„Bubble“ und „Othering“

Gegenreden zur Diskursverflachung in der theologischen Rede

Andreas Mertin

Wenn Theolog:innen das Wort „Bubble“ gebrauchen, darf man dahinter mit einiger Sicherheit eine versuchte Anpassung an bestimmte Redeformen der Gegenwart vermuten. Gemeint ist dabei die Bewegung in einer Filter- oder Informationsblase, die entsteht, weil die Medien, mit und in denen wir leben, zunehmend beginnen, die Informationen, die sie vermitteln, an die per Algorithmus bestimmten Erwartungen des Publikums anzupassen. Wer einmal in eine solche Filterblase gerät, hat es schwer, an anderslautende Informationen zu kommen. Er kann sich sogar ganz gut in dieser Lebenswelt einrichten, weil die eintreffenden Informationen seine Weltauffassung permanent zu bestätigen scheinen. Ob es diese Filterblasen wirklich gibt, ist wissenschaftlich umstritten, als Schlagwort, das bestimmte Tendenzen indizieren soll, taugt das Wort allemal.

Wenn in der Kirche behauptet wird, sie befinde sich in einer Bubble (was der Verfasser dieses Textes mit anderen Begrifflichkeiten auch gerne tut und wie es die Synodenpräsidentin explizit ausgesprochen hat), dann setzt das voraus, dass die Kirche für die Weltwahrnehmung der Menschen noch eine das Weltbild bestimmende Funktion hat. Davon würde ich freilich nicht (mehr) ausgehen. Es ist nicht möglich, sein Leben nach der „Bubble Kirche“ zu bestimmen, weil sie das Leben nicht mehr abdeckt, man kommt also permanent mit anderen Lebenswirklichkeiten in Kontakt.

Tatsächlich gibt es diese Bubble-Erfahrung, aber in einem ganz anderen Sinne, als es die Nutzer:innen des Begriffs in der Kirche sich denken. Immer dann, wenn ich an kunsthistorischen Kongressen teilnehme und dann in einem Nebensatz offenbare, dass ich auch evangelischer Theologe bin, dann werde ich in der sich anschließenden Kommunikation auf genau diese Mitgliedschaft in einer „Bubble“ reduziert. Ich bekomme ein Etikett: stammt aus der Bubble Kirche. Und das geschieht völlig unabhängig davon, ob ich der Kirche angehöre, am kirchlichen Leben teilnehme oder mich mit der Kirche identifiziere. Als Theologe scheint man ein geborenes Mitglied der Bubble Kirche zu sein.

Geht man aber auf die ursprünglich 2011 vom Medienwissenschaftler und Internetaktivisten Eli Pariser beschriebene Bedeutung der Filter- bzw. Informationsblase zurück, dann darf man mit guten Gründen bezweifeln, dass es eine binnenkirchliche Filterblase gibt. Und wenn es sie gibt, spiegelt sich in ihr nicht „die Kirche“, sondern ein bestimmtes kirchenleitendes Segment dieser Kirche. Man müsste also immer konkret fragen, wer eigentlich die Adressat:innen der Forderung „Raus aus der Bubble“ sind.

Eske Wollrad ist auf z(w)eitzeichen dieser Frage nachgegangen, weil sie hinter der Forderung eine nicht wirklich ernst gemeinte „Floskel“ vermutet. Das ist vermutlich wahr, m.E. aber in ganz anderer Hinsicht, als es Wollrad meint. Sie selbst argumentiert nämlich durchaus erkennbar nur aus einer anderen Bubble, die mit der der Amtskirche nicht identisch, wohl aber gut vernetzt ist. Sie macht nun die Berücksichtigung ihrer Bubble zum Kriterium des Gelingens eines Ausstiegs aus der Kirchen-Bubble. Das ist ein performativer Selbstwiderspruch. Man entkommt der Bubble nicht, indem man eine andere integriert.

Gerade in der Pandemiezeit wurde deutlich, wie Filterblasen, die vorher völlig voneinander getrennt waren, nun anhand eines neuen Themas – Corona – zusammenfanden und man sich nun in einer komplexeren Blase bewegte, die zum Beispiel auch Rechte integrierte. Dabei verließ man die Filterblase nicht wirklich, denn im Vergleich zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs war man weiterhin in einer Kleinstblase. Und in dieser etwas erweiterten Kleinstblase tummelten sich die Impf-Phobiker aus Württemberg, die Identitären aus Halle und Wien, die reaktionären Katholiken von Gloria.tv, die staatsfernen sozialdemokratischen Kleinkünstler:innen, die Christen im Widerstand aus den Freikirchen, die sich radikalisierenden GEZ-Gegner, politisierte antisemitische Veganer, Notfallrationen verkaufende Prepper usw. usf. Sie alle fanden sich plötzlich in einer gemeinsamen Filterblase, die sich zwar gegenseitig verstärkte und aufheizte, mit der gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit aber immer noch wenig zu tun hatte.

Eske Wollrad steigt in ihren Artikel mit einem sprachlichen Beispiel ein, das mir symptomatisch für die Grenzen ihrer Argumentation zu sein scheint. Sie schreibt:

Begegnet ein Fisch zwei anderen und fragt scherzhaft: „Na, wie ist das Wasser?“ Die beiden anderen runzeln die Stirn und fragen: „Was für Wasser?“ Damit ist der Kern der Bubble-Existenz erfasst: Wenn ich stets von Wasser umgeben bin und es für mich das Selbstverständlichste und Normalste der Welt ist, sodass ich nicht einmal einen Namen dafür habe, kann ich es nicht als das erkennen, was es ist: spezifisch und partikular.

Ich glaube, dass der Sachgehalt dieses Bildvergleichs völlig unzutreffend ist. Fische können selbstverständlich die Qualitäten des sie umgebenden Wassers beurteilen und darüber kommunizieren. Verschlechtert sich das Wasser, sucht ein Fisch normalerweise andere Wasserbereiche, die ihm besser bekommen. Auch der Mensch, der ja immer an Luft gebunden ist, kann gute und schlechte Luft voneinander unterscheiden, dazu muss er nicht außerhalb des Mediums gewesen sein. Sobald man sich in einem Medium bewegt, das unterschiedliche Niveaus oder Qualitäten kennt, kann man über es Urteile abgeben. Das ist ganz normale Urteilsbildung.

Zum Problem wird das erst, wenn – und davon handelt die Rede von der Filter- oder Informationsblase – externe Institutionen dazu übergehen, die dem einzelnen Subjekt zugänglichen Informationen (mit Hilfe von Algorithmen) zu steuern. Die Frage ist: befindet sich die EKD in dieser Situation? Eske Wollrad scheint das anzudeuten, indem sie einzelnen Institutionen der EKD wie der Kammer für Öffentliche Verantwortung diese Rolle zuschreibt. Nun kann man lange über die Zusammensetzung unserer kirchlichen Institutionen nachdenken und beredt darüber klagen. Aber es sollte doch mit angemessenen Argumenten geschehen. Wenn die Kirche sich als Spiegel gesamtgesellschaftlicher Komplexitäten darstellt, 26% der Menschen in Deutschland aber einen Migrationshintergrund haben und das sich nicht in der Kirche spiegelt, dann sollte man genau überlegen, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Ich will das einmal zuspitzen. Wenn sich die evangelische Kirche als Spiegel gesamtgesellschaftlicher Komplexitäten darstellt, 26,7% der Menschen in Deutschland aber Katholiken sind, warum spiegeln sich das nicht in der Evangelischen Kirche? Nun, aus naheliegendem Grund, sie haben eine andere Konfession.

Wenn wir also zum Beispiel nur auf die Geflüchteten schauen, dann gehören 16,8% von ihnen dem Christentum an, und von denen wiederum 32,6% dem Protestantismus in seiner ganzen Breite. Spiegeln können sich in den Kirchen und ihren Institutionen aber nur solche, die auch Mitglied der Evangelischen Kirche sind. 5,5% der Geflüchteten dürfte also irgendeiner protestantischen Denomination angehören (ohne dass man wüsste, welcher). Dennoch wäre zu fordern, wenn die Evangelische Kirche ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse sein will, dass diese Gruppe auch angemessen berücksichtigt wird. Ähnliches gilt für den größeren Bereich der Menschen mit Migrationshintergrund. Man müsste zunächst schauen, wie viele von ihnen zur christlichen Religion gehören, wie viele davon Mitglieder der Ev. Kirche sind, um dann darauf reagieren zu können (das ist gar nicht so einfach, das Integrationsprofil meiner Heimatstadt Hagen gibt darüber keine Auskunft, denn die Religion bzw. Konfession wird gar nicht erhoben). Ich halte es für völlig falsch, Forderungen aufzustellen, bevor man nicht die gesellschaftlichen Realitäten sorgfältig soziologisch aufgeschlüsselt hat.

Ähnliches gilt für die Besetzung von Begriffen wie „Othering“, die einfach extrem spätdatiert und zudem als identitätsbildend beschrieben werden und jeder davon abweichende Gebrauch denunziert wird. Kann man machen, erscheint mir aber ziemlich unseriös. Wollrad schreibt:

Zum Beispiel der Begriff „Othering“: Er ist Bestandteil Schwarzer Wissensproduktion und geht auf die afrikanisch-amerikanische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Toni Morrison zurück. „Othering“ bezeichnet den Prozess der gewaltsamen Herstellung der rassifizierten „Schwarzen“ aus einem von Weißen fabrizierten Gebräu von Andern und Begehren – „a dark brew of otherness and desire“ (aus: Playing in the Dark). Der Grundlagentext der Kammer der EKD definiert „Othering“ als eine „sich selbst vergewissernde […] Abgrenzung von anderen“ (63). Einmal durch den weißen Wolf gedreht verschwindet die rassismus- und sexismuskritische Pointe, und zurück bleibt ein trivialer Allgemeinplatz.

Das finde ich eine äußerst missverständliche, um nicht zu sagen unseriöse Engführung. „Othering“ wurde lange vor dem 1992 erschienenen „Playing in the Dark“ von Toni Morrison diskutiert, in der Regel unter Rückgriff auf entsprechende Konzepte von Georg Friedrich Wilhelm Hegel, die er in seiner Phänomenologie des Geistes beschreibt. Der EKD-Text greift zur Begründung sogar auf die hebräische Bibel zurück. 1982 schreibt der Amerikaner Quentin Lauer über Hegels Konzept des „Othering“, schon 1966 finden sich entsprechende Erörterungen bei Paul Weiss. Dementsprechend verortet die Wikipedia in ihrem Artikel zum Thema „Othering“ den Ursprung des Konzepts bei Hegel. Wenn man den komplexeren Artikel der englischsprachigen Ausgabe der Wikipedia zu Rate zieht, so beginnt der Diskurs mit Hegel, Husserl und Sartre, um dann in einem Schritt vom Allgemeinen zum Besonderen zu Simone de Beauvoir überzugehen:

In that mode, in ‘The Second Sex’ (1949), Simone de Beauvoir (1908–1986) applied the concept of Otherness to Hegel's dialectic of the "Lord and Bondsman" (Herrschaft und Knechtschaft, 1807) and found it to be like the dialectic of the Man–Woman relationship, thus a true explanation for society's treatment and mistreatment of women.

Wenn man nun hingeht, eine noch spätere Exemplifizierung des Begriffs durch Toni Morrison als normativ zu beschreiben, ist man selbst in einer Bubble gefangen. Tatsächlich wurde zunächst ein allgemeines Konzept beschrieben, das dann nach mehreren Zwischenschritten im 20. Jahrhundert an zwei Diskursbereichen exemplifiziert wird (Rassismus und Sexismus). Daraus kann man keine Beurteilungsnorm machen. Die Kammer der EKD rekurriert erkennbar auf den allgemeinen Begriff von „Othering“, nicht auf seine auf Rassismus und Sexismus beschränkte Variante aus dem späten 20. Jahrhundert. Das der Kammer vorzuwerfen, ist unseriös.

Deshalb finde ich Eske Wollrads Einspruch als eine zugespitzte Form des „Whataboutism“. Letztlich sagt sie nur, dass die Bubble, in der sie sich selbst bewegt, nicht angemessen berücksichtigt wurde. Das hätte sie auch direkt sagen können. Da hätten sich noch viele, viele andere gemeldet, die das für ihren Lebensbereich auch gesagt hätten. Whataboutism, das wissen wir, findet nie ein Ende, egal was immer die Kammer geschrieben oder die Synode gesagt hätte. Ach ja, meine Bubble (die Kunst und die Kultur) kam im EKD-Papier wie auch in der Synode nur am Rande oder gar nicht vor. Aber das hatte ich auch nicht anders erwartet.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/134/am741.htm
© Andreas Mertin, 2021