im Vergleich zum Wort und zum Buch werden Bilder schneller genossen und unmittelbar rezipiert.

Aber heißt das, dass die Bilder auch wichtiger, mächtiger und wirksamer sind als früher? Wer heute mit Bildern im digitalen Zeitalter umgehen will, muss für sich eine bewusste Wahrnehmungsökonomie einführen, man muss sich Zeit nehmen, man muss die Bildwahrnehmung entschleunigen. Man muss mit anderen Worten lernen, Bilder zu lesen.

Eine Macht der Bilder, so wie wir sie im Mittelalter und der frühen Neuzeit bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts kennengelernt haben, wird es nicht wieder geben. Schon die früheren Machtzuweisungen hatten eher etwas mit magischen Vorstellungen der Bildbetrachter zu tun als mit wirklicher Bildermacht. Dass diese Bildmagie mit Beginn der Neuzeit gebrochen und spätestens im digitalen Zeitalter entzaubert wurde, ist gut. Das heißt aber nicht, dass man dem Trend zur Beliebigkeit und zur Bedeutungslosigkeit der Bilder nachgeben sollte.

Durch die konzentrierte Auseinandersetzung mit Bildern (seien es Kunstwerke aus der Hochkultur oder seien es alltagskulturelle Bilder) kann etwas von ihrer grundsätzlichen Bedeutung, die über die reine Sprache hinausgeht, bewahrt werden. Lebensweltlich geht es also um die Vermittlung der Kompetenz, Bilder zu lesen, wichtige von unwichtigen Bildern zu unterscheiden, nicht zuletzt aber auch darum, selbst Bilder zu gestalten. Das wird angesichts der Bilderfülle immer schwieriger und zugleich immer notwendiger.

Dabei ist Weniges zurzeit unter Kunsthistorikern so ungeklärt wie gerade die Frage „Was ist ein Bild?“ Die Bildwissenschaft, so sagt man, steht „eher für ein Problemfeld als für eine institutionell verankerte, eng umrissene oder grundständig studierbare Disziplin“.[3] Seitdem vor gut zwanzig Jahren Kunsthistoriker begonnen haben, über den engen Tellerrand der Kunstgeschichte hinauszublicken und die Bilderwelt als Ganze in den Blick zu nehmen, ist eine fast unüberschaubare Fülle an Literatur zu diesem Thema entstanden. Insbesondere Hans Belting[4], Klaus Sachs-Hombach[5] und Gottfried Boehm[6] haben sich dem Themenfeld zugewandt. Nun ist jedem schnell einsichtig: „Bild“ ist nicht gleich Abbild, denn auch Bilder, die nichts abbilden, bezeichnen wir als solche. „Bild“ ist nicht nur das visuell Wahrnehmbare, denn zumindest in einem übertragenen Sinne sprechen wir auch von Sprachbildern. Aber was ist dann ein Bild? Das kann man nicht umfassend beantworten, aber man kann es zumindest problematisieren.


Das „Bild“ von der Geburt Jesu auf dem Hersbrucker Altar

Versuchen wir exemplarisch ein paar Beobachtungen an einem „Bild“ oder sagen wir neutraler: an einem Objekt zu machen, die uns helfen können, der Antwort auf die Fragen „Was ist ein Bild? Und warum und wie sollte man es einsetzen?“ näher zu kommen. Ausgewählt habe ich ein Werk eines unbekannten Malers, der behelfsweise als Meister des Hersbrucker Altars bezeichnet wird. Das Bild stammt aus dem Jahr 1480 und hängt heute wieder in der seit 1525 evangelischen Hers­brucker Stadtkirche in der Nähe von Nürnberg.[7]

Kontext
Der gesamte Altar stammt aus der Zeit vor der Reformation und wurde in Auftrag gegeben für die Stadtkirche St. Marien. Über den Stifter (vermutlich ein in außerkanonischer Literatur und Passionsspielen kenntnisreicher Geistlicher) und den Maler wissen wir so gut wie nichts. Hersbruck gehört in dieser Zeit in das Herrschafts­gebiet der Herzöge von Bayern-Landshut und fällt 1504 an das Gebiet der Reichstadt Nürnberg. 1525 wurde Nürnberg und damit auch Hers­bruck evangelisch.

Die Marienkirche liegt als Hauptkirche keinesfalls im Zentrum der Stadt, da befindet sich das Rathaus, sondern an der Stadtmauer, also am Rande der Stadt.

Obwohl der Altar ein Marienaltar war, wurde er nach der Reformation beibehalten. Er stand am Ende des Chorraumes, der mit der Reformation durch die vermutlich vollzogene Vorziehung des Altartisches an die Chorschranke etwas von seiner liturgischen Funktion verlor. Um 1738 wird ein neues, barockes Altarwerk eingesetzt und die Tafelbilder des alten Altares an die Chorwände gestellt. 1928 kommt der gesamte Altar anlässlich einer Ausstellung ins Germanische Nationalmuseum in Nürnberg und kehrt erst 1961 als Altar an seine ursprüngliche Stelle zurück.

Konzeptionell haben wir einen reich geschnitzten Mittelteil mit vier Figuren von Kirchenvätern (Augustinus, Gregor der Große, Hieronymus, Ambrosius) und der Marienfigur in der Mitte vor uns. Hinzu kommen die Flügelbilder mit ihren Innen- und Außenseiten. Sie zeigen auf den Innenseiten zwei große Darstellungen, links die Geburt Christi und rechts den Tod der Maria. Auf den Außenseiten finden sich acht kleinere Darstellungen aus der Passion Jesu und vier Darstellungen aus dem Leben der Maria. Eine Vielzahl der Einzelmotive insbesondere der Passionsdarstellungen sind originär, u.a. der Kahlschlag in Gethsemane oder das Nagelbrett, das Jesus beim Gang zum Kreuz mit sich schleppt.

Worauf blicken wir - formal?
Ganz offenkundig haben wir hier ein Bild vor Augen. Aber sagen wir es genauer: es ist ein Bild eines Bildes eines Geschehens bzw. einer Erzählung von einem Geschehen. Sobald man freilich über die Entstehung des optischen Eindrucks, den wir gerade verarbeiten, nachdenkt, wird es verwirrend. Ein Bild ist es zunächst nur auf der Ebene der digitalen Abbildung des Werkes, über das wir sprechen wollen. In Texten und bei Vorträgen tun wir immer so, als wenn dieses Bild mit jenem Originalbild in Hersbruck identisch wäre. Das ist es natürlich nicht einmal ansatzweise. Es stellt seinerseits eine eigene Realität gegenüber dem Original dar.

  1. Sie blicken aktuell auf Ihren Monitor, auf dem eine Wiedergabe eines digitalen Bildes von meiner Festplatte zu sehen ist, das ich auf die Webseite des Magazins eingebunden habe. Je nach Art und Qualität, vor allem aber den Farbeinstellungen Ihres Monitors ändert sich schon dort die Darstellung der Datei von meinem Rechner bzw. des Servers unserer Zeitschrift.
  2. Wie aber ist das Bild auf meinen Rechner bzw. unseren Server gekommen? Ich habe vermutlich ein Bild aus einer der Publikationen über den Altar gescannt. Bei diesem Scanvorgang hat mein Scanner quasi vollautomatisch das Bild bestimmten vorprogrammierten Erwartungen angepasst – er hat es geradegerückt, unter Umständen aufgehellt oder den Kontrast erhöht bzw. die Farben korrigiert – was Scanner eben „denken“, was wir Menschen von ihnen erwarten, wenn wir sie beauftragen, ein Bild zu scannen. Zwar kann man diese automatischen Veränderungen bzw. „Verbesserungen“ auch ausschalten, aber in der Regel sind sie durchaus hilfreich. Aber sie verändern das Bild der Vorlage gemäß unseren Erwartungen an ein „lesbares“ Bild.
  3. Das von meiner Vorlage eingescannte Bild wurde zuvor von einer Druckmaschine zu Papier gebracht, der eine Druckdatei eingegeben wurde. Je nach Vorgaben (Vierfarbdruck, Glanzpapier etc.) wurden dabei noch einmal Änderungen vorgenommen.
  4. Diese Druckdatei wurde vermutlich zuvor durch einen Bildredakteur mit einem Grafikprogramm wie Photoshop bearbeitet. Der Bildredakteur muss das Original nicht unbedingt selbst gesehen haben, aber er muss das Bild so aufbereiten, dass es wie das Originalgemälde aussieht.
  5. Bekommen hat er das Bild vom Repro-Fotografen, der das Gemälde vor Ort ausgeleuchtet und ein Foto hergestellt hat, dessen Farbwerte er dann noch anhand des Originals korrigierte und das Bild wahrscheinlich mit einer Farbskala versehen hat, damit der Bildredakteur hinterher anhand der normierten Werte arbeiten und Anpassungen vornehmen kann.
  6. Und erst an dieser Stelle stoßen wir auf das Original in Hersbruck. [Es könnte allerdings sein, dass der Weg noch viel länger ist, wenn etwa der druckende Verlag einfach ein Bild aus einem anderen Buch per Scan übernommen hat.]

Man sollte diesen Entwicklungsprozess exemplarisch einmal im Kopf hin und zurück verfolgen, um sich die komplexe Beziehung des Bildes von der Monitorabbildung zum Original und zurück zur Monitorabbildung zu vergegenwärtigen. Und trotz der Komplexität dieses Vorgangs vertrauen wir darauf, dass das Bild auf dem Monitor in einer qualifizierten Ähnlichkeitsbeziehung zum „Originalbild“ in der Hersbrucker Stadtkirche steht. Uns ist natürlich klar, dass das Originalbild nicht zweidimensional ist, sondern durch den Auftrag der Ölfarben und durch die Rahmung auch dreidimensionale Aspekte hat, die ein Monitorbild niemals nachbilden kann. Zudem haben wir bisher nur wenige Kenntnisse davon, in welchen Kontexten sich das dortige Bild befindet, ob es mit anderen Bildern und Figuren zusammen betrachtet werden muss oder ob es auch für sich allein interpretiert werden kann. Aber wir können zumindest auf ein detailreicheres Bild blicken, als es für die Betrachter in den 500 Jahren zuvor möglich war, denn so nah wie wir dem Monitorbild sind sie dem „Original-Bild“ kaum gekommen.

Vergegenwärtigt man sich, dass dieses Weihnachts-Bild auf dem Altar im Chorraum der Marienkirche stand, der Altarraum aber ganz normalen Kirchenbesucher:innen zumindest in vorreformatorischen Zeiten nicht zugänglich war, Reproduktionen bis ins 19. Jahrhundert nicht weit verbreitet waren, dann merkt man, dass Betrachter:innen früherer Zeiten einen ganz anderen Bildeindruck hatten als wir, die wir heute mit digitalen Annäherungen vertraut sind und natürlich auch in einer Kirche wie in einem Museum direkt an das Bild herantreten können, um es zu erkunden.

Inwiefern können wir dann aber ganz selbstverständlich von dem Bild des Hersbrucker Altars reden? Durch die unterschiedlichen Wahrnehmungen entstehen quasi eine Vielzahl von Bildern.

2. Worauf blicken wir - inhaltlich?
Den Prozess der Reflexion darüber, auf was für eine Art von Bild wir eigentlich schauen, kann man nun auf der inhaltlichen Ebene noch einmal wiederholen. Denn auch beim originalen Bild in Hersbruck kann man sich natürlich fragen, was es eigentlich abbildet.

Ganz offenkundig bildet es nicht einen Text ab, den wir in der Bibel lesen könnten. Ja, bei Lukas kommen Josef, Maria und das Christuskind, Hirten und auch Engel vor. Aber Maria wäre als niedere Magd ganz sicher ohne Brokatkleid, Josef wäre kein alter Mann mit Kerze, das Christuskind läge nicht nackt auf dem Boden und die Hirten hätten keine Musikinstrumente dabei, vom konkreten Aussehen der Engel und der Architektur der Gebäude ganz zu schweigen.

Trivialerweise ist das Ölgemälde keine Fotografie oder Phantomzeichnung der Geburt, aber eben auch keine bloße Illustration der lukanischen Erzählung von der Geburt Jesu. Und es ist auch kein gänzlich imaginiertes Bild im Sinne einer himmlischen Vision. Was aber ist es dann?

Tatsächlich haben wir es mit einer Gemengelage zu tun. Würden wir aus dem Bild alles eliminieren, was nicht in der biblischen Erzählung steht, bliebe vielleicht gerade noch die Krippe im Hintergrund übrig und die Gesichter von Maria und ihrem Kind. Alles andere ist erklärungsbedürftig und müsste auf andere Quellen und Erzählungen bezogen werden.

Nun kann man durchaus rekonstruieren, was wir hier sehen. De facto schauen wir auf die Monitordarstellung einer digitalen Ausgabe eines Fotos eines Gemäldes über eine historisch kolportierte Vision von einer durch Erzählungen in der Bibel überlieferten Begebenheit, von der wir nicht wissen, ob es sie gegeben hat – vermutlich jedoch nicht.

Noch einmal mit anderen Worten: Wir schauen auf das Monitorbild eines Altargemäldes eines unbekannten Meisters, der die Visionen der Heiligen Birgitta von Schweden von der Geburt Jesu unter Berücksichtigung des Lukas-Evangeliums gestaltet hat. Angereichert hat er die Darstellung mit Details nach der Legenda Aurea. Der Prozess lässt sich also so beschreiben:

  1. In der untersten Schicht haben wir das Geschehen der Geburt, zu dem wir allerdings keinen unmittelbaren Zugang haben. Berichte von Zeitgenossen oder Teilnehmern haben wir nicht.
  2. Die Erzählung nach Lukas 2,7 ist zeitlich anzusetzen etwa 90 n. Chr., also fast 100 Jahre nach den Ereignissen. Sie entwirft ein Glaubensbild des Geschehens. Die Geburtserzählung nach Matthäus 2 weicht deutlich davon ab, ist aber ebenfalls ein Glaubensbild.
  3. Das Protoevangelium des Jakobus entsteht aus dem Interesse an der narrativen Ausgestaltung des Geburtsgeschehens und datiert in die Mitte des 2. Jahrhunderts. Hier finden wir zum ersten Mal Ochs und Esel bei der Geburt erwähnt. Es beeinflusst vor allem den byzantinischen Bildtyp.
  4. Die Ausgestaltung der byzantinischen Weihnachtsliturgie steuert weitere Elemente bei.
  5. Das Pseudo-Matthäus-Evangelium aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts konkretisiert bzw. bündelt noch mal die narrative Ausgestaltung (Einführung der He­bam­men, Ochs und Esel nehmen Jesus in die Mitte). Diese Schilderung ist eine der wirkungsmächtigsten und findet sich auch noch auf westlichen Darstellungen Anfang des 15. Jahrhunderts.
  6. Die am Kirchenjahr orientierte Legenda aurea[8] entsteht nach 1292 und beschreibt den Ort der Geburt als „offener Durchgang zwischen zwei Häusern, der ein Dach hat“. Dies wird unmittelbar in die Kunst übernommen.
  7. In die Zeit nach 1344 datieren die Visionen der Heiligen Birgitta von Schweden, die den heutigen Bildtyp der Geburt Jesu bestimmen.[9] Beschrieben finden wir in diesen Visionen Maria mit weißem Mantel und dünnem Kleid, Josef als alten Mann mit Kerze zur Erleuchtung der Herberge, der aber bei der Entbindung nicht dabei ist, den Strahlenglanz des Christuskindes, das nackt vor der anbetenden Madonna liegt. Und wir hören von der Nachgeburt, eingewickelt und glänzend neben dem Kind. Nach 1372 finden diese in ganz Europa zirkulierenden Visionen Eingang in die Kunst. Seitdem pflegen die Künstler lange Zeit Christus nicht mehr in der Krippe, sondern auf dem blanken Boden liegend zu zeigen.
  8. Über etwa 1250 Jahre entfaltet sich so die inhaltliche Schichtung des Bildes, die immer komplexer und anspielungsreicher wird. Und der mit dem Altarbild beauftragte Künstler greift auf diesen Fundus zu, in der Regel in der aktuellsten Ausformung und schreibt die Entwicklung in seiner Zeit und vor allem seinem Stil weiter.
  9. Damit hat es aber noch nicht sein Bewenden, es gibt eine Nachgeschichte des Bildes, eventuelle Übermalungen oder Beschnitte, Firnisverdunkelungen, Restaurationen etc. Auch sie beeinflussen die Wahrnehmung des Bildes.
  10. Und in der Moderne ist es natürlich die Frage, ob wir dem Bild im Museum, einer Privatsammlung oder in einer Kirche und dort museal oder in einem Funktionskontext begegnen.

Hätten man mich nun gefragt „Was ist das für ein Bild?“, dann würde ich die gerade skizzierten technischen und überlieferungsgeschichtlichen Vorgänge normalerweise zu dem höchst missverständlichen Satz verknappen: Das ist ein Bild von der Geburt Jesu Christi.

Intentional wollte der unbekannte Meister des Altars ja auch diese Szene darstellen, auch wenn er sich dabei weniger des biblischen Textes, als vielmehr der außerkanonischen Überlieferung bedient hat. Die Mehrzahl derer, die sich mit diesem Bild beschäftigen, nennt es aus den gleichen pragmatischen Gründen wie ich einfach Christi Geburt, auch wenn dessen Geburt ganz sicher nicht so stattgefunden haben kann, weil alle gerade beschriebenen motivischen Ausgestaltungen stattdessen ein Glaubensbild des Geschehens entwerfen.


Mehrwerte des Bildes

Wenn dieses Bild also keine Photographie der Geburt Jesu ist, keine Illustration der Erzählung von seiner Geburt und auch keine fantastische Bilderfindung, dann muss es einen Mehrwert des Bildes geben, der dazu führte, dass es dennoch in dieser Form in Auftrag gegeben, gemalt, akzeptiert, aufgestellt und bis heute im Bewusstsein der Nutzer gehalten wurde.

Denn das ist es doch, worauf wir hoffen, wenn wir uns mit Bildern auseinandersetzen: dass sie einen über die bloße Wieder-Holung des tradierten Textes Mehr-Wert generieren, dass sie uns neue Einsichten vermitteln, die über das Lesen des Textes hinausgehen. Vielleicht ist es ein visueller Mehrwert (1), ein narrativer Mehrwert (2), ein künstlerischer Mehrwert (3), ein bild-anthropo­lo­gischer Mehrwert (4), ein theologischer Mehrwert (5), ein kontroverstheologischer Mehrwert (6), ein didaktischer Mehrwert (7), ein ökologiegeschichtlicher Mehrwert (8) und natürlich auch ein kulturhistorischer Mehrwert (9)? Vermutlich ist es von all dem etwas, dass dazu führt, dass wir uns auch heute noch mit diesem Bild beschäftigen.

1. Der visuelle Mehrwert
Wenn wir schon die biblische Erzählung von der Geburt Jesu als Sprach-Bild begreifen, das die Leerstelle der Mensch­werdung Gottes anschaulich füllen soll, dann lässt sich feststellen, dass den Menschen späterer Zeiten dieses Sprach-Bild nicht ausgereicht hat, weshalb sie es mit weiteren Details zu einem komplexeren Bild ergänzt haben. Wie haben die Protagonisten ausgesehen, wie muss man sich das Geschehen vorstellen? Zu diesen Ergänzungen gehören unter anderem Ochs und Esel, die wir zwar nicht im biblischen Text, wohl aber in der erzählerischen wie der visuellen Ausgestaltung finden und die vor allem auf die symbolische Abgrenzung vom Judentum zielen (nach Jes 1,3: Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt's nicht, und mein Volk versteht's nicht).

Die nach und nach hinzugefügten Details lassen ein visuelles Drama von der Geburt Christi vor unseren Augen entstehen und zugleich vereinheitlichen (= konfirmieren) sie die Vorstellungen der Menschen von diesem Geschehen. Für Orthodoxe gehören zur Geburt immer die Grotte, in der Jesus geboren wurde (er zieht nach orthodoxer Darstellung erst nach drei Tagen in den Stall), die (byzantinische Herrscher-)Matratze auf der Maria liegt, die Hebammen, die bei der Geburt helfen und zugleich die physische Jungfräulichkeit der Maria bestätigen. Für den Westen bleibt es in der Regel beim Stall, auch die Hebammen tauchen seltener auf, dafür werden die Hirten und Könige realistischer dargestellt. Insgesamt hat der Westen ein großes Interesse an lebensweltlichen Motiven. Giotto kann sogar den Halley’schen Kometen zur Erklärung des Sterns von Bethlehem mit in die Darstellung einbeziehen. Für die Kunst nördlich der Alpen ist zudem die konkrete landschaftliche Verortung des Geschehens im Hier und Jetzt bedeutsam.[10]

2. Der narrative Mehrwert
Das führt uns zum zweiten Punkt, dem narrativen Mehrwert. Bei aller Plastizität der biblischen wie der außerkanonischen Erzählungen von der Geburt Jesu vermitteln sie uns doch nicht ein erzählerisches Bild der beteiligten Menschen und der konkreten Örtlichkeiten. Was macht Josef während der Geburt und wie sah die Herberge aus?

Seit jeher füllen Künstler diese Leerstelle aus und versorgen uns mit einem Imaginationsvorschlag, der das Geschehen in vertrautere Kontexte transformiert. Was sonst ein Geschehen fernab unserer Vorstellungswelt wäre, wird nun mit unserer Lebenswelt verknüpft, sei es, dass die ergänzte Landschaft die regionale Landschaft des Betrachters ist; sei es, dass die Hirten den Gesichtern der örtlichen Hirten angenähert werden; sei es, dass Figuren aus der unmittelbaren Lebenswelt im Bild zu erkennen sind. Matthäus Merian verlegt die ganze biblische Geschichte ins Rheintal und Hans Memling lässt das Geschehen in Brügge spielen. Wolf Huber zeigt uns die Geburt Christi im süddeutschen Schnee und Francesco di Giorgio Martini demonstriert die Furcht des italienischen Renaissance-Stadtbe­woh­ners vor den barbarischen Hirten. Man könnte das die regionale In­kul­turation der Weihnachtsgeschichte durch die Bildende Kunst nennen. Die Bilder schaffen darüber hinaus narrative Bezugspunkte, insofern auch sie nun zum Gegenstand der religiösen Auslegung werden. Sie bieten Anlass zu Predigten und Glaubensdiskursen. Was soll das Musikinstrument in der Tasche des Hirten? Warum trägt der alte Josef eine Kerze in der Hand oder bastelt ein Lederwams aus seinem Schuh oder facht das Feuer an?[11] Was macht der Frosch oder der Hirschkäfer auf dem Bild? Was sollen die verschiedenen Vögel (Buntspecht, Brillentaube, Kleiber, Distelfink, Kreuzschnabel) bedeuten? Waren sie bei der Geburt zugegen?

3. Der künstlerische Mehrwert
Aber nicht nur inhaltlich bereichern uns die verschiedenen kunsthistorischen Bilder, sondern auch in künstlerischer Hinsicht. In der Vielzahl der Darstellungen der Geburt Christi in der christlichen Kunst gibt es ganz unterschiedliche Akzentuierungen und jeder Künstler stellt bestimmte Aspekte in seinem Werk in den Vordergrund. Die flämische und niederdeutsche Malerei arbeitet ganz anders als die zeitgleiche italienische Malerei und verändert dabei auch den Aussagegehalt der dargestellten Geschichte. Im Vergleich verschiedener Darstellungen quer durch die Kunstgeschichte ergibt sich so etwas wie ein künstlerischer Mehrwert, der das konkrete Bild als Schöpfung eines individuellen Künstlers bzw. seiner Werkstatt erkennen lässt. Bei der Beauftragung für Altarbilder war gerade diese Fähigkeit der Künstler den Auftraggebern bewusst, sie konnten die einzelnen Künstler anhand von typischen Stilelementen und ihren Wirkungen klar unterscheiden. Ob man mehr Klarheit in der Darstellung wollte oder mehr emotionale Gestimmtheit, ob religiöses Timbre oder effektvolle Inszenierung – all das wurde mit dem Auftrag festgelegt und bei Ablieferung kontrolliert.[12]

 
Meister des Hersbrucker Altars, 1480                                 Francesco di Giorgio Martini, 1490

Wenn man italienische und süddeutsche Bilder aus der Zeit kurz vor 1500 mitein­ander vergleicht, wie hier das Altarbild des Meisters von Hersbruck mit einem Altarbild von Francesco di Giorgio Martini (1439-1502), dann spürt man die gestalterischen Unterschiede, die sehr verschiedenen Ideale, die die Künstler inspirieren und motivieren. Auch wenn der vorgegebene „Inhalt“ im Sinne der Darstellung der Geburt Jesu Christi der gleiche ist, so ist die individuelle Durchführung unterschiedlicher kaum zu denken. Da die Künstler zu dieser Zeit viel reisten und deshalb auch die Arbeiten ihrer Kollegen aus anderen Ländern kannten, beruht die abweichende Darstellung nicht auf Unkenntnis, sondern auf klarem Gestaltungswillen.

4. Der bild-anthropologischer Mehrwert
Das so entstandene Kunstwerk versucht in der Regel zugleich, etwas über den Menschen zu sagen, versucht, ihn in seiner Welt und vor allem in seiner Zeit zu verorten und eine Beziehung zwischen dem dargestellten Inhalt und der Lebenswelt der Betrachter:innen herzustellen. Im Fall des Altarbildes aus Hersbruck folgt das Kunstwerk einer Form des humanistischen Realismus, und das wird nicht erst in der markanten Darstellung der Hirten deutlich.

Vergleicht man das Bild mit ähnlichen Darstellungen der Geburt Christi vom Ende des 15. Jahrhunderts, dann ist es etwas „primitiver“ (vor allem was die Darstellung der Maria betrifft), aber auch betont naturnäher – was die Darstellung einer Vielzahl von Vögeln, Insekten und Pflanzen angeht.

Am nächsten kommt dem Hersbrucker Altarbild von der Geburt Christi vielleicht noch die zeitgleiche Darstellung von Martin Schongauer (1440-1491), der zwar auf den Auftritt der Engel verzichtet (und damit zugleich auf alle supra-naturalistischen Details), dafür aber die Hirten ebenso dramatisch hervorhebt. Die Hirten repräsentieren wie beim Meister des Hersbrucker Altars den Betrachter des Bildes, der nicht Kleriker oder Adeliger ist, sondern als einfacher Gläubiger am Geschehen teilnimmt.

 
     Martin Schongauer, 1480              Robert Campin, 1420                    Rogier van der Weyden, 1450

Bei dem Bild des flämischen Malers Robert Campin (1375-1444) aus der Zeit von 1420 ist die Inszenierung deutlich höfischer geprägt und die Hirten sind dementsprechend nach hinten gedrängt.

Und bei dem Bild seines Schülers Rogier van der Weyden aus der Zeit um 1450 kann man die Verkündigung an die Hirten nur erahnen, während der adelige Stifter als Repräsentant des Betrachters ganz in den Vordergrund gerückt ist. Beim letzteren geht es gar nicht mehr um die Geburt Jesu im engeren Sinne, sondern darum, wie das Verhältnis des Betrachters zum Geschehen zu begreifen ist.[13]

5. Der theologische Mehrwert
Was Bilder für den Glauben leisten, ist in der Frühzeit des Christentums umstritten, nicht zuletzt ein Erbe der jüdischen Mutterreligion. Die Skepsis gegenüber Kultbildern und visuellen Ausgestaltungen des Glaubens haben die Christen in den ersten zwei Jahrhunderten nach der Zeitenwende mit den Juden gemeinsam. Dann öffnen sich beide Religionen vorsichtig den Bildern, ablesbar an der Synagoge und der Hauskirche in Dura Europos. Unumstritten waren Bilder aber in beiden Religionen nie.

Erst in der Auseinandersetzung mit dem byzantinischen Bilderstreit im 8. Jahrhundert entwickelt das Christentum drei mögliche, aber überaus unterschiedliche Antworten auf die Frage nach dem theologischen Mehrwert der Bilder. 726 ließ Kaiser Leo III. ein Christusbild in Konstanti­no­pel demonstrativ entfernen und setzte damit den Bilderstreit in Gang.

  • Leugnet, wer Christusbilder zerstört, nicht auch die Inkarnation?
  • Betet, wer Christusbilder anbetet, nicht eigentlich Götzen an?
  • Sind Bilder nicht vor allem pädagogische Vermittlungsmedien?
  • Kommt es nicht vor allem auf die Qualität der Bilder an?

Überraschenderweise sind das Fragen, die auch heute noch diskutiert werden. Und die vorgeschlagenen Lösungen sind immer noch so aktuell wie vor 1200 Jahren. Sie lauten Bilderverehrung (Orthodoxie), Bilddidaktik (katholische und lutherische Theologie), Bildkritik und autonome Kultur (fränkische und reformierte Theologie). Und dementsprechend bestimmt sich auch der theologische Mehrwert der Bilder. Ent­we­der sind Bilder konstitutiver Teil des Glaubens, oder sie sind ein didaktisches Hilfsmittel oder sie sind Ausdruck der menschlichen Kultur.

Das vorliegende Bild gehört als Altarbild zwar zum religiösen Ritus, ist aber kein konstitutiver Teil des Glaubens. Es wird nicht verehrt. Eher schon ist es ein Ausdrucksmittel des religiösen Glaubens und gehört damit im weitesten Sinne zu den didaktischen Bildern. Es vermittelt eine vom Glauben bestimmte Anschauung der Geburt Christi. Gleichzeitig ist es aber auch ein herausragendes Kulturgut und verdient deshalb theologische Aufmerksamkeit, weil es über den Glauben der damaligen Menschen Auskunft gibt.

Mit heutiger evangelischer Theologie stimmt das Bild an wesentlichen Stellen nicht überein, wozu insbesondere die allegorischen Verweise auf die Jungfernschaft der Maria und die anagogische Auslegung der Natur gehören.

Auch die Aussage, dass Jesu schon bei der Geburt für das Kreuz bestimmt gewesen sei, dürfte heute zumindest kontrovers sein. Aber anhand des Bildes kann man über alle diese Aspekte streiten.

6. Der christologische Mehrwert
Dieses Bild wäre in der vorliegenden Form Anfang des 14. Jahrhunderts, also etwa 170 Jahre vor seiner tatsächlichen Entstehung, verboten und zerstört worden, vermutlich aber erst gar nicht so gestaltet worden. Denn das Bild enthält ein etwas verstecktes Detail, das der damals geltenden kirchlichen Dogmatik zuwiderläuft. Noch 1318 war eine Bäuerin im Lan­guedoc, die dieses Detail im Rahmen der Menschwerdung Christi für unverzichtbar erklärt hatte, vor die Inquisition geschleppt und einer hochnotpeinlichen Befragung unterzogen worden. Und „peinliche Befragung“ meint hier die Anwendung von Folter. Erst mit den erfahrungsgesättigten Visionen der Heiligen Birgitta von Schweden (1303-1373) wurde es überhaupt denkbar (aber noch nicht darstellbar), zu behaupten, bei der Inkarnation Jesu sei es ganz menschlich zugegangen.

In diesem Falle dreht es sich alles um die Frage, ob es bei Jesu Geburt eine Nachgeburt gab. Das erste Konzil in Trullo (692) hatte im 79. Kanon festgestellt: „Wir bekennen das göttliche Gebären aus der Jungfrau ohne Kindbett“.[14] Der Westen hatte das so verstanden, dass ‚ohne Kindbett‘ im Sinn von ‚ohne Nachgeburt‘ zu deuten sei und es so auf Dauer festgeschrieben. Dem war eine Vielzahl von Theologen gefolgt. Deshalb durfte niemand behaupten und schon gar nicht auf Bildern zeigen, dass es bei der Geburt Jesu eine Nachgeburt der Maria gegeben habe.

Erst Birgitta von Schweden, die acht Kinder zur Welt gebracht hatte, beschrieb dann detailliert, sie habe in ihren Visionen von der Geburt Jesu auch die Nachgeburt gesehen, „zusammengewickelt im herrlichen Glanze“. Während alle anderen Details ihrer Visionen auch von den Künstlern rasch übernommen wurden und unser Bild von der Geburt Jesu bis in die Gegenwart bestimmen, trauten sich die Künstler das bei der Darstellung der Nachgeburt nicht, verstieß es doch gegen die von der Kirche festgelegten theologischen Regeln. Im Kern geht es aber um die Frage, ob Gott in Jesus Christus ganz Mensch geworden ist, oder ob nicht bestimmte alttestamentliche Texte so zu deuten seien, dass es keine natürliche Nachgeburt gegeben habe.

Und daran scheinen sich fast alle Künstler gehalten zu haben Im vor­lie­gen­den Fall kann man aber davon ausgehen, dass wir eines der wenigen Bilder vor uns haben, bei denen auf die Nachgeburt zumindest angespielt wird. Das Bündel links neben Maria dürfte die Nachgeburt enthalten. Alternativ käme in der Tradition nur das Linnen in Frage, das passt hier nicht, weil wir Teile des Strohs sehen. Und das Bündel ist durch die Helligkeit besonders hervorgehoben. Wenn man darin einen christologischen Kommentar sehen will, dann besagt er, dass Jesus wie jeder andere Mensch auch zur Welt gekommen ist, dass Gott sich wirklich in die Welt begeben hat.

Exkurs: Die Nachgeburt Jesu
In der Theologie herrschte über Jahrhunderte Einmütigkeit darüber, dass Maria Jesus ohne Schmerzen und Nachgeburt geboren hat. Eine Bauernfrau, die es aus eigener Erfahrung besser zu wissen meinte, wurde 1318 im Languedoc der Inquisition unterzogen.[15] Da die Schmerzen der Geburt den Frauen wegen des Sündenfalls auferlegt war, Maria aber sündenfrei war, hat sie ohne Schmerzen geboren und bekam auch keine Nachgeburt. Das führte sogar zu literarischen Disputationen. Der katholische Theologe Anton von Bucher (1746-1817) schreibt in seinem satirischen und aufklärerischen Stück Pangraz zunächst von einer schweren Geburt einer Frau im Dorf, der die Hebamme unter Verweis auf die Nachgeburt der Maria Linderung zu verschaffen sucht. Das führt zu einem heftigen Disput von zwei anwesenden Patres:

A:  Die Jungfrau Maria hat ohne Nachgeburt gebohren, also ist eine Andacht zu der Nachgeburt Maria abergläubisch.

B:  Nego assertum. Keineswegs! Die heilige Brigitta sagt in dem siebenten Buche ihrer Offenbarungen und im 21. Kapitel desselben also: Ich sah das glorreiche Kind nackt und glänzend, und neben demselben die Nachgeburt, zusammengewickelt im herrlichen Glanze. Ergo hat die Jungfrau Maria nicht ohne Nachgeburt gebohren.

A:  Dieses beweist mehr nicht, als dass die heilige Brigitta eine Nachgeburt gesehen habe, bey weitem aber nicht, dass es ihr göttlicher Weise geoffenbart worden sey, dass die Jungfrau Maria Christum mit einer Nachgeburt geboren habe. Ergo manet argumentum. Christus mag immer im mütterlichen Leibe in einer Haut, die man Nachgeburt nennt, gelegen seyn; deswegen ist es noch nicht erwiesen, dass er in dieser sogenannten Nachgebort gebohren worden ist.

B: Hoc implicat. Wenn Christus im Mutterleibe in einer Nachgeburt gelegen und nicht mit derselben geboren worden ist, so kann man nicht sagen, wo dieselbe hingekommen sey; oder man muss annehmen, dass sie durch ein Mirakel verschwunden ist. Aber wegen der Nachgeburt noch ein neues Mirakel fordern, da die Geburt ohne Schmerzen, ohne Verletzung der Jungfrauschaft mirakulös ist, wo führt das hin? Ein vernünftiger Mann kann gar nicht so dumm argumentieren. Er gehört in's Tollhaus.

A:  Das erwartete ich. Ergo gehören in's Tollhaus die Heiligen Epiphanius, Gregorius Nanzianzenus, Cyprianus und Augustinus, welche alle gelehrt haben, dass Maria ohne Nachgeburt geboren habe. Ergo gehören ins Tollhaus Communis theologorum, namentlich Suárez, Faber, Scribonius, mit unzähligen andern, welche P. Virgilius Sedlmair in dem zweiten Teil seiner marianischen Theologie beim zweiten Artikel über die Frage: ob die Jungfrau Maria ohne Nachgeburt geboren? für die Negativam zitiert. O, ihr großen Kirchenlehrer! in's Tollhaus mit euch! Und die heilige Nachgeburt in einem Reliquienkasten auf den Altar! … Ich weiß wohl, dass einst der böse Gebrauch im Schwange war, die Nachgeburt der Jungfrau Maria zu verehren, aber die Väter der Trullanischen Synode haben diese Verehrung schon im 79. Canon verboten. Ergo manet argumentum.[16]

Soweit die aufklärerische Satire, die verdeutlicht, dass die Frage nach der Nachgeburt theologisch nicht unproblematisch und auch nicht leicht zu beantworten ist.

7. Der didaktische Mehrwert
Früher ist der didaktische Aspekt der Bilder häufig unter Bezug auf die Analphabeten abgehandelt worden. Eine Äußerung Papst Gregor des Großen aufgreifend, meinte man, was die Bibel für die, die Lesen können, seien die Bilder für die des Lesens Unkundigen. Die in ihrer Dif­fe­ren­ziert­heit lesenswerte Stelle bei Gregor dem Großen lautet: „Denn was den Lesenden die Schrift, das stellt die Malerei den ungebildeten Sehenden (idiotis) vor Augen, weil die Unwissenden (ignorantes) in ihr das sehen, was sie befolgen sollen und die in ihr lesen, die die Buchstaben nicht kennen; deshalb nimmt die Malerei vor allem für die Heiden die Stelle der Lektüre ein.“[17] Die Bilder sind demnach didaktisches In­stru­ment für die Ignoranten, die Idioten und für die Heiden. Heute wissen wir, dass das so nicht ganz stimmt, denn auch für das Lesen der Bilder bedarf es einer Sprachkompetenz und wer nicht über das Wis­sen der Bedeutung der Texte verfügt, der sieht auch auf Bildern nichts.

Das weiß na­tür­lich auch Gregor der Große und so sagt er in seinem Kom­men­tar zum Hohen Lied: „So ist nämlich die Heilige Schrift in den Worten und den Bedeutungen, was die Malerei in den Farben und den Sachen ist: und der ist allzu dumm, der so an den Farben der Malerei klebt, dass er von den Sachen, die gemalt sind, nichts weiß. Wenn wir die Worte, die äußerlich genannt werden, umfassen und den Sinn nicht wissen, wissen wir nämlich auch die Sachen, die gemalt sind, nicht, wenn wir sie allein für Farben halten.“[18] Worum es Gregor geht, ist, dass diejenigen die das in der Predigt Gehörte nicht anhand des Textes über­prüfen bzw. nachlesen können, wenigstens mittels der Bilder an das Gehörte erinnert wer­den: „Die in den Briefen ... als vor den gemalten Darstellungen der Heiligen betende idiotae und ignorantes angesprochenen Gläubigen waren auf den Priester oder eine andere, die Kenntnisse der Heiligen Schriften vermittelnde Person angewiesen: erst mit dem, was ihnen aus der Heiligen Schrift und aus dem Leben der Heiligen und Märtyrer in der Predigt erzählt wurde, konnten sie die Malereien „sehend lesen“ (videndo legant), und zwar indem sie das Gehörte, so wie die des Lesens Kundigen das Gelesene, beim „Anblick“ (visio) der Malereien auf diese übertrugen.“[19]

Vorrangig bleibt aber ein zu vermittelndes Wissen um die Bedeutung des Dargestellten. Bilder haben danach keinen Erkenntniswert als Bilder an sich – im Sinne etwa einer natürlichen Theologie – sondern nur einen didaktischen Wert. Da würde die heutige Bildwissenschaft vermutlich weiter gehen.

8. Der ökologiegeschichtliche Mehrwert
Ich hatte vorhin schon einmal im Rahmen der Überlegungen zum narrativen Mehrwert gefragt: Was macht der Frosch oder der Hirschkäfer auf dem Bild? Was sollen die verschiedenen Vögel (Buntspecht, Brillentaube, Kleiber, Distelfink, Kreuzschnabel) bedeuten? Waren sie bei der Geburt zugegen? Das war die Frage nach dem symbolischen Wert der Darstellung. Könnte man aus der Zusammenstellung der Tiere das Bildthema erschließen?

   

Nun kann man aber auch nach dem ökologiehistorischen Mehrwert fragen, denn Kunstwerke geben eben auch Auskunft über die Natur der Zeit, in der sie entstanden sind. Das haben in vorbildlicher Weise vor knapp 40 Jahren der Naturkundler Henry Makowski und der Kunsthistoriker Bernhard Buderath mit ihrem Buch „Die Natur dem Menschen untertan. Ökologie im Spiegel der Landschaftsmalerei“[20] getan. Sie hatten im Dialog Werke der Kunstgeschichte untersucht. Dabei werden ihre Diskurse sorgfältig unterschieden (bis dahin, dass unterschiedliche Schrifttypen verwendet werden). In der linken Spalte schrieb der Kunsthistoriker, in der rechten der Öko-Historiker. Und für die Leser:innen und Betrachter:innen der Kunstwerke ist das deshalb spannend, weil sie ganz unterschiedliche Erkenntnisse präsentiert bekommen. Und der Öko-Hi­sto­riker muss dabei nicht behaupten, seine Erkenntnisse lägen im Wesen der Kunst oder in der Gemeinsamkeit von Ökologie und Kunst begründet. Aber in die Kunst hat sich unbestreitbar Ökologisches als außerästhetisches Substrat sedimentiert. Und das lässt sich herausarbeiten und präsentieren. Und es hat zugleich Rückwirkungen auf die Kunsterfahrung, weil so deutlich werden kann, wie Künstler mit außerästhetischem Material umgegangen sind.

Dieser Dialog lässt sich nun auch im Blick auf den Hersbrucker Altar führen. Denn es sind ja nicht nur die oben erwähnten Tiere, die sich auf dem Bild finden, sondern auch noch die Pflanzen. Hier sind zudem noch die Bildtafeln der Rückseite interessant, die weitere Pflanzen und Tiere zum gesamten Setting hinzufügen. Nun bin ich kein Biologe oder Ökologiehistoriker, um das konkret anhand der Tiere und Pflanzen des Bildes durchzuführen. Aber zumindest könnten diese z.b. die Frage beantworten, ob es sich bei dem Vogel auf der Nachgeburt um einen Buntspecht oder um den ihm nah verwandten Blutspecht handelt, was dem Theologen weitere Deutungen ermöglichen würden. Freilich hat der Blutspecht in Deutschland keinen Brutraum, aber 1480 wurden ja auch die Grenzen Europas noch anders gezogen.

9. Der kulturhistorische Mehrwert
Dass Bilder als kulturhistorisch wertvoll angesehen wurden, mussten sie sich im Verlauf der Jahrhunderte erst erarbeiten. Bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts waren Künstler als Subjekte nicht einmal bekannt, sie waren bessere oder schlechtere Handwerker. Erst mit der Proto-Renaissance beginnt jene Aufwertung des Künstlers, die auch heute noch unsere Wahrnehmung bestimmt. Auch die Wertschätzung der Kulturleistung vergangener Epochen verdanken wir der Renaissance. Der Umbruch kam nicht zuletzt mit der Kunstgeschichtsschreibung durch Giorgio Vasari, der durch seine lebendigen Schilderungen die individuellen Leistungen der Künstler sichtbar machte.[21]

Bilder wie der Hersbrucker Altar geben wie bereits gesehen Auskunft über die Zeit und die Künstler. Irgendwann nach 1470 tritt die Gemeinde bzw. ein Stifter an den ihr bekannten, uns heute nicht mehr bekannten Maler aus dem Nürnberger Raum heran und bittet ihn, ein Altarwerk für die Kirche in Hersbruck zu schaffen. Und sie werden ihm Vorgaben gemacht haben, werden gesagt haben, was sie von ihm erwarten, inhaltlich und formal. Dass sie einen auf Maria und ihren Sohn bezogenen Altar wollen, mit Szenen aus dem Leben Marias und Szenen aus dem Leben Jesu. Und schließlich werden sie einen Vertrag geschlossen haben, ähnlich dem Folgenden, der etwa zeitgleich in Italien geschlossen wurde:

„Dass am heutigen Tage, dem 23. Oktober 1485, Francesco di Giovanni Tesori den Domenico di Tomaso di Curado beauftragt und betraut, eine Holztafel zu bemalen ... und er hat besagte Tafel eigenhändig zu kolorieren und zu malen, in der Art, wie es auf einer Papierzeichnung zu erkennen ist, mit den Figuren und in der Art, die darin gezeigt ist, und in allen Einzelheiten dem gemäß, was ich ... für das beste halte; er darf nicht von der Art und der Komposition der besagten Zeichnung abweichen; .... und er hat die Tafel auf eigene Kosten zu kolorieren, mit guten Farben und mit gepudertem Gold bei jenen Ausschmückungen, die solches erfordern; er hat auch alle weiteren Kosten, die auf die Tafel verwendet werden, zu tragen, und das Blau muss Ultramarin im Werte von etwa 4 Florin die Unze sein; und er muss besagte Tafel in dreißig Monaten vom heutigen Tage an fertiggestellt und geliefert haben; und er soll als Preis für die Tafel, wie sie hier beschrieben steht, 115 große Florin erhalten“[22]

Und so wird auch unser Meister eine Vorzeichnung erstellt, das Bildprogramm abgesprochen haben, um sich dann mit seiner Werkstatt an die Arbeit zu machen. Dass er sie zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber erledigt hat, erkennen wir nicht zuletzt daran, dass wir sie heute betrachten können. Die Auftraggeber hielten das fertiggestellte Werk für die angemessene Form, das Leben Jesu und der Maria 1480 ins Bild zu setzen.


Und warum sollten wir Bilder einsetzen?


Frans Francken II, Christus im Studio der Malerin/Malerei (Pictura Sacra), 1616-1620 (112x148 cm)

Was also ist ein Bild? Es ist nicht zuletzt ein Objekt, das uns etwas zu sehen und zu denken gibt, etwas, das sich durch reine Textlektüre so nicht ergibt. Wir müssen es sinnlich wahrnehmen und über diese sinnliche Wahrnehmung reflektieren.[23]

Ein Bild ist zugleich ein komplexer Entdeckungszusammenhang, es „spricht“ über die Zeit, in der es entstanden ist, über deren religiöse Vorstellungswelten und über die Aufbrüche, die in dieser Zeit geschahen. Ein Bild der Kunstgeschichte ist zugleich eine Art Flaschenpost, unter Umständen vor Jahrhunderten aufgegeben, die nun vom Betrachter aufgefunden, gelesen und entschlüsselt wird.

Auch das Bild von Frans Franken II., 140 Jahre nach dem Hersbrucker Altar entstanden, ist ein Weihnachtsbild, nur dass es über den Prozess der Herstellung eines Weihnachtsbildes nachdenkt. Wir sehen Christus im Studio der Malerei. Er könnte das Modell für ein Bild sein, aber die Malerin malt die Geburtsszene. Was malt jemand, der ein Weihnachtsbild malt? Eine Frau, ein Kind, ein Mann, die Hirten? Oder nicht doch eigentlich Jesus Christus, der ihr vor Augen steht?

Kunstwerke wie diese fordern uns als Betrachter auch heraus, selbst Stellung zu beziehen, einen Spaziergang mit den Augen durch das Werk zu machen.[24] Sicher ist, wie der romantische Dichter Novalis in seinen Fragmenten betont, das Bild nicht einfach Allegorie oder Symbol eines Fremden, sondern vor allem „Symbol von sich selbst“.[25] Aber ein Bild ist immer auch – wie wir gesehen haben – kontextuell und kann auch als solches wahrgenommen und erschlossen werden.

Ich habe versucht am Beispiel eines konkreten historischen vorreformatorischen Bildes zu zeigen, welcher kontextuelle Reichtum in den Bildern steckt. Dieser Reichtum entfaltet sich aber auch in modernen Bildern, insofern wir sie nicht unter einer Hermeneutik des Bruchs, sondern in einer Hermeneutik der Kontinuität lesen. Eine Skulptur von Joseph Beuys oder ein Bild von Gerhard Richter steht durchaus in einer Geschichte der Bilder seit der Frühzeit und ist nicht ein totaliter aliter zur Kunstgeschichte. Man muss nur bereit sein, in der Gegenwartskunst auch die Geschichte der Kunst mitzusehen.[26] Es gibt eben nicht nur den „Schock der Moderne“[27], sondern auch die sich entwickelnde bzw. ausdifferenzierende kunsthistorische Tradition.[28]

Und die zeitgenössische Kunst steht eben auch nicht fernab der Religion(en) und religiöser Fragestellungen. Sie rekurriert weiterhin auf Phänomene der Religion[29] und sie lässt sich in jedem Falle weiterhin in religiöser Perspektive deuten.[30] Insofern Deutungsfähigkeit auch zu einem gelingenden Glauben gehört, lässt sich dies nicht zuletzt anhand von Bildern respektive Kunstwerken gut entwickeln.


Und wie sollten wir Bilder einsetzen?

Für den Umgang mit Bildern bedeutet dies, dass wir uns nicht zuletzt eine elementare Bildkompetenz aneignen müssen. Denn es gibt Kriterien, nach denen man Bilder betrachten und untersuchen kann. Und für jede Situation gibt es treffende und weniger treffende Bilder und es gehört zur medialen wie kulturellen Kompetenz, die rechte Bildauswahl zu treffen. Wir müssen also eine Ethik der Betrachtung und des Gebrauchs entwickeln. Nicht weil Bilder mächtig sind, sondern weil wir eine Verantwortung für den Bildumgang haben. Wer heute im digitalen Zeitalter mit Bildern umgehen will, muss für sich eine bewusste Wahrnehmungsökonomie einführen, muss sich Zeit nehmen, muss die Bildwahrnehmung entschleunigen. Er muss mit anderen Worten Bilder wieder lesen, genauer sehen lernen.

1. Sehen lernen
Es mag paradox erscheinen, aber das erste, was heute gelernt werden muss, ist das Sehen selbst. Weil wir heute mit so viel mehr Bilder konfrontiert werden als noch unserer Vorfahren, sind wir darauf bedacht, Bildgehalte so schnell wie möglich zu erfassen; eine Art visuelles Überlebenstraining. Und natürlich nutzen wir dabei Abkürzungen. Bilder einfach als Illustration eines Textes aufzufassen ist so eine Abkürzung – die nicht zuletzt im religiösen Bereich zum Tragen kommt. Wir sagen einfach: Ein Bild von der Geburt Jesu. Dabei übersehen wir dann die Abweichungen, die Differenzen und das Besondere, das der Künstler ins Bild eingebracht hat. Wir sehen oft auch nicht, was er nicht eingebracht hat. Zu sehen, was nicht da ist, ist auch eine wichtige Kompetenz. Hilfreich ist in dieser Hinsicht vergleichendes Sehen, d.h. Bildlösungen aus der gleichen Zeit bzw. der Zeit davor mit dem betrachteten Kunstwerk zu vergleichen.[31]    
1270                               1304                      1440                      1490            1530

2. Das Bild als Aussage ernstnehmen
Wenn Bilder nicht nur Illustrationen eines Textes oder des von uns als Botschaft Intendierten sind, dann müssen wir lernen, sie als eigenständige Bildaussage zu akzeptieren. Der Bildhauer / Maler stellt nicht dar, was im Text steht, sondern er nimmt skulptural / bildlich dazu Stellung. Sicher ist dieser subjektive Anteil bis Anfang des 14. Jahrhunderts noch marginal, wächst danach aber immer stärker an, bis er zu Beginn des 20. Jahrhunderts den dargestellten Inhalt fast zu überwuchern droht [z.B. bei James Ensor[32]]. Wichtig scheint mir, dass im Rahmen des Erarbeitungsprozesses eines Bildes auch die spezifische Botschaft des Künstlers rekapituliert wird. [Also: Der Meister des Hersbrucker Altars sieht die Geburt Jesu in einer langen weiter auszugestaltenden Überlieferungstradition, eine reale Menschwerdung, eingebettet in symbolisch zu deutende Naturphänomene und im unmittelbaren Bezug zu unserer eigenen Lebenswelt.]

3. Mit Bildern streiten lernen'
So sehr es in heutigen Zeiten darauf ankommt, kulturgeschichtlich bedeutsame Werke überhaupt erst einmal zur Kenntnis zu nehmen und sie lesen zu lernen, so sehr müssen wir auch lernen, mit Bildern zu streiten. Nicht nur, aber vor allem vorreformatorische Bilder vertreten Theologien, die wir heute nicht mehr teilen: die Verworfenheit der Juden am Beispiel des Judas; die Sündhaftigkeit der Frau am Beispiel der Maria Magdalena; die fortwährende Jungfernschaft der Maria. Kunstwerke als Ausdruck ihrer Zeit und als zeitbedingt zu begreifen ist für ihre Deutung wichtig.

4. Standards einhalten
Wer über Kunstwerke spricht, sollte sich an den Standards des Betriebssystems Kunst, der Kunstgeschichte und der Kunstwissenschaft orientieren. So wie wir von Kunstwissenschaftler:innen, Kunsthistoriker:innen und Kunstinteressierten erwarten können, dass sie keinen Unsinn über die Religionen der Welt erzählen, genauso können diese aber auch zurecht erwarten, dass religiöse Betrachter:innen nicht nur elementare Kenntnisse über Kunst haben, sondern auch die elementarsten Regeln bei der Bilderschließung einhalten und nicht einfach „wild drauflos assoziieren“ und alles sofort religiös vereinnahmen. Kunst will eben auch als Kunst wahrgenommen werden.

Hilfsmittel für historische Bilder mit religiösen Sujets sind die verschiedenen Wörterbücher bzw. Lexika der christlichen Ikonographie.[33] Oder Übersichten darüber, welches die zentralen Geschichten der Antike und der Bibel in der Kunst sind.[34]

Hilfreich ist auch ein Wissen darüber, welches eigentlich die wichtigsten Bilder der Kunstgeschichte, aber auch zu einem bestimmten biblischen bzw. religiösen Thema sind, ein virtuelles Museum von den Anfängen bis zu Gegenwart sozusagen.[35]

5. Gegenwart erschließen
Die Beschäftigung mit (Bildender) Kunst ist kein Zweck an sich, sondern dient nicht zuletzt dazu, Gegenwart zu erschließen. Man kann dabei mit historischer, aber auch mit zeitgenössischer Kunst arbeiten.[36] Am Ende steht aber immer die Frage nach dem lebensweltlichen Bezug. Inwiefern können Bilder dazu beitragen, ein besseres Verständnis der Gegenwart zu entwickeln? Inwiefern hilft die Auseinandersetzung mit verschiedenen Werken der Kunst dazu, auch mit den alltagskulturellen Bildern und ihrer Bedeutung besser umzugehen?

Letztlich geht es darum, einsichtig / evident zu machen, dass die Beschäftigung mit starken Bildern das Leben bereichert.

Anmerkungen

[1]    Dieser Text basiert auf einem Vortrag auf der Tagung "Starke Bilder" des rpi Loccum am 12.09.2013. Zuerst publiziert wurde er im Loccumer Pelikan 3/201 unter dem Titel „Bilder verbinden und fordern heraus – was sehen wir, wenn wir christliche Kunst sehen? (https://www.rpi-loccum.de/material/pelikan/pel3-14/3-14_mertin) Der Text wurde für diese Publikation modifiziert und erweitert.

[2]    Mertin, Andreas (2021): Das Bild in der Krise. Vom Bilderstreit über die Bilderflut zum Bildverlust. In: das baugerüst, H. 2. Mertin, Andreas (2012): Macht und Ohnmacht der Bilder im digitalen Zeitalter. In: Marklein, Steffen (Hg.): Starke Bilder. Bilder für den Religionsunterricht, Rehburg-Loccum (Loccumer Impulse, 6), S. 21–28.

[3]    Wikipedia, Bildwissenschaft, http://de.wikipedia.org/w/index.php?oldid=119098859.

[4]    Belting, Hans (1998): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen der Welt. München; Belting, Hans (2011): Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. 4. Aufl. München; Belting, Hans (2007): Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch. München; Belting, Hans (2013): Faces. Eine Geschichte des Gesichts. München; Belting, Hans (2006): Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. 2. Aufl. München; Belting, Hans (2004): Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. 6. Aufl. München.

[5]    Sachs-Hombach, Klaus (2003): Bildtheorien in Geschichte und Gegenwart. In: tà katoptrizómena, H. 25. Online verfügbar unter http://www.theomag.de/25/ksh1.htm: Sachs-Hombach, Klaus (2005): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Frankfurt am Main; Sachs-Hombach, Klaus (2009): Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn. Frankfurt am Main.

[6]    G. Boehm, Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin 3/2010., G. Boehm, Zu einer Hermeneutik des Bildes, in: H.-G. Gadamer/G. Boehm (Hrsg.), Seminar: Die Hermeneutik und die Wissenschaften, Frankfurt am Main 1978, 444–471., G. Boehm (Hrsg.), Was ist ein Bild?, München 4/2006.

[7]    Bouillon, Wolfgang; Kappler, Beatrice (1997): Der Hersbrucker Altar. Besuchen - Betrachten - Besinnen. Hersbruck.

[8]    Voragine, Jacobus de (1984): Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine. 10. Aufl. Unter Mitarbeit von Richard Benz. Heidelberg.

[9]    Birgitta von Schweden; Zur Bonsen, Elmar; Glees, Cornelia (1989): Die Visionen der Hl. Birgitta von Schweden. Augsburg.

[10]   P. Wilhelm/Redaktion, Artikel "Geburt Christi", in: E. Kirschbaum (Hrsg.), Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg/Br. 1994, 86–120.

[11]   Seidel, Katrin (1996): Die Kerze. Motivgeschichte und Ikonologie. Hildesheim.

[12]   Baxandall, Michael (1980): Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Syndikat.

[13]   Mertin, Andreas (2012): Rogier van der Weyden: Geburt Christi. In: Marklein, Steffen (Hg.): Starke Bilder. Bilder für den Religionsunterricht, Rehburg-Loccum, S. 121–125.

[14]   In der englischen Übersetzung: „As we confess the divine birth of the Virgin to be without any childbed, since it came to pass without seed, and as we preach this to the entire flock, so we subject to correction those who through ignorance do anything which is inconsistent therewith.” (Quelle) Der griechische Text findet sich hier.

[15]   Vgl. die Schilderungen, die Jacques Fournier, der spätere Papst Benedikt XVI., in seinen Inquisitionsprotokollen aus Dörfern des Languedoc und bezüglich der 1318 festgehaltenen Aussagen der Bäuerin Aude aus Merviel über die Nachgeburt Jesu niedergeschrieben hat; Les registres d’inquisition de Jacques Fournier de Pamiers, Band 2, hg. Von J. Duvernoy, Toulouse 1965, S. 94.

[16]   Bucher, Anton von (1835): Pangraz. Geschichte eines Bürgersohnes. In: Bucher, Anton von (Hg.): Sämmtliche Werke. Wohlfeile Aufl. München: Fleischmann.

[17]   Sprigath, Gabriele K. (2009): Zum Vergleich von scriptura und pictura in den Briefen von Papst Gregor d. Gr. an Serenus Bischof von Marseille. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik, H. 2.

[18]   zit. nach Sprigat, a.a.O.

[19]   Ebd.

[20]   Buderath, Bernhard; Makowski, Henry (1986): Die Natur dem Menschen untertan. Ökologie im Spiegel der Landschaftsmalerei. Taschenbuchausg. München. (Erstausgabe 1983)

[21]   Naredi-Rainer, Paul von; Eberlein, Johann Konrad; Pochat, Götz (Hg.) (2010): Hauptwerke der Kunstgeschichtsschreibung. Stuttgart: Kröner (Kröners Taschenausgabe, 364). Vasari, Giorgio; Lorini, Victoria; Burioni, Matteo; Feser, Sabine (2004): Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien. Berlin.

[22]   M. Baxandall, a.a.O., 15–16.

[23]   Paetzold, Heinz (1999): Ästhetische Erfahrung als Einheit von Sinnlichkeit und Reflexion. In: Neuhaus, Dietrich; Mertin, Andreas (Hg.): Wie in einem Spiegel. Begegnungen von Kunst, Religion, Theologie und Ästhetik, S. 87–112.

[24]   Schlegel, August Wilhelm von; Müller, Lothar (1996): Die Gemählde. Gespräch. Amsterdam

[25]   Novalis (1978): Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen. In: Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Hgg. Hans-Joachim Mähl und Richard H. Samuel. Darmstadt, S. 308–424, S. 352.

[26]   Schwebel, Horst (2002): Die Kunst und das Christentum. Geschichte eines Konflikts. München: C.H. Beck.

[27]   Hughes, Robert (1981): Der Schock der Moderne. Kunst im Jahrhundert des Umbruchs. Düsseldorf.

[28]   Rosenblum, Robert (1981): Die moderne Malerei und die Tradition der Romantik. Von C.D. Friedrich zu Mark Rothko. München.

[29]   Mertin, Andreas (2013): Die zeitgenössische Kunst und das Bilderverbot. Am Beispiel der documenta. In: Schröder, Bernd; Behr, Harry Harun; Krochmalnik, Daniel (Hg.): "Du sollst Dir kein Bildnis machen --". Bilderverbot und Bilddidaktik im jüdischen, christlichen und islamischen Religionsunterricht. Berlin, S. 151-168.

[30]   Mertin, Andreas (2004): Zeitgenössische Kunst in religiöser Perspektive. Notizen zum Umgang mit Bildender Kunst im Religionsunterricht. München (Begegnung & Gespräch, Nr. 141); Mertin, Andreas (2012): Kunst und Religion. Beobachtungen zur Kultur der Gegenwart. München (Begegnung & Gespräch, 164); Mertin, Andreas (2012): Eine protestantische Sicht auf die Kunst. Zehn Grund-Sätze. In: tà katoptrizómena, Jg. 14, H. 77. http://www.theomag.de/77/am391.htm; Mertin, Andreas (2017): Reformierte Ästhetik. In: Dreßler, Sabine; Mertin, Andreas (Hg.): Einsichten. Zur Szenografie des reformierten Protestantismus. Solingen, S. 12–31.

[31]   Bernard, Bruce (2006): Die Visuelle Geschichte der Kunst. Hildesheim.

[32]   Becker, Jörg (1999): James Ensor (1860-1949). Visionär der Moderne. Gemälde, Zeichnungen und das druckgraphische Werk aus der Sammlung Gerard Loobuyck, S. 160ff.

[33]   Kirschbaum, Engelbert (Hg.) (1994): Lexikon der christlichen Ikonographie. 8 Bände. Freiburg/Br.; Sachs, Hannelore; Badstübner, Ernst; Neumann, Helga (2012): Wörterbuch der christlichen Ikonographie. 10. Aufl., Regensburg;

[34]   Krauss, Heinrich; Uthemann, Eva (1987): Was Bilder erzählen. Die klassischen Geschichten aus Antike und Christentum in der abendländischen Malerei. München

[36]   Mertin, Andreas; Wendt, Karin (2004): Mit zeitgenössischer Kunst unterrichten. Religion - Ethik - Philosophie. Göttingen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/134/am739.htm
© Andreas Mertin, 2021