No Future!Zur Ausstellung "futureland"Andreas Mertin |
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John Berger zeigt in seiner lesenswerten Schrift "Sehen lernen. Das Bilder der Welt in der Bilderwelt" folgende "Landschaft mit einem Kornfeld und auffliegenden Vögeln": Das Bild ist am unteren Ende der Seite platziert. Blättert man um, folgt das Bild noch einmal, diesmal jedoch mit dem Satz versehen: "Dieses Bild ist das letzte Werk Vincent van Goghs, bevor er Selbstmord verübte." Und Berger erläutert: Es fällt schwer, genau zu beschreiben, wie der Text den Bildeindruck verändert hat, aber zweifellos hat er ihn verändert" [1]. Und tatsächlich kann niemand mehr "danach" die Wahrnehmungsperspektive "davor" rekonstruieren. Ähnlich geht es dem Besucher mit der Ausstellung "Futureland", die das Abteibergmuseum Mönchengladbach in Kooperation mit dem Museum van Bommel van Dam Venlo vom 23.9.2001-06.01.2002 zeigt . Auch sie ist "davor" konzipiert, erstellt, inszeniert worden. Und doch kann sie nur "danach" betrachtet und beurteilt werden. Eine Ausstellung, die über das anspruchsvolle Thema "Zukunft" Auskunft geben sollte, wird nun automatisch daran gemessen, was von ihren Exponaten nach den Bildern des 11.09.2001 noch Bestand hat. Der Graben, der sich hier auftut, lässt sich an dem Satz ermessen, den Veit Loers, Direktor des Museums Abteiberg Mönchengladbach, "davor" zur Eröffnung seines Katalogtextes geschrieben hat: "Danach" folgt im Katalog eine nachträglich eingeschobene Anmerkung, die jedoch die Differenz zwischen Text und Ereignis nicht mehr aufzufangen vermag:
Aber nur bis zum 11.09.2001 (Anmerkung des Verfassers nach Redaktionsschluss)
*** Über die Genese der Ausstellung kann man spekulieren, dass sie einen Reflex auf ein Phänomen der Kunstszene vom Ende der 90er Jahre darstellt, als man auf Messen in Frankfurt, Berlin oder Köln auf eine junge Kunst traf, die sich um ihre Zukunft (und das heißt auch: ihre kommerzielle Verwertbarkeit und ihre Ausstellbarkeit) einen Dreck scherte, sondern laut, frech und unbekümmert mit den Symbolen und Accessoires der so genannten Generation@ bzw. der Generation Golf spielte. Zukunft - so schien es - war für diese Künstlergeneration (nur) ein Teil eines Computerspiels, gleich nah, gleich gültig wie Gegenwart und Vergangenheit. Die Ausstellung "futureland" sammelt nun, was von diesen Künstlern den Augen-Blick überdauert hat, jene also, die die Attitüde in Form überführt haben und führt sie quasi unter dem Aspekt der "präsentischen Eschatologie" vor. Um es vorweg zu sagen: Als Ausstellungskonzept, als Inszenierung, als 'thematische' Präsentation scheint mir "futureland" gescheitert. Das hat nur bedingt mit den Ereignissen vom 11.09.2001 zu tun. Es liegt auch keinesfalls an mangelnder Qualität der ausgestellten Werke, die - von Ausnahmen abgesehen - durchaus überzeugen. Aber dennoch ist zu wenig Spiel in der gesamten Inszenierung, entsteht zu wenig Differenz zu den im Museum vorhandenen "Ikonen" der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, ergeben sich zu wenig Korrespondenzen zwischen den einzelnen Exponaten, findet der Besucher keinen plausiblen Weg durch die Ausstellung.
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Und dennoch sind viele von den in Mönchengladbach gezeigten Arbeiten der vierzehn Künstlerinnen und Künstlern (Björn Dahlem, Friedrich Meschede, Mathilde ter Hejne, Christian Jankowski, Daniel Anum Jasper, Stefan Kern, Aernout Mik, Daniel Pflumm, Matthew Ritchie, Daniel Roth, Fiona Tan, David Thorp, Grazia Toderi, Corinne Wasmuth) beeindruckend und anregend. Einige sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
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Björn Dahlem ... "Während der weitaus größten Zeitspanne seines Daseins ist der Mensch ein zwar wohnendes, aber nicht ein beheimatetes Wesen gewesen. Jetzt, da sich die Anzeichen häufen, dass wir dabei sind, die zehntausend Jahre des sesshaften Neolithikums hinter uns zu lassen, ist die Überlegung, wie relativ kurz die sesshafte Zeitspanne war, belehrend. Die sogenannten Werte, die wir dabei sind, mit der Sesshaftigkeit aufzugeben, ... erweisen sich dann nämlich nicht als ewige Werte, sondern als Funktionen des Ackerbaus und der Viehzucht. Das mühselige Auftauchen aus der Agrikultur und ihren industriellen Avataren in die noch unkartographierten Gegenden der Nachindustrie und Nachgeschichte wird durch derartige Überlegungen leichter. Wir, die ungezählten Millionen von Migranten (...), erkennen uns dann nicht als Außenseiter, sondern als Vorposten der Zukunft."[1] ***Mathilde ter Hejne ... Christian Jankowski ... Art Pace - a foundation of contemporary art hat Jankowskis Arbeit gefördert und schreibt zu seinem Werk: "Christian Jankowski's conceptually based work is derived from performative intersections of seemingly disparate worlds. Using cultural and social idiosyncrasies, Jankowski explores the contingent nature of meaning and interpretation through a constant play of fictionalized reality. Documented through video, photographs, and installation, the work instigates a larger dialogue on the nature of art and the role of the artist. The performative structure of Jankowski's projects - resulting primarily in video, photographs, and installation - blurs the distinctions between the staged and the real. Whether by having a magician turn him into a dove for the duration of an exhibition (My Life As a Dove, 1996), or asking a television psychic if his work will be successful (Telemistica, 1999), or going to a therapist to analyze his inability to make new work (Desperately Seeking Artwork, 1997), Jankowski transforms existing cultural structures into environments that clearly exhibit artifice yet occur in reality. The resulting artwork materializes from the process itself. For his residency at ArtPace, Jankowski continues his personal inquiry into the potential of exchange. Like his previous projects, the artist draws from surrounding social and cultural conditions to construct a framework of discussion. Approaching a religious leader in the San Antonio area, Jankowski poses the ultimate question: what makes a work of art holy? The piece is formed by the ensuing dialogue between artist and minister, each bringing their expertise and experience to the conversation. Leaving room for poetics, humor, irony, and sincerity, the work addresses questions of spirituality and the divine. What may seem an unlikely topic for contemporary art in the 21st century, in fact, generates a larger narrative about artistic inspiration and transformation. Videotaped in the format of an evangelical television program, The Holy Artwork evokes the legacy of religious art while presenting a contemporary take on the religiosity of art (or perhaps the art of religiosity) in today's society. ***Matthew Ritchie ... Daniel Roth ... Fiona Tan ... Grazia Toderi ... Corinne Wasmuth ... NachbemerkungNachgetragen sei noch eine kurze Notiz zum Umgang mit dem Thema "Religion" im Katalog. Nicht nur das Verhältnis von Kunst und Religion ist seit Jahrhunderten gestört, noch tiefer ist die Differenz zwischen Theologen und Kunsthistorikern bzw. Kunstkritikern. Am lebhaftesten erfahren dies jene, die beiden Diskursen verbunden sind. Der Theologe in mir leidet immer, wenn er in religiösen Kontexten auf eine geradezu stupende Unkenntnis und nahezu unerträgliche Rigidität im Blick auf die zeitgenössische Kunst trifft. Aber ebenso leidet der Kunsthistoriker in mir, wenn er bei Kollegen, Ausstellungsmachern und Kritikern auf eine ebenso stupende Ignoranz gegenüber zeitgenössischer Religion und hier insbesondere gegenüber dem Christentum trifft. Die dargestellte Religion ist in der Regel die Religion des 19. Jahrhunderts. Das Christentum stellt sich in der Perspektive von Ludwig Seyfarth im Katalog so dar: "Gute Christen kamen in den Himmel, schlechte in die Hölle. Zukunft war vor allem das, was nach dem Tod kam ... Vielleicht bezeichnet Zukunft besser doch das, was wir auf Erden zu erwarten haben und damit etwas Veränderliches, was nicht im christlichen Heilsplan vorgeschrieben ist." Nun sind theologische Diskurse wie die um die Rechtfertigung oder die Providentia Dei nicht immer einfach nachzuvollziehen, aber so simpel wie Seyfarth sollte man es sich mit der Etikettierung des Christentums nicht machen. Ähnlich sieht Veit Loers in seinem Beitrag die Kunst zu Beginn dieses Jahrhunderts als vitale Alternative zur versteinerten Religion und dem Utilitarismus der sozialistischen Staaten. Das sind Alternativen, die man nur sehen kann, wenn man beide Augen zumacht. Gerade der von Loers benannte russische Konstruktivismus hat, zumindest in der von Malewitsch geprägten Fraktion, dieses Verhältnis völlig anders gesehen.[3] Der in der Ausstellung gezeigte Beitrag von Christian Jankowski jedenfalls pflegt ein wesentlich offeneres Verhältnis zwischen den Diskursen: "Leaving room for poetics, humor, irony, and sincerity, the work addresses questions of spirituality and the divine." Und warum auch nicht? Anmerkungen
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