Die Beschneidung

Andreas Mertin

Die Quellen
  • Lukas 2, 21 (90-100)
  • Pseudo-Matthäus-Evangelium (600-650 n.Chr.)
Lukas 2, 21

Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, noch ehe das Kind im Schoß seiner Mutter empfangen wurde.

Pseudo-Matthäus-Evangelium

Am sechsten Tag gingen sie nach Betlehem hinein, wo sie am siebenten Tag weilten. Am achten Tag aber beschnitt man den Knaben; man nannte ihn Jesus, wie er vom Engel genannt wurde, bevor er im Schoß empfangen wurde.

Kunstgeschichte

In der Kunstgeschichte taucht das Thema der Beschneidung Jesu erst spät auf. Und wenn es auftaucht, ist es nicht immer frei von Antijudaismus. Dann werden die ausführenden Priester als kalt und unbarmherzig dargestellt, während die Angehörigen Jesu eher zögerlich sind. Da bei der Beschneidung zum ersten Mal Jesu Blut fließt, wird der Vorgang im Mittelalter als erste Leidensstation angesehen und zu den „Sieben Schmerzen der Maria“ gezählt. Das Beschneidungsmesser gilt als eines der Leidenswerkzeuge. Lange Zeit galt die Beschneidung als Zeichen dafür, dass Jesus nicht nur „wahrer Gott“, sondern eben auch wirklich „wahrer Mensch“ war.


1304 – Giotto di Bondone

In der Fülle der Bilder in der Scrovegni-Kapelle übersieht man leicht jene Szenen, die Giotto di Bondone (1267-1337) auf den Schmuckbändern zwischen den Hauptfresken untergebracht hat. Dort finden sich auch Beiträge zur biblischen Geschichte, in diesem Fall eine Darstellung der Beschneidung Christi. Zwischen den beiden großen Fresken vom 12-jährigen Christus im Tempel und der Taufe Jesu durch Johannes findet sich das Beschneidungsbild (hier noch in der un-restaurierten Fassung). Dort, wo die Darstellung eigentlich logisch hingehört hätte, also zwischen die Anbetung der Hirten und die Anbetung der Weisen kann Giotto das Motiv nicht unterbringen, weil dort ein Fenster ist. Und bei der Wahl der großen Motive entscheidet sich Giotto lieber für die Präsentation im Tempel als für die Beschneidung. Und so zeigt Giotto auf knappstem Raum nur den Vorgang der Beschneidung an sich, der am achten Tag stattfindet. Von den angewandten Regeln für die Beschneidung lässt sich nichts erkennen, es werden nur der Mohel und das Christuskind gezeigt. Christus ist – anders als auf vielen späteren Bildern – relativ entspannt und vertrauensvoll dargestellt, er greift zum Kopf des Mannes.

1451 – Fra Angelico

Eigentlich könnte man Fra Angelicos Bilderfolge zum frühen Leben Jesu gleich zu jedem der in dieser Magazinausgabe vorzustellenden Bildthemen anführen. Denn wir blicken auf eine komplexe Reihe von der Verkündigung an Maria, über die Geburt des Jesuskindes und seine Beschneidung, die Anbetung der Hl. drei Könige und die Darstellung im Tempel, bis zur Flucht nach Ägypten und den Kindermord. Abgeschlossen wird diese Folge von einem Bild vom Auftreten des 12-jährigen Jesus im Tempel. Hergestellt hat Fra Angelico diese Plättchen für einen von Piero de‘ Medici gestifteten Silberschrank der Kirche Santissima Annunziata. Die weiteren Bilder dieses Zyklus‘ wurden von Nachfolgern gefertigt.

Die Beschneidung Jesu situiert Fra Angelico dabei in einen Raum, den man eher als Altarraum einer christlichen Kirche bezeichnen würde.

Am Geschehen beteiligt sind insgesamt sieben Personen. Drei von ihnen sind durch ihren Nimbus als heilig charakterisiert, alle drei stehen auf der linken Seite des Bildes: Maria, Jesus und Josef. Maria hält Jesus mit beiden Händen an seinem Leib fest, Josef fixiert ihn jeweils am rechten und linken Fuß. (Perspektivisch ist die Darstellung so aber nicht korrekt, Christus würde so nicht über der Schale sein).

Ihnen gegenüber sehen wir den Hohepriester mit den Beschneidungswerkzeugen, hinter ihm drei Gehilfen, von denen einer ein Tablett trägt, auf dem ein Wasserkrug steht. Die Inszenierung ist so dargestellt, dass sie nicht dem jüdischen Brauch des Brit Mila entspricht. Weder ist ein Sandak erkennbar, auf dessen Schoß der zu Beschneidende normalerweise sitzt, noch sieht man eine Beschneidungsbank, und auch der traditionelle Mohel fehl, seine Rolle wird vom Hohepriester eingenommen. De facto wird hier eher eine Analogie zur christlichen Taufe hergestellt, in der der Priester das Kind tauft und in die Gemeinschaft aufnimmt. Ein wirkliches Verständnis von der Einbeziehung Christi in Gottes Bund mit Israel fehlt. Auf der anderen Seite ist Fra Angelico klar, dass es sich um einen religiös elementaren Schritt handelt, weshalb er die Szene nicht – wie viele Kollegen es dann nach ihm gemacht haben - in die Präsentation im Tempel eingliedert, sondern als eigenständige Szene stehen lässt.


1460-64 – Andrea Mantegna

Dieses Detail aus einem dreiteiligen, nachträglich etwas willkürlich zusammengestellten Altarwerk von Andrea Mantegna, zeigt ebenfalls die Beschneidung Christi. Das Triptychon, heute in den Uffizien zu finden, zeigt links die Himmelfahrt, im Zentrum die Anbetung der Hl. Drei Könige und rechts die Beschneidung. Es gibt keinen theologischen oder künstlerischen Grund für diese thematische Zusammenstellung. Das Bild mit der Beschneidung selbst ist extrem hochformatig angelegt. Zwei zusätzliche Motive finden sich in der dargestellten Architektur: die Opferung Isaaks und die Präsentation der Gesetzestafeln durch Mose. Die Beschneidung im unteren Drittel des Bildes zeigt acht Personen. Auf der linken Seite Josef, der freilich auch einen Korb mit Tauben trägt, was das Bild mit der Präsentation im Tempel verbindet. Dann kommt ein Junge, der dem Priester hilft, indem er die für die Beschneidung notwendigen Utensilien auf einem Tablett trägt. Maria trägt Jesus auf dem Arm. Hinter ihr stehen zwei Frauen und ein kleiner Junge, der vielleicht den kleinen Johannes darstellen soll. Die ältere Frau könnte die Prophetin Hanna sein.


1466 – Friedrich Herlin, Beschneidung Christi, 1466

Sehr viel mehr Kenntnisse des jüdischen Beschneidungsrituals als seine Kollegen zuvor zeigt der altdeutsche Maler Friedrich Herlin, von dem man vermutet, dass er ein Schüler von Rogier van der Weyden gewesen ist. Er hat diese Szene der Beschneidung 1466 gemalt. Auch hier ist das Bild nur ein Teil eines größeren Altars (Herlin-Altar in Rothenburg ob der Tauber), aber es zeigt zum ersten Mal das grundsätzliche Arrangement in korrekter Form an. Der Künstler muss also der Zeremonie einer jüdischen Gemeinde einmal beigewohnt haben. Wir sehen Sandak und Mohel einander gegenübersitzen, auch die Beschneidungsbank ist zumindest ansatzweise zu erkennen.

Der Hohepriester als ausführender Mohel ist luxuriös gekleidet, der Künstler hat ihn darüber hinaus mit einer Zwickelbrille ausgestattet, wie sie auf diesem Altar sonst nur von dem Apostel Petrus getragen wird. Das kann man durchaus als wertschätzende Darstellung lesen. Von einer antijudaistischen Herabsetzung ist jedenfalls auf dem Bild nichts zu entdecken.

Das Christuskind mit kreuzförmigem Nimbus schaut aus dem Bild heraus, direkt auf die Betrachter:innen vor dem Bild. Sein Blick erscheint eher als kritisch oder vielleicht auch ein wenig besorgt, aber er sträubt sich offenbar nicht gegen die bevorstehende Beschneidung.

Die vier Gestalten im Hintergrund der Beschneidungszeremonie sind zeitgenössisch gekleidet und werden porträthaft dargestellt. Maria trägt eine sehr spezielle zeitgenössische Kopfbedeckung, Josef hat (immer noch?) eine Kerze in der Hand, sie ist seit den Visionen der Birgitta von Schweden zu seinem Markenzeichen geworden.


1496 – Albrecht Dürer, Die sieben Leiden der Maria

Auch Albrecht Dürer (1471-1528) lässt auf seinem Altar zu den sieben Schmerzen der Maria eine gute Kenntnis des Beschneidungsrituals erkennen. Seine Tafel zeigt sowohl den Sandak, hier der Hohepriester, auf seiner Beschneidungsbank wie auch den Mohel bei der Arbeit. Im Bildhintergrund sehen wir Maria und Josef, letztere wie auch das Christuskind mit Heiligenschein. Links am Rand steht eine weitere Gestalt mit einer großen Kerze. Lediglich die Einordnung unter die sieben Schmerzen Marias zeigt ein fehlendes Verständnis des Judentums an.


Um 15009 – Giovanni Bellini, seine Werkstatt und Schüler

Die italienische Malerei formuliert im Gefolge von Giovanni Bellini (1437-1516) einen Bildtyp zur Beschneidung aus, der wenig Variantenreichtum zeigt und in bestimmten Bildformeln erstarrt.

Aus der Tatsache, dass es so viele Bilder aus der Werkstatt von Giovanni Bellini zum Thema „Beschneidung“ gibt, kann man schließen, dass es eine rege Nachfrage nach diesem Bildtyp gegeben haben muss. Dementsprechend schreibt die National Gallery in London zu ihrem Bild, das aus der Werkstatt Bellinis stammt:

Gemälde dieses Themas waren in Venedig im späten 15. und frühen sechzehnten Jahrhundert sehr beliebt. Um die riesige Nachfrage nach seinen Bildern zu erfüllen, hatte Giovanni Bellini eine große Werkstatt von Assistenten, die Arbeiten in seinem Stil produzierten. Dieses Gemälde wurde von Werstatt-Mitarbeitern hergestellt, die Bilder mit seiner Unterschrift produzierten. Bellini hat möglicherweise zu den Gesichtern der Frauen beigetragen, aber die Textur der Stoffe ist nicht so überzeugend …, was darauf hindeutet, dass der Großteil der Arbeit von seinen Assistenten erfolgt.

Vermutlich ist der konkrete Bildtyp aus einem anderen entstanden, den der Schwager Bellinis, der Künstler Andrea Mantegna um 1465 entwickelt hat: Die Darstellung Jesu im Tempel. Das war ein Bild, das Bellini kurz darauf zu eigenen Versuchen inspiriert hat. Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt zu den Bildern von der Beschneidung.

Jedes Mal sehen wir in Nahdarstellung eine Gruppe von fünf bis sieben Menschen um einen Tisch versammelt, mit dem nackten (Beschneidung) oder dem bekleideten (Darstellung im Tempel) Christuskind im Handlungszentrum. In der Mehrzahl der Varianten stehen Maria und eine begleitende Frau auf der rechten Seite, Josef, dem Hohepriester als Mohel und einem anderen Mann auf der anderen Seite gegenüber. Es gibt aber auch Varianten des Typs, die von Schülern Bellinis geschaffen wurden, bei denen drei Frauen auf zwei Männer stoßen.

Charakteristisch für die Mehrzahl der Beschneidungsbilder von Bellini bzw. seiner Werkstatt sind die geballten Fäuste des Christuskindes. Man hat darin eine bewusste Geste entdecken wollen, entweder eine zum bejahten Leiden durch das Kind oder als eine Geste des Widerstandes gegen den rituellen Akt. Das ist jedoch schwer zu entscheiden, dieses Motiv ist in der Schule von Bellini auch nicht konsequent durchgehalten worden. Dort, wo sich die Bilder in späteren Varianten mit dem Typ der Darstellung im Tempel mischen (erkennbar daran, dass Josef zwei Tauben mitbringt), wird die Haltung Jesu wieder offener, er entspannt sich sozusagen.


1590 – Barocci

Das letzte Bild der kunstgeschichtlichen Tour zum Thema Beschneidung ist eines der merkwürdigsten. Es ist 360x250 cm groß und heute im Louvre zu finden. Es wird vom Louvre der Schule des Frederico Barocci zugerechnet und ins Jahr 1590 datiert.

Merkwürdig daran ist die Verbindung der Anbetung der Hirten, die sich zumindest links unten im Bild ablesen lässt (Hirte mit Musikinstrument, Schäferstab und Opferlamm, rechts hinten Ochs und Esel) mit der Beschneidung des Kindes, die unbestreitbar in der Mitte des Bildes vollzogen wird.

Der Mohel hat gerade seine Arbeit getan und packt sein Instrumentarium ein, der Sandak hält das Kind auf seinem Schoß, und Jesus scheint ziemlich entspannt zu sein. Maria und Josef sind am rechten Bildrand platziert, ohne direkt in das Geschehen einbezogen zu sein.

Ein rätselhaftes Bild.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/134/am740f.htm
© Andreas Mertin, 2021