Lehren aus der umstrittenen documenta fifteen

Eine Thesenreihe anlässlich der unerwarteten Wiederkehr von Kultur-Concierges

Andreas Mertin


Honoré Daumier: Môssieu le concierge, 1856

“Hast Du gelesen? Die documenta ist voll antisemitisch!”


Epilog

Die gerade zu Ende gegangene documenta fifteen war vermutlich umstrittener als jede andere documenta in den sieben Jahrzehnten davor.[1] Aber dieses Mal – anders als bei vielen anderen Ausgaben – waren es nicht die traditionellen Konflikte innerhalb des Betriebssystems Kunst, die in Kassel ausgetragen wurden, sondern vor allem kulturpolitische und ethische Fragestellungen, die im Wesentlichen von außen an die documenta herangetragen wurden und schließlich in der wiederholten Forderung nach der endgültigen Schließung der documenta fifteen kulminierten.

Die Mehrzahl der Vorwürfe und Unterstellungen zeugte dabei allerdings vor allem vom elementaren Unwissen der Ankläger:innen über die Geschichte der documenta und über die Arbeitsweise von Kunst in der Neuzeit und der Moderne. So ist etwa der Vorwurf, das Übertragen von Verantwortung an ein Kollektiv widerspreche dem Geist der von einzelnen Kurator:innen und damit Individuen geleiteten documenta und zeitige notwendig eine institutionelle Verantwortungslosigkeit, schon allein deshalb unsinnig, weil bereits auf der vierten documenta 1968 ein 23köpfiges Kuratorenkollektiv (man nannte das damals rätedemokratisch inspiriert documenta-Rat) gleichberechtigt verantwortlich war.[2] Und dieses Kollektiv hat eine ziemlich gute, vor allem von der Pop-art bestimmte documenta organisiert. Kollektivarbeit und Qualität schließen sich also nicht aus. Es kommt nur darauf an, wie ein Kollektiv seine Verantwortung wahrnimmt.

Auch die Vorstellung, Kurator:innen der documenta müssten alle Kunstwerke vorab geprüft und freigegeben haben, wurde bereits 1972, also vor 50 Jahren, von Harald Szeemann aufgegeben: „Szeemann brach mit der kuratorischen Konvention, alle Werke im Einzelnen auszuwählen. Stattdessen gab er Künstlern Gelegenheit, für eine bestimmte Situation frei zu produzieren.“[3] Und frei meint hier wirklich noch frei im Sinne der Autonomie der Kunst.

Konflikte um Kunstwerke wurden früher in aller Regel im Betriebssystem Kunst und auf der jeweiligen documenta selbst ausgetragen – bis hin zum legendären Boxkampf zwischen Joseph Beuys und Abraham David Christian auf der documenta 5 im Jahr 1972. Christian hielt den erweiterten Kunstbegriff von Beuys für unsinnig und so wurde darüber in einem Boxkampf entschieden – Ringrichter war der ganz gewiss nicht unparteiische Anatol. Natürlich war das ironisch, hatte seinen ernsten Kern aber darin, dass Kunstfragen von der Kunst selbst entschieden werden müssen, denn die Kunst sollte frei bleiben von staatlicher Bevormundung.

Auch die Vorstellung, die durchzusetzende Kontrolle der documenta-Kunst sei vor allem eine Überprüfung von Sujets, dürfte eher eine Idee aus dem noch feudal geprägten 18. Jahrhundert sein als eine des 21. Jahrhunderts. Allerdings waren auch die postkolonialen und identitätspolitischen Kritiken an der Kunst in den letzten Jahren vor allem inhaltlicher und nicht formaler Art. Sie hatten keine Probleme mit der formalen Entwicklung der Kunst, sondern mit den von ihr bearbeiteten Sujets. Insofern kündigte sich die aktuelle Tragödie schon früh an.[4]

Andererseits verstand sich diese documenta fifteen tatsächlich als Frontalangriff auf die europäischen Kunstwerte, wie Karl-Heinz Schmidt in der Kunstzeitung schrieb:

Das Kunstwerk, so vermittelt die d 15, hat ausgedient. Zwar gibt es das Gemälde noch, auch die Form der Ausstellung, sofern herausragende Künstlerinnen wie Tania Bruguera (bei Instar) oder Hito Steyerl (bei Inland) bescheiden in den Kollektiven mitmischen, doch alles in allem: Jede Koch-, Skater- oder Wickelstelle scheint für ruangrupa mehr Kunst zu sein als ein Bild an der Wand.[5]

Nun gab es durchaus bedenkenswerte Kunstwerke auf der documenta, etwa die Arbeiten der Gruppe FASWAG oder des vietnamesischen Nhà Sàn Collective. Und dennoch muss man sagen: es steht schlecht um jene Form von Kunst, an die man sich in Europa in den letzten 200 Jahren fast schon zu sehr gewöhnt hatte. Aber als solche Infragestellung etablierter Kunstwerte war die documenta fifteen von den Auftraggebern auch gewünscht. Man wollte ja Alternativen zum etablierten Kunstsystem kennenlernen. Nur waren es dann nicht die Alternativen, die das europäische Kunstpublikum gerne gesehen hätte. Wir lieben ikonische Werke, den Erdkilometer (1977) von Walter de Maria, die Spitzhacke (1982) von Claes Oldenburg, die 7000 Eichen (1982) von Joseph Beuys, den Man walking to the sky (1992) von Jonathan Borofsky, die Idee di Pietra (2012) von Giuseppe Penone und den Obelisken (2017) von Olu Oguibe. Statt aber zu zeigen, warum das europäische Kunstsystem zu verteidigen ist, wurde auf die postkolonialen Ideen der documenta fifteen mit der kulturpolitischen Keule aus dem Instrumentarium feudalistischer Staaten geantwortet.[6] Das ist ein Armutszeugnis. So wurde aber auch deutlich, wie es um das freiheitliche Kunstverständnis in Deutschland inzwischen bestellt ist: schlecht. 

Die Vorstellung, Kunstkritik bedeute vor allem Kritik von Inhalten und Haltungen wurde zum Common Sense der Debatte. Für die an der zeitgenössischen Kunst Geschulten war es der absolute Horror. Und man konnte nicht einmal sagen „Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung …“[7] Das, was sich jetzt offenbarte, hat sich über Jahrzehnte angekündigt. Aber es war, wie im Folgenden noch zu entfalten sein wird, nicht nur eine Katastrophe der documenta fifteen und der für die Ausstellung Verantwortlichen, es war nicht zuletzt und vielleicht sogar vor allem eine durch die Kritiker:innen hervorgerufene Katastrophe, die in einem Reinigungsfuror sondergleichen meinten, der Sache zu dienen, wenn sie der documenta den dort wahrgenommenen Antisemitismus durch Kunst-Verbote austrieben. Aber wie der Elefant im Porzellanladen zerschlugen sie das, was zu bewahren sie doch eigentlich angetreten sein müssten: eine reiche und diverse Kultur – in Deutschland und in der Welt.

Im Folgenden stelle ich zehn lose miteinander verwobene Thesen auf, die bündeln, was ich in den Magazinausgaben zuvor zur documenta geschrieben habe.[8] Sie setzen zudem fort, was ich im Jahr 2012 zur documenta 13 in zehn Thesen als protestantische Sicht auf die Kunst niedergelegt habe. Jene Thesenreihe ist zum Verständnis des Folgenden vorausgesetzt.


1. These: Wir erleben zurzeit die Rückkehr der Kultur-Concierges, um nicht zu sagen, der kulturpolitischen Blockwart-Ideologie


Honoré Daumier: Monsieur le concierge, 1858
„Wir wurden beauftragt, die documenta auf Antisemitismus zu prüfen“.

Es scheint sich ein Common Sense zumindest unter Verbänden und Kulturpolitiker:innen herauszubilden, dass sie das Recht und die Pflicht hätten, Kunst vor ihrer Veröffentlichung in einer Ausstellung auf politische Korrektheit zu prüfen. Kultur sei etwas, das kontrolliert werden muss.[9] Über Jahrhunderte hatte sich die Kunst von solchen ideologischen Fesseln zu lösen versucht und das in der Moderne auch beinahe erreicht.[10] Man hoffte, der Prozess der Autonomiewerdung der Künste sei unumkehrbar. Ihre Autonomie erscheint, so hat es Theodor W. Adorno in der Ästhetischen Theorie formuliert, als „ein Gewordenes, das ihren Begriff konstituiert“.[11] Kunst war nicht immer autonom, wird aber, sobald sie autonom wird, dauerhaft von der Autonomie bestimmt.

Das erscheint aktuell zunehmend in Frage gestellt. So wie die neuere chinesische Staatsphilosophie die Autonomie des Menschen und seine individuellen Menschenrechte zugunsten kollektiver Aspekte relativiert,[12] so wird in der kulturpolitischen Debatte von fast allen(!) Seiten immer häufiger davon ausgegangen, dass es die Autonomie der Kunst und ihr Eigenrecht gar nicht gibt. Und das erscheint in der Perspektive der Kulturverwaltung fast schon logisch: „Die Verwaltung ist dem Verwalteten äußerlich, subsumiert es, anstatt es zu begreifen.“[13]

Schon seit Jahr(zehnt)en begegnen einem jene, die treuherzig versichern, eine Autonomie der Kunst gebe es doch gar nicht, sie sei bloß eine bürgerliche Zuschreibung des 18. und 19. Jahrhunderts und habe sich mit dem Bürgertum überlebt. Dabei verwechseln sie oft auf simpelster Ebene das, was man als „Autarkie“ bezeichnet (die die Kunst nie erreichen kann) mit dem, was „Autonomie“ (also Selbstgesetzgebung) meint.

Die Autonomie der Kunst wird heute aus verschiedenen Perspektiven und von ganz unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Lagern in Frage gestellt. Hatte in den siebziger Jahren die linke Kritik an der Autonomie der Kunst noch das Bürgertum im Visier, das sich angeblich hinter einer unverbindlichen Autonomiebehauptung verschanzte, so ist heute die Kritik an der Autonomie von einem fast schon konsensuellen konservativ-bürgerlichen Interesse getragen, die Autonomie der Kultur im Interesse des Gemeinwesens zu begrenzen:

"In der Sphäre der Kunst, des Intellekts, der Lebensformen soll das krisengeschüttelte Gemeinwesen wieder einen Mittelpunkt finden. Die Bürgerethik klagt Gehorsams- und Verzichtsbereitschaft ein, bürgerlichen Lebensstil, gemäßigtes politisches Bekenntnis sowie Kunst im Rahmen eines gewissen Komments. In dieser Perspektive scheint es zur Wiederherstellung von Bürgertugend zwingend, die Autonomie moderner Kultur zu begrenzen."[14]

Dagegen äußert sich die Kritik des Postkolonialismus und des „globalen Südens“ im Vorwurf, eine Kaste von Reichen aus den westlichen Industrienationen würden die Kunst der Welt im eigenen Profitinteresse steuern und ‚managen‘. Dazu schrieb Theodor W. Adorno schon 1959:

"Die Deklamationen über die gemanagte moderne Kunst entsprechen genau dem, was die Psychologie als Projektion kennt: dem Verhassten eben das zuzuschreiben, was man selber ist oder möchte. Wer gegen die befreite Kultur an die Geistesfreiheit appelliert, will in Wahrheit deren Resten die Gurgel abdrehen".[15]

Gerade die documenta fifteen ist mit ihrem alternativen Ecosistem[16] ist ein guter Beleg dafür, dass es eigentlich nur darum geht, ein bestehendes System durch das eigene abzulösen.

Die grundsätzliche Problematik einer Kritik aus kultur-konservativer, aus kleinbürgerlicher und postkolonialer Perspektive wird dabei schnell deutlich: Eine derartige Kritik dürfte sich nicht nur als Kritik und Veränderung der Kunst entfalten (das wäre ja legitim), sondern müsste sich notgedrungen auch als Kritik und Veränderung ihrer Institutionen durchsetzen. Sie müsste wissen, wie Kunst auszusehen hätte und bestimmen, was Konsens über die Bedeutung der Kunst für die Gesellschaft wäre. Sie müsste die Macht von Sammlern, Museen, Galerien, Kunstkritik und des Bankenkapitals administrativ begrenzen. Sie wäre mit anderen Worten letztlich ein entwickeltes totalitäres, um nicht zu sagen faschistoides Programm.

Ist die Bestreitung der Autonomie der Kunst schon älteren Datums, so ist sie doch nur die Vorbereitung des nächsten Schritts, nämlich der Rückkehr zu den Kontrollinstanzen über Kunst. Das nenne ich in dieser Thesenreihe die Wiederkehr der Kultur-Concierges.

Ich wähle den Begriff „Concierge“[17] deshalb, weil der in Deutschland eigentlich naheliegendere Begriff des Blockwarts zwangsläufig mit dem Nationalsozialismus verbunden ist.[18] Ich glaube aber, dass die Rufe nach einer Wächterfunktion gegenüber der Kunst von allen Kräften erhoben werden: rechten wie linken, jüdischen, christlichen wie muslimischen, identitätspolitischen und universalistischen. Sie alle erliegen dem Rausch der politischen Korrektheit, ihnen allen geht es um die Vorab-Kontrolle künstlerischer Prozesse, sie alle fordern Instanzen, die Kunstwerke vor ihrer Veröffentlichung begutachten. Ob man sie dann als Concierges, Schrankenwächter oder Tugendwächter bezeichnet, ist fast schon egal.[19]

Die dabei benutzte Rede von angeblichen Verantwortungsträgern für Kultur ist schon im Ansatz totalitär. Nicht mehr die uns Bürgern gegenüber Verantwortlichen (im Kulturbereich), sondern vom Staat eingesetzte Verantwortungsträger kümmern sich nun um Kultur. Das Wort Verantwortungsträger tritt nicht zufällig 1933 in die deutsche Sprache ein und hat seitdem eine steile Karriere hingelegt.[20] Es ist das, was fast alle Politik einigt: die Betreuungsmentalität, der Versuch, den Subjekten das Denken abzunehmen, denn man hat ja die „Verantwortungsträger“, die über das Wirken der „Kulturschaffenden“ wachen. „Expertengremium“ ist ein neues Wort für den gleichen Vorgang: die Menschen sollen nicht mehr denken, sondern auf Experten hören.[21]

Stattdessen hat die Kritik an der gefährdeten Autonomie so anzusetzen, dass sie diese stärkt und nicht larmoyant über einen manipulierten Kunstmarkt oder eine leerlaufende Autonomie der Kunst jammert. Sie müsste das, wofür die Kunst zum Sinnbild geworden ist, nämlich ein Zeichen des Menschlichen zu sein, verteidigen und fördern. Es geht um die Differenzierung des Kulturbetriebs gegen die vorherrschende In-Differenz, um die Sicherung der Existenz auch der abweichenden, häretischen Meinung:

"Das ‚verheißene Land’ des Individuums ist der Unterschied, die Differenz. Die extreme Differenz, die durch die einzelne, unwiederholbare Existenz bestimmt wird und die aus jedem einen Dissidenten macht, frei, sich selbst zu entwerfen. Das Individuum ist einzigartig, oder es ist nicht. Das Individuum ist autonom oder es dankt ab. Es gibt kein autonomes Subjekt dort, wo die Existenz sich in vorgegebenen Rollen erschöpft".[22]

Diese Kritik wird natürlich auch dort aktuell, wo ein Markt die Möglichkeiten des einzelnen einschränkt. Dem naheliegenden Einwand, um die Freiheit des (künstlerischen) Individu­ums sei es gerade in der Gegenwart schlecht bestellt, ist zu entgegnen:

"Gerade weil wir den freien Willen des Individuums als 'fast nichts’ erkennen müssen, wird es umso nötiger, das bedrohte, kleingeteilte Gelände der Autonomie zu beschützen und zu pflegen durch liberale Institutionen, in einer Gesellschaft, die sich selbst als offen begreift“.[23]

Der Einsatz für die Autonomie der Kunst ist daher auch ein Einsatz für die Autonomie des Individuums in der Kultur der Gegenwart.


Konzeption jenseits des Ausdrucks; oder: Der Höhepunkt der Bildkritik.
Kunstkritik in einen Ausstellungssaal, John Phillips, etwa 1830

„Das sollte erst gar nicht gezeigt werden dürfen“.


2. These: Statt Konflikte mit Hilfe und auf Basis des Rechts zu klären, wird in Kulturfragen das Rechtsstaatsprinzips aufgegeben und die angeklagten Werke und Künstler:innen werden ohne Prozess aufgrund von Haltungen abgeurteilt.

In einer entwickelten Kultur werden Konflikte zuallererst diskursiv, und wenn das nicht mehr geht, vor Gericht geklärt. Es fällt auf, dass im Blick auf die documenta nicht ein einziger rechtsstaatlicher Schritt abgewartet wurde, sondern einige sich verhielten, als wären sie Gesetzgeber, Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person. Und sie verhielten sich nicht nur so, sie wollten es auch so, sie gerierten sich als Scharfrichter der Kunst.[24]

In einigen Fällen war es sogar noch dramatischer: selbst da, wo die Staatsanwaltschaft auf Bitten der documenta Kunstwerke geprüft und als strafrechtlich nicht relevant eingestuft hatte, forderte man weiter ihre Entfernung gegen den Willen der ausstellenden Künstler-Kollektive (also einen Eingriff in die grundgesetzlich verbürgte Kunstfreiheit), so als ginge es darum, die Wirklichkeit dem subjektiven Rechtsempfinden anzupassen. Nun wird dabei damit argumentiert, dass es zwar nicht um eine konkrete Rechtsverletzung, wohl aber doch immerhin um Antisemitismus ginge. Und das ist nicht nur in Deutschland ein schwerwiegendes Argument. Allerdings muss man auch hier sagen, dass man ein Kunstwerk nicht einfach als antisemitisch attackieren kann (um die Angeklagten quasi verteidigungslos zu machen), sondern dass man Antisemitismus auch am inkriminierten Gegenstand nachweisen muss. Nun ist aber das, was unter ‚Antisemitismus‘ fällt, nicht nur in Deutschland außerordentlich kontrovers. Auch hier bedarf es letztlich juristischer Instanzen. Der gewichtigste Einwand lautet:

so unerwartet das klingen mag: »Antisemitismus« ist ja als solcher nicht verboten; ebenso wenig wie »Antiislamismus«, »Antiamerikanismus«, Anti-Irgendwas. Der Mensch darf hierzulande so anti sein, wie er will.[25]

Das mögen nicht nur die Betroffenen bedauern, aber es gehört zum geltenden Recht – bis hin zur Urteilsbildung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Wohl aber sind einige andere Tatbestände wie die Holocaustleugnung, die Volksverhetzung oder Beleidigung von Individuen und Gruppen justitiabel. Diese müssen dann aber rechtsstaatlich bearbeitet werden.

Der Beschluss des Bundestages vom Mai 2019 zielt jedoch darauf, sich genau diese komplexen juristischen Verfahren zu ersparen. Statt einer qualitativen Auseinandersetzung im Einzelfall reicht demnach der Blick auf die vorherige Haltung eines Menschen zur Bewegung BDS. Man verbietet dann nicht mehr die Kunst eines Menschen aufgrund nachgewiesener Tatbestände, sondern man verhindert seine Teilhabe am kulturellen Prozess aufgrund seiner bisher bekundeten Meinung bzw. Haltung. Das ist aber, wie Lothar Zechlin im Verfassungsblog schreibt, ein illiberaler Zugriff auf die innere Einstellung von Menschen.[26]

Man könnte noch weiter gehen und die gesamte Stellungnahme des Bundestages nicht nur als bloße Meinungsbekundung des Bundestages, sondern als grundrechtswidrigen Beschluss beurteilen, wie dies Sebastian Scheerer im Verfassungsblog getan hat:

Weil die Handlungen, zu denen der Bundestag mit seinem BDS-Beschluss auffordert, rechtswidrig sind, ist auch der entsprechende BDS-Beschluss des Bundestags selbst nicht anders denn als rechtswidrig zu qualifizieren.[27]

Tatsächlich versucht der Beschluss des Bundestages, eine bestimmte als kritisch oder problematisch angesehene Meinung in Deutschland aus der Öffentlichkeit zu verbannen.

Wenn man die Argumente der Kritiker betrachtet im Licht des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom Januar 2022, dann wird schnell erkennbar, dass vermutlich so gut wie alle Forderungen der Kritiker der documenta verfassungsrechtlich bedenklich sind.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Der Stadtratsbeschluss greift in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein, weil er eine nachteilige Rechtsfolge - den Ausschluss von der Benutzung öffentlicher Einrichtungen - an die zu erwartende Kundgabe von Meinungen zur BDS-Kampagne oder zu deren Inhalten, Zielen und Themen knüpft. Die darin liegende Beschränkung der Meinungsfreiheit ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.[28]

Das hat die Kritiker der documenta nicht daran gehindert, genau das zu fordern: Menschen wegen ihrer Meinung zu BDS und ihren Kampagnen von Kultur-Veranstaltungen auszuschließen.

„Der Aufruf zur generellen Verbannung dieser Gruppen verletzt das exekutive Neutralitätsgebot und das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot und verkennt als Aufruf zu rechtswidrigem Handeln die fundamentale Tatsache, dass der Kampf gegen den Antisemitismus – wie die Verfolgung anderer politischer Prioritäten auch – selbstverständlich innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung zu erfolgen hat.“[29]

Genau diese Beachtung der Rechtsordnung fand in der zuletzt geradezu maßlosen Kritik an der documenta fifteen nicht statt. Meinungsbekundungen des 19. Bundestages wurden als rechtsverbindliche Normen kulturpolitischen Handelns ausgegeben, an die sich Veranstalter:innen, Städte und Länder zu halten hätten. Menschen, die mit dieser Meinungsäußerung des Bundestages nicht übereinstimmten, seien selbst von der Kultur auszuschließen und dürften nicht ausgestellt werden. Politikerinnen, die der Meinungsbildung des 19. Bundestages nicht zustimmten, wurden zum Rücktritt aufgefordert, weil sie eine abweichende Meinung vertraten.

Dort, wo es durchaus Chancen zur juristischen Klärung gegeben hätte, wie beim Banner von Taring Padi, wurden Gerichtsentscheidungen gar nicht erst abgewartet, wurden die Kriterien, die der Bundesgerichtshof für die Judensau in Wittenberg benannt hatte, als nicht zureichend verworfen. Es wurden vollendete Tatsachen geschaffen, indem man das Kuratorenteam der documenta massiv unter Druck setzte, Kunstwerke aus der Ausstellung zu entfernen.


3. These: Die documenta fifteen war der zumindest praktisch vollzogene Versuch, einen Staat in der Ausstellung zum Schweigen zu bringen: den israelischen.

Schon früh tauchte der Verdacht auf, die documenta fifteen könnte ganz bewusst israelische und / oder jüdische Künstler:innen ausgrenzen. Begründet wurde dieser Verdacht mit dem Verweis auf die Nähe mancher Organisator:innen zur Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (BDS). Diese Bewegung will Israel international isolieren, um durchzusetzen, dass Israel die „Okkupation und Kolonisierung allen arabischen Landes“ beendet. Wie bereits erwähnt, hat sich der Deutsche Bundestag im Mai 2019 eine Erklärung abgegeben, die eine Zusammenarbeit mit BDS-Aktivisten im Rahmen deutscher Kulturveranstaltungen ausschließt. Nun wurden die Vertreter:innen der documenta fifteen größtenteils bereits vor diesem Beschluss berufen, so dass es willkürlich wäre, sie im Nachhinein auf diesen Beschluss zu behaften.

Zudem gibt es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Unterstützung des BDS und dem Ausschluss israelischer bzw. jüdischer Künstler:innen von einer documenta. Adam Szymczyk, der Kurator der documenta 14, steht etwa erkennbar der BDS-Bewegung nahe, was ihn aber nicht daran hinderte, zum Beispiel mit Roee Rosens „Dust Channel“ eines der bedeutendsten Kunstwerke der d14 zu präsentieren. Eine kritische Haltung zur Siedlungspolitik Israels bedeutet demnach nicht automatisch, dass man keine israelischen oder jüdischen Künstler ausstellt.

Zum anderen muss aber auch vorab der Erwartungshorizont skizziert werden. Und das heißt: wie viele israelische und/oder jüdische Künstler:innen kann man eigentlich vernünftigerweise auf einer documenta erwarten? Bei 10 Millionen israelischen Staatsbürgern, 15 Millionen Juden weltweit und insgesamt 8 Milliarden Menschen auf der Erde: Was wäre eine akzeptable Quote? Oder erwartet man überproportionale Berücksichtigung israelischer und/oder jüdischer Künstler:innen? Und wie begründet man das? Man kann das durchaus, indem man auf die Geschichte der documenta verweist – mit der freilich die documenta selbst spätestens nach 2002 gebrochen hat.

Der erhobene Vorwurf einer Ausgrenzung Israels kann sich ja eigentlich nur auf die (durchaus kontroverse) Vorstellung beziehen, dass eine documenta in einem irgendwie gearteten Spiegelverhältnis zur Welt steht – also ein katoptrisches Universum darstellt. 2002 wurde von Enwezor darauf verwiesen, dass diese regulative Idee eines katoptrischen Universums documenta mit der Wirklichkeit der Kunstausstellung wenig zu tun hatte, weil in der langen Geschichte der documenta ganze Erdteile unzureichend beteiligt wurden. Hier hatte der Spiegel einen großen blinden Fleck. Das hat Enwezor in seiner Einladungspolitik zu ändern versucht. Und dennoch befanden sich auf seiner documenta-Liste weiterhin 5% Künstler:innen aus jüdischen Elternhäusern – so viel wie bei nur wenigen documenta-Ausstellungen seit 1955. Engagement für den „globalen Süden“ und Einladung israelischer und/oder jüdischer Künstler:innen schließen sich offenkundig nicht aus.

Durchschnittlich nehmen 350 Künstler:innen an einer documenta teil. Wenn man also einer documenta vorwirft, sie spiegele nicht ausreichend israelische / jüdische Künstler:innen, wie viele erwartet man? Eine Entsprechung zu den empirischen Verhältnissen der Welt? Eine Entsprechung zu den empirischen Verhältnissen im westlichen Betriebssystem Kunst? Eine Entsprechung zu den empirischen Verhältnissen im globalen Betriebssystem Kunst? Vor diesen Erwartungen entfalten sich die Enttäuschung bzw. Befriedigung über die vorfindlichen Verhältnisse. Intuitiv, so ist jedenfalls meine Vermutung, ist das zugrunde gelegte Paradigma, das der Spiegelung der empirischen Verhältnisse im westlich dominierten Betriebssystem Kunst.

Wenn die kolportierten Angaben der documenta zutreffen,[30] dann be­finden sich unter den 1500 Künstler:innen der documenta fifteen drei aus Israel bzw. mit jüdischem Elternhaus. Das entspräche einer Quote von 0,2% und wäre damit die geringste Quote in der Geschichte der documenta. Aber wären es ungerecht wenig? Der Anteil der Israelis an der Weltbevölkerung beträgt etwa 0,125%, der Anteil jüdischer Menschen etwa 0,19%. Wie gehen wir mit diesen Informationen um? Was wäre für eine Weltkunstausstellung (im Unterschied zu einer deutschen Ausstellung) angemessen?[31]

Als absolut selbstverständlich erscheint die gegenüber der documenta erhobene Forderung, dass jüdische und israelische Künstler:innen nicht bereits vorab ausgeschlossen werden dürfen – so wie etwa in Deutschland um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert französische (allgemein: ‚welsche‘) Künstler:innen ausgeschlossen wurden.[32] Oder so wie auch Künstler:innen des globalen Südens lange Zeit unzureichende Beachtung fanden. Solche Ausgrenzungen, die in Deutschland eine fatale Tradition haben, kollidieren mit der Autonomie der Kunst und beschränken ihre Freiheit. Wir erleben aber tatsächlich, dass insbesondere die BDS-Bewegung zum Beispiel aus der Tatsache, dass der Staat Israel ein Kulturereignis fördert, einen Ablehnungsgrund macht und deshalb andere Künstler:innen auffordert, sich nicht am entsprechenden Event zu beteiligen.

Die Antwort darauf muss sein, Boykotten entgegenzutreten. Tatsächlich wäre etwa der Beitrag des Staates Israel auf der Biennale in Venedig 2022 ein exzellenter Impuls auch für die aktuelle documenta fifteen gewesen. Dort wirft Ilit Azoulay „die Beschränkungen nationaler und männlicher Repräsentationen ab und öffnet Wege in einen vernetzten Nahen Osten. Das Queendom, regiert von der Kunst, scheint aus einem totalen Systemcrash hervorgegangen zu sein. Es ist ein rhizomatisches Reich, in dem die Geschichten zusammenfließen.“[33]

Vielleicht kann man so viel sagen: Ohne die Kunst der Künstler:innen aus jüdischen Elternhäusern fehlt der documenta etwas. Es ist schwer zu sagen, was konkret fehlte, aber es war eine Leere, ein Vakuum, das in den Jahren und Jahrzehnten zuvor nicht vorhanden war. Das Bilderverbot, das die kuratorische Leitung der documenta ob nun bewusst oder unbewusst über Israel und die Kunst von Juden gelegt hatte, bekam dem Ganzen nicht. Es war nicht mal ein lehrreiches Vakuum, es war durch und durch ein Verlust, es fehlte eine in der Kunst wichtige Stimme.


4. These: Zumindest die Geschichte der documenta muss auch als jüdische Erfolgsgeschichte entdeckt und vorgestellt werden.

Zugleich sollte man aber auch hervorheben, dass die documenta seit ihrer Entstehung in der Mitte der 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts tatsächlich eine jüdische Erfolgsgeschichte ist – ohne jemals bewusst als solche konzipiert worden zu sein. Aber die Geschichte der documenta ist ohne die zahlreichen herausragenden Werke von Künstler:innen aus jüdischen Elternhäusern nicht vorstellbar. Dieser konkrete Beitrag des Judentums zur documenta-Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ist – wenn ich es recht sehe – bisher noch nicht ausreichend erforscht.

Das liegt an mehreren Gründen. Zum einen ist es in der neueren Kunst nicht mehr üblich, nach religiösen Überzeugungen oder religiösen Herkünften der Künstler:innen zu fragen. Das hat etwas mit der Emanzipationsgeschichte der Künste von der Religion zu tun. Künstler:innen, die sich von ihrer religiösen Herkunft gelöst haben, dennoch auf diese zu behaften, hat problematische Züge. Und dennoch wird man davon nicht abstrahieren können – vor allem aus kulturgeschichtlichen Gründen. Wie auch in der Debatte um „christliche Kunst“ war auch in der Diskussion um „jüdische Kunst“ lange Zeit umstritten, ob es sie überhaupt gebe und was konkret darunter zu verstehen sei. Ist „jüdische Kunst“ etwas an die Biographie der Künstler:innen Geknüpftes (und schließt das jene Künstler:innen mit ein, die sich von ihrer Religion gelöst haben?), ist es etwas religiös Ikonographisches (so dass auch nicht-jüdische Künstler jüdische Kunst schaffen könnten), oder geht es um Formales (aber was heißt das konkret)? Schon der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber suchte als junger Mann eine Bestimmung von jüdischer Kunst, die sich von der bloßen religiösen Ikonographie löste und fand sie in der Farbe.[34]

Aber um es noch einmal prononciert zu benennen: documenta für documenta lässt sich auch eine Geschichte jüdischer Kunst der Moderne und der jüdischen zeitgenössischen Kunst studieren.

Für die folgende Liste gilt, dass sie in einem Schnelldurchgang durch die Künstler:innenlisten der documenta-Ausstellungen zusammengestellt wurde. Wahrscheinlich ist die Zahl der zu benennenden Künstler:innen deutlich größer. Vielleicht habe ich auch den einen oder anderen Künstler der Aufzählung zugefügt, der dort nicht korrekt platziert ist (weil er zwar israelisch, aber nicht jüdisch ist). Dann bitte ich darum, die Korrekturen oder Ergänzungen der Redaktion mitzuteilen, sie werden sofort hier nachgetragen.

1955 – documenta 1

Marc Chagall, Amedeo Modigliani

1959 – documenta 2

Victor Brauner, Marc Chagall, Helen Frankenthaler, Adolph Gottlieb, Philip Guston, Franz Kline, Joseph Lipchitz, Barnett New­man,
Marc Rothko, Chaim Soutine

1964 – documenta 3

Marc Chagall, Otto Freundlich, R.B. Kitaj, Franz Kline, El Lissitzky, Amedeo Modigliani, Jules Pascin

1968 – documenta 4

Al Held, Donald Judd, R.B. Kitaj, Sol LeWitt, Roy Lichtenstein,
Barnett Newman, George Segal

1972 – documenta 5

Eva Hesse, Sol LeWitt, Richard Serra

1977 – documenta 6

Chantal Akerman, Balthus, Al Held, Eva Hesse, Donald Judge,
R.B. Kitaj, Sol LeWitt, Roy Lichtenstein, George Segal,
Richard Serra

1982 – documenta 7

Jonathan Borofsky, Miriam Cahn, Donald Judd, Sol LeWitt,
Meret Oppenheim, Richard Serra

1987 – documenta 8

Jonathan Borofsky, Richard Serra, Micha Ullmann

1992 – documenta 9

Absolon, Jonathan Borofsky, Belu-Simion Fainaru, Michael Gross, Ilya Kabakow, Eran Schaerf, Haim Steinbach, Micha Ullmann

1997 – documenta 10

William Kentridge, Sigalit Landau, Nancy Spero

2002 – documenta 11

Chantal Akerman, Luis Camnitzer, David Goldblatt,
William Kentridge, Eyal Sivan, David Small

2007 – documenta 12

David Goldblatt, Grete Stern, Alina Szapocznikow

2012 – documenta 13

William Kentridge, Man Ray, Charlotte Salomon

2017 – documenta 14

Miriam Cahn, Yael Davids, Roee Rosen


5.  These: Die Kritik an der documenta fifteen war auch der sublime Versuch, im Gegenzug ein anderes Volk zum Schweigen zu bringen: das palästinensische.

Man kann der documenta fifteen ganz gewiss nicht vorhalten, dass sie Palästinenser:innen ausgegrenzt hätte. Ganz im Gegenteil, sie sind deutlich überproportional an dieser documenta beteiligt. Weltweit sagt man, gebe es zurzeit zwischen 10.000.000 und 13.000.000 Palästinenser:innen. So gesehen hat das Kuratorenteam sehr viel Wert daraufgelegt, möglichst viel palästinensische Kunst zu versammeln. Dabei gab es künstlerisch außerordentlich schwach begründete Positionen wie etwa Subversive Film, die vor Ort wenig zur Kunst, wohl aber zur Geschichte der Propagandafilme beisteuerten. Die fünf Photoshop-Arbeiten von Mohammed Al-Hawajri, die er aus dem Zyklus „Guernica – Gaza“ ausgegliedert und in Kassel präsentiert hatte, würde ich ebenfalls als künstlerisch, aber auch handwerklich nicht wirklich überzeugend für eine Weltkunstausstellung bezeichnen. Auch sind sie mehr dem Agit-Prop als der Kunst zuzuordnen – aber auch Agit-Prop kann natürlich als Kunstgattung bezeichnet werden.

Die Arbeiten von Jumana Emil Abboud gehören dagegen, obwohl durchaus auch politisch gedacht, zu den überzeugenden Arbeiten dieser documenta. Sie war eigentlich die bedeutendste Kunstposition aus Israel/Palästina, aber kaum im Fokus der öffentlichen Diskussion – weil man, so meine Vermutung, überhaupt kein Interesse an zeitgenössischer palästinensischer Kunst hatte. Dabei wären die Arbeiten von Jumana Emil Abboud die ganz große Chance gewesen, nicht nur der palästinensischen Kunst eine Stimme zu geben, sondern auch das Nahost-Gespräch innerhalb der Künste bewusst zu machen. So wird das jedenfalls in Israel selbst gesehen, wo Jumana Emil Abboud zum Beispiel im Herzliya Museum of Contemporary Art ausgestellt wurde, ein Museum, das sich prononciert der israelisch-palästinensischen Zusammenarbeit widmet.[35]

Von dieser Differenziertheit der palästinensischen Positionen war in der medialen Rezeption in Deutschland kaum etwas zu spüren, so wenig, dass man fast schon von bewusster Ignoranz ausgehen muss. Die palästinensische Kunst auf der documenta fifteen wurde nur unter einem einzigen Aspekt – der (angeblich unerlaubten oder überzogenen) Israelkritik – thematisiert, dadurch mit Gleichheit geschlagen und so letztlich zum Verstummen gebracht. Ich behaupte nun, dass die Kritiker:innen der documenta fifteen nicht das geringste Interesse an den aktuellen palästinensischen (und eigentlich auch an israelischen) Kunstpositionen hatten, ganz im Gegenteil, ihnen war daran gelegen, hörenswerte und sehenswerte palästinensische Beiträge zum Verschwinden zu bringen. Und Perspektiven des innerkünstlerischen Nahost-Dialogs zwischen Israelis und Palästinensern lagen ebenso wenig im Fokus der Kritiker wie der documenta.[36]


6. These: Auf der documenta zeigte sich die Willkürlichkeit heutiger Deutungskultur im Feuilleton und in der Kulturpolitik.

Um nicht-abstrakte Bilder ‚lesen‘ zu können, muss man grundsätzlich zuerst das geeignete ikonographische Lexikon bestimmen. Denn derartige Lexika sind kulturspezifisch. Das ist uns z.B. bei bestimmten Farben intuitiv klar, bei anderen Motiven wie Hunden, Katzen, Ratten oder Kühen aber nicht. Sind Hunde ein positives Symbol oder ein negatives? Das ist schon in der christlichen Ikonographie oft schwer zu entscheiden, um wie viel problematischer ist es bei der Begegnung mit der Ikonographie anderen Kulturen wie zum Beispiel der indonesischen.

Und wie ist es mit Schweinen? Die Deutschen beharren darauf – selbst auf historischen antisemitischen Postkarten –, dass das Schwein durchaus ein Glückssymbol sein kann.[37] Wenn man dagegen zu einem chinesischen Schalenset aus der Ming-Dynastie greift, dann muss man bei den abgebildeten Tieren schon wissen, in welchem Bedeutungskontext sie stehen. Hier handelt es sich um Nahrungsmittel für die Reise ins Jenseits, zu der u.a. auch Schweinefleisch gehört, wird also positiv beerbt.

Deshalb ist es wichtig, zum richtigen Lexikon zu greifen, um korrekte Urteile über ein indonesisches Artefakt abzugeben. In Deutschland beharrte man angesichts des Banners von Taring Padi darauf, dass das passende Lexikon immer das deutsche bzw. eurozentristische sei. Mit Hilfe westeuropäischer Ikonographie und Bilderwelt seien die Werke zu entschlüsseln.

Darauf bestanden die Kritiker auch dann noch, als sie unmittelbar der Fehlinterpretation überführt wurden. Sie sagten: zwar sei zugegebenermaßen keine Kippa auf dem obigen Bild „All Mining is Dangerous“ zu sehen, aber die anderen Motivelemente (Nase und Geld) seien eben doch antisemitisch – und bezogen sich dabei auf die überlieferte europäische Ikonographie. So funktioniert das aber nicht, es produziert ein Missverständnis nach dem nächsten. Nicht jede Figur mit Kopfbedeckung, Geld und langer Nase ist schon dem Antisemitismus zuzuordnen.[38]

Der erste Schritt muss daher zwingend(!) sein, sich mit der indonesischen Ikonographie zu beschäftigen, um zu sehen, wo in Anknüpfung und Widerspruch die Arbeiten von Taring Padi einzuordnen sind.[39] Es ist eine Form des visuellen Rassismus, wenn Gruppen anderer Kulturen darauf verpflichtet werden sollen, sich ausgerechnet im Blick auf die Deutung ihrer Werke der europäischen Ikonographie zu unterwerfen.

In einem zweiten Schritt muss nach der werkimmanenten Ikonographie gefragt werden. Das funktioniert ähnlich wie bei Werken von Hieronymus Bosch, der ja durchaus auch idiosynkratische Symbolwelten im Unterschied zu seinen Kollegen generierte. Im Blick auf Taring Padi hieße das, auch auf die Selbstbekundungen des Kollektivs zu achten:

„Das Schwein symbolisiert Gier. Wenn wir einen Hund malen, so ist dieser ein Instrument der Gewalt, der Brutalität etc. Die Ratte wiederum ist ein Zeichen für Korruption.“[40]

Es bleiben dann freilich Zeichenkonstellationen übrig, die sich aus den regionalen und werkimmanenten Gegebenheiten nicht erklären lassen.

Das trifft weniger auf die Mossad-Figur zu, als vielmehr für die Figur mit den SS-Runen auf der Kopfbedeckung, den Pejot[41], den Raffzähnen und der gespaltenen Zunge. Sie lassen sich nicht aus der indonesischen Ikonographie und der werkimmanenten Ikonographie ableiten, weshalb sie nur unter Bezugnahme auf andere Kontexte zu erklären sind – und das wäre eben die internationale Ikonographie des Antisemitismus.[42]

Wie schwer aber konkrete Zuordnungen dennoch sind, kann man dem nebenstehenden Abbildungsdetail entnehmen, welches einen mittelalterlichen Menschen als Schwein darstellt.

Welche Konnotation das Schwein dabei befördern soll, ist schwer zu sagen, es ist zumindest eine herabsetzende. Das Bilddetail soll Dr. Johannes Eck verkörpern, den Martin Luther polemisch Dr. Sau nannte.[43] Johannes Eck ist, wie Wolfgang Benz schreibt, der Erfinder der Parole von der ‚jüdischen Weltverschwörung‘, er ist ein Judenhasser durch und durch und wird hier als Schwein dargestellt. In der Zeit der Reformation war die Herabsetzung des theologischen Gegners in Form von Tierdarstellungen noch weit verbreitet. Es bedarf daher auch in der europäischen Ikonographie jeweils konkreter Untersuchungen, um die Aussage derartiger Charakterisierungen zu erfassen.



Kunstkritik, Erich Wichmann, 1916

Erich Wichmann (1890-1929) ist ein Außenseiter in der Kunst,
ein niederländischer Maler, Journalist und Bohemian. Zugleich
ist er früh – vermittelt durch den Futuristen Marinetti – ein
Anhänger des italienischen Faschismus.


7.  These (im Konjunktiv): Die documenta fifteen könnte und müsste für den deutschen Kulturbetrieb nicht absehbare Folgen haben

Um jedoch nun nicht der Anwendung von Doppelstandards verdächtig zu werden, müssten dieselben harten und rigiden Kriterien, die gegenüber dem indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi und der indonesischen Kuratorengruppe Ruangrupa in Anwendung gebracht wurden, ab sofort auch für deutsche Kulturinstitutionen gelten.

Mit der Verwerfung von Taring Padi und der Nötigung, deren Banner abzuhängen, statt sie vor Ort kritisch zu erörtern, haben wir kulturpolitisch einen ethischen Standard etabliert, der die deutsche Museumslandschaft noch vor große Herausforderungen stellen wird. Sollte also in irgendeinem deutschen Kunst-Museum ein sogenanntes ‚lebendes Kreuz‘ gezeigt werden, ohne dass ein Kommentar die antijüdischen Implikationen des Bildes erläutert und sich angemessen davon distanziert, müsste der öffentliche Zuschuss für das Museum gesperrt werden, bis der Schaden behoben ist.

Das würde nicht nur für das mit viel Aufwand restaurierte lebende Kreuz von Ferrara aus der Hand von Bastianino in der Berliner Gemäldegalerie gelten,[44] sondern zum Beispiel auch für Kunstwerke wie das lebende Kreuz von Hans Fries aus der Zeit um 1510.[45] Die dort als verworfenes Volk dargestellten und dem Tod überantworten Juden, deren personifizierter Synagoge offenbar Gott höchstselbst ein Schwert durch den Hals rammt, sind viel problematischer als die Bilder von Taring Padi auf der documenta fifteen. Und bloß, weil sie schon über 500 Jahre alt sind, sind sie der Kritik ja noch nicht schon entronnen. Darauf hat der Bundesgerichtshof im Urteil zur Judensau explizit hingewiesen.[46] Es bedarf auch heute der aktiven Distanzierung. Und so stünden wir erst am Anfang der Sichtung deutscher Museen und Kulturinstitute, denn ich bin mir keinesfalls sicher, ob tatsächlich in den deutschen Museen und Kirchen die entsprechenden Bilder angemessen kritisch erörtert werden oder ab man es nicht vielmehr bisher bei einer deskriptiven Erfassung belassen hat. Es wäre ein Reinemachen in den deutschen Museen, wie wir es seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben.

Aber, wie gesagt, diese These schreibe ich im Konjunktiv. Ich würde nur gerne wissen, welche Standards in Deutschland künftig gelten, wenn wir uns 2022 gegenüber einem indonesischen Kollektiv so weit vorgewagt haben. Und auch hier müsste m.E. gelten: gleiches Recht für alle.


8.  These: Kunst bedeutet seit frühen Zeiten eine Differenz zur etablierten Welt aufzubauen, sie als reguläre nicht gelten zu lassen. Die Widerständigkeit der Kunst ist dabei aber ästhetisch begründet und nicht politisch. Dies wurde auf der documenta fifteen zugunsten von Tendenzkunst aufgehoben.

Zu den großen Missverständnissen dieser documenta fifteen gehört die Überzeugung, die Politik und die politische Gesinnung seien der Kunst vorgängig und müsse von dieser gespiegelt bzw. repräsentiert werden. Die vorzustellende Kunst sei quasi eine kreative Umsetzung einer bestimmten Haltung – gegen den indonesischen Diktator Su­harto und sein mörderisches Regime, gegen ein repressives kubanisches System und sein Verhalten gegenüber Künstler:innen, gegen den amerikanischen Imperialismus, der weltweit die Völker unterdrückt usw. Es ging dabei nicht einmal um engagierte Kunst, sondern um Tendenzkunst.[47]

Diese erhellende Unterscheidung von Engagement und Tendenz trifft Theodor W. Adorno 1962 in seiner Ausein­andersetzung mit Bertolt Brecht und Jean Paul Sartre in einem Text über Engagement.[48] Und diese Differenzierung ist im Blick auf die documenta fifteen sehr hilfreich, denn den Kuratoren ging es ja gar nicht um engagierte Kunst, sondern dezidiert um Tendenzkunst. Theodor W. Adorno schrieb damals:

Theoretisch wären Engagement und Tendenz zu unterscheiden. Engagierte Kunst im prägnanten Sinn will nicht Maßnahmen, gesetzgeberische Akte, praktische Veranstaltungen herbeiführen wie ältere Tendenzstücke gegen die Syphilis, das Duell, den Abtreibungsparagraphen oder die Zwangserziehungsheime, sondern auf eine Haltung hinarbeiten: Sartre etwa auf die der Entscheidung als der Möglichkeit, überhaupt zu existieren, gegenüber zuschauerhafter Neutralität. Was aber das Engagement künstlerisch vorm tendenziösen Spruchband voraushat, macht den Inhalt mehrdeutig, für den der Dichter sich engagiert.[49]

Und auf Spruchbänder traf man auf dieser documenta allenthalben, selbst da, wo einem die Objekte gar nicht als solche entgegentraten. Die bewusste Verweigerung von Ambiguität, von Mehrdeutigkeit, die Gestaltung der Werke als Parolen-Träger war das Auffällige vor Ort. Die bloße Benennung der sich akkumulierenden Schulden des australischen Staates bei den Ureinwohnern an der Fassade des Fridericianums durch Richard Bell ist kein ästhetisches Objekt, sondern schlicht eine politische Parole – ein digitales Spruchband. Und es wird nicht dadurch schon zum ästhetischen Objekt, weil keiner vor Ort sagen oder erschließen konnte, was die sich steigernde Zahlenfolge überhaupt zu bedeuten hatte.

Das Vertrauen darauf, dass Kunst aus sich heraus wirkt, war auf dieser documenta – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht zu verspüren. Ganz im Gegenteil, es bedurfte immer eines erläuternden Slogans, einer beigestellten Parole, eines zugrundeliegenden politischen Programms, um ein Werk für bedeutsam zu erklären. Das führte dazu, dass die Werke selbst nur noch wie Illustrationen ihnen vorgängiger Texte und Programme wirkten. So gesehen war es ein Triumph für Arnold Gehlens These von der Kommentarbedürftigkeit der Kunst. Dass Kunst eine eigenständige Wirklichkeit jenseits der Wirklichkeit der Welt oder jenseits der Dystopien oder Utopien politischer Programme darstellen könnte – auf diese Idee kam man nicht (mit der einsamen Ausnahme der Arbeit von Hito Steyerl im Ottoneum, die ziemlich erratisch aus der documenta herausragte).

Nun kann sich die Kunst ja durchaus dazu entschließen, bestimmte politische und gesellschaftliche Themen zum Gegenstand ihrer künstlerischen Reflexionen zu machen. Auch das gehört zu ihrem Eigenrecht und wurde ja so auch Anfang des 20. Jahrhunderts von jenen Künstler:innen verstanden, die dann von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Aber die Werke der Realisten oder der Expressionisten waren niemals bloß Illustrationen ihnen vorgängiger Ideologien, sie waren künstlerisch eigenständig.

Aber die Reflexion auf die künstlerische Eigenständigkeit fehlte auf der documenta oft. Man fühlte sich (fast schon ein wenig wehmütig) an propagandaüberflutete Asta- und Fachschaftsräume der 70er- und 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts erinnert.

Offenbar wurden von den Kurator:innen der documenta fifteen solche Kollektive ausgesucht, deren politische Programmatik zur eigenen Ideologie passte und die diese Ideologie mit als Kunst bezeichneten Objekten garnierten. Das ist etwas ganz anderes als eine autonome Kunst, die sich bestimmte politische Themen zum Gegenstand der künstlerischen Bearbeitung auswählt.

Auf der anderen Seite haben aber auch die Kritiker:innen der documenta fifteen diese nicht als eigenständige künstlerische Wirklichkeit unter der Zusage der Kunstfreiheit des deutschen Grundgesetzes gesehen, sondern als politisches Handlungsfeld, in dem die entscheidenden Fragen nicht autonom von der Kunst erörtert werden, sondern von der Politik vorgegeben werden. Erinnerte einen das Programm der documenta fifteen an diverse sozialistische Bemühungen, Kunst für das Leben zu instrumentalisieren, so fühlte man sich bei manchen Äußerungen deutscher Politiker und Verbandsvertreter an den Bitterfelder Weg der DDR[50] erinnert, der nach 1960 das absolute Gegenmodell zur freien Kunst der documenta war. Beim Bitterfelder Weg ging es darum, die Kultur und die Kunst den nationalen politischen Vorgaben unterzuordnen. Und konkrete Vorgaben haben Kulturpolitiker:innen und documenta-Kritiker:innen allzu laut artikuliert.


9.        These: Tendenziell beobachten wir in der Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland so etwas wie die Sehnsucht nach einem Bundeskunstwart im Sinne des alten Reichskunstwarts oder vielleicht sogar einer Reichskunstkammer.

Diese These mag etwas überspitzt klingen, aber angesichts der Tatsache, dass Vertreter:innen der gegenwärtigen Bundesregierung Eingriffe in die Kunst und Kultur der Gegenwart im Sinne der Vorzensur aus nationalen und außenpolitischen(!) Gründen fordern, mag es nicht unberechtigt erscheinen, sich an dunkle kulturpolitische Zeiten in Deutschland erinnert zu fühlen.

So verlangt Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Eingriffe in die grundgesetzlich verbürgte Kunstfreiheit im Interesse der deutschen Außenpolitik: „Klein forderte eine Mitwirkung des Bundes an der documenta. Die außenpolitische Wirkung der Kunstschau sei zu groß, außerdem werde die Kunstausstellung mit öffentlichen Mitteln gefördert.“[51] Nun ist der Antisemitismusbeauftragte nicht einmal ansatzweise für Kultur und Bildende Kunst zuständig, geschweige denn fachlich ausgewiesen. Er überschreitet hier bei Weitem seine Aufgaben und Kompetenzen. Er hat zudem bloß eine repräsentative Aufgabe, keine gesetzgeberische. Sein Amt ordnet sich ein in einen Trend der letzten Jahre, für alles einen Beauftragten zu ernennen: waren es 1992 noch 16 Bundesbeauftragte, so sind es 2022 bereits 35. Parlamentarisch legitimiert und kontrolliert sind sie von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht. Ihre Wirksamkeit misst sich an ihrer öffentlichen Wahrnehmung. Aus diesem Grunde neigen sie zu überspitzten und lautstarken Auftritten. Aber dennoch sind sie an das öffentliche Recht gebunden und ihm auch verpflichtet – auch unter dem Aspekt der Wahrung der grundgesetzlich verbürgten Kunstfreiheit.

Es gibt nun eine gute und bewährte, bis in die Kaiserzeit zurückreichende Tradition in Deutschland, dass Kultur Sache der Länder und Gemeinden (und nicht zuletzt des Einzelnen) ist. Bis heute haben wir unangenehme Erinnerungen an jene Fälle, in denen die Staatspolitik begann, Kulturkämpfe a la Bismarck zu führen. Das war in der Kaiserzeit und auch in der Zeit der Weimarer Republik jedoch noch die Ausnahme. Programmatisch hat erst der Nationalsozialismus begonnen, die Kulturpolitik zu zentralisieren und deutschlandweit zu steuern. Er meinte:

"Alle früheren Staatsauffassungen seit der Aufklärungszeit setzten die Kultur als eine Angelegenheit der Einzelpersönlichkeit zum Staate in einen gewissen Gegensatz. Auch soweit dieser Gedanke nicht durchgeführt wird, ist an der Auffassung festgehalten worden, als sei die Kultur etwas, das wegen seiner besonderen Feinheit und Vielgestaltigkeit eine stark dezentralisierte Staatsbetreuung, möglichst ohne Befassung der Reichszentrale, verlange. Für den nationalsozialistischen Staat dagegen ist Kultur eine Angelegenheit der Nation. Die Aufgabe des Staates ist es, innerhalb der Kultur schädliche Kräfte zu bekämpfen und wertvolle zu fördern, und zwar nach dem Maßstab des Verantwortungsbewusstseins für die nationale Gemeinschaft".[52]

Es besteht nun seit einigen Jahren auch in der Bundesrepublik Deutschland die Tendenz, Kulturpolitik zu zentralisieren und was noch schlimmer ist, sie auch politisch steuern zu wollen. Das wesentliche Mittel ist dabei das Geld. Kultur ist in der Regel zuschussbedürftig und das nutzt eine selbstbewusst gewordene Bundespolitik aus.

Und selbst in Fällen wie der documenta, wo der Bund immer schon der kleinste aller Beiträger war und ist (42% des Etats werden von der documenta selbst bzw. von uns als Besucher:innen aufgebracht, jeweils 25% von Stadt und Land und nur marginale 8% vom Bund), borgt er sich lautstark seine Berechtigung zum Eingriff über vorgeschobene Argumente, die mit der Kunst als solcher gar nichts zu tun haben: dieses Mal z.B. der kultur- und außenpolitischen Wirkung. Das ist auch das einzige Argument, das ihm bleibt, denn die öffentliche Förderung durch den Bund ist, wie erwähnt, des Vernachlässigens wert. Der Oberbürgermeister von Kassel hat zu Recht darauf verwiesen, dass die Veranstalter auch gut und gerne auf den staatlichen Zuschuss verzichten könnten – wenn der Preis dafür eine staatliche Vorzensur wäre.

Wir haben genügend Beispiele dafür, welche langfristigen Folgen staatliche Eingriffe in die Kunst bis in die Gegenwart haben. Noch heute führt einem das jeder Besuch bei der Biennale in Venedig durch simple Architekturbetrachtung drastisch vor Augen. Dort wird seit über hundert Jahren staatliche Kulturpolitik unter außenpolitischen Gesichtspunkten betrieben, mal überzeugend, mal weniger.

Seit 1938 aber, als das Deutsche Reich meinte, Kulturpolitik vor allem unter dem Aspekt der repräsentativen Außendarstellung, sprich der Architektur betreiben zu müssen, verzweifeln die dort ausstellenden Künstler:innen an der staatlichen Rahmensetzung. Noch die aktuelle Ausstellung 2022 mit der Künstlerin Maria Eichhorn arbeitet sich daran ab. Das sollte einen vorsichtig sein lassen, nun wieder eine bundesstaatliche Kultursteuerung voranzutreiben.

Allein schon der Gedanke, dass Kunst und Kultur unter dem Aspekt der deutschen Außenpolitik betrieben werden könnten (sieht man einmal von staatspolitischen Selbstverständlichkeiten wie den Goethe-Instituten ab), ist erschreckend. Die documenta ist keine staatspolitische Propagandaveranstaltung – auch dann nicht, wenn sie de facto eine Weltkunstausstellung wäre. Würde sie aber zu einem bewusst staatlich kontrollierten Instrument, wäre sie zu Recht sofort im Betriebssystem Kunst bedeutungslos – niemand könnte sich noch auf ihr sehen lassen.


10.     These: Kuratoren wie Kritiker der documenta fifteen gerieren sich als Totengräber der freien und autonomen Kunst. In Zukunft geht es darum, sie zu widerlegen und die autonome Kunst wieder erstarken zu lassen.

Es ist das Verdienst von Bazon Brock, emeritierter Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung, hier am deutlichsten die Herausforderung beschrieben zu haben, die diese documenta und die Diskussion um sie für das grundlegende Verständnis von Kunst in der Gegenwart darstellt. In diversen Interviews und Einwürfen in Zeitungen und Zeitschriften, die dann als Booklet mit dem Titel „Kürzeste Besucherschule D15“ veröffentlicht wurden,[53] hat er seine Einwände vorgetragen.

Zur Erinnerung: Brocks Besucherschulen gibt es seit über 50 Jahren, genauer seit der documenta 4 im Jahr 1968 und sie wurden bis zur documenta 9 im Jahr 1992 fortgeführt. Bis heute sind diese Besucherschulen mit das Beste, was die documenta überhaupt hervorgebracht hat.[54] Ein Gespräch über Kunst und Kirche zum Beispiel ist meines Erachtens ohne die Kenntnisnahme der Besucherschule zur documenta 5 „Zur Frage nach dem Wirklichkeitsanspruch der Bilder“ gar nicht möglich.[55]

Brock benennt als aktuelle Gefahr für die Kunst ganz konkret den Triumph des Kulturalismus. Nun kann Kulturalismus natürlich viel bedeuten, je nachdem, in welcher Wissenschaft der Begriff gebraucht wird, zudem ist es auch ein Kampfbegriff in den Auseinandersetzungen um die Deutung der Gegenwart.[56] Brock macht aber einen spezifischen Gebrauch des Wortes zur Grundlage seines Ansatzes, denn er begreift „Kulturalismus“ als intentionale „Führerschaft von Kulturen und ihrer Herren gegenüber der Kunst“:

„Es gibt nur noch Entscheidungen aus den Legitimationen des Kulturkontextes, vor allem der politischen Korrektheit innerhalb der Kulturen. Jede individuelle Äußerungsform, jede Autorität durch Autorschaft, die das Prinzip der westlichen Intellektuellen, der Schriftsteller, Philosophen und Künstler gewesen ist, wird ein für allemal liquidiert ... die Kultur siegt endgültig über das europäische Prinzip der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, das über 600 Jahre existiert und enormen Weltkenntnisfortschritt gebracht hat“.

Diesen Fortschritt und diese Freiheit wollten sowohl die documenta wie deren Kritiker begrenzen und unter ihre Kontrolle bringen:

„Was Kunst ist, bestimmen die Kulturträger.“[57]

Es ist der entscheidende Vorteil dieser Bestimmung von Kulturalismus durch Bazon Brock, dass sie beide Seiten des aktuellen Konflikts in die Kritik nimmt, also die Zangenbewegung gegen die Kunst präzis benennt. Man muss nicht allen „polemosophischen“ Zuspitzungen von Brock folgen,[58] aber hier trifft er ein entscheidendes Moment der Gefährdung der Kunst in der Gegenwart.

Im Grunde expliziert Brock einen berühmten Satz von Theodor W. Adorno aus dem Jahr 1960: „Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung, ob er will oder nicht.“ Adorno führte damals aus:

„Die Forderung der Verwaltung an die Kultur ist wesentlich heteronom: sie muss Kulturelles, was immer es auch sei, an Normen messen, die ihm nicht innewohnen, die nichts mit der Qualität des Objekts zu tun haben, sondern lediglich mit irgendwelchen abstrakt von außen herangebrachten Maßstäben, während gleichzeitig nach seinen Vorschriften und der eigenen Beschaffenheit nach der Verwaltende meist ablehnen muss, auf Fragen der immanenten Qualität, der Wahrheit der Sache selbst, ihrer objektiven Vernunft überhaupt sich einzulassen.“[59]

Brock verweist nun darauf, dass diese Vorgänge nicht nur staatlichen Verwaltungen westlicher Länder eigen sind, sondern auch Charakteristika identitätspolitischer und postkolonialer Bewegungen sind. Sie alle etablieren Normen gegenüber der Kunst, die mit deren Qualität nichts zu tun haben, sondern von außen an sie herangebracht werden.[60] Meines Erachtens unterbewertet Brock dabei die Gefahr, die weiterhin von den staatlichen Verwaltungen und den Kulturpolitikern in Deutschland ausgeht. Die documenta fifteen ist ein auf 100 Tage begrenztes Ereignis – und damit wirklich nur ein begrenztes Geschehen, das zudem von zahlreichen kulturellen Veranstaltungen in der ganzen Welt begleitet wird, die andere Perspektiven eröffnen. Was aber von den staatlichen Verwaltungen und den Kulturpolitikern geäußert wird, ist für die Situation der Kunst in Deutschland viel dramatischer. Wir treffen auf Kulturbeauftragte, die die Objekte, die sie verdammen, eingestandenermaßen gar nicht gesehen haben. Wir stoßen auf Kulturpolitiker, die meinen, auch wenn die von ihnen beanstandeten Bilder nicht justitiabel seien, sie dennoch verboten gehörten. All das ist kulturelle Wirklichkeit in Deutschland. Dagegen ist eine ephemere Erscheinung wie die documenta fifteen selbst sekundär. Sie dient tatsächlich, wie Bazon Brock es auch festhält, nur als temporärer Spiegel einer bestimmten Situation. Diese Documenta, so sagte er,

ist die wichtigste, weil sie die Situation der Weltlage im Augenblick am genauesten abbildet. Sie ist damit die gefährlichste und folgenreichste. Sie ist damit auch die beachtenswerteste. Jetzt kann man nicht mehr davon absehen, prononciert Stellung zu beziehen. Jeder ist jetzt aufgefordert, sich zu entscheiden: Gehört man zu den Kulturalisten, die alles vernichten, was überhaupt je Autorität durch Autoren und Wissenschaftler gewesen ist?[61]

Aber die so beschriebene Situation ist eben nicht entschieden, ganz im Gegenteil. Vielleicht verschieben sich unter dem fatalen Eindruck der documenta fifteen die Gewichte zugunsten einer Auffassung von Kunst, die die Autonomie der Künste wieder zu schätzen weiß. Das konnte man schon auf der Biennale in Venedig 2022 beobachten. Und allein schon das gibt Hoffnung. Das hieße also: wir sehen uns in zwei Jahren in Venedig!

Anmerkungen

[1]    Persönlich überblicken kann ich die Geschichte der documenta seit 1982. Es gab in diesem Zeitraum keine documenta ohne erregte Debatten, aber so kritisch, ja vernichtend wie 2022 war es nie.

[5]    Karl-Heinz Schmidt, Die documenta als Aktivistencamp. Der überdehnte Kunstbegriff von ruangrupa, Kunstzeitung Juni/Juli 2022, Nr. 300. Man muss freilich einräumen, dass es auch schon derartige Aktionen gab: eine Skaterbahn gab es schon auf der documenta 2002, den Starkoch Ferran Adrià machte die documenta 7 zum Kunstereignis. Nur die Kinderbetreuung ist m. W. etwas völlig Neues.

[6]    „Wenn Stuart Hall und Edward Said die These vertreten, dass der Westen die nichtwestlichen Anderen als rück­ständige Barbaren konstruiert, um die eigene Identität als kulturell und moralisch überlegen zu festigen, dann ist der pauschal gegenüber dem globalen Süden erhobene Antisemitismus-Zeigefinger im Kontext der documenta eine zeitgenössische Bestätigung dieser These.“ Ziai, Aram (2022): documenta und die postkolonialen Studien – Warum sollten wir nicht den Horizont erweitern? [Quelle]

[7]    So das Bonmot anhand eines Interviews des Spiegels im Mai 1969, auf das Theodor W. Adorno antwortete: Mir nicht.

[8]    First see and walk, then judge and talk! In: tà katoptrizómena  H. 138. https://www.theomag.de/138/am760.htm,  Schaut doch wenigstens hin! In: tà katoptrizómena H. 138. https://www.theomag.de/138/am764.htm, Wer regiert die Welt? In: tà katoptrizómena H. 138. https://www.theomag.de/138/am763.htm, Schafft die documenta ab! In: tà katoptrizómena H. 138. https://www.theomag.de/138/am762.htm. Noch einmal: Documenta und Antisemitismus. In: tà katoptrizómena H. 137. https://www.theomag.de/137/am758.htm. Antisemitische Schatten über der documenta fifteen? Zur doppelten Politisierung der Kunst. In: tà katoptrizómena H. 135. https://www.theomag.de/135/am745.htm.

[9]    Vgl. dazu Adorno, Theodor W. (2003): Kultur und Verwaltung. In: Adorno, Theodor W.: Soziologische Schriften I. Frankfurt am Main, S. 122–146.

[10]   Vgl. Busch, Werner (Hg.) (1997): Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen: Piper.

[11]   Adorno, Theodor W. (2014): Ästhetische Theorie. 5. Aufl. Frankfurt am Main, S. 33.

[13]   Adorno, Theodor W. (2003): Kultur und Verwaltung, a.a.O.

[14]   Th. E. Schmid: Die Geburt konservativer Bürgerethik aus dem Geist der Kulturkritik, Freibeuter 61, Berlin 1994, S. 88.

[15]   Th. W. Adorno: Vorschlag zur Ungüte; in: ders.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt 7/1981, S. 57f.

[18]   Vgl. wikipedia

[19]   Es ist vor allem der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, der die staatliche Kontrolle der Kultur fordert und sie mit ihrer außenpolitischen Bedeutung(!) rechtfertigt. Felix Klein gehört schon des Längeren zu den Vertretern einer staatlich kontrollierten Kultur: „Wenn das Beispiel Felix Kleins Schule machte, entstünde neben Verfassungsschutzbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten ein paralleles Tugendwächterwesen, das nach jeweiliger Opportunität definiert, wer heute Rassist, morgen Antisemit und übermorgen Extremist ist.“ Stephan Detjen nennt ihn einen „diskursiven Schrankenwächter“. (Quelle)

[20]   Siehe Digitales Wörterbuch zur deutschen Sprache (Quelle)

[21]   Detjen, Marion (2022): documenta fifteen: Was ist das für eine Wissenschaft? In: Die Zeit, 18.09.2022. (online)

[22]   Paolo Flores d'Arcais: Das freigesetzte Individuum, Freibeuter 61, Berlin 1994, S.U.

[23]   Ebenda, S. 17

[24]   Felix Klein fordert 60 Tage nach Beginn der documenta strafrechtliche Konsequenzen. Nun sind schon lange Untersuchungen der Staatsanwaltschaft anhängig, aber Klein will offenkundig deren Ergebnis gar nicht abwarten. Statt sich an die Rechtsordnung zu halten, werden vorab Konsequenzen gefordert.

[25]   So der frühere Bundesrichter Thomas Fischer (Quelle)

[26]   Ich folge hier der Darstellung von Zechlin, Lothar (2022): Ein Raum für den freien Diskurs. Das Bundesverwaltungsgericht, die Meinungsfreiheit und die BDS-Debatte.
https://verfassungsblog.de/ein-raum-fur-den-freien-diskurs/

[30]   Die Leitung der documenta fifteen hat immer wieder versichert, dass durchaus sowohl jüdische Teilnehmer.innen wie auch solche aus Israel an der documenta beteiligt seien. Es geschehe lediglich auf Wunsch dieser Teilnehmer:innen, dass sie nicht als solche kenntlich werden. Nun könnte das eine Schutzbehauptung der documenta sein, aber ein Blick in die Teilnehmer:innen-Liste zeigt, dass die documenta wohl Recht hat und nicht nur apologetisch taktiert.

[31]   Ich verstehe, wenn manche derartige Zahlenspiele unangemessen finden. Sie bilden aber auch nur den Versuch, etwas Rationalität in die Debatte zu bringen, indem sie einen überprüfbaren Erwartungshorizont benennen.

[33]   So die Erläuterung der Kurator:innen zum israelischen Pavillon.

[34]   Vgl. schon Buber, Martin (1903): Lesser Ury. In: Buber, Martin (Hg.): Jüdische Künstler. Berlin, 41-72.

[36]   Ich bin mir nicht sicher, wie die Verantwortlichen der documenta fifteen die Künstlerin einordnen. Zählen sie sie zu den künstlerischen Positionen aus Israel? Aus der Literatur wird nicht ganz deutlich, wie die Künstlerin sich verortet. Sie wurde in Israel in Shefa-Amr geboren und lebt heute in Jerusalem. Demnach müsste sie Israelin sein. Vorgestellt wird sie auf der documenta als Palästinenserin – was sie ja auch ist.

[37]   Das gilt selbst dann, wenn es um antisemitische Schweinedarstellungen auf Postkarten aus der Zeit um 1900 geht. Dort wird das überkommene antisemitische Motiv der Mauscheljuden dadurch verschärft, dass diese nun als Glücksschweine dargestellt werden. Der bizarre Text dazu lautet: „Sieh die Karte freundlich an! Knüpft sich doch der Wunsch daran, Dass ein jedes dieser Drei, Dir ein rechtes Glücksschwein sei.“ Insinuiert ist, dass die als Glücksschweine gezeigten drei Juden ihr Geld jedenfalls nicht durch harte Arbeit verdient haben. Vgl. dazu auch Wiesemann, Falk (2005), Antijüdischer Nippes, Populäre Judenbilder. Die Sammlung Finkelstein: (2005). Essen.

[38]   In der asiatischen Kultur (z.B. in China) gelten Weiße an sich als Langnasen.

[39]   Vgl. den lesenswerten Artikel der Frankfurter Rundschau zu diesem Aspekt (Quelle)

[40]   Ebd.

[42]   Vgl. dazu Krah, Franziska (2018): Zur ‚Ästhetik‘ des Antisemitismus. In: Grimm, Marc; Kahmann, Bodo (Hg.): Antisemitismus Im 21. Jahrhundert. Virulenz einer alten Feindschaft in Zeiten von Islamismus und Terror. Berlin/München/Boston, S. 293–322.

[43]   „Dies ist der erste, rechte, gründliche Anfang des lutherischen »Aufruhrs«. Der andere Anfang dieses »Aufruhrs« ist der heiligste Vater Papst Leo mit seinem unzeitigen Bann. Dazu halfen Doktor Sau und alle Papisten, auch etliche grobe Esel, da jedermann zum Ritter an mir werden wollte, schrieb und schrie wider mich, was nur eine Feder regen konnte.“ Martin Luther: Wider Hans Worst (1541). Luther-W Bd. 2, S. 25. Luther konnte aber auch Karlstadt als Sau bezeichnen.

[46]   So heißt es im BGH-Urteil zur Judensau in Wittenberg: „Auch wenn das Relief von Anfang an und immer nur der Diffamierung und Verunglimpfung von Juden diente und kaum eine bildliche Darstellung denkbar ist, die in höherem Maße im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, gebietet die Rechtsordnung nicht seine Beseitigung. Vielmehr bestand mehr als diese eine Möglichkeit, die von ihm ausgehende rechtswidrige Beeinträchtigung für die Zukunft abzustellen. Die Umwandlung des ‚Schandmals‘ in ein Mahnmal und in ein Zeugnis für die Jahrhunderte währende judenfeindliche Geisteshaltung der christlichen Kirche ist eine der Möglichkeiten, den rechtsverletzenden Aussagegehalt zu beseitigen.“

[47]   Wäre es um Engagement gegangen, hätte zum Beispiel die Diskussion um die Ukraine auf der documenta eine viel größere Rolle spielen müssen – ähnlich wie dies in Venedig auf der Biennale geschah.

[48]   Adorno, Theodor W. (2002): Engagement. In: ders.: Noten zur Literatur (I-IV): Frankfurt am Main, S. 409–430.

[49]   Ebd., S. 412.

[52]   Begründung zum Reichskulturkammergesetz vom 22.9.1933, Reichs- und Staatsanzeiger Nr. 225 vom 26.9.1933

[53]   Bazon Brock hat seine Kritik an der documenta fifteen und den grundlegenden Entwicklungen in der Kultur der letzten Jahrzehnte in einer kleinen Kampfschrift zusammengefasst: Brock, Bazon (2022): Kürzeste Besucherschule d 15 von Bazon Brock, Denker im Dienst der Polemosophie. Der Fluch der guten Tat/Kulturalismus erledigt die Kunst. Köln. https://bazonbrock.de/werke/detail/?id=3996

[57]   Brock, Bazon Köhler, Michael: Documenta 15 ist die „Re-Fundamentalisierung der Kunst“. Ausgestrahlt am 21.06.2022. DLF.

[58]   Insbesondere seine wiederholte Polemik gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel finde ich im Kontext der documenta-Kritik vollständig deplatziert. Es gibt keine irgendwie geartete Verbindung von der Flüchtlingskatastrophe 2015 zum Kultur-Desaster der d15. Das hat schon beinahe Stammtisch-Niveau. Gerade im Blick auf eine Stadt der Refugees, wie es Kassel seit Reformationszeiten ist, ist so etwas unangemessen.

[59]   Adorno, Theodor W. (2003): Kultur und Verwaltung. In: ders.: Soziologische Schriften I. Frankfurt/M., S. 122–146.

[60]   Man muss das nicht unbedingt so überspitzt formulieren, wie Brock das tut: „Man kann sich nun des Eindrucks schwer erwehren, dass die Documenta-Macher in schöner Überstimmung mit großmeisterlichen Vorbildern Putin, Erdoğan und Xi Kunstkonzepte unnachsichtig und hämisch unter die Fuchtel von Kulturgesten zu bringen versuchen.“ Man sollte dessen eingedenk sein, dass auf dieser documenta auch Betroffene und Opfer totalitärer Systeme ausstellen.

[61]   Bazon Brock, Documenta 15 ist die ‚Re-Fundamentalisierung der Kunst‘ (Quelle)

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/139/am765.htm
© Andreas Mertin, 2022