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Magazin für Theologie und Ästhetik


Editorial


Liebe Leserinnen und Leser,


es war die wie immer unbestechliche Neue Zürcher Zeitung, die kurz nach den Ereignissen vom 11. September die Forderung nach dem Ende der Spaßgesellschaft als typisch bundesdeutsches Phänomen sezierte. In der Ausgabe vom 26. Oktober 2001 fragte Joachim Güntner halb ernsthaft, halb ironisch: "Geht die Spaßgesellschaft, kommen bleierne Zeiten?" Güntner verwies darauf, dass Sigrid Löffler schon 1996 bei der Übernahme der Leitung des Feuilletons der ZEIT programmatisch das Ende der Spaßkultur gefordert/verkündet hatte, ohne auf größere kulturelle Resonanz zu stoßen. Und, so Güntner, was die Kultur und die kulturelle Avantgarde aus sich selbst nicht schaffte, soll nun offensichtlich das Argument des Krieges bzw. des Schreckens richten.

Daran ist sicher viel Wahres. Tatsächlich war das Unbehagen an der Entwicklung der westlichen Gesellschaften in Richtung auf eine bloße Event-, Happiness-, Spaß-, Konsum- oder Selbstverwirklichungs- Kultur schon seit längerer Zeit gewachsen. Und das Unbehagen artikulierte sich nicht zuletzt deshalb, weil diese Entwicklung auch eine reale Bedrohung der Institutionen der Hochkultur darstellt. Im Rahmen der demokratischen und damit auch ökonomischen Egalisierung von Freizeitinteressen sind hochkulturelle Einrichtungen gefährdet, weil vielen Menschen Unterhaltung wichtiger ist als kulturelle Reflexion. Und sie können gleichzeitig nicht einsehen, warum Theater- oder Opernplätze stark bezuschusst werden müssen, während andere Bereiche der Freizeitindustrie nahezu vollständig ohne Subventionen auskommen. Da waren die Ereignisse vom 11. September - nicht nur für den bundesdeutschen Innenminister - ein willkommener Anlass, den Versuch einer Wende zu unternehmen und der Spaßgesellschaft wahre Werte vorzuhalten.

Die Forderung nach dem Ende der Spaßgesellschaft blieb zunächst vor allem eine Domäne der sekundären kulturellen Institutionen, der Kritiker, der Journalisten etc. Sicher gibt es inzwischen auch erste Theaterstücke zum Geschehen in New York, künstlerische Entwürfe zum Wiederaufbau des WTC und Ähnliches, die Künstler insgesamt blieben aber wohltuend zurückhaltend. Vor allem artikulierte sich die Kritik aus dem Bereich jener, die sich immer schon als das Andere der Spaßgesellschaft verstanden hatten. Auffällig war, dass die New Yorker Galerien, die auf der Art Cologne 2001 vertreten waren, demonstrativ einen Gegenkurs steuerten und das Pathos der Betroffenheit gar nicht erst pflegten. Und dennoch werden die Ereignisse langfristige Folgen haben. Am deutlichsten dürften vielleicht die Folgen für die populäre Kultur sein. Das aber nicht, weil hier nun nach Jahren kommerziell erfolgreicher Spaßkultur nun ein besonnener Ernst eingekehrt sei, sondern weil der Markt in der einen oder anderen Form eine Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September erwartet.

Am Beklemmendsten werden die Folgen dort sein, wo die Ereignisse direkt in Marktstrategien eingebunden werden. Im Kleinen war das schon bei jenen Straßenhändlern festzustellen, die in New York T-Shirts mit der Aufschreift "I Survived the World Trade Center Attack" verkauften. Andere sind ihnen anscheinend ohne größere Bedenken gefolgt. Im Kunstforum Band 158 ist Ulrike Lehmann den ersten Reaktionen auf den 11. September auf der ART COLOGNE nachgegangen und sie beschließt ihre Beobachtungen mit den Worten: "Der 11. September ist weltweit zum Thema der Kunst geworden, und es ist anzunehmen, dass es zunächst bleibt. Welche Kunstwerke wirklich Bestand haben und uns das Thema von einer anderen Sicht als die Medien zeigen, wird sich erst mit einem Zeitabstand zu dem Ereignis zeigen. Eine Verkaufsstrategie ist es allemal." Manche Kunstwerke, die sie entdeckte, waren schon lange vor dem 11. September entstanden und nährten so den Mythos von der prophetischen Funktion der Kunst (so etwa das abgebildete Werk von AES, New Freedom, aus dem Jahr 1997). Und im Kunstmagazin ART setzt der Fotograf F.C. Gundlach gegen die Übermacht der bewegten und manipulierten Bilder - Vilém Flusser folgend - auf die aufklärerische Wirkung des "stillen Bildes", auf die "Inseln im Bildozean": "Stille Bilder sprechen den unmittelbarsten aller Sinne, das Sehen, an. 'Stille Bilder' befehlen nicht. Sie laden ein zur Reflexion zur Frage. Sie zeigen, was quer liegt zu dem, was wir immer schon gesehen haben." (ART Heft 2/2002, S. 45)

Im aktuellen Heft des Magazins für Theologie und Ästhetik setzt sich Inge Kirsner mit Filmen auseinander, die "von einem neuen Ernst jenseits aller Verspieltheit (zeugen), vielleicht sogar von einem Drang zu einer Form des (Mit-)Leidens, der dem aristotelischen Katharsis-Begriff eine nachmoderne Gestalt verleiht." Darüber hinaus finden Sie - passend zum Heftthema - eine Besprechung von Hans Christoph Buchs "Blut im Schuh. Schlächter und Voyeure an den Fronten des Weltbürgerkriegs".

In den REVIEWS drei Rezensionen aus der Feder von Karin Wendt und Andreas Mertin zu Kunstereignissen bzw. Kunstreflexionen.

In den MARGINALIEN stellen Inge Kirsner und Ludwig Laibacher Literatur unter dem Stichwort "Ende der Ironie? vor. Andreas Mertin setzt sich mit dem Wiedergänger "Sakrale Kunst" auseinander.

Die SPOTLIGHTS versammeln in vertrauter Weise Besprechungen zu Videoclips, interessanten Internetadressen und empfehlenswerter Literatur. Ein besonderes Highlight ist Heike Kühns Vorstellung des neuen iranischen Kinos in der Rubrik Cinema mundi.

Wir wünschen den Leserinnen und Lesern eine erkenntnisreiche Lektüre dieses Heftes!  


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