Komplexes OszillierenAnmerkungen zum Begegnungsfeld Kunst im Konsultationspapier der EKDChristian Schwindt |
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m Zeitalter der Moderne ist das Verhältnis der Kunst, Kunsttheorie und Ästhetik zu Religion im allgemeinen und zum christlichen Glauben im besonderen sehr unterschiedlich bestimmt. Auf der einen Seite steht die der Aufklärung verpflichtete Idee von einer autonomen, eigenen Regeln folgenden Kunst, die sich jenseits von Religion zu positionieren habe, auf der anderen Seite findet sich jene unter anderem von der Romantik beeinflusste, Auffassung, welche die Kunst als Medium einer Wiederkehr und Erneuerung religiöser Erfahrung begreift. Auch das vor einiger Zeit veröffentlichte Konsultationspapier der EKD "Gestaltung und Kritik"[1] zum Thema Protestantismus und Kultur nimmt die Kunst als ein Begegnungsfeld in den Blick und versucht eine Verhältnisbestimmung. Wohin schlägt das Pendel des Papiers aus? Zur eher autonomen oder zur eher romantischen Kunstauffassung? Nach beiden Seiten, so scheint es, und das ist auch das Problem. Denn aus den Textpassagen zur Kunst wird eigentlich nicht klar erkennbar, wie es die evangelische Kirche mit der modernen Kunst halten will. Da werden alte, katholische Zeiten der Symbiose hervorgehoben, ohne deutlich zu machen, dass sich der spätestens seit dem 18. Jahrhundert in Europa herausgebildete autonome Kunstbegriff kaum unreflektiert auf das Kunstverständnis des Mittelalters anwenden lässt und es die Kunst im Mittelalter so sicher nicht gegeben hat.[2] Auch das permanente begriffliche Oszillieren zwischen "christlicher Überlieferung", "Kirche" und "Religion" ist problematisch, da hier semantische Quantensprünge vorliegen. Schwerer nachvollziehbar wird es, wenn zum einen festgestellt wird, dass "Kirche und Kunst heute ... ausdifferenziert" sind und "als eigenständige Systeme darstellenden Handelns" bestimmt werden und andererseits zwei Sätze weiter die These vom "entgültigen Auseinandertreten von Kunst und Religion" als "ideologisch besetztes Vorurteil" bezeichnet wird. Einmal abgesehen davon, dass semantische Asymmetrien in der Begriffswahl - erst Kirche, dann Religion - meist Deutungsproblemen Vorschub leisten, scheint die Argumentationslinie des Papiers dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht folgen zu wollen. Altkirchlicher Argumentationsweise verpflichtet ("unvermischt und ungetrennt") wird trotz zugestandener Ausdifferenzierung und Eigenständigkeit der Systeme die Nähe von Kunst und Religion konstatiert. Bei solch komplexer Argumentation kommt es natürlich auf die eingesetzten Argumente an. Bevor diese allerdings näher in Augenschein genommen werden sollen, sei noch kurz der Frage nachgegangen, ob das Papier überhaupt den Gegenstand seiner Reflexionen sachgemäß in den Blick bekommt. Unter Kunst, so ist dem Papier an einer Stelle zu entnehmen, wird etwa "Tanz und Bewegung, Literatur in Lyrik und Epik, bildende Kunst in Plastik und Malerei und ... Musik" verstanden. Im Sinne einer (sicher unvollständigen) Aufzählung unterschiedlicher Kunstgattungen ist dagegen sicher nichts einzuwenden. Dass die Kunst kommentarlos unter den Begriff des "darstellenden Handelns" subsumiert wird, ist allerdings problematisch, da der Begriff Darstellung in der Kunsttheorie im hohen Maße erklärungsbedürftig ist. Ist hier "darstellen" im Sinne von vor- oder abbilden gemeint?[3] Orientieren sich die Autoren gar an Goethes idealistischem "Laokoon"? Ist der Aspekt der Selbstdarstellung der Kunst im Blick? Kann man im Fall der Architektur und Musik überhaupt von Darstellen reden? Was sagen die Autoren etwa zu der Fülle von Ausdruckstheorien oder rezeptionsästhetischen Ansätzen in der Kunsttheorie? Dass die Darstellungsästhetik heute keine Rolle mehr spielt, wie Andreas Mertin meint[4], ist sicher übertrieben, doch ist sie kunsttheoretisch mindestens seit 200 Jahren höchst umstritten.[5] Im Kontext der Darstellungsproblematik will auch eine weitere Formulierung des Papiers nicht so recht überzeugen. Unter dem Stichwort "Themenkatalog" heißt es: "Im Themenkatalog moderner Kunst ist die christliche Überlieferung ein Strukturelement neben anderen". Abgesehen davon, dass hier offensichtlich noch ein funktionierender Werkbegriff im Blick ist und der "christliche Themenkatalog" in der modernen Kunst quantitativ gesehen doch eher mager ausfällt, wäre es wichtig gewesen, deutlicher herauszustellen, dass der kulturelle Differenzierungsprozess der Moderne unter anderem dazu geführt hat, dass etwa Kunst-Bilder nicht nur etwas mit etwas thematisieren (etwa "Christus am Kreuz" mit Farben und Linien), sondern durch etwas mit etwas auch sich selbst thematisieren. Die Wurzeln dieser Entwicklung liegen in der Renaissance und wurden dann vor allem im 18. und 19. Jahrhundert intensiv wirksam. Die Folge war das von allen gesellschaftlichen, politischen und religiös-kirchlichen Konventionen befreite Kunstwerk, das sich in bezug auf seine Bildgenese, seine eigene malerische Qualität oder in Hinblick auf die optische Erfassung des Betrachters intensiv mit sich selbst zu beschäftigen begann. Für die christliche Überlieferung als "Strukturelement der Kunst" hatte aber gerade dies weitreichende Konsequenzen: So wollte etwa Edouard Manets (1832 - 1883) Bild "Christus von Engeln betrauert" im Gegensatz zu dem Gemälde gleichen Themas von Andrea Mantegna (1431 - 1506) nicht Christus zur Erscheinung bringen, sondern umgekehrt: Christus bringt das Bild zur Erscheinung. Bei Bildern von Diego Rodriguez de Silva Velazquez (1599 - 1660), Joseph Mallord William Turner (1775 - 1851) oder Cézanne (1839 - 1906) ist dieser Tatbestand ebenso festzustellen, wie auch bei Künstlern des 20. Jahrhundert.[6] Die Bildende Kunst, so kann wohl sagen, erscheint heute geradezu doppelt selbstbezüglich: von Magritte bis Tapiès sucht sie die Reflexivität des Mediums selbst noch künstlerisch zu gestalten. In einer bestimmten Entwicklungslinie der Literatur ist dies nicht anders. Die Quantität des Themas "christliche Überlieferung" reduziert sich übrigens auf diese Weise nochmals erheblich. Das Kulturpapier möchte, wie erwähnt, einem endgültigen Auseinandertreten von Kunst und Religion nicht das Wort reden. Die Nähe von Kunst und Religion wird vielmehr im weiteren Argumentationsverlauf durch zwei Aspekte zu untermauern versucht. Zum einen wird auf die Erfahrungsabhängigkeit von Kunst und Religion verwiesen und zum anderen auf das fermentive Potential beider "Systeme". In bezug auf den ersten Aspekt heißt es: "Unter den Bedingungen der Moderne erweist sich die Nähe von Kunst und Religion darin, dass sie in unterschiedlicher Form an die individuelle Erfahrung gebunden sind und auf sie verweisen." Dass Kunst und Religion erfahrungsabhängig sind, ist eine Binsenweisheit. Doch mit dem Satz ist ja mehr intendiert. Die formale oder strukturelle Äquivalenz der Erfahrungsabhängigkeit soll eine haltbare Brücke schlagen zwischen Kunst und Religion. Doch ist der Erfahrungsbegriff hier wirklich ein hilfreicher Bundesgenosse? "Ästhetische Erfahrung spricht sich als immanente Glückserfahrung aus, religiöse Erfahrung als transzendentale Ursprungserfahrung. In ästhetischer Erfahrung kommt dem Individuum die Welt endlich entgegen. In religiöser Erfahrung weiß es sich unendlich von ihr unterschieden"[7], lautet die These des Berliner Theologen Wilhelm Gräb. Sehen dies auch die Autoren des Papiers so, wenn sie schreiben: "Reflektiert Religion das Bewusstsein der Endlichkeit des menschlichen Selbst im Verhältnis zu Gott, zum Grund seiner Existenz, so geht es in der Kunst um die Erfahrung des (zweck)freien Zusammenspiels von Selbst und Welt"? Das aber wäre ein Unterschied in puncto Erfahrung. Was aber sind Gemeinsamkeiten von Kunst und Religion - das war doch die Frage -, wenn man nicht nur allgemein feststellen will, dass Religion und Kunst ebenso erfahrungsabhängig sind wie Politik und Ökonomie.[8] Bemerkenswert ist auch die anschließende Folgerung(!): "Deshalb benötigen Religion und Glaube die Sprache der Kunst (Ton, Gebärden, Formen, Farben); und deshalb kann ein Kunstwerk auch dann Religion zur Sprache bringen, wenn es dem überlieferten Christentum und der institutionalisierten Kirche radikal opponiert." Zunächst ist nicht von Kunstwerken, von Bild-Objekten etwa, die Rede, sondern von der Sprache der Kunst, d.h. im Verständnis der Autoren: ihrer Materialität und ihren Mittel. Das Religion "Ton, Gebärden, Formen und Farben" benötigt, ist schnell einzusehen, denn sonst würde sie in raum-zeitlichen Verhältnissen überhaupt nicht vorkommen. Die eigentliche im Raum stehende Frage ist aber doch, ob Religion die Kunst in ihrer spezifischen modernen Verfasstheit und damit eigenwilligen Sprache gelten lassen will bzw. mit ihr etwas anfangen kann. Würde dies mit einem klaren "Ja" beantwortet, hieße es aber einer "phänomenalen Unbestimmtheit" (Martin Seel) und der Autonomie und Freiheit der Kunst Rechnung tragen. Das dürfte allerdings protestantisch-kirchlichem Einflussdenken schwerlich schmecken, allerdings nicht protestantischem Denken! Ein klares "Ja" zur autonomen Kunst, ohne wenn und aber, hätte man sich gewünscht. Ja, eine theologische Begründung, warum gerade die protestantische Theologie dieses "Ja" gut aussprechen kann, fehlt völlig. Doch weiter: Wie steht es mit der weiteren These, dass ein "Kunstwerk auch ... Religion zur Sprache bringen kann"? Dazu sei ein kleiner, exemplarischer Exkurs in die Kunst-Bild-Theorie der Gegenwart erlaubt: Bilder der modernen Kunst produzieren nicht umweglos einfach Abbilder der Wirklichkeit. Sie können als begrenzte, komponierte raum-zeitlich Gegenstände betrachtet werden, die so angelegt sind, dass sie nicht nur Gott und die Welt thematisieren, sondern auch beim Betrachter alles mögliche hervorrufen können: positive oder negative Gefühle, kognitive Aufmerksamkeit und Belehrung, bis hin zur Bewegung des Willens und der Lebenskräfte in eine bestimmte Richtung. Spätestens seit der klassischen Moderne führen nun viele Bilder der Bildenden Kunst den Betrachter in das semantisch völlig offene Feld bildnerischer Selbstthematisierung. Vielfach schillern, oszillierend, vielschichtig, assoziationsträchtig und deutungsoffen unterminieren sie dabei jede vorauslaufende wahrheitsästhetische Programmatik[9]. Diese Bilder lassen sich nicht mehr (oder immer weniger) konfektionieren und abschließend festlegen, sondern wippen einen gleichsam heraus aus einer festgefügten Alltagssemantik. Als semantisch offene Kunstwerke bergen sie eine Fülle möglicher Lesarten (opera aperta).[10] Denn die moderne Befreiung von einem nicht-bildlichen Logos führt zur Bindung an die Bedeutungsfindung des Subjektes. Viele Bilder der Kunst stiften so offene Denk- und Assoziationsräume, die sich im Spiel von Wahrnehmung und Imagination verändern. Die autonome Bildkunst erzählt auf diese Weise eine Kontingenz der Welt, die jeder selbst er- und bearbeiten muss durch Vertiefung der Gedanken beim Sehen. Was dabei herauskommt ist vorher kaum zusagen - je höher die Abstraktion bzw. Konkretion, desto höher der Interpretationspluralismus in der Bilderschließung.[11] Es ist dabei sicher nicht verwunderlich, dass gerade die abstrakte Kunst von bilderfreundlichen TheologInnen geschätzt wird. Denn die reine Form oder Materie ist natürlich auch offen für religiöse Deutungen, da sie scheinbar alle Schein- und Darstellungsdienste abgelegt hat. Wer Bilder der abstrakten Kunst zum "Anstoß und Vertiefen des religiösen Dialoges"[12] nutzen oder sie schlicht zum "Verkündigungsmedium im Raum der Kirche"[13] erklären möchte, kann dies sicher unbefangen tun. Er muss allerdings immer darauf gefasst sein, dass sich beim Betrachter etwas völlig anderes - völlig Diesseitiges - einstellt. Bei Bildern der Kunst ist dies nicht anders als mit dem Blick in die Abendsonne oder auf das Bergpanorama. Der religiöse "Vertiefer" sollte bei seiner Bildbetrachtung auf jeden Fall eines nicht außer acht lassen: das äußere Kunstbild ist immer ein begrenztes, perzeptiv erfassbares und komponiertes Raumstücke mit Farben (möglicherweise auch mit kleineren Gegenständen) und Formen. Der Betrachter bzw. die Betrachterin sollte daher auf jeden Fall nicht zu schnell über diesen Raumkörper hinwegsehen. Denn es könnte sein, dass dieser zunächst auf nicht mehr hinweisen möchte als auf sich selbst, auf seine Formen, Strukturen und Farben, möglicherweise noch auf seine Genese oder den wahrnehmenden Betrachter. Bilder etwa von Emil Schumacher, Cy Twombly oder Peter Hally versuchen dies. Doch: Bilder bleiben für sich genommen stumm, beredte Versenkung ist möglich. Allerdings könnte es sein, dass diese Versenkung zuweilen sehr viel mehr über die (religiöse) Einstellung des Betrachters oder der Betrachterin aussagt, als über das entsprechende Bild. Das Gesagte wirft nun allerdings auch ein etwas anderes Licht auf eine andere Formulierung des "Kulturpapiers": "Beide (sc. Kunst und Religion) drücken auf ihre Weise aus, was uns unbedingt angeht, die existentielle Betroffenheit durch eine letztgültige Wirklichkeit."[14] Solche Sätze bilden eine krude existential-hermeneutische Vereinnahmung der modernen Kunst. Das taktische Prinzip scheint hier klar: Annäherung durch Totalumarmung. Im letzten Teil der Erörterungen zur Kunst kommt das Papier auf das fermentive Potential von Kunst und Religion zusprechen. Darin wird der "tiefste und faszinierendste Konvergenzpunkt von genuinem Christentum und moderner Kunst" gesehen: "Kunst", so heißt es dann weiter, "muss beides sein, sinnlich-bildhafter Ausdruck und dessen kritische Überschreitung zugleich. Und christlicher Glaube lebt von der Erfahrung, dass - dem jüdischen Bilderverbot gemäß (vgl. 2. Mose 20,4f) - alle Gottesbilder zerbrechen und dennoch ihren endgültigen und einzigen Ausdruck in einem Bild finden: im Bild des inkarnierten, fleischgewordenen Gottes am Kreuz. Das Kreuz Jesu Christi ist ein Bild der Bilderlosigkeit, ein Bild der Bildkritik. ..." Diese Gedanken gehen wohl u.a. auf den Theologen Thomas Erne zurück, der in Auseinandersetzung mit der Ästhetik Adornos und im Anschluss an das jüdisch-christliche Bilderverbot (vgl. 2. Mose 20, 4f) und die Christologie des dänischen Schriftsteller, Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard in verschiedenen Aufsatzvariationen eine theologisch fundierte Rezeptionsästhetik zu formulieren suchte: "Als Rezeptionsregel ist das Kreuz", so Erne, "konkreter Verdinglichungsabbau zugunsten einer Aneignung der eigenen Erfahrungsfähigkeit und damit: Initiierung und Erhaltung (ästhetischer) Erfahrung als freie Hervorbringung endlicher Inhalte."[15] Die alte kulturprotestantische These, dass das religiöse Bewußtsein als Bedingung der Möglichkeit aller kreativen Gestaltung durch endliche individuelle Freiheit zu entfalten sei, wird von Erne rezeptionsästhetisch gefasst und im Anschluss an Kierkegaard kreuzestheologisch gedeutet. Die rezeptionsästhetische Aneignungstheologie Ernes möchte allerdings deutlich machen, dass es eigentlich keine spezifische "christliche Kunst" geben kann, wohl aber einen christlichen Beitrag zur Autonomie der Kunst, der eben darin liegt, die "Kunst der Aneignung in der Aneignung der Kunst" (Thomas Erne) so zu explizieren, dass die freie Hervorbringung der Kunst im Kontext individueller Aneignung gewollt ist, ohne dabei in abschließende Bildergebnisse abzugleiten. Positiv gesagt hieße dies: die Kultur braucht auch nach christlichem Selbstverständnis so viele Bilder wie möglich, um nicht in bestimmten Bildern zu verharren. Autonome Bildentfaltung ist möglich. Religion leistet für Erne dabei einen spezifischen Beitrag zur notwendigen Ablösung der Bilder. Die rezeptionsästhetische Aneignungstheologie Ernes ist ein respektabler Versuch, die Autonomie der Kunst christlich-theologisch zu durchdringen. Allerdings sieht auch Erne, dass die moderne Bild-Kunst, diese immanente Bildnegation im Bild selbst thematisiert und eigenständig hervorgebracht hat. Das Hervorbringen einer Haltung des Überschreitens, wie sie sich Erne wünscht, bzw. ein fermentives Potential ist dem System "Kunst" völlig selbsttätig eigen. Was Erne als christologisches Motiv in der Moderne ausmacht, hat sicher hohen Wiedererkennungswert, überschreitet jedoch auch nicht den Aspekt formaler Äquivalenz. Doch zurück zum Kulturpapier der EKD. Wie gesagt ist das Papier in Bezug auf die Kunst, merkwürdig unentschlossen. Es oszilliert hin und her zwischen der Darstellung bloßer Analogien und Äquivalenzen in den Erfahrungsformen und wagen Andeutungen in Bezug auf Zusammenhänge und Konvergenzen zwischen Kunst und Religion. Manchmal ist es sogar sachlich schlicht fehlerhaft. Es wäre ohne Zweifel wünschenswert gewesen, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen, und stringent dafür zu argumentieren. Oszillierende Unentschlossenheit in der Sache ist meist ermüdend und häufig Einfallstor für grobe Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Eines dürfte klar sein: unter dem Vorzeichen der Autonomie der Kunst kann es aus Sicht des Protestantismus weder um subtile Funktionalisierung noch um Vereinnahmung durch Totalumarmung gehen. Die Kunst muss als Kunst adäquat wahrgenommen werden und darf nicht als Folie für theologische Aussagen herhalten. Der Protestantismus selbst, so die hier mit anderen geteilte These, hat gute Gründe, die Autonomie der Kunst zu wollen und zu goutieren. Eine theologische Wahrnehmung autonomer Kunst kann somit nicht intentional sein, sondern muss zunächst im Hören und (An)Sehen dessen bestehen, was die Kunst bereitstellt und über die Wirklichkeit ausdrückt. Doch, da hat das Kulturpapier recht, dies ist nur die eine Seite der Medaille! Denn so notwendig es ist, die differenzierte Entwicklung und Gegenwart der kulturellen Moderne neugierig wahrzunehmen, so notwendig ist es auch diese angemessen zur eigenen Gestaltwerdung in Beziehung zu setzen. Wie hätte aber eine zu wünschende und notwendige Kulturleistung der Kirchen auszusehen? Antwort: Vielfältig, nicht ohne Stil, im regen Austausch mit der ästhetischen und kulturellen Moderne. Nicht die Frage nach kirchlicher Einflussnahme wäre dann die entscheidende Leitfrage[16], sondern, wie Gott in der Gegenwart in Raum und Zeit angemessen Gestalt gewinnen kann. Die Frage, die von Generation zu Generation immer wieder aufs Neue im Raum steht, lautet doch: Wie können wir es erreichen, dass wir Gottes Ankunft in der Gegenwart nicht verhindern? Im Kontext ihres diakonischen Handelns hat sich die Kirche über Jahrhunderte hier eine gewisse Kompetenz erarbeitet, im Kontext ästhetischer Praxis steht dies (wieder) aus. Die unvoreingenommene, neugierige und anschauliche Beschäftigung mit Produkten der kulturellen Moderne[17] ist hier gewiss notwendige Voraussetzung, aber auch die konzentrierte Arbeit an ästhetischen Standards wären nötig. Ein umfassendes Programm aisthetischer Bildung, das sowohl eine "Ethik der Gastlichkeit in pragmatischer Absicht" (D. Neuhaus) voraussetzt, als auch eine ästhetische (Forschung-)Praxis fördert, ist in der Kirche nötig: z.B. liturgische Labors, innen- und außenräumliche Avantgarde, statt dritt- oder viertklassige ArchitektInnen, PfarrerInnen, die nicht zu Verwaltungsbeamten degenerieren, sondern, wenn schon Beamte, zu Gestaltungsbeamten werden; Stil-Fragen müssen wieder Thema des Glaubens werden. Gott ist stets in jeder Hinsicht das Beste zu geben. Anmerkungen
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