01. Dezember 2022

Liebe Leserinnen und Leser,

noch immer beschäftigen uns die Nachwehen der documenta fifteen und die sich daraus ergebenden bzw. nicht gezogenen Schlussfolgerungen. Keine Konsequenzen ziehen will jedenfalls die Kirchengemeinde in der Lutherstadt Wittenberg, die nun trotz aller neuen Erkenntnisse und gesellschaftlichen Entwicklungen beschlossen hat, es beim Alten zu belassen, sprich, die inkriminierte „Judensau“ als unverzichtbaren Teil kirchlicher Verkündigung(sgeschichte) zu erhalten bzw. nur zu kommentieren. Wie in einem Spiegel bekommt man so einen Einblick in das gemeindlich weiterhin ungeklärte Verhältnis zum Judentum, das es Gemeinden zu erlauben scheint, sich zwar vom Antisemitismus zu distanzieren, aber den Bildern, die diesen repräsentieren weiterhin Gastraum zu gewähren und sich ihnen damit auszusetzen. So hat man keine / seine Erkenntnisse aus Kassel gezogen. Es scheint also etwas anderes zu sein, ob eine indonesische Kunstgruppe etwas macht oder eine deutsche Kirchengemeinde. Der Konflikt ist damit aber noch nicht befriedet, denn so lange diese wirkmächtigen Bilder und Inszenierungen weiter an und vor allem auch in(!) den Kirchengebäuden hängen, wird und muss es immer wieder Debatten geben. Nachdem der Senior-Herausgeber dieses Magazins lange Zeit für die Musealisierung des inkriminierten Objekts in Wittenberg plädiert hatte, hat er nun seine Meinung geändert. Er schließt sich der Äußerung von Bischof Ralf Meister an, dass der beste Weg der demonstrative und bewusste Ikonoklasmus wäre. In einem symbolischen Prozess sollte sich die evangelische Kirche von dieser Skulptur lossagen. Die Bibel kennt einige Beispiele für diesen Akt – er ist weder prinzipiell barbarisch noch historisch überholt. Schon 1975 schrieb der Kunsthistoriker Horst Bredekamp: „Einzig dem Kunstschaffen selbst den Glanz großer menschlicher Leistungen zusprechen heißt, die ungeheuren Anstrengungen, die zum theoretisch abgesicherten und (oder) sozialrevolutionären Bildersturm führten, unterschätzen. Die bilderstürmerischen Theorien gehören zu den großen geistigen Hervorbringungen ihrer Zeit, und die Formen ihrer praktischen Übersetzung waren so vielfältig und originell wie die Impulse, die zur Herstellung der Bilder nötig waren: Bildersturm konnte ebenso schöpferisch sein wie Bildproduktion.“ (Bredekamp, Kunst als Medium sozialer Konflikte).

Zu etwas anderem: Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik hat nach einigen Jahren der Abstinenz nun wieder einen Blog eröffnet, in dem in regelmäßigen Abständen aus der aktuellen Arbeit berichtet wird. Dort halten wir fest, womit wir uns auseinandersetzen, was uns aufgefallen ist, aber auch, woran wir uns stoßen. Dieser Blog ist noch in den Anfängen, aber er wird nach und nach erweitert werden. In jedem kommenden Heft werden wir die wichtigsten Blog-Einträge zum Nachlesen in einem Text zusammenfassen. Das führt natürlich zu einigen Überlappungen zu den Haupttexten im Heft, aber manche Ereignisse bedürfen der aktuellen Kommentierung und können nicht zwei Monate auf die Publikation im Magazin warten, weil die Ökonomie der Aufmerksamkeit eine andere ist. Deshalb die Rückkehr zum aktuelleren Blog.

Dieses Jahr 2002 ist – der Pandemie und den aktuellen Ereignissen geschuldet – für das Theomag ein Jahr im Krisenmodus gewesen. Wir hatten uns so viel vorgenommen und sind im Elementaren zwar nicht gescheitert, aber doch erheblich gebremst worden. Für die Mitarbeitenden waren die letzten Jahre kräftezehrend, denn das Magazin ist ja vollständig ehrenamtlich und wird in der Freizeit erstellt. Jene Kollegen und Kolleginnen, die auch im journalistischen Bereich tätig sind, wissen, was es bedeutet, alle zwei Monate ein Magazin mit 100 bis 150, ja manchmal sogar 200 Seiten auf die Beine zu stellen. Und was es heißt, wenn die Pandemie dann doch mal zuschlägt oder Mitarbeitende sich verstärkt an anderer Stelle engagieren müssen. Auf der anderen Seite sind die Rückmeldungen aber auch so ermutigend, dass wir dieses Projekt auch im 25. Jahr nicht aufgeben wollen, selbst wenn sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Früher, als das Netz noch nicht von Publikationsplattformen überfüllt war, war es leichter, nicht nur Autor:innen zu gewinnen, sondern auch Aufmerksamkeit zu erhalten.

Ursprünglich hatten wir für dieses Jahr auch eine Festschrift für unseren Mitherausgeber Wolfgang Vögele geplant. Seit der Magazinausgabe 82 zum Thema „Religion und Politik“ hat Wolfgang Vögele, wenn mich die redaktionsinterne Datenbank nicht trügt, sage und schreibe 86 Artikel zu diesem theo-ästhetischen Projekt beigesteuert. Dabei ist das Spektrum seiner Erörterungen außerordentlich breit: von der Kunstausstellung über zahlreiche Literaturbesprechungen, die Vorstellung von Opernaufführungen, detaillierten Song-Analysen (Leonard Cohen – Ausgabe 96), cineastischen Reflexionen bis zu komplexen theologischen Beiträgen zum Abendmahl (Ausgabe 109), zur theologischen Kultur des Digitalen (Ausgabe 112), zur Theologie des Flaneurs (Ausgabe 120) bis zur öffentlichen Theologie (Ausgabe 127) reichen die Beiträge. Von sich selbst hat er etwas in den theologischen Biographien (Ausgabe 129) kundgetan. Ohne Wolfgang Vögele wäre das Magazin für Theologie und Ästhetik inzwischen nicht mehr denkbar. Er füllt die theologische Lücke, die dort entsteht, wo der Senior-Herausgeber des Magazins sich allzu oft allein auf die Kultur bzw. die Bildende Kunst fokussiert. Aber tà katoptrizómena ist eben auch ein Magazin für Theologie und die gesamte Breite der Kultur. Nicht nur deshalb sind Wolfgang Vögeles Beiträge unverzichtbar. Ich danke ihm für all sein Engagement und seine unendlich geduldige Bereitschaft, für das Magazin etwas zu schreiben. Leider haben es widrige Umstände verhindert, dass wir 2022 die ihm gebührende Festschrift erstellen konnten. So ist es dann doch ein „normales“ Heft geworden, das wir in der Gänze Wolfgang Vögele widmen.

In der Rubrik VIEW versucht Andreas Mertin eine Metapher des Philosophen und Schriftsteller Günther Anders auf das aktuelle Verständnis von Bildender Kunst anzuwenden Über Raupen und Schmetterlinge geht sein Beitrag und ganz im Sinne von Joseph Beuys meint er: jede Raupe ist ein Schmetterling. Jörg Herrmann nutzt eine Neuerscheinung zum Thema „Ästhetik und Religion im Film“, um grundlegende theologische und religionsphilosophische Perspektivierungen zur Bedeutung des Kinos, genauer: des Films vorzulegen. Exemplarisch setzt sich Andreas Mertin dann mit der verstärkt zu beobachtenden Tendenz in Zeitschriften und Medien auseinander, ihre Artikel mit Bildern mittels simpler Stichworte aus Bilddatenbanken zu garnieren, die Bilder dabei sogar willkürlich zu beschneiden und ihren ursprünglichen Kontext auszublenden.

In den CAUSERIEN zürnt Andreas Mertin über die ikonoklastischen Aktionen der „Letzten Generation“ und meint im Anschluss an Moses Mendelssohn, darin eine grundsätzliche Verkürzung von Bildung auf Aufklärung zulasten von Kultur erkennen zu können. Darüber hinaus skizziert ein weiterer Artikel einige Episoden aus dem Leben des Hl. Martin, die so gar nicht in unsere Zeit zu passen scheinen, in der Pazifismus zum Schimpfwort geworden ist. Der heilige Martin aber war, ob es nun passt oder nicht, durchaus Pazifist. Gefeiert wird er dafür heute nicht, sondern „nur“ für das Mantelteilen.

Unter RE-VIEW finden die Leser:innen kurze Hinweise auf einige aktuelle theologische und gesellschaftspolitische Neuerscheinungen.

Unter POST betrachtet Andreas Mertin Taylor Swifts neues Video zu „Anti-Hero“ und meint, auch diese dürfe sich einmal „so richtig auskotzen“.

Und schließlich fasst die neue Rubrik THEOMAGBLOG die Blogeinträge der letzten zwei Monate zusammen.

Für dieses Heft wünschen wir eine erkenntnisreiche Lektüre!

Andreas Mertin und Wolfgang Vögele
in Verbindung mit
Karin Wendt, Jörg Herrmann und Horst Schwebel


Planungen 2023

In der Ausgabe 141, die Anfang Februar erscheint, wollen wir uns damit beschäftigen, welche Theologie wir persönlich treiben, was uns theologisch inspiriert und bindet (oder ob wir auf die Theologie ganz verzichten können).

In der Ausgabe 142, die im April erscheint, fragen wir nach den persönlichen Playlisten der Autor:innen bzw. Leser:innen im Bereich von Art & Culture: was sind wichtigste, inspirierende, wirkungsmächtigste Beiträge in Kunst, Literatur, Musik, Kino etc.?

Ausgabe 143 fragt nach den Voraussetzungen des Verstehens von Kultur, nicht nur in soziokultureller Perspektive. Was muss man einbringen, um mit Kultur umgehen zu können, was müssen Institutionen leisten, wenn sie Kunstwerke nicht nur als petrifizierte Objekte der Geschichte präsentieren wollen?

Magazinausgabe 144 beschäftigt sich im August mit der Frage, wie es im Alltag der Kirche gelingen kann, Bilder angemessen zur Sprache zu bringen, also sie nicht als Illustration vorgängiger theologischer bzw. biblischer Texte zu missbrauchen, sondern ihre Eigensprachlichkeit zu Wort kommen zu lassen.

Ausgabe 145 wird im Oktober dann rund um das Thema Kino und Film kreisen. 

Das Thema der Ausgabe 146 im Dezember 2023 haben wir noch nicht festgelegt, die Redaktion nimmt gerne Anregungen der Leserinnen und Leser entgegen.

Falls Sie zu einem der geplanten Hefte einen Beitrag liefern möchten, setzen Sie sich gerne mit der Redaktion in Verbindung. Haben Sie Verständnis dafür, dass nicht immer alles in jedes Heft passt, aber wir freuen uns auf Beiträge die zum Konzept dieser Zeitschrift passen.


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