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Magazin für Theologie und Ästhetik


Lektüren II

Aus der Bücherwelt

Andreas Mertin

Das Ende der Kunstgeschichte

Hans Belting hat mit einer Fülle von lesenswerten Texten den Diskurs über Kunst, Kunsterfahrung und Kunstgeschichtsschreibung in den letzten 20 Jahren produktiv erweitert.

Schon die seinerzeitige Antrittsvorlesung an der Münchener Universität 1983 unter dem Titel "Das Ende der Kunstgeschichte? Überlegungen zur heutigen Kunsterfahrung und historischen Kunstforschung"[1] hat zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Vorgestellt wurden darin die Thesen, "dass die heutige Kunst zwar die bekannte Geschichte der Kunst reflektiert, sie aber nicht 'nach vorne' fortsetzt, und zweitens jene, dass das Fach Kunstgeschichte heute kein verbindliches Darstellungsmodell geschichtlicher Kunst mehr zustande bringt."[2] Insbesondere beklagte Belting darin, dass die Kunstgeschichtswissenschaft der Herausforderung moderner Kunst bisher beharrlich ausgewichen ist. Belting schlug seinerzeit vor: "Die Kunstgeschichte ist, wie man sieht, als Wissenschaft nicht zu Ende. Aber sie ist in einigen ihrer Formen und Methoden heute nicht mehr legitimiert. In der Trennung der beiden Kunstgeschichtsschreibungen, die sich entweder mit historischer oder mit moderner Kunst beschäftigen, liegt kein Sinn mehr. Und genauso wenig dient uns noch ein starrer hermeneutischer Rahmen, in dem eine dogmatische Art von Interpretation veranstaltet wird. Adäquater wäre es, als ein permanentes Experiment zu verstehen, was man in der Befragung des Mediums Kunst unternimmt, in seiner Befragung nach dem geschichtlichen Menschen und den Bildern der Welt, die er in der Kunst erzeugt hat."[3]

Bild und Kult

1990 erschien dann das Werk "Bild und Kunst. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst"[4], dessen argumentativer Kern den Untertitel des Buches entfaltet. Wohl wenige Bücher aus der Kunstgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts haben eine derartige wissenschaftliche Breitenwirkung erzielt. Auf 700 Seiten in 20 Kapiteln und einem materialreichen Anhang mit Texten "zur Geschichte und zum Gebrauch der Bilder und Reliquien" erzählt Belting, wie das Christentum das einstmals verbotene Kultbild der Heiden in Gebrauch nahm. Ausgangspunkt der Argumentation ist dabei die Differenzierung zwischen Bild und Kunst. Letztere ist ein Produkt der Krise des alten Bildes und seiner Neubewertung als Kunstwerk in der Zeit der Renaissance. Was davor liegt, ist die Geschichte des Kultbildes im Rahmen des Christentums, welche Belting genauer in seiner Genese und seiner Entwicklung in Betracht nimmt. Abgesehen von wenigen kritischen Einwänden - die vor allem die Darstellung "der" Theologen betreffen,[5] aber auch für seine Beschreibung von Religion allgemein gelten - kann Beltings Buch in seinem Detail- und Materialreichtum als unentbehrliches Standardwerk empfohlen werden. Es ist unentbehrlich, um überhaupt zu verstehen, wie Bilder in das ursprünglich bilderskeptische Christentum gelangt sind, welche Bildformen aufgegriffen und transformiert wurden, welche Konflikte um die richtige Interpretation der Bilder im Christentum entstanden und welche Bedeutung den Bildern im städtischen Leben zukommt. Das Buch handelt vor allem von Ikonen, deren oftmals verklärte Sicht dekonstruiert wird und die in ihrer Bedeutung für die abendländische Bildkunst dargestellt werden. Das Buch endet mit der Krise des Bildes am Beginn der Neuzeit, also mit den bildkritischen Interventionen der reformatorischen Bewegungen.[6] Besonders nützlich und empfehlenswert ist neben der exzellenten Illustrierung des Buches der Textanhang, der wichtige Quellen für den Nachvollzug der theoretischen Reflexionen des Kultbildes greifbar macht.

Gerade für das Gespräch von Kunst und Religion, das immer noch von Vor-Urteilen und falschen Voraussetzungen bestimmt ist, ist Beltings Arbeit sehr gewinnbringend, zeigt es doch, wie genau zwischen Bild und Kunst, Kultbild und Kunstwerk differenziert werden muss. Belting liefert die anschauliche Belege zu Adornos Satz, die Autonomie der Kunst sei "ein Gewordenes, das ihren Begriff konstituiert".[7]

Das unsichtbare Meisterwerk

1998 erschien "Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst", das mit einiger Plausibilität als Folgeband zu "Bild und Kult" verstanden werden kann. Handelte jenes von gut 1000 Jahren christlicher Kultbildgeschichte, so dieses 550 Seiten umfassende Buch von den letzten 200 Jahren des Zeitalters der Kunst. Belting geht darin der Idee des Werks nach, die immer wieder für tot erklärt wurde und dennoch in der einen oder anderen Form die Kunst weiter bestimmt.

In Beltings eigenen Worten: "Im Mittelpunkt meiner Erzählung steht die Ideengeschichte des Werks ... In der Aura des Werks klingt ein Echo der Religion nach, deren moderne Alleinerbin die Kunst geworden war. Die Selbstoffenbarung der Kunst vollzog sich in einem Ereignis, das wir Werk nennen. Die Idee der Kunst, welche einen leergeräumten Platz Gottes einnahm, usurpierte das Medium des Werks, so wie sich Gott eines sichtbaren Mediums (der Ikone oder der Schrift der Offenbarung) bedient hatte. Handelte ich in einem anderen Buch einmal von 'Bild und Kult', so ließe sich in diesem Buch vom Kult der Kunst reden."[8]

Das Buch teilt sich in einen Prolog, zwei Hauptteile und einen Epilog. Der Prolog widmet sich "der geschichtsphilosophischen Dimension des Themas", der erste Hauptteil der Entwicklung des Werkbegriffs und des Kults der Kunst im 19. Jahrhundert. Der zweite Hauptteil widmet sich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Kult des Meisterwerks im 20. Jahrhundert, in dem mit der absoluten Kunst statt des absoluten Meisterwerks nur "die Tyrannei eines neuen Götzen" etabliert wurde: "bei Malewitsch stellte sie sich als Utopie dar, bei Duchamp dagegen als Illusion und bei Picasso endlich als Künstlerrolle." Insbesondere Duchamps Arbeiten "Das große Glas" und "Étant donnés" unterzieht Belting einer sorgfältigen Analyse. Im Epilog schließlich kommt die "späte Moderne" der letzten 40 Jahre zu Wort. Und vielleicht nicht ganz zufällig endet das Buch im Medium des Kinofilms, welcher das Medium der "Kunst" reflektiert, nämlich mit Jaques Rivettes "Die schöne Querulantin" in dem es wieder einmal um das Thema des unbekannten Meisterwerks geht.

Das ganze Buch ist außerordentlich kenntnis- und beziehungsreich[9] geschrieben, mit SW-Abbildungen illustriert und erweist sich als "Muss" für eine solide verstehende und nachvollziehende Erschließung der künstlerischen Moderne.

Anmerkungen
  1. Hans Belting, "Das Ende der Kunstgeschichte? Überlegungen zur heutigen Kunsterfahrung und historischen Kunstforschung", München 2/1984.
  2. Ebd. S. 11.
  3. Ebd. S. 51.
  4. Hans Belting, "Bild und Kunst. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990, hier zitiert nach der Taschenbuchausgabe 1993.
  5. In der Einleitung seines Buches hat Belting eine These aufgenommen, die einige Jahre vorher schon Hans Robert Jauß vertreten hatte, nämlich die von der "Macht der Bilder und der Ohnmacht der Theologen" [Vgl. H. R. Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt 2/1984. S. 31f.]. Theologen, so die Vermutung, sahen die Vormacht des Wortes durch die Bilder bedrängt und belegten diese daher mit Verboten. Das ist eine interessante These, die sich auch mit mancher Anekdote aus der frühen Neuzeit füllen lässt. Aber daran ist manches eben auch problematisch, vor allem, wenn man bedenkt, dass der größere Teil der Theologen in der Geschichte des Christentums das Bild und seine Macht konsequent genutzt haben. Vor allem greift es aber zu kurz, wenn man nur die christliche Bildgeschichte betrachtet. Präziser scheint es mir zu sein, wenn man dazu "Die mosaische Unterscheidung" [Jan Assmann: Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur. München/Wien 1998, S. 17ff.] in den Blick nimmt. Der Bildkult ist im Rahmen der jüdisch-christlichen Geschichte eben nicht sekundär, sondern liegt der mosaischen Unterscheidung voraus. Die seinerzeitige Entscheidung gegen die Bilder im religiösen Kult stellte eine religiöse Revolution dar, die die Theologie geprägt hat. Es gibt einen engen Zusammenhang von Monotheismus und Bildkritik. Und spätestens die reformatorischen Bewegungen, faktisch aber alle dissidenten Bewegungen des Christentums haben sich auf diese mosaische Entscheidung bezogen. Sie als Angst - und nicht als theologische wie bildtheoretische Erkenntnis - zu bewerten, greift entschieden zu kurz. Das mag aber mehr mit dem ungeklärten und problematischen Verhältnis von Theologen und Kunsthistorikern zusammenhängen, als mit der Sache selbst. Jedenfalls ist eine die mosaische Unterscheidung zum Ausgang nehmende Bildgeschichte noch zu schreiben. Beltings Studie stellt dazu aber eine unentbehrliche Grundlage dar.
  6. Soweit ich es sehe spielen die bildkritischen vorreformatorischen Bewegungen der Waldenser oder Hussiten in Beltings Studie kaum eine Rolle. Vgl. dazu Horst Bredekamp: Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zu Hussitenrevolution. Frankfurt 1975.
  7. Th. W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt 1981, S. 34.
  8. Die zugrunde gelegte Beerbungstheorie lässt sich dabei mit guten Gründen zugunsten einer Differenzierungstheorie bestreiten. Auch Belting wird nicht ernsthaft vertreten wollen, dass die Kunst zur Alleinerbin (sic!) der Religion geworden wäre. Dazu ist die Kunst rein empirisch in modernen Gesellschaften zu bedeutungslos. Vor allem aber zielt sie auf eine andere soziologische Klientel. Vgl. Verf. "Ars ante portas? Skeptische Erwägungen zur Kunstvermittlung in der Kirche." Kunst und Kirche 1991. S. 190-194, auch unter http://www.amertin.de/aufsatz/arsante.htm
  9. Belting pflegt - wie schon in "Bild und Kunst" - zahlreiche Querverweise in seinen Text einzubauen. Das würde eine CD-Ausgabe seiner Bücher nahe legen, die jeweils unmittelbar auf die Querverweise und natürlich auf die Bildmaterialien zugreifen lassen könnte.

© Andreas Mertin 2002
Magazin für Theologie und Ästhetik 15/2002
https://www.theomag.de/15/am46.htm

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Hans Belting, Bild und Kunst. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1993
Hans Belting, Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst, München 1998