SchönRezension zum 15. Internationalen Kongress für ÄsthetikFrauke A. Kurbacher |
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Vom 27. bis zum 31. August 2001 fand in der Metropole Japans der 15. Internationale Kongress für Ästhetik statt. Unter dem Generalthema: "Die Ästhetik im 21. Jahrhundert", mit dem bereits der nicht geringe programmatische Anspruch anklang, trafen sich Forscher und Wissenschaftler aus mehr als 20 Ländern, zumeist Mitglieder der dortigen Ästhetik-Gesellschaften, um in Tokio sowohl signifikante Resumées über das vergangene Jahrtausend als auch ausgehend von zeitgenössischen Standortanalysen wegweisende Perspektiven auf kommende Zeiten zu entwerfen. Die Vielfalt der über 70 Beiträge von Philosophen, Ästhetikern, Kunsthistorikern und Kritikern, Musik- oder Theaterwissenschaftlern und vielen mehr unterlief zugleich sinnvoll eine mit dem bestimmten Artikel im Titel suggerierte Einheit von 'Ästhetik'-Verständnissen, wenngleich in der Tat für eine Vielzahl der vorwiegend nicht europäischen Teilnehmer das theoretische Interesse 'am Schönen' verbindend zu sein schien; auch in dem Sinn, dass es sowohl als wesentliches Moment ästhetischer Theorien nicht die gleiche problematische Stellung hat wie im durch ein Zeitalter der Aufklärung geprägten westlichen Raum, dessen Zweifel u.a. an einem Bedenken der 'Nicht-mehr-Schönen-Künste' explizit wird. Im östlichen Denken scheint sich hingegen mit dem Schönen eine verbindende Konstante ästhetischer Reflexion zu finden, die immer wieder auch den Kontakt zu den praktischen Umsetzungen von Kunst sucht, wie dem Gartenbau, der Architektur, aber auch in Formen des Alltags und in der Kunst, die gerade in Asien eine besondere fruchtbare Symbiose praktisch und theoretisch eingegangen sind. So war der Eröffnungsvortrag des Präsidenten der japanischen Gesellschaft für Ästhetik, Ken-ichi Sasaki, in seiner Auflistung von einer 'Wissenschaft vom Schönen', einer 'Schönheit der Kunst', einer 'Schönheit als Form des Körpers oder Leibes' oder dem Zusammenhang von Glück und Schönheit durchaus bezeichnend für eine Exponierung des Schönen auf diesem Kongress. Die unproblematische Voraussetzung des Schönen als theoretische Grundlinie bildete einen Kontrast zum außerasiatischen Standpunkt. In Sasakis Frage nach einer Ästhetik als Philosophie vom Menschen, stand mit dem Schönen, - ähnlich wie bei Kant - die Frage nach dem guten Verhältnis zur Welt zu Gebote und damit die auch für westliche Philosophien in den letzten 20 Jahren wieder populär gewordene Lebenskunst, eine 'Aesthetic of Life', die zugleich als 'Art as Praxis' im 'Way of Life' gesehen werden kann. Von hier aus war nicht nur ein - wenngleich unerwähnter - Bezug zu modernen pragmatistischen Ästhetik-Theorien gegeben (wie bspw. der von Richard Shusterman), sondern zugleich auch eine allgemeine Aktualität und Relevanz der ästhetischen Frage, kurz: der Ästhetik überhaupt erwiesen. Neben konkreten Beiträgen zur Kunst, Literatur, moderner Musik, Butoh-Tanz, Ballett, Musical, Comic, Videokunst und anderem, die kaum ein ästhetisches Bedürfnis unbefriedigt ließen, bildeten philosophie-historisch orientierte Beiträge zur philosophischen Ästhetik, wie z.B. zu Schiller oder Hegel (Tanehisa Otabe), aber auch systematische Erörterungen oder Begriffs-Diskussionen um den sensus communis und das ästhetische Urteil (Suzanne Foisy), generelle Überlegungen zur Gültigkeit ästhetischer Kategorien (Ulrich Pothast), und auch Beiträge, die gleichsam die inneren Bedingungen des Kongresses selbst reflektierten: wie die Vorträge zur Notwendigkeit einer differenzierten komperativen Ästhetik (Eberhart Ortland, Rolf Elberfeld, Parul Dave-Mukherji) oder dem Verhältnis von Kunst und Ästhetik (Frauke A. Kurbacher) einen weiteren Schwerpunkt. Dabei war zu beobachten, dass vor allem solche übergreifenden Fragestellungen vom internationalen Publikum wahrgenommen wurden, während wohl die Mehrzahl der Sektionen in den jeweilig gewohnten theoretischen, regionalen Kreisen und Forschergemeinschaften stattfanden. Nur bei wenigen, die in verschiedenen disparaten Diskursen zuhause sind, kann vielleicht im eigentlichen Sinn von einem wirklichen Austausch der Kulturen gesprochen werden. Gerade aber die immer noch bestehende überschneidungslose Parallelität der Diskurse zeigt die Notwendigkeit solcher Weltkongresse. Und insofern zeigt sich eine Wichtigkeit solcher Veranstaltungen schon in der bloßen Möglichkeit, beispielsweise einen in deutsch gehaltenen Vortrag über die bedenkenswerten Ausführung des japanischen Philosophen Kitaro Nishida (Nobuyuki Kobayashi) geboten zu bekommen, oder feministische Blicke auf moderne Kunst aus chinesischer Perspektive (Eva Kit Wah Man) oder darin, an Überlegungen zum Postkolonialismus aus indischem Blickwinkel partizipieren zu können. In diesem Sinne hat die Kongressleitung auch ein Gutes an ihrem vielfältigen Rahmenprogramm getan, das den Austausch verschiedener Forscher und Gelehrter wie dem Einblick in die japanische Kultur und Denkungs- und Lebensart mit Kalligraphie-Workshops, Teezeremonien, einem Konzert mit zeitgenössischer japanischer Musik und ihrer westlichen Rezeption konfrontierte, und über kulturelle Stadttouren bis hin zu einem Festbankett mit Sushi und traditioneller Musik den Kongress nicht nur ein Denken über Ästhetik sein ließ, sondern selbst zum ästhetischen Erlebnis machte. Aus der kaum zu fassenden inhaltlichen und quantitativen Fülle der Themen, kann ich nur Weniges benennen und muß zwangsläufig selektieren. Die folgenden Bemerkungen können nicht einmal das Spektrum europäischer oder auch nur deutscher Beiträge annähernd fassen, die neben dem Einfluss Nietzsches auf die postmoderne Ästhetik (Maria Helena Lisboa da Cunha), postmoderne Positionen und Heidegger (Michaela Ott) oder dem Zusammenhang Heideggers und Adornos (Heinz Paetzhold, Jos de Mul u.a.), Aspekten der Räumlich- und Leiblichkeit oder der Bild- und Wahrnehmungstheorie (Eva Schürmann) allein Stoff für weitere Tagungen lieferten. Vor diesem und vielleicht auch dem außereuropäischen Hintergrund fiel als eine Spezifität deutscher Beiträge, die hier durchaus exemplarisch für eine Standortbestimmung deutscher zeitgenössischer Ästhetik genommen werden kann, ihr weitgehend unreflektiert gebrochenes Verhältnis zur Ästhetik als philosophischer Disziplin auf. Im Vergleich zu Wolfhart Henckmann, der in seinem gewichtigen Beitrag bereits auf immanente resistente Problemgehalte der Ästhetik seit ihrer Entstehung mit Baumgarten verwies und denselben noch vorsichtig mit dem Hiatus zwischen einer Ästhetik als 'Theorie der freien Künste' in Analogie des 'vernünftigen und freien Denkens' benannte (mit der er dann eine Reihe über Baumgarten zu Dilthey und Adorno aufmachte), zeigten sich die durchaus treffenden und spannenden Beiträge von Lothar Knatz, Ulrich Pothast und Wolfgang Welsch diesbezüglich weniger problembezogen. Hier fanden Vermischungen zweier ästhetischer Traditionen statt, die bis heute undifferenziert in zeitgenössischer Ästhetik Probleme bereiten. Während sich zwar die Ästhetik als Disziplin und begrifflich Baumgartens Philosophie verdankt, ist doch zugleich die Modernität und Aktualität von Ästhetik letztlich auf die bei Kant entwickelte Autonomie der Ästhetik, respektive des Geschmackurteils zurückzuführen. Dieser Ansatz aber verweist - im Gegensatz zu Baumgarten - letztlich auf eine subjektphilosophische Position. In dieser Fassung und diesem Verständnis ist Ästhetik bis hin zur gänzlichen Abkoppelung von traditionellen ästhetischen Fragestellungen um das Schöne, sinnliche Erkenntnis, Kunst-Erlebnis und ästhetische Erfahrung vor allem in den letzten 20 Jahren in ästhetischer und postmoderner Theorie relevant geworden. Damit aber läuft sie Gefahr, wie z.B. in den scharfsinnigen Überlegungen von Knatz zur ästhetischen Subjektivität der Moderne, unreflektiert bloßes Derivat von Subjektphilosophie zu werden oder ein Reservat des Menschlichen wie in Welschs Überlegungen zu 'Arts and Inhuman', zu Kunst und Natur, zu Humanem und Inhumanem und Transhumanem, die bei aller Postulierung einer immer schon bestehenden Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung sich doch mit einem Theorem der Selbstverständigung über Kunst auf die Seite eben jener aus ästhetik-theoretischer Seite problematischen Subjektphilosophie schlagen. In diesem Sinn ist es meiner Auffassung nach - die 'Pothastsche Skepsis' gegenüber unbegrenzter Gültigkeit ästhetischer Kategorien nutzend - wieder wichtig, über die Grenzen von Kunst zu sprechen, um am konkreten Beispiel die Differenzen, nicht nur von ästhetischem und subjektphilosophischem Diskurs herauszuarbeiten, sondern auch die einer Subjektphilosophie, die gerade im Verhältnis zu der radikalen Andersheit von Kunst bestehen, die ihrerseits allenfalls in ein Analogie-Verhältnis zu bringen ist. Nur in einer jeweiligen Autonomie dieser beiden Diskurse kann ihre jeweilige Relevanz für einander gewahrt bleiben. Im Rahmen einer solchen Differenzierung des ästhetischen und des subjektphilosophischen Diskurses wären dann noch einmal erneut Blicke auf subjektferne oder subjektkritische ästhetische Theorien Nietzsches, Heideggers und postmoderne Ansätze zu werfen, deren theoretischer Zusammenprall vielleicht eher einem Dissenz in der Subjektauffassung zuzuschreiben ist. Diese in der Subjektpositionierung gründenden Divergenzen wären allerdings mittels einer Charakterisierung und Analyse dieser Unterschiede dann im Hinblick auf Unterschiede der ästhetischen Theorien allererst noch zu erörtern.
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