Lautes Verstummen
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Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun?Die Internationale und ein Engagement aus der MusikszeneAndreas Mertin Gerade in Zeiten, wo das Herz voll ist, quillt der Mund über und gibt Sätze von sich, die man bei nüchternem Zustand der Sinne wahrscheinlich nicht artikuliert hätte. Nun aber muss es raus und da bleibt nicht die Zeit, die Promotion auch noch auf Stimmigkeit und Dezenz zu überprüfen. Hauptsache, die Botschaft kommt rüber und die adressierten Kultur-Konsument:innen klicken eifrig auf die Buttons zum Konsum der beworbenen Kulturgüter. Im Mai 2022 erreichte die Redaktion jedenfalls folgende Stilblütensammlung aus einer Werbeabteilung der deutschen Musikindustrie: Im schönsten generischen Maskulinum, sodass man sich beinahe gar nicht mehr angesprochen fühlt, wird einem als Journalist und Musikliebhaber[1] die neueste Veröffentlichung „God Don’t Speak“ von Cosmo Klein und Jan Meiners angekündigt. Nun ist das „Schweigen Gottes“ so eine Trope, die früher vor allem in frömmeren Zirkeln kultiviert wurde und die auch Helmut Thielicke beredt zu deuten wusste.[2] Wenn Gott schweigt, lässt sich alles sagen, da ist sein Schweigen dem erhofften Schweigen der Lämmer nicht unähnlich. Immerhin setzt das Schweigen Gottes voraus, dass er noch nicht tot ist, wie Nietzsches toller Mensch noch meinte: „Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“[3] Ein wenig arg pervers und widersinnig zugleich wird es, wenn die Werbeabteilung behauptet
Ja, die Kriegsgötter schweigen eben nicht, sondern sprechen zurzeit besonders laut, und sie inspirieren leider auch Musiker zu ihren Handlungen. Inspiration, das sollte eine Werbeabteilung wissen, hat nichts mit Transpiration zu tun, sondern bedeutet „Beseelung, Einhauchung“ und kommt eben genau aus jenem Bereich, der eben noch expressis verbis zum Schweigen verdonnert wurde: dem Göttlichen (nicht notwendig freilich dem personal verstandenen Göttlichen). Seitdem das Wort Inspiration bzw. inspiriert Konjunktur hat (etwa seit der Jahrtausendwende) wird es bedeutungslos, so dass Journalist:innen auch darüber sinnieren, was einen Massenmörder wohl zu seinen Taten inspiriert hat. Inspiration ist ein Synonym für „Anlass“ geworden. Aus Anlass des Krieges sagt aber etwas anderes aus als inspiriert durch den Krieg. Die Futuristen erwiesen sich als inspiriert vom Krieg und von der Geschwindigkeit, aber das verhieß schon damals nichts Gutes. Noch merkwürdiger ist aber die Formulierung „Inspiriert durch … dem Leid“. Selbst wenn man freundlicherweise unterstellt, gemeint sei „inspiriert vom Leid“, so will einem das doch nicht über die Zunge oder auch aufs Papier. Ist Dantes „Inferno“ inspiriert vom Leiden der Menschen seiner Zeit? Man kann erschüttert sein vom Leiden in der Ukraine, infrage gestellt, verzweifelt über das Leiden der von einem Diktator mit einem Krieg überzogenen Menschen, aber inspiriert? Ist das Leid eine der göttlichen Musen? Nicht einmal motiviert sein sollte man durch einen Krieg auch wenn manche Kriegslieder der Ukraine so klingen.[4] Wir sind nicht mehr in alten Zeiten, als Kriegshandlungen noch zu Heldenepen „inspirierten“. Es ist eine der Sache (dem Leiden / dem Krieg) unangemessene Sprache. Die beiden Künstler haben nun beschlossen, die gesamten, durch Streaming generierten Einnahmen an den offiziellen Partner UNICEF zu spenden. Ehrlich gesagt, weiß ich jetzt nicht, was dieser Satz impliziert. Hagiographisch zugespitzt stellt sich doch die Frage: haben wir es hier mit dem Motiv des Hl. Martin von Tour oder mit dem der Hl. Elisabeth von Thüringen zu tun? Das wird aus der Ankündigung nicht so deutlich. Wenn alle Erträge aus dem Musikstück der Arbeit von UNICEF in der Ukraine zuflössen, dann wäre es das Motiv der Hl. Elisabeth, die ihren ganzen Mantel den Bedürftigen gab. Wenn aber nur die Streaming-Erlöse an UNICEF fließen, die Erträge aus einem evtl. CD-Verkauf aber nicht, dann hätten wir das Motiv des Hl. Martin vor uns, der seinen Mantel mit den Bedürftigen nur teilte. Mehr als nichts könnte man sagen, aber man möchte doch schon wissen, woran man ist. Nun kommt raus, dass der Song „eigentlich“[5] schon des längeren in der Schublade lag, gar nicht aus Anlass des Krieges entstanden ist, von diesem also auch nicht „inspiriert“ worden sein kann, sondern nur aus Anlass des aktuellen Krieges und des allgemeinen Leids der Welt und der Schöpfung nun neu arrangiert und vermarktet wird. Zumindest existiert ein Preview von Cosmo Klein bereits aus dem Jahr 2013, das den Titel „God don’t speak“ trägt. Vielleicht sollte man sich das Leid der Menschen in der Ukraine noch einmal vor Augen führen, bevor man dann die Zeilen des Promotion-Textes genauer liest:
Was ist eine „dem Thema angemessene Tiefe der Stimme im Raum“, wenn das Thema 60.000 tote Menschen und mehr als 6,2 Millionen Geflüchtete sind? Wie tief darf, muss, kann es denn sein? Und inwiefern ist eine „Gänsehaut“[6] beim Musikkonsum dem Thema angemessen? Gibt es überhaupt einen Klang, der diesem Thema „angemessen“ sei kann? Das berührt die seit Auschwitz virulent gewordene Frage des Verhältnisses von Form und Inhalt. Wie kann man dem formlosen Inhalt des Leidens und Sterbens der Menschen im Kriegsgeschehen eine Form geben, die dieses nicht zugleich notwendig(!) ästhetisiert und damit eben unangemessen wird? Der Schrei des Gefolterten, um darin Adorno zu folgen[7], ist eben nur eine Kundgabe, nicht etwas, was in Form gebracht werden kann und darf. Aber hier geht es eben nicht um die Artikulation des „Schreis“, hier geht es um eine Art „Schiffbruch mit Zuschauer“, bei dem Letztere durch den Genuss des Schauspiels (dem Streamen) ihren Obolus zur Minderung des Leidens der Schiffbrüchigen leisten können. Aber es bleibt ein Schiffbruch mit Zuschauer und man ist in der Position eines Zuschauers gehalten, der für seine Schuldgefühle Ablass erhält, weil Geld an UNICEF fließt. Ein minimalistischer Ansatz mit Streicher-Arrangement ohne treibende Rhythmen und überflüssige Effekte … Ich kann das nicht mehr hören, für mich klingt das alles wie Wortgeklingel. Natürlich darf man heute nicht mehr erwarten, dass jemand sich sensibel erweist beim Einsatz des Wortes „Arrangement“ in der Musik, hier hat die Kulturindustrie alles bis zur Unkenntlichkeit plattgemacht.
Aber all das passt durchaus in eine Zeit, in der ein oberster Kriegsherr auf der Biennale in Venedig auftritt, um dort angebliche Kunstfotos unbefangen als gute Kriegspropaganda zu loben und wenig später der Filmindustrie in Cannes sein Plazet gibt, falls sie im Gegenzug auch einen großen Film über das Leiden und den Sieg der Ukraine produzieren. Wer braucht noch Götter, wenn es doch den Präsidenten gibt, der unverdrossen bindet und löst? Gut arrangiert präsentiert sich die Propaganda dieses Präsidenten jedenfalls, auch wenn sie keinesfalls auf überflüssige Effekte verzichten will. Und schließlich darf bei so einem „Waschzettel für die Presse“ auch nicht das Originalzitat der Künstler fehlen: Auch das sind so wie ich finde wohlfeile Sprüche, die bei genauerem Hinsehen zerbröseln und sich in Staub auflösen. So hat der aufgeklärte Mensch zu sprechen gelernt: nicht Schicksal noch irgendein(!) Gott bewegt die Welt, sondern der Mensch, der Mensch, der Mensch. Nur an seinem Wesen kann die Welt genesen oder eben zugrunde gehen. Nur sind die Menschen nicht so aufgeklärt, wie hier unterstellt wird auf beiden Seiten nicht. Wenn auch mit Ausnahme des orthodoxen Patriarchen Kyrrill und einigen fundamentalistischen Splittergruppen niemand ernsthaft vertritt, dass dieser Krieg von Gott gesandt ist, so setzt zumindest der ukrainische Präsident auf den Beistand Gottes bei der Vernichtung und ewigen Bestrafung der russischen Gegner.
Wenn Gott aber schon für die Strafen zuständig ist, warum dann nicht auch für den Krieg? Hier befinden sich die Musiker im Dissens zur Terminologie der Kriegsparteien. Beide Seiten wähnen sich wie die zahlreich eingesetzten Ikonen zeigen auf einer von Gott beförderten Mission, bei deren Erfolg am Ende dem Gegner die Hölle droht. Die letztlich religionskritische Formulierung der Musiker steht dagegen in Übereinstimmung mit Formulierungen in der Internationale, dem Kampflied der Arbeiterbewegung, die bis 1943 auch die Nationalhymne der Sowjetunion war. Vielleicht für den einen oder anderen zur Erinnerung:
Ganz so wird dieses Lied in der Ukraine heute wohl nicht gesungen, sie erhoffen sich die Rettung eher von einem höheren Wesen namens NATO oder auch namens EUROPÄISCHE UNION. Und deshalb bekunden sie täglich: Uns aus dem Elend zu erlösen, kann nur die NATO tun! Dagegen träumt Putin wohl vom Warschauer Pakt. Über die anthropozentrische Rede vom Menschen, der die Welt erlöst, kann man lange nachsinnen, die Gottesrede diente aber in aller Regel bei den biblischen Schriftstellern dazu, zu verhindern, dass sich Menschen und allzu menschliche Mächte zu Erlösern der Menschheit stilisieren. Das handsame Sölle-Engagement garantiert eben nicht, dass es danach besser wird. Die vielfach kolportierte Trope der ukrainischen Schriftstellerin vor dem Bundespräsidenten, für die Rettung der Ukraine müsse man auch den atomaren Untergang der Menschheit in Kauf nehmen, zeigt dies nur allzu deutlich an. Ich will die Leserinnen und Leser keinesfalls davon abhalten, „God Don’t Speak“ von Jan Meiners & Cosmo Klein zum Beispiel auf Spotify zu streamen und so die Arbeit von Unicef (hoffentlich konkret in der Ukraine) zu fördern. Hier der Link dazu: Was mich stört, ist die symbolreiche propagandistische Vermarktung eines Liedes unter dem Vorwand des guten Zweckes. Spenden Sie direkt bei UNICEF und bereichern Sie nicht Spotify oder andere Plattformen. Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/137/am754.htm |