Playlist Sci-Fi-Kurzfilme

Andreas Mertin

Gerade wollte ich mit meiner Playlist „Sci-Fi-Kurzfilme“ loslegen, da stellte ich fest, dass ich etwas Ähnliches schon einmal im Magazin für Theologie und Ästhetik aufgestellt hatte. Vor zwei Jahren habe ich unter der Überschrift „Utopie und Dystopie. Oder: Wovon träumen eigentlich Sci-Fi-Filmer?“ eine zumindest sechs Positionen umfassende Liste vorgestellt. Die wiederhole ich jetzt nicht, sondern setze neu an und stelle zehn weitere Kurzfilme vor, das Genre ist ja beinahe unerschöpflich.

Eine Möglichkeit dazu bietet DUST, ein Sci-Fi-Kurzfilm-Kanal auf Youtube, der regelmäßig neues Material vorstellt. Es gibt darüber hinaus aber noch ähnliche Kanäle auf Youtube. Meine Auswahl ist dabei insofern willkürlich, als ich jene Filme vorstelle, die mir beim kursorischen Betrachten aufgefallen und im Gedächtnis geblieben sind.

Anders als bei der Bildenden Kunst oder den Musikvideos bin ich kein Experte auf diesem Gebiet. Ich sehe sie nur als Potential an, mit dem man sich auch in religiöser Perspektive gut auseinandersetzen kann. Im Zentrum der Liste stehen dabei solche Arbeiten, die ohne religiöse Intentionen in aller Säkularität entstanden sind, auf die aber religiöse Deutungen und religiöse Fragestellungen angewendet werden können. Es ist also weniger eine Playlist, als ein Versuch, auf ein interessantes kulturelles Phänomen hinzuweisen. Vorab aber noch zwei Vorbemerkungen, zum einen zur Exo-Theologie, zum anderen zur medienpädagogischen Technik.


Theologische Vorbemerkung

Die Vorstellung, dass diese Welt nicht die einzige ist, auf der es Leben gibt, und eben auch intelligentes Leben geben könnte, hat die Menschen seit dem Zeitpunkt beschäftigt, seit dem ihnen bewusst wurde, dass nicht alles da draußen nur um die Erde kreist. Wenn das aber so ist, so hat das extreme theologische Auswirkungen. Wenn es auf fernen Welten auch menschenähnliche Wesen gibt, sind sie dann auch erlösungsbedürftig, oder gilt das Heilshandeln Gottes an den Menschen auf der Erde auch für sie? Denn grotesk wäre ja die Vorstellung, Christus müsste auf jeder dieser Welten den Kreuzestod sterben, er würde so zum Schmierentheater. Schon Philipp Melanchthon, darauf hat Christian Weidemann in seinem Theomag-Artikel „Starb Jesus auch für die Bewohner fremder Welten?“ hingewiesen, hat 1549 zu dem Problem Stellung bezogen. Ich zitiere Melanchthon nach dem Artikel von Weidemann:

„Der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, ist ein einziger, der, nachdem er in dieser Welt erschienen war, nur einmal gestorben und auferstanden ist. Nirgendwo anders hat er sich gezeigt, nirgendwo anders ist er gestorben oder auferstanden. So ist es unvorstellbar, dass es viele Welten gibt, weil es weder vorstellbar ist, dass Christus mehrmals gestorben und auferstanden ist, noch denkbar, dass in irgendeiner anderen Welt ohne Bekanntschaft mit dem Sohn Gottes den Menschen das ewige Leben zurückgegeben wird. Auch wenn diese Argumente nicht physikalischer Art sind, so müssen wir sie doch berücksichtigen, damit nicht viele Welten erdichtet, noch andere Religionen oder eine andere Menschengattung erträumt werden.“

Das ist eine sehr klare Ansage, die aber nicht wirklich zufriedenzustellen vermag. Sie fegt die Infragestellung schlicht vom Tisch. Damit ist sie aber eben nicht beantwortet. Sie bestätigt eher die Vermutung, die Hans Blumenberg in seinem Buch „Die Vollzähligkeit der Sterne“ am Ende seiner Reflexionen zur Exotheologie geschrieben hatte: „Die Erfüllung der Hoffnung auf interstellare Kommunikation müsste dem Christentum wie jeder Religion den Garaus machen.“ (150) Denn wenn „der Gottessohn durch seine terrestrische Menschwerdung ein für allemal geschichtlich geworden und festgelegt ist, kann er nicht durch einen vergleichbaren Akt noch andere Sünder auf anderen Gestirnen auf gleiche Weise dem Unheil entreißen.“ (148) Jedoch, darauf hatte Blumenberg zuvor verwiesen, kommt es anders als bei der Exobiologie bei der Exotheologie gar nicht auf die reale Begegnung mit extraterristischen Vernunftformen an. Während Exobiologen nur auf das Ereignis warten müssen, stellt sich für Theologen die Frage dringlicher. Sie müssen heute schon aus dogmatischen Gründen eine Antwort geben, wie sie sich zur rein theoretischen Möglichkeit verhalten: die Theologie muss „schon jetzt auf den Konjunktiv der Frage ohne Nachlass eingehen, was es bedeuten würde, wenn die Exobiologie eines Tages Grund bekäme, zur Exoanthropologie zu werden.“ (149) Die Diskussion um die in Science-Fiction-Filmen gestellten Fragen gehen also an den Kern christlicher Theologie. Und das ist, so habe ich schon vor Jahren geschrieben, der Grund, warum es in der Gegenwart so viel Spaß bereitet, Exotheologie zu betreiben.


Technische Vorbemerkung

An dieser Stelle füge ich nur kurz einige technische Hinweise ein für die, die diese Playlist produktiv nutzen wollen, sei es in der Gemeinde, in der Schule oder in der Erwachsenenbildung (da meldet sich der Medienpädagoge in mir).

Wem es nur um die Filme geht, kann gleich zum ersten Film in der Playlist springen.

Wenn man sich intensiver mit einem Video beschäftigen möchte, ist es sinnvoll, die Datei auf der eigenen Festplatte abzuspeichern. Denn spätestens dann, wenn man kleinste Veränderungen im Bild oder bestimmte Schlüsselszenen untersuchen will, oder einen Screenshot einer Szene anfertigen möchte, ist es sinnvoll, dies nicht online, sondern offline zu machen. Die Möglichkeiten sind einfach besser. Für den Download der Videos von Youtube nutze ich persönlich den 3D Youtube Downloader, der es einem ermöglicht, schnell die Videos in der gewünschten Qualität herunterzuladen. Darüber hinaus ist mit dem Programm auch die Untertitelung der Videos greifbar.

Ansonsten können diese über die Adresse downsub.com abgerufen werden. Die Zugriff auf die Untertitel ist deshalb sinnvoll, weil so auch die zugrundeliegenden Texte und Worte besser untersucht werden können. Insofern es keine deutschsprachigen Untertitel gibt, fertig das Programm eine automatische (und entsprechend fehlerbehaftete) Übersetzung an.

Als Medienplayer nutze ich den VLC-Player, der es mir auch ermöglicht, schnell einen Screenshot aus einem Video anzufertigen (geht ganz schnell mit der Tastenkombination Shift+S) oder eine Szene in extremer Verlangsamung abzuspielen. Natürlich gibt es hunderte alternativer Medienplayer, für mich ist es eher die Macht der Gewohnheit, die mich zum VLC-Player greifen lässt.

Und komplexere Bearbeitungen nutze ich noch einen Video-Editor, der es mir ermöglicht, auch einmal zwei Videoszenen für einen Vergleich nebeneinander zu stellen. Hier greife ich auf den VSDC Free Video Editor zurück, der m.E. relativ einfach zu bedienen ist und wie alle anderen zuvor vorgestellten Programme Freeware ist.


1.    Hard Reset – 2016 – 38 Min. (auf Youtube)

Dieses Video ist eine Hommage an den Filmklassiker Blade Runner. Am Anfang sehen wir ein junges Pärchen im Gespräch. Er sagt zu ihr: „Wenn du überall sein könntest, wo würdest du gerne sein? Für mich ist es direkt vor diesem Fenster. Der Ozean, der Nachthimmel, das Mondlicht. Das ist perfekt. Es ist wunderschön. Was ist das Paradies für Dich?“ Und sie antwortet: „Es ist dort, wo Du es willst. Wo willst Du es?“. Und so wird deutlich: sie ist eine Maschine, dazu konstruiert, Menschen Vergnügen zu bereiten. Die männliche Figur, Detektiv Miles Archer, jagt dagegen Androiden mit Fehlfunktionen, ähnlich wie sein Vorbild Rick Deckard aus Blade Runner. Im Laufe des Tages muss Archer jene Androidin jagen, die gerade noch seine Geliebte war. Sie hat in der Zwischenzeit ein Update bekommen, das es ermöglicht, die Grenze zwischen Androiden und Menschen aufzuheben. Was bedeutet das jedoch? Androiden sind stärker, schlauer, schneller. Würden sie, wenn sie künstliche Menschen werden, die organischen Menschen töten? Der Mensch ist nur Staub und endlich, die Maschinen leben ewig. Was bedeutet das für die Sterblichen? Detektiv Archer stößt auf ein menschliches Mordopfer in Gesellschaft der ihm schon bekannten Androidin. Ist der Mord nur eine Fehlfunktion, muss man die KI eliminieren oder nur neu starten, einen Hard Reset durchführen? Das ist die Frage und Miles Archer muss sie entscheiden ...


2.    A crimson man – 2017 – 22 Min. (auf Youtube)

In einem vom Krieg zwischen Menschen und Robotern zerrissenen Land muss sich ein junger entlaufener Sklave, der seinen Vater sucht, mit einem zerbrochenen und von Schlachten gezeichneten Kriegsroboter namens „Red“ verbünden, um seinen brutalen Aufsehern zu entkommen. Das zentrale Thema ist: wenn Mensch und Maschine (eine zum Selbstbewusstsein gekommene Robotereinheit) beide in eine ausweglose Lage geraten, können sie sich dann vertrauen?

Irgendwie sind ein kleiner entlaufener Sklavenjunge und ein überlebender Roboter aus den Mensch-Maschine-Kriege zusammengekommen und haben eine Vereinbarung getroffen, sich zu helfen. Dieser Frieden ist aber fragil, noch nicht gesichert, er muss ständig neu ausgehandelt werden. Verfolgt werden sie von einer Macht, die den Jungen wieder einfangen will und über viel Technik verfügt: Luftschiffe, Boote, Kontrollpunkte, Suchmannschaften. Aber die beiden Flüchtenden können ihnen immer wieder entkommen. Dann aber müssen sie eine Küstenwache ausschalten und es kommt zur Bewährungsprobe. Wer kann wem vertrauen? Und sie müssen erkennen: am Ende hat jeder nur den anderen – und sonst niemanden. Der Schluss ist dann etwas pathetisch, aber was soll’s.


3.    A Date in 2025 – 2017 – 14 Min. (auf Youtube)

In „A Date in 2025“ wird das Leben des Protagonisten Daniel durch die smarte Technologie „Councellor“ gesteuert. Er ist so zufrieden mit ihr und seinem von ihr gesteuerten Leben, dass er seit 1½ Monaten seine Wohnung nicht mehr verlassen hat. Die smarte Technologie errechnet nun, dass, wenn er sich nicht mit anderen trifft, die Wahrscheinlichkeit eines Suizids steigt. Er muss also ein Mädchen daten – meint sie.

Tatsächlich hat er, wie sie weiß, von einem Mädchen aus seiner (virtuellen) Klasse geträumt. Und die KI überredet ihn, das schützende Heim zu verlassen und das Mädchen in der Realität zu treffen. Am Ende des Kurzfilms unterhalten sich die smarten Technologien darüber, wie sie es geschafft haben, ihre Menschen zu diesem Date zu überzeugen. Ihnen erscheinen die Menschen als Haustiere: I love our little Pets sagt am Ende die eine KI zur anderen.


4.    Wire Cutters – 2014 – 9 min. (auf Youtube)

“Wire Cutters” handelt von einem kleinen Minenroboter auf einem fernen Planeten, der wertvolle Mineralien sucht. Regelmäßig muss er seinen Akku aufladen, dafür lässt er ein Segel in die Luft steigen, welches ihn vorwärts zieht und den Akku lädt. Dann trifft der kleine Roboter auf einen konkurrierenden Roboter, der größer, robuster, aber auch dümmer ist. Da stellt sich die Frage: wie damit umgehen? Konkurrieren, kooperieren, intrigieren, imitieren? Der kleine Roboter entscheidet sich für Kooperation: er verfügt über das Wissen in welchen Steinen die Mineralien verborgen sind, der andere über die Kraft, diese zu zerschmettern. Der Ertrag wird geteilt – bis, ja bis einmal die Zahl der zu verteilenden Steine ungerade ist und der kleine Roboter sich selbst bevorteilen möchte. Und schon ist die Solidarität zu Ende. Es entsteht eine Kain-und-Abel-Situation, der Große erschlägt den Kleinen beinahe und setzt sich in den Besitz des Minerals. Als er es einsacken will, verbindet der Kleine ihn mit dem Segel, entreißt ihm die Mineralien, und der große Roboter wird Richtung Himmel gezogen. Glücklich kehrt der kleine zurück zu seinem Mineraldepot. Plötzlich meldet sich sein Akku und will aufgeladen werden, aber das Segel ist nicht mehr da ...


5.    Bad Peter – 2018 – 9 Min. (auf Youtube)

In „Bad Peter“ überwacht eine smarte Technologie eine Schwangere für eine komplikationslose Geburt. Sie weiß genau, was gut und was schlecht während einer Schwangerschaft ist und mittels eines elektrischen Halsbandes, das die werdende Mutter einmal umgelegt hat, ‚mo-tiviert‘ sie die Frau zu ihrem angeblichen Besten. Dabei geht sie der Frau ziemlich auf den Nerv, Ausnahmen von den aufgestellten Regeln werden nämlich nicht toleriert und gnadenlos bestraft. Und dann will die KI auch noch einen passenden Lebenspartner für sie aussuchen. Irgendwann zerstört die schwangere Frau die smarte Technologie, weil sie sie immer wieder und immer drastischer quält. Aber dann bekommt sie einen Anruf, der sie auf die Folgen eines Lebens jenseits der smarten Technologie hinweist: Aggression, Lethargie, Depression. Dann doch lieber zurück zu den Fleischtöpfen der KI, das heißt zur Kontrolle durch die smarten Technologien.


6.    The Black Hole – 2015 – 3 Min (auf Youtube)

Ganz ohne Text kommt dieses kleine Juwel aus. Ein seiner tristen Tätigkeit überdrüssiger Büroangestellter muss noch einige Kopien anfertigen. Aber sein Drucker scheint nicht zu funktionieren. Nur ein Blatt mit einem tiefschwarzen runden Kreis produziert er. Durch Zu fall stellt der Büroangestellte fest, dass in den schwarzen Kreis Gegenstände verschwinden können, aber nicht soweit, dass man sie durch Nachgreifen nicht wieder aus dem schwarzen Loch herausholen könnte. Das macht dieses schwarze Loch natürlich für Vielerlei interessant. So kann man sich Snacks kostenlos aus dem Automaten holen oder Türen öffnen, die von der anderen Seite verschlossen wurden. So kommt man auf Ideen. Etwa einen Banktresor auszuräumen. Und dann kommt die Gier: Hat man auch alles ausgeräumt, die letzte Note erwischt? Besser noch mal genau nachschauen – aber besser nicht zu genau, sonst kommt man aus dem Loch nicht mehr heraus …


7.    Thanks for the memories – 2019 – 11 Min. (auf Youtube )

Erfahrung ist alles steht auf einer überdimensionalen elektronischen Anzeigetafel. Aber stimmt das auch? Joel Fink jedenfalls findet sich kurz darauf in einem Reisebüro wieder, wo ihm die Reise seines Lebens angeboten wird - alles, was er sich nur wünschen kann. Es kostet ihn keinen einzigen Cent, aber es gibt einen Haken: Er wird sich an nichts erinnern, wenn er zurückkommt. Warum sollte das jemand tun? Die Antwort des Agenten: Es kommt darauf an, was Sie mehr schätzen, Erinnerungen oder Erfahrungen? Die Erfahrungen, die Joel macht, sind reale Erfahrungen, die Erinnerungen daran tritt er freilich ab. Was soll er also machen? Joel entscheidet sich für: die Erfahrungen. Erst als der Agent die Akte von Joel öffnet, sehen wir, dass es nicht die erste Reise ist, auf der er war. Und es wird – so legen es die Schluss-Szenen des Videos nahe, auch nicht seine letzte Reise sein. Sein Leben erschöpft sich in Erfahrungen, ohne diese jemals in Erinnerungen zu verwandeln und damit auch Sinn in seinem Leben zu gewinnen.


8.    Corrections – 2017 – 17 Min. (auf Youtube)

In einem Gefängnis der Zukunft werden Insassen nicht jahrelang eingesperrt, sondern einer beschleunigten Simulation unterworfen, die es ihnen ermöglicht, ihre gesamte Haftstrafe in wenigen Tagen zu verbüßen. Was diese Insassen nicht wissen, ist, dass sie vor ihrer Freilassung eine 'Bewährungssimulation' durchlaufen, die ihre moralische Entschlossenheit auf die Probe stellt. Auf diese Weise werden nur die als 'korrigiert' betrachtet und wieder in die Gesellschaft entlassen, die sich geändert haben. Cyrus, ein einsamer Bewährungshelfer, ist von Alice besessen - einer verführerischen und soziopathischen Insassin, die als nicht therapierbar erscheint. Während die meisten Insassen schnell korrigiert und freigelassen werden, hat Alice fast tausend Bewährungssimulationen nicht bestanden. Cyrus versucht Alice zu überzeugen, sich einer Prozedur zu unterziehen, die ihre Persönlichkeit radikal verändert, damit sie endlich freigelassen werden kann. Aber Alice hat ihre eigenen Pläne. Obwohl ihr Gedächtnis zwischen den Bewährungssimulationen gelöscht wird, gelingt es ihr, zu Cyrus durchzudringen. Aber wer behält letztlich die Oberhand? Das überraschende Ende sei hier nicht verraten.


9.    What if Wendy – 2017 – 14 Min. (auf Youtube)

In „What if Wendy“ überprüft die bei einem Gentechnik-Institut angestellte Wissenschaftlerin Moira Stevens durch Simulationen, wie Kinder sich wohl im Blick auf ihr Genpotential entwickeln werden, sie ruft sie als Holographien auf und unterhält sich mit ihnen und gibt dann Prognosen ab. Es ist ein relativ deterministisches Weltbild, das uns da entgegen tritt. Die Wissenschaftlerin ist ein ziemlicher Zwangscharakter, vielleicht, weil sie vor Jahren ihre Tochter Wendy durch einen Unfall verloren hat. Und da die Tochter demnächst Geburtstag hätte, kommt sie auf die Idee, sich ihre Tochter durch die smarten Technologien wiederzuholen – als holographische Projektion in verschiedenen Altersstufen. Das aber setzt alle ihre verdrängten Emotionen frei …  Trotzdem changiert der Kurzfilm zwischen Utopie und Dystopie, Hoffnung und Entsetzen, denn er zeigt Möglichkeiten (Simulation von nicht mehr Vorhandenem) und Grenzen der Technik (Nutzung zur Steuerung menschlicher Selektion).


10. Life Begins at Rewirement – 2012 – 24 Min. (auf Youtube)

Das Leben beginnt (erst) mit der Vernetzung – ein provozierender Titel. In naher Zukunft folgt das Video dem Protagonisten an dem Tag, an dem er seine nun 100-jährige Mutter Jessica ins Gateway TransCare eincheckt. Das ist eine sog. Speicher-Pflegeeinrichtung, die das menschliche Bewusstsein in elektronische Datenbanken speichert. Simon ist ein erfolgreicher Geschäftsmann mittleren Alters, der sich mit der schwierigen Entscheidung auseinandersetzt, was für seine kranke Mutter am besten ist. Nachdem Jessica vor einigen Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte, ist sie an einen Rollstuhl gebunden und kann nur über einen Text-zu-Sprache-Synthesizer kommunizieren. Sie lebt alleine und rutscht schnell in die Demenz ab. Die angespannte Beziehung der hartnäckigen und zugleich vergesslichen Mutter und ihres toughen Sohnes wird auf die Probe gestellt. Schließlich ‚gönnt‘ er ihr das beste und teuerste Paket. Das Leben beginnt mit der Vernetzung verwischt die Grenzen zwischen gewünschter Erinnerung und notwendigem Vergessen, zwischen Eltern und Kindern, zwischen menschlicher Seele und dem Geist der Technologie.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/142/am787.htm
© Andreas Mertin, 2023