![]() Krieg und Totentanz
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Kämpfende FormenÄsthetische GrenzüberschreitungenAndreas Mertin
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Franz Marc, Kämpfende Formen, 1914, Öl auf Leinwand, 91 x 131,5 cm, München Die Souveränität des Ästhetischen …Wir sind es gewohnt, die Kunst zunächst einmal nicht als souverän zu betrachten, vielmehr weisen wir ihr in der Regel bestimmte Funktionen zu.[3] Die Kunst soll uns erbauen, unterhalten, aufrütteln, nachdenklich machen, ethische Impulse setzen. Im optimalen Fall soll die Kunst für eine bessere Welt sorgen, soll nicht nur Schein, sondern auch Vorschein (E. Bloch) sein. Spätestens dann aber, wenn der ästhetische Diskurs gegen das scheinbar ethisch Selbstverständliche vorgeht, sind wir zutiefst verstört. Das galt schon von der schwarzen Romantik, den Blumen des Bösen, dem Marquise de Sade oder neuerdings der angeblich verzerrten Darstellung von Marginalisierten auf Gemälden. Hier sind wir geneigt, bestimmte ethische Standards, bestimmte moralische Selbstverständlichkeiten auch von der Kunst einzufordern. Der Aufruhr des Schönen gegen die bürgerliche Güte (Theodor W. Adorno)[4] soll spätestens dann enden, wenn das bürgerlich Gute durch die Souveränität der Kunst[5] infrage gestellt wird.
Das führt uns etwas von dem vor Augen, was Paul de Man in seinem Buch „Blindness and Insight“[8] herausgearbeitet hatte:
Das ist das Faszinierende und zugleich das Problem der Souveränität des Ästhetischen. Denn auch dort, wo größte ethische Sensibilität angebracht wäre, bleibt die ästhetische Gestaltbildung nicht folgenlos. Wer Ethisches gestalten, Un-ethisches anprangern will, muss sich dennoch geradezu zwangsläufig ästhetischer Strategien bedienen, die den gewünschten Inhalten zuwiderlaufen wenn man denn Paul de Man folgt. Nur das Kunstwerk selbst, das ja die ästhetische Gestaltung in sich reflektiert, kann dem entkommen, solange es als ästhetisches gelesen wird. Ein Schibboleth für die ethische bzw. moralische Grenzziehung ist Filippo Tommaso Marinettis „futuristisches Manifest“, das dieser 1909 in der französischen Zeitung Le Figaro publizierte:
Derartige künstlerische Äußerungen wollen ausgehalten sein. Geradezu das Gegenteil zu diesen Äußerungen für die Geschwindigkeit, die Gewalt und den Krieg bildet die Entwicklung des Künstlers Franz Marc, der sich nach 1910 zunächst auf Tierdarstellungen zurückzog, die für ihn zur Metapher für kreatürliche Reinheit und Unschuld wurden, was er theoretisch unter „Animalisierung der Kunst“[11] fasste. Später wandte er sich dann immer stärker abstrakten Formen zu:
Die Kämpfenden Formen, die wir heute in der Pinakothek der Moderne in München finden, gehören in diese abstrakte Phase. Man wird aber nicht sagen können, dass diese Kämpfenden Formen nicht weniger dynamisch und gewaltig erfahren würden als die Darstellungen des Futurismus. … und die Wertlosigkeit der russischen IkonenDer brutale Angriffskrieg Russlands[12] gegen die Ukraine hat auch Folgen für das Christentum, die Ökumene, vor allem aber für die Orthodoxie. „Die“ Orthodoxie gibt es nicht mehr. Selbst harmlose Gespräche zwischen dem russisch-orthodoxen Patriarchen und dem römisch-katholischen Papst werden zu Waffen im Informationskrieg. Und man kann mit guten Gründen bezweifeln, ob die russisch-orthodoxe Kirche noch zur Gemeinschaft der christlichen Kirchen zu zählen ist, oder ob hier nicht längst der status confessionis erreicht ist. Als der russisch-orthodoxe Patriarch einem russischen Militär eine Ikone überreichte, um einen vor allem von Christen bewohnten anderen Staat erfolgreich vernichten zu können, war m.E. dieser Punkt erreicht.
Auf der anderen Seite, auch das muss man sehen, tritt Kyrill I. als einer der vielleicht letzten religiösen Führer dieser Welt für eine radikal „wertlose Wahrheit“ ein. Die von ihm vertretene Wahrheit kennt in seiner Perspektive keine Werte, die man gegeneinander abzuwägen hätte, sie kennt keinen „simplen Pluralismus“ und schon gar keinen „interiorisierten Pluralismus“ um diese Begriffe von Günther Anders aufzugreifen.[13] Der simple Pluralismus, auf den sich im Gefolge von Johannes Paul II. die religiösen Führer dieser Welt geeinigt hatten, besagt, dass man trotz der Existenz verschiedener konkurrierender Religionen und Kirchen, die sich vielleicht sogar widersprechen, einander nicht bekämpft, sondern nebeneinander besteht. Letztlich bedeutet es, etwas als falsch Unterstelltes zu dulden. Der „interiorisierte Pluralismus“ wäre einer, in dem man die fremden Götter oder alternativen Gottesaneignungen nicht nur toleriert, sondern positiv als Möglichkeit des Glaubens anerkennt. Davon ist Kyrill I. weit entfernt.
Soweit zur religiösen „Wahrheit“. Und mancher Patriarch würde vielleicht so etwas gerne auch heute noch zur Anwendung bringen und hält dafür alle Mittel für gerechtfertigt. Die angebliche Wahrheit, die hier wortwörtlich in Anschlag gebracht wird, ist gnadenlos, sie kennt keine Ambivalenzen und keine Ambiguitäten, auch das ganze Wesen der Ästhetik, wie es sich seit Giotto in der Kunst entwickelt hat, ist ihr als westliches Konzept wesensfremd. Dabei ist das keine Ignoranz im engeren Sinne, vielmehr wird sehr gut verstanden, was in der neuzeitlichen Kunstgeschichte passiert, aber man lehnt es aus tiefstem Herzen ab:
Zur europäischen Moderne westlicher Prägung gehört aber seit beinahe 500 Jahren der „Zwang zur Häresie“[16], die Pflege der Differenz und der Vielfalt, das Offenhalten der Ambivalenzen. Beobachtungen in einem Krieg, der sehr wohl stattfandNicht zuletzt deshalb möchte ich auf Ästhetik und Kunst setzen, auf Ambivalenzen und Ambiguitäten, auf assoziative Verknüpfungen und visuelle Evidenzen. Explizit nicht folgen will ich einem Theoriesatz, der mit dem Namen Jean Baudrillard verknüpft ist, welcher davon ausgeht, dass man angesichts der Medialität heutiger Kriege davon sprechen könne, dass diese gar nicht mehr stattfänden.[17]
Vielmehr will ich einige an bestimmten ästhetischen Konstellationen orientierte Wahrnehmungen festhalten, die mir u.a. beim Verfolgen der (gar nicht wirklich wahrnehmbaren) Flugbewegungen rund um den Angriffskrieg auf die Ukraine gekommen sind. Wie zeigt sich der Krieg auf einer Website, die nichts anderes macht, als Flugbewegungen festzuhalten? Wie schreibt sich die militärische Gewalt in den zivilen Lufthimmel ein? Dazu im Folgenden einige Notizen. Leerräume / horror Vacui / blindness and insightDas ist ein Bild der Internetseite flightradar24.com, das den europäischen Flugverkehr zeigt, nachdem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. Ein ähnlicher Screenshot schaffte es bis in die Tagesthemen, scheint er doch auf drastische und überzeugende Weise die Folgen des Krieges vor Augen zu führen. Der internationale Flugverkehr musste um den Luftraum der Ukraine und von Belarus herumgeführt werden. Das führte zu Verdichtungen im Bereich der Türkei und einigen anderen Staaten wie dem Irak. Und so überzeugend dieser Screenshot auf den ersten Blick ist, so gibt er natürlich nicht einmal annähernd Wirklichkeit wieder. De facto ist der Luftraum über der Ukraine in dieser Zeit prall gefüllt mit Flugzeugen, Drohnen und Hubschraubern. Wir sehen sie auf den Karten nur nicht, weil es sich um militärische Flugmaschinen handelt, deren CALL-ID ausgeschaltet wurde.
Kämpfende FormenAuf flightradar24.com sind die unterschiedlichen Flughöhen an der Farbe erkennbar, in denen ihre Flugrouten gezeichnet werden. Ist die normale Flughöhe etwa 30.000 Fuß (9 km), so wird sie mit einem kräftigen Blau dargestellt, ist sie dagegen 51.000 Fuß (15,5 km) hoch, dann erscheint sie in einem deutlichen Rot. Sinkt sie dagegen ab, um zur Landung anzusetzen, nähert sie sich zunächst dem Grün und dann dem Gelb. Das würde sich, wenn man alle Flugrouten anzeigen könnte, zu einem bunten Bild zusammenfügen. In der Regel aber wählt man sich einige Flüge aus, die sich dann in unterschiedlichen Farben in die Landkarte einzeichnen. Auf dem obigen Bild sehen wir also mit der roten Linie die Route einer Drohne wie die Northrop Grumman RQ-4B abgebildet, die die Nato-Grenze vom Schwarzen Meer hoch fast bis Kaliningrad abfliegt.
Ein anderes Beispiel: Am 13. März 2022 taucht vor der rumänischen Küste für kurze Zeit ein Flugobjekt mit der CALL-ID RBP01 auf, das sich nur 100 Meter über dem Wasser befindet. Es ist ein Camcopter S-100. Das ist deshalb ein für diesen Text interessantes Modell, weil es nicht nur zum Küstenschutz (und für militärische Zwecke) und nach 2014 von der OSZE auch in der Ukraine-Krise verwendet wurde, sondern weil es auch mehrfach als „Kunstwerk“ ausgezeichnet wurde. So erhielt der Designer 2005 den „Adolf Loos Staatspreis Design“. Und schon 2004 wurde der unbemannte Hubschrauber in die Sammlung des Museum of Modern Art (MOMA) in New York aufgenommen. Die tschechische Künstlerin Magdalena Jetelová verwendete den Camcopter S-100 in einer Kunstinstallation im Rahmen der Ausstellung „Vienna for Art’s Sake!“ im Wiener Winterpalais. Die Logik der Flugbewegungen erschließt sich Außenstehenden natürlich nicht, es sind vielfach in sich verschlungene Linien, nicht wie bei einem eine Schleife fliegenden Tankflugzeug, eher wie eine verirrte Fliege. Vielleicht kontrollierte der Camcopter ganz konkret ein russisches U-Boot oder noch wahrscheinlicher, See-Minen vor der rumänischen Küste. Unbestreitbar ist aber die assoziative Nähe zu Skulpturen von Norbert Kricke, wie wir sie an zahlreichen Orten in Deutschland finden.
Was sich so in den Himmel einzeichnet, ist auch in der Abstraktion der Darstellung durch flightradar24 durch und durch ästhetisch auch wenn es den Tod von Tausenden von Menschen bedeuten kann. Es findet eine Entkopplung von Gestalt und Bedeutung statt. Anders ist das bei den Flugbewegungen, die sich an realen Geländevorgaben oder etwa auch an konkreten Staatsgrenzen orientieren. Wenn also die polnische Border Guard mit einem Flugzeug die Grenze zur Ukraine in Höhe der ukrainischen Städte Wolodymyr-Wolynskyj, Olesk und Ljuboml kontrolliert, dann schmiegt sich die auf flightradar24 sichtbare Flugbewegung natürlich ziemlich genau dem Grenzverlauf an. Und dennoch kann man sagen, dass die so entstehenden Fluglinien aussehen wie manche bewusst gestalteten und nicht einer unkontrollierbaren Gestik entsprungenen Kunstwerke von Bernard Quesniaux oder verwandten Künstler:innen. Namen bedeuten Schall und RauchWenn man auf flightradar24 über ein paar Tage die CALL-IDs der Flugzeuge der westlichen Militärs verfolgt, dann kommt man ins Nachdenken über die Wahl der Namen. Wenn man eine Spionage-Drohne der US-Streitkräfte wie die Northrop Grumman RQ-4B mit dem Namen Homer59 versieht, mag man das irgendwie noch verstehen. Popkultureller amerikanischer Humor eben. Oder kulturelle Bildung als Anspielung auf die Tatsache, dass man immer noch nicht weiß, ob es Homer überhaupt gegeben hat. Oder ein bisschen Lokalpatriotismus zu einem Stützpunkt in Alaska. In der Regel bekommt die Drohne aber die CALL-ID FORTE12 oder FORTE11.
Von den drei Gorgonen ist uns vor allem Medusa gegenwärtig, jene Gorgonin mit den Schlangen auf dem Haupt, die mit Hilfe katroptischer Strategien von Perseus enthauptet wurde und ihm in der Folge dazu diente, seine Feinde auszuschalten, indem er sie mit Hilfe des Hauptes erstarren ließ. In der Loggia dei Lanzi neben dem Palazzo Vecchio in Florenz kann man die wunderbare Darstellung des Vorgangs aus der Hand des mehrfachen Mörders Benvenuto Cellini studieren.
Dazu passt, dass das Aufklärungsflugzeug der italienischen Air Force (eine Gulfstream G550 AEW), das zeitgleich eingesetzt wurde, die CALL-ID Perseo71 trägt, also nach Perseus benannt ist. Da Perseus der Legende nach, bevor er auf die Gorgonen stieß, von den Nymphen eine Tarnkappe, Flügelschuhe und einen Mantelsack bekommen hat, passt die Bezeichnung für ein Aufklärungsflugzeug ganz gut.
Die Nutzer von flightradar24 und anderen Flugseiten sind jedenfalls überrascht und schreiben: Einige Zeit später bekennt sich der französische IT-Spezialist Mathieu Peyréga dazu, die Flugdaten auf flightradar24 manipuliert zu haben. Er schreibt: „Ich gebe es zu, ich konnte nicht wiederstehen“. Seine Manipulation funktionierte so lange, bis sein Account bei flightradar24 gesperrt wurde und er keine Daten mehr einspeisen konnte. Beobachtungen zu einem Krieg, der wohl stattfand IIDie Ästhetisierung des Militärischen und seine religiöse Aufladung schreitet in den Tagen des Krieges voran, das scheint zur Eigenlogik heutiger Auseinandersetzungen zu gehören. Auf den Bildschirmen der ukrainischen Fernsehsender mehren sich die mit martialischer Musik unterlegten Videos, die Militärgerät zeigen nicht im Einsatz, sondern wie bei einer Waffenschau. Es ist die Ansprache an eine mit Ego-Shootern sozialisierte Bevölkerung. Aber dabei bleibt es nicht. Highway to hellAm 17. März veröffentlich der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowytsch auf Facebook und später auf dem ukrainischen Propagandasender ukrinform ein Drohnenvideo, auf dem die Zerstörung eines russischen Kommandopostens in der Ukraine zu sehen sein soll. Unterlegt ist dieses Drohnenvideo mit einer Musik der australischen Rockband AC/DC: Highway to hell. Arestowytsch schreibt dazu, die ukrainische Artillerie habe einen „Highway to hell“ für die Russische Armee organisiert. [In Wirklichkeit haben sie das Leben vorwiegend junger russischer Soldaten beendet.] Das veröffentlichte Video ist 3:28 Minuten lang, kostet also die Länge der Musik von AC/DC bewusst aus. Nun beschreibt „Highway to hell“ nicht die Vernichtung irgendwelcher Menschen oder ihren Aufenthalt in einem der Kreise der Hölle, sondern die besungene ‚Hölle‘ ist eine Metapher der Ödnis der langen Busfahrten durch Australien während einer Tournee. Aber Versatzstücke und vor allem Liedtitel werden gerne genommen, um liedfremde Botschaften zu transportieren (so funktioniert das in der Werbung ja auch, wenn sie aktuelle Hits unterlegen). So wie der chinesische Propagandasender CGTN die Webcam in Kiew mit Streichmusik unterlegt, um die Harmlosigkeit des Krieges zu demonstrieren, so nutzt der Präsidentenberater Rockmusik von AC/DC, um die Entschiedenheit der Ukrainer zu betonen. [Ähnliches hatten die Amerikaner in Vietnam gemacht.] Die Wahl der Musikstile ist dabei kontingent. Kultur wird hier gnadenlos instrumentalisiert. Die ukrainischen Sender zeigen auch anhand von Drohnenbildern den „Triumph des Todes“ durch russischen Beschuss die Menschheit ist seit Pieter Bruegel nicht weiter gekommen. Aber die ukrainischen Propagandasendungen belassen es nicht bei den abstrakten Bildern. Sie schwelgen auch in Bildern, die angeblich die „perfekte Effektivität“ ihrer Arbeit zeigen, nämlich tote russische Soldaten, ihre mit Namen versehenen Helme und ihren Abtransport. Parallel dazu kehrt eine religiös durchtränkte Sprache zurück, die eigentlich dem ausgehenden Mittelalter zugehört und mit der Moderne überwunden sein sollte.
Nun ist bei Dante der erste Ring des siebten Kreises der Hölle nicht von einfachen Soldaten gefüllt, sondern von den Kriegsherren, von Attila, dem Hunnenkönig, Pyrrhus, dem blutrünstigen Sohn des Achilles und anderen. Insofern erweitert Selenskyj den Kreis noch einmal drastisch.
Finisterre
Im Gegenzug lassen sich autokratische Tendenzen der Regierung beobachten, wie Analytiker schon vor dem Krieg befürchteten: „Dementsprechend steht die Ukraine heute an einem möglichen Scheideweg, der in Zukunft entweder zu einem autoritären Präsidenten- oder einem demokratischen Rechtsstaat führen kann.“[21] In den letzten Jahren hat sich die Ukraine auf dem Demokratieindex verschlechtert. War es 2019 noch Platz 78 mit einem Index von 5,90, so ist es 2021 Platz 86 mit einem Index von 5,57. Dabei wird die Ukraine als Hybridstaat geführt, also keine vollständige, auch keine unvollständige Demokratie, aber auch (noch) kein autoritäres Regime. Aber auch während ihrer Verteidigung der Freiheit zeigt sie keine Züge einer demokratischen Kultur. Seit heute Abend (20. März 2022) hat die Ukraine ein gleichgeschaltetes Fernsehen. Egal auf welchen Kanal man klickt, der Anblick ist jedes Mal der gleiche, nur das Senderlogo wechselt. Es ist schockierend, ein Pressesystem mutiert zum Staatsfunk, ein System kontrolliert die Medien. Vier autonome Fernsehsender, dieselbe Uhrzeit, ein Programm:
Trotzdem hat ein Volk, hat ein Staat ein Anrecht auf Souveränität und Freiheit, es hat ein Recht auf unsere Solidarität und Unterstützung, wenn es angegriffen wird.
Es führt, um mit dem nebenstehenden Bild des in Kiew geborenen Kasimir Malewitsch aus dem Jahr 1914 zu sprechen, zu einer „partiellen Sonnenfinsternis“. Man kann die Freiheit nicht durch Beschränkungen der Freiheit verteidigen.
Epilog I: Wagner. Oder das Spiel der Faschisten mit den Symbolen.
Seine private militärische Truppe zeichnet für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, Folterungen und Morde verantwortlich. Bekannt wurde, dass er im Auftrag der russischen Regierung syrische Söldner für den Ukrainekrieg anheuert. Auch wurde kolportiert, seine Truppe sei mit der Liquidierung des ukrainischen Präsidenten beauftragt worden, was aber dank eines russischen Whistleblowers verhindert werden konnte. Was aber ist die Symbolik des aufgeschnallten Cellos? Würde man an das absolut Böse glauben, an die vollkommene Verworfenheit mancher Menschen, die noch an den schrecklichsten Geschehnissen menschlicher Geschichte Gefallen finden und sich bewusst in deren Tradition einordnen, dann würde man in vollkommener Perversion des Intendierten an Zeilen denken wie
Das ist es, was wir meines Erachtens tatsächlich hier vor uns haben, der blanke Terror, der noch das Wissen der Terrorisierten zu seinem Komplizen macht und ihnen mit historischen Anspielungen eine Todesfuge androht: der Tod ist ein Meister … Epilog II: Oscar. Oder Krieg als KulturindustrieSean Penn hat gefordert, dass bei der Oscar-Veranstaltung der ukrainische Präsident auftreten müsse. Das finde ich logisch und folgerichtig, sind die Auftritte dieses Präsidenten doch schon seit längerer Zeit eher Hollywood und der Kulturindustrie als der Politik zuzuordnen. Wie Donald Trump meint Selenskyj, Politik werde heute durch Show-Auftritte gemacht und nicht durch harte politische Arbeit. Es ist schon überaus zynisch, dass Sean Penn zeitgleich verkündet, er arbeite zurzeit an einem Film über den Krieg. Baudrillard lässt grüßen. Die FAZ schreibt:
Das ist kulturindustrielle Kriegs-Propaganda, die nur noch auf symbolische Gesten setzt, weil sie in der Sache selbst seit langem nichts mehr zu sagen hat. Weil Hollywood als aalglatte Bildproduktions-Maschinerie eben kein Gegenmittel gegenüber einer Unkultur darstellt, die fremde Völker erobern und vernichten will, ja weil Hollywood selbst über Jahrzehnte Propaganda-Schinken dieses Stils der Fremd-Intervention beklatscht hat, muss man nun auf Ostentation setzen, sprich den symbolisch Blau-Gelb etikettierten Souvenir-Oscar. Der selbsternannte Hollywoodbotschafter Gregg Donovan, der 2020 noch meinte, nur mit Donald Trump bleibe Amerika groß, zieht in seine nächste Propagandaschlacht nur mit einem anderen Präsidenten. Anmerkungen[1] Robert Oppenheimer zitiert hier aus dem „Bhagavad Gita“ um seinem Eindruck von der ersten Explosion einer Atombombe zu Ausdruck zu bringen. Vgl. Jungk, Robert (1986): Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher. 121. - 125. Tsd. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. [2] Bradley, F.H. (1893), Appearance and Reality, preface [3] Vgl. Busch, Werner (Hg.) (1997): Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen: Piper. [4] Adorno, Theodor W. (2004): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. In: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften in 20 Bänden: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft). (MM 58) [5] Menke, Christoph (1991): Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt am Main: Suhrkamp. [6] Lyotard, Jean-François (1987): Der Widerstreit. München: Fink (Supplemente, 6), S. 61. [7] Adorno, Theodor W. (2014): Ästhetische Theorie. 5. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1707). S. 106. [8] Man, Paul de (2013): Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism. 2nd ed. Hoboken: Taylor and Francis. [9] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_de_Man#Theorie [10] Zit. nach Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Futurismus#Gr%C3%BCndungsmanifest [12] Man kann fragen, ob man nicht der Personalisierung des Konflikts durch den Westen folgen sollte: Also von Putins Angriffskrieg und nicht von Russlands Angriffskrieg zu sprechen. Aus biographischen Gründen kann ich das nicht. Ein Teil meiner politischen Bewusstwerdung kreist darum, dass es nicht möglich ist, nur von Hitler als dem Bösen zu sprechen und „die Deutschen“ außen vor zu lassen. Als wenn einige Wenige rund um den Diktator das Volk ins Unglück gestürzt hätte. Dieses Geschichtsurteil hätten die vielen Mitläufer:innen gerne gehabt. Aber so war es nicht. Und so ist es auch nicht in Russland. Man kann das Problem nicht dadurch lösen, dass man das Volk exkulpiert, während ein anderes Volk unter brutalen Angriffen leidet. Es ist unaufrichtig. [13] Anders, Günther (1993): Mensch ohne Welt. Schriften zur Kunst und Literatur. 2. Aufl. München: Beck [14] Montaigne, Michel de (2014): Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581. 1., neue Ausg. Berlin: AB - Die Andere Bibliothek (Die Andere Bibliothek, 349). [15] Anders, Günther (2020): Schriften zu Kunst und Film. Herausgegeben von Reinhard Ellensohn und Kerstin Putz. München. S. 360. [16] Berger, Peter Ludwig (1992): Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft. Durchges. und verb. Ausg. der 1980 bei Fischer ersch. dt. Ausg. Freiburg im Breisgau: Herder (Herder-Spektrum, 4098). [17] Vgl. Strehle, Samuel (2012): Zur Aktualität von Jean Baudrillard. Einleitung in sein Werk. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss (SpringerLink Bücher). [18] So etwa 1991 im SPIEGEL: https://www.spiegel.de/politik/der-feind-ist-verschwunden-a-de20d391-0002-0001-0000-000013487866 [21] Vgl. Ukraine-Analysen |
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/136/am752.htm |