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Playlist Bildende Kunst10 Kunstwerke, die mir persönlich etwas bedeutenKarin Wendt Stimmungen
Was die unpersönliche und die persönliche Playlist jedoch verbindet, ist, dass sie eine Stimmung hervorrufen und transportieren. Das macht das Nachdenken darüber so attraktiv, denn es trägt dazu bei, einen in der (eigenen) Gegenwart abzuholen; es intensiviert oder färbt das Nachdenken. Die Stimmung, die sich in einer Playlist kondensiert, bleibt jedoch unreflektiert, es sei denn, sie wird ihrerseits ausgewertet und kommentiert wie dies bei repräsentativen Umfragen in der Regel der Fall ist; zunächst ist es jedoch eher ein Grundton, den das Ranking oder die persönlichen Favoriten nicht artikulieren, sondern nur mittransportieren (und so letztlich auch für ein Profiling im Sinne der Stimmungs-Mache ausbeutbar machen). Nur Kunst und in einem gewissen Sinne auch gute Mode vermögen es, Stimmungen ohne einen externen Kommentar erkenntnisbildend zu vergegenwärtigen, emphatisch könnte man auch sagen: deren Wahrheitsgehalt erfahrbar zu machen. Dass Kunst dies vermag, hängt nun wiederum auch mit einer gleichwohl etwas anders gelagerten Stimmung zusammen. Wenn wir etwas als schön qualifizieren, urteilen wir über einen Gegenstand, ohne ihn begrifflich zu fixieren. Wir denken über die Dinge nach, indem wir mit ihnen denken, ohne dass sich ihr Sinngehalt erschöpft, ohne dass ihr Sinn in einer bestimmten Bedeutung terminiert. Nach Kant kann uns die Beschäftigung mit Kunst deshalb in diesen Prozess der andauernden Reflexion bringen, weil die ästhetische Wahrnehmung unsere Erkenntniskräfte, unsere Einbildungskraft und unseren Verstand, in eine „proportionierte Stimmung" versetzt, die wir als belebend empfinden und die wir potenziell mit anderen teilen möchten das eigene ästhetische Urteil „schön“ bedeutet immer auch zu sagen „Schau doch, wie schön das ist!“ Das Nachdenken mit und über Kunst ist also der Sache nach immer ein Reflektieren mit anderen. Die ästhetische Haltung der Erkenntnisoffenheit ist die Öffnung hin zum Anderen. Umgekehrt ist die „proportionierte Stimmung" ein Indikator dieser Haltung. Mit den Worten von Kant:
Jedes Reden und Schreiben über Kunst ist das Ergebnis einer solchen freien Reflexion oder sollte es zumindest sein , eines imaginären Gesprächs mit sich und anderen, das die Schönheit der Kunst ermöglicht und einfordert. Die nachfolgenden Betrachtungen sind ein Gang durch die abendländische Kunstgeschichte anhand von Kunstwerken, die ich persönlich besonders schön finde, deren Fragestellungen mich immer wieder beschäftigen oder deren erste Begegnung vor Ort mir in Erinnerung geblieben ist. In diesem Sinne spiegelt diese „Playlist“ Schönheit als ein Konzept der subjektiven Wahrheit und ist Stimmungsbild, Gesprächsmitschnitt und Einladung zum Gespräch in einem. 1. Tomba dei Giocolieri, Etruskische Tänzerin
Die etruskische Kunst fasziniert mich, weil sie Einflüsse der damaligen antiken Welt im Mittelmeerraum sampelt, um darüber einen eigenen lebendigen Stil zu entwickeln. Darin zeigt sich die Fähigkeit zur kreativen Assimilation, die die Kunst im Raum Italien fortan auszeichnen wird. Zugleich ist es eine Schattenwelt. Was wir bis heute über diese Kultur wissen, ist, wie in dem hier gezeigten Fries, bruchstückhaft. Weder Sprache, Religion und Kulte, noch das Weltbild oder gesellschaftliche Bräuche der Etrusker, nicht zuletzt die Frage nach ihrem Anfang, sind vollständig aufgeklärt. Wir sind ein wenig wie die Gefangenen in Platons Höhlengleichnis: wir sehen wir (nur) ihre Bilder: Malereien, die über das Leben vor und nach dem Tod reflektieren. Ausgehend von einem zentralen Tympanon, das von einem Löwen und einem Panther flankiert wird, entrollt sich der Wandfries wie eine weiße Leinwand, eingefasst von farbigen Linien und einem Sockelgeschoss. Auf der Stirnwand sieht man (vermutlich) den Verstorbenen, der der Jongleurskunst zweier Akrobaten beiwohnt, begleitet von einem Flötenspieler und weiteren Zuschauern. Auf der linken Wand finden sich in der Ecke hinter einem Baum ein Mann beim Stuhlgang, eine Inschrift, zwei Vögel im Flug, zur Hauptszene gerichtet ein Mann mit Stock, der von einem jüngeren gestützt wird, und ein Läufer, der in die entgegengesetzte Richtung läuft. Die rechte Wand zeigt vier Tänzerinnen und einen Panflötenspieler.
2. Jacopo Pontormo, Verkündigung
Anders als in den meisten Vorbildern der Renaissance hat Pontormos Verkündigungsengel keine weiblichen Merkmale, sondern wird als junger Mann ohne ausdrückliche Geschlechtlichkeit charakterisiert. Einziges Engelsattribut sind seine Flügel. Auffällig ist ein körperliches Detail: ein Fuß ist versehrt wie eine Art Klumpfuß. Dieses fällt umso deutlicher ins Gewicht, als er schwebend gezeigt wird, was die Gehbehinderung rätselhaft konterkariert. Geht man davon aus, dass es kein malerisches Missgeschick war (was m.E. nicht völlig ausgeschlossen werden kann), wie wäre es zu deuten? Pontormo, der der Theologie der Valdesianer, einer katholischen Reformbewegung, nahestand, könnte darin einen Hinweis auf das bevorstehende Leiden Jesu andeuten, dies vermutet Peter Bürger in einem Artikel für die NZZ. Was für einen Unterschied macht es, wenn der Bote, der Maria die Nachricht überbringt, dass das Kind, das sie erwartet, Gottes Sohn ist, kein „Held Gottes“ (Gabriel), sondern ein gefallener Engel war? Pontormo würde zeigen, dass dem Anfang der Erzählung vom Geheimnis der Inkarnation die Passion bereits eingezeichnet ist. Mich berührt die Haltung Marias, die Art, in der sie zurückschaut. Auch wenn diese Deixis nicht neu ist, geschieht sie mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit, in einer großen Natürlichkeit. Ich finde ihre Darstellung außerordentlich emanzipiert, man könnte auch sagen charmant. Sie ist weniger Empfangende als vielmehr aufmerksam Hörende und Sehende. Offen scheint: ist der Engel gerade erst gekommen oder sind beide schon im Begriff sich zu trennen, die Botschaft überbracht, der Fortgang ungewiss? Pontormos Spiel aus klassischem Kontrapost und manieristischer Asymmetrie erzeugt ein Momentum, das ist neu. Es kündigt sich darin gleichwohl noch weit entfernt die Moderne an. Pontormo beginnt, die Wahrnehmung der Renaissance in Frage zu stellen. Ein neuer Anfang ist gemacht. 3. Jacopo Tintoretto, Bacchus, Venus und Ariadne
In der Funktion einer politischen Allegorie verkörpert Ariadne das von den Göttern begünstigte und mit Herrlichkeit gekrönte Venedig, während die Hochzeit Venedigs Vereinigung mit dem Meer darstellt. (Engl. Wikipedia) Das Bild ist Teil eines größeren Programms, das die Regierung des Dogen Gerolamo Priuli (1486-1567) würdigte und die Republik Venedig nach außen als Zivilisation präsentierte, die ihre Vormachtstellung einzig dem Handel und ihren kulturellen Leistungen verdankt. Es hing ursprünglich in einem Vorzimmer zu den repräsentativen Räumen des Dogenpalastes, der Sala dell'Anticollegio, in dem ausländische Botschafter und Delegationen darauf warteten, vom Rat empfangen zu werden; heute befindet es sich im Vorzimmer des Plenarsaals. Ich bin auf dieses Gemälde während eines Venedig-Aufenthalts eher zufällig gestoßen. Dass es mir in Erinnerung geblieben ist, liegt nicht an dem historisch-politischen Kontext, den ich mir erst nachträglich erschlossen habe, sondern an dem überwältigenden farblichen Eindruck, den es vor Ort auf mich machte; es liegt an der Virtuosität, mit der Tintoretto die Farbe Blau auf diesem Bild zu inszenieren weiß. Variationen von Blau erfüllen den gesamten Bildraum einschließlich des Gewands von Ariadne und des Lorbeerkranzes und Lendenschurzes von Bacchus! mal opak und dunkel, mal vielschichtig moduliert, dann transparent und licht, nuanciert und zugleich von einer bodenlosen Tiefe. So entsteht ein intensives Stimmungsporträt dieser Stadt, die ohne sichtbare Verbindung zur Erde über dem Meer zu schweben scheint und deren Atmosphäre so sehr vom Wasser und vom (Sternen)-Himmel, den Wolkenbildungen und Luftspiegelungen in der Lagune geprägt ist. Diese Seherfahrung stellt sich so jedoch nur vor dem 146 x 167 cm großen Original ein. 4. Francisco Zurbarán, Agnus Dei
Das 17. Jahrhundert ist die Zeit der von Spanien ausgehenden Gegenreformation, was dort einhergeht mit der Rezeption mystischer Literatur. Zurbaráns Bildfindung setzt einen theologischen Deutungshorizont voraus und ist vermutlich beeinflusst durch christologische Texte, namentlich des Augustiners Luis de Léon, der als Lyriker und Herausgeber spanischer Mystiker wirkte. Zurbarán hat das Motiv „Agnus Dei" mehrfach angefertigt, wahrscheinlich für private Kunden. Diese Fassung ist nun deshalb interessant, weil sie auf die religiöse Symbolik des Heiligenscheins und die religiöse Rhetorik der Inschrift „tanquam agnus in occasione“, mit der es in den anderen Versionen auf die Osterliturgie und die biblische Rede vom Gottesknecht bezogen wird, verzichtet. Das Sehen kann bzw. muss sich also auf den konkreten Gegenstand konzentrieren, wahrnehmen, wie das religiöse Sujet formal inszeniert wird. Der Bildgrund ist dunkel und undifferenziert. Dennoch wirkt das Schwarz nicht plan, sondern entfaltet einen enormen Tiefensog, einmal durch den helleren Balken, der diesen Bereich optisch nach vorne holt, und zum anderen durch den minimalen Schatten, den das Lamm auf der Bank bzw. dem Stein wirft; beides macht den für sich abstrakten Bildgrund sinnlich konkret. Die Lichtquelle für diese Gestaltwerdung aus dem Nichts bleibt unsichtbar; spekulativ könnte man darin die Visualisierung eines weiteren Hoheitstitels erkennen: Christus als das Licht der Welt. Die dramatische Kulisse steigert die Sichtbarkeit des Gegenstands, dem der Künstler maximale Aufmerksamkeit schenkt. Sein Blick geht extrem nah an das junge Tier heran und erfasst es als lebendes Individuum: wir sehen die Zeichnung der Wolle, den schweren weichen, entspannten Körper, die Hörner, Nüstern und Augen. Wir nehmen ein wehrloses Schaf wahr, das sich trotz seiner unnatürlichen Lage und Fesseln nicht wehrt. Dieses Zutrauen, das sich im antiken Hirtenmotiv durch die Nähe zum Schäfer und seinen festen Griff erklären würde, erscheint in Zurbaráns Darstellung als rätselhafte Hingabe. Es geht Zurbarán um die Zuspitzung der Opfer-Haltung, um die innere Versenkung oder Einfühlung in die Situation eines ausgelieferten und sich ergebenden Geschöpfes. Darin liegt ein Moment der geheimnisvollen Verklärung, das für uns heutige Betrachter:innen erklärungsbedürftig ist und unsere Bilderfahrung von der des 17. Jahrhunderts unterscheidet. 5. Caspar David Friedrich, Das Eismeer
Der Ort und die Perspektive, die der Betrachter vor dem Bild einnimmt, ist, wie oft bei Friedrichs Bildern, unter realen Bedingungen unmöglich. Der Blick wird nicht an das Motiv herangeführt, sondern „stürzt“ ins Bild. Es fehlen Parameter, um die tatsächlichen Dimensionen des Geschehens einzuschätzen. Je länger man schaut, umso deutlicher nimmt man wahr, dass die vermeintlich naturalistisch gegebene Szene höchst artifiziell angelegt ist: kontrapunktisch parallelisierte Längsfragmente, die sich wie durch eine Unterströmung in einer latenten Drehbewegung zu einem Eisberg auftürmen, während sich im Hintergrund das Eis endlos weit bis zum Horizont unter einem hohen Himmel ausdehnt alles folgt einem klaren Gestaltungsprinzip und bildet so eine Bühne, auf der Natur zu einem Natur-Schauspiel wird. Der sichtbare Formwille färbt die gesamte Szene subjektiv und macht daraus eine „Tragödie der Landschaft" (C.D. Friedrich). „… ein Eisberg hat da ein Schiff verschlungen, von dem nur mehr Reste zu sehen sind. Eine große und schreckliche Tragödie; kein Mensch hat überlebt. Das ist gut überlegt, da sonst die Aufmerksamkeit zerteilt würde“, schrieb der Kritiker David d’Angers nach einem Ausstellungsbesuch in sein Tagebuch. Das ist es was dieses Motiv so eindrücklich und ikonisch macht. Im ästhetischen Spiegel der Landschaft zeigt sich das menschliche Unternehmen der Dienstbarmachung der Erde als gewaltsame Unterwerfung der Natur; es ist gescheitert. Wir sind noch dabei zu begreifen, was das wirklich heißt. 6. Kasimir Malewitsch, Das Weiße QuadratDas Œuvre von Kasimir Malewitsch (1879 in Kiew - 1935 in St. Petersburg) ist für die Moderne so bedeutsam, weil es an einen Nullpunkt bzw. Wendepunkt im Verständnis von Kunst führte, weg von einer idealistischen Inhaltsästhetik hin zu einer formalen Ästhetik der Negativität. Kunst hilft uns nicht die Welt zu verstehen, aber sie hilft uns zu erfahren, wie wir sie sehen. Die Souveränität der Kunst liegt darin, dass sie unsere Wahrnehmung der Welt sichtbar macht und so unser Verhältnis zur Wirklichkeit offenlegt. Die gegenstandslose Malerei von Malewitsch ist eine Schule dieses frei reflektierenden Sehens, das immer wieder eingeübt werden muss.
7. Piet Mondrian, Boogie Woogie
In den 1920-er Jahren entwickelt Mondrian seine Theorie des Neoplastizismus als Versuch einer Neugestaltung seiner Kunst, indem er seine Arbeitsweise als Maler konkret befragt: wie lässt sich die Bildfläche artikulieren, ohne dass ein illusionistischer Tiefenraum oder eine plane Fläche entsteht? Wie lassen sich die Farben artikulieren, ohne dass sie an einen bestimmten Gegenstand gebunden sind? Wie lässt sich also das Verhältnis von Form und Farbe so artikulieren, dass beide frei ihrer eigenen Gesetzlichkeit folgen? Wie wird Malerei autonom? Mondrians ab 1940 im New Yorker Exil entstandene Werke lösen die früheren strengen Kompositionen zugunsten einer musikalischen Rhythmisierung ab. Ein besonders schönes Beispiel ist die späte Arbeit „Broadway Boogie Woogie" (1942-43). Statt wie vorher durch ein schwarzes Liniengitter bildet sich hier eine eigene Sehebene allein durch die rasterartige Anlage winziger Farbrechtecke in den Primärfarben Gelb, Rot und Blau, „die gegeneinander prallen … und einen lebendigen und pulsierenden Rhythmus [erzeugen], eine optische Vibration, die wie der Verkehr auf den Straßen von New York von Kreuzung zu Kreuzung springt.“ In den freien Kompositionen des afro-amerikanischen Blues erkannte Mondrian Parallelen zu seiner Kunst und schrieb: „Zerstörung der Melodie, die die Zerstörung der natürlichen Erscheinung ist; und Konstruktion durch den kontinuierlichen Gegensatz reiner Mittel dynamischer Rhythmus.“ (Museum of Modern Art, 2019) 8. Paul Klee, Hauptweg und Nebenwege
Es ist das Ergebnis von Seherfahrungen, die Klee während einer Ägypten-Reise in den Jahren 1928-29 machte, die er seiner Frau in einem Brief so beschreibt: „Ich male eine Landschaft etwa wie den Blick von den weiten Bergen des Tales der Könige ins Fruchtland. Die Polyphonie zwischen Untergrund und Atmosphäre ist so locker wie möglich gehalten.“ Für Klee waren Reisen in ferne Länder des Südens, wie für seine Künstlerkollegen und Freunde August Macke und Louis Moilliet, mit denen er auch gemeinsam reiste, eine Möglichkeit, ein anderes Licht, andere Farben wahrzunehmen und den eigenen Blick für neue Horizonterfahrungen, für das Fremde zu sensibilisieren und zu öffnen. Der Aufbau des Bildes folgt der von Klee während seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus so bezeichneten „Cardinal-Progression", bei der waagerechte und schräg gegebene Farbfelder fortlaufend halbiert werden, so dass sich der perspektivische Eindruck von Höhenwegen einerseits und gestuften Ebenen anderseits und so die Anmutung einer charakteristischen Landschaft, aber auch die Assoziation einer Pyramidenarchitektur ergibt. Klees Versuch, über eine metrische Gliederung eine proportionierte Rhythmisierung der Ebenen zu erzielen, spiegelt auch seine Beschäftigung mit den Grundlagen der Musik und die Erforschung der Analogien zwischen einem akustischen und einem visuellen Weltbild. Beides vermag das Bild auf geheimnisvolle, synästhetische Weise zu vermitteln. 9. Günter Fruhtrunk, Sinnenfundament / 10. Markus Ebner, „Sinnenfundament“Die neunte und zehnte Position meiner Playlist nehmen zwei Künstler zusammen ein. Vor einigen Jahren wurde ich auf die Arbeit eines Künstlers aufmerksam, der die Kunstwerke eines anderen eins zu eins kopiert, er selbst spricht von „Zuneigung". Meine Playlist endet also mit einem Original des Malers Günter Fruhtrunk (1923-1982) aus den 80-er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts und seiner Kopie durch den Künstler Markus Ebner (*1962) im 21. Jahrhundert. Das letzte Bild von Fruhtrunk und damit auch das letzte von Ebner kopierte Fruhtrunk-Bild trägt den Titel „Sinnenfundament“ (1982). Fruhtrunk bricht hier seine lange streng durchgehaltene Form der vertikalen, horizontalen und diagonalen Farbbahnen auf und findet eine Ordnung aus annähernd winkelförmig ineinander gelegten Feldern. Es ist der Versuch, einer Geometrie Irregularitäten einzuarbeiten, sie zu individualisieren, ohne dass es zu partiellen Fixierungen der Sehebenen oder einem Auseinanderfallen der Elemente, einem Strukturzerfall, kommt. Das Fundament unserer Sinne, so Fruhtrunk, ist kein eigentliches Fundament, es kommt erst zum Tragen, wenn wir mit ihnen arbeiten. Das Bild macht dieses an sich unsichtbare Fundament sichtbar, indem es unser ordnendes Sehen nachvollziehbar macht. Ebners akribische Aneignung dieses und weiterer Bilder von Fruhtrunk, die Wieder-Holung des Schaffensprozesses eines anderen, hat mich irritiert und fasziniert. Sie stellt die Frage nach Original und Kopie, nach Innovation und Nachahmung, einmal mehr angesichts der heute fast unbegrenzten Möglichkeiten technischer Reproduzierbarkeit. Aber es stellt auch die Frage, was Nachfolge bedeuten kann. Wie nah kann ich dem, was einen anderen bewegt, kommen? Was heißt es, in den Spuren eines anderen zu gehen? If you try walking in my shoes …, singen Depeche Mode. Sind wir in der Lage, wirklich radikal die Perspektive eines anderen, eine andere Perspektive einzunehmen? Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Gedanke der christlichen Nachfolge? Wem oder was folgt das (eigene) Leben? Wodurch gewinnt es seine Form, worin gewinnt es Gestalt? Kunst als Nachfolge kann vielleicht heißen, ihr immer wieder aufs Neue nachzugehen, sich immer wieder anfragen zu lassen; denn ihre Schönheit ist kein Zufall, sondern eine offene Frage. Ästhetische Wahrnehmung ist nie erschöpfend, sie kann und muss immer wieder neu begonnen werden. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/142/kw95.htm |