Das Ende der Ironie?Über einen neuerlich erhobenen ernsthaften Ton in der LiteraturVon Inge Kirsner und Ludwig Laibacher |
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Irony is over. So das Motto, mit dem junge deutsche Literaten 1999 die Anthologie "Mesopotamia" überschrieben. Und freudig möchte man zustimmen: Klar wäre es an der Zeit, wenigstens in der Literatur Schluss zu machen mit der Ironie, verstanden als dem endlosem Prozess der indirekten Redens. Nicht Thomas Manns geschmeidiger Kunst wird der Kampf angesagt, sondern dem ewigen Drumherum-Reden, Andeuten, Witzeln, Sich-Distanzieren, das sich wie ein Netz über unserem Alltag spannt. Doch was als Programm einleuchtet, steht als Motto schon wieder unter Ironieverdacht. Der "Ironiehölle" entkommt so leicht keiner. Sie ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, und das zunächst aus gutem Grund. Die Ironie schien das einzige Mittel zu sein, um das Grauen von Kriegen und Völkermord wenigstens ansprechen, und die Angst vor dem zu vielen Unbekannten einer für den Einzelnen längst unüberschaubar gewordenen Welt bändigen zu können. Doch das Heilmittel von einst ist gegen Ende des Jahrhunderts selbst zum Krankmacher geworden. Was in Kunst und Literatur seinen Anfang nahm, eroberte sämtliche Lebensbereiche, schuf einen geschlossenen Kosmos. Im öffentlichen Diskurs, in den Medien, aber auch im privaten Leben: Ironie ist immer und überall - und zerstört so die Verständigung nachhaltig. Der Eindruck, in dieser Welt fremd und allein zu sein, ist zurückgekehrt. Wir verstehen nichts von Politik, Ökonomie oder Geschichte. Und schon im Kleinen ist uns die Handlungsweise der anderen Menschen so fremd wie unser eigenes Gefühlsleben. "Ironie ist, wie wenn man über irgend jemand oder irgendetwas ablästert, ... und keiner genau weiß, ob man's auch wirklich tut." Diesen vagen Definitionsversuch hat Susanna Moore einer Romanfigur in den Mund gelegt (In the Cut, 1995), sicher nicht ohne Ironie. Denn gerade das Ungenaue zeigt, was geschieht, wenn diese Pest ausbricht. Die Kommunikation ist gestört - auf allen Ebenen. Wie aber könnte das Gespräch, die Kunst, die Literatur aussehen, aus der die Ironie verbannt wurde? Während die Mesopotamia-Autoren nur Tastversuche vorgelegt haben, wagten sich andere Schriftsteller einige Schritte weiter. Von ihnen soll hier die Rede sein. Es handelt sich um eine kleine Auswahl, die nur der Zufall zusammengeführt zu haben scheint: das Programm deutschsprachiger Verlage zur Jahrhundertwende. (Mit Ausnahme eines Werkes [Coetzee] sind die Bücher auch alle erst in den letzten Jahren entstanden.) Doch die Lektüre offenbart bald zumindest eine gravierende Gemeinsamkeit: Diese Bücher irritieren aufgrund einer absoluten Ernsthaftigkeit. Mögen auch Sujet und Genre weit gefächert sein: So gibt es etwa den Stream of Consciousness (Tim Parks: Schicksal), eine Endzeitparabel (J. M. Coetzee: Warten auf die Barbaren), die Love story als Farce bzw. kannibalistischer Akt (Zeruya Shalev: Liebesleben/Slavenka Drakulic: Das Liebesopfer) oder die ganze Wucht des biblischen Pathos (Patrick Roth: Die Nacht der Zeitlosen). Beginnen wir mit Coetzees Warten auf die Barbaren, das - obwohl im Original bereits 1980 geschrieben - aufgrund der gegenwärtigen weltpolitischen Entwicklungen aktueller denn je daher kommt. Eine namenlose Hauptfigur erlebt, wie eine Welt, die er seit je als eine in eine zivilisierte und in eine barbarische Hälfte kennt, an ihren Widersprüchen zerbricht. Es geht um Menschen, die kulturell gerade so eben der Frühzeit entronnen zu sein scheinen, und deren imperialistisches Pendant. Das Setting, das der Südafrikaner Coetzee dafür gewählt hat, ist so stark reduziert, dass der Leser die Ereignisse weder zeitlich noch geographisch einordnen kann. Die Herrenmenschen verfahren mit den sogenannten Barbaren wie einst die Römer mit den Bewohnern ihrer Kolonien, die weißen Südafrikaner (noch 1980) mit den Schwarzen - und vielleicht nun die US-Amerikaner und ihre westlichen Verbündeten mit den Völkern des Islam. (Jedenfalls werden die Medien gegenwärtig nicht müde, auf das Zurückgebliebene, das "Mittelalterliche" in Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Iran oder Libyen hinzuweisen.) Coetzee hat in seiner Parabel auf den Kampf der ungleichen Gegner, für den sich die Imperialisten ihre Legitimation bei angeblich verübten Terrorattacken ausborgten, den Namen Barbaren verwendet. Das hat man ihm damals in seinem Heimatland übel genommen, doch welches Wort wäre geeigneter, so präzise die Unvereinbarkeit der Denkweisen, Entwicklungsstufen und Gesellschaftsformen zu benennen? Und übrigens: Am Ende können die Herrenmenschen den Kampf nicht gewinnen, ihre Armeen werden in einem Guerillakrieg aufgerieben. Erzählt wird das alles in einem sehr spröden Ton und konsequent von der Peripherie her. Und das ist auch das Ungeheuerliche an diesem Buch: Coetzee protokolliert nur die Auswirkungen der Macht auf Seelen und Körper, wie sich Ideen und Ideologien ins Kreatürliche einschreiben. Die Erzählerfigur ist Stammhalter einer Provinz, weit weg von der Hauptstadt. Er ist einer, der sich gerne raushalten würde, und wohl genau deshalb in den Unruhen beinahe umkommt. Den Gipfel erreicht sein Leiden in einer symbolischen Hinrichtung, aus der er als endgültig Gebrochener hervorgeht. Und auch die Welt um ihn her liegt in Scherben. Der Kampf der Kulturen hat eine Vertierung der Menschen zur Folge. Das Schlimmste daran: Niemand weiß, ob mit diesem apokalyptischen Zwischenreich auch wirklich das Ende erreicht ist. Eine sehr viel konkretere Katastrophe steht im Mittelpunkt einer der fünf Erzählungen in "Die Nacht der Zeitlosen". Der in Los Angeles lebende deutsche Autor Patrick Roth erzählt von dem Erdbeben ´94 in Kalifornien. Eingeleitet wird die Geschichte von der "Frau, die den Dieb erschoss" mit augustinischem Pathos: "Doch ob wir auch ferne sind, stürzt darum nicht ein unser Haus, Deine Ewigkeit". Dieses Motto wird durch ein psychoanalytisches ergänzt: "Jeder neu erschlossene Bereich des Unbewussten erfordert einen kosmogonischen Akt der separatio". Ewiges und Vergängliches, die Geschichte von Tod und Wiedergeburt, Trennung und Welt-Werden konzentriert sich auf die eine Nacht des großen Bebens. Die Protagonistin Lucy wird gemeinsam mit ihrem Sohn verschüttet, doch sie überleben, weil sie den Dieb, den Kinderdieb, den Lebensdieb, erschießt - Gott. Dies ist sein Tag, verkündet ER, sie auf das tote Kind und auf ihr baldiges Ende hinweisend. Doch sie zielt auf ihn mit ihrer Pistole - und er, das Kind mit sich tragend, macht kehrt "für die Frau ohne Ehrfurcht vor ihm, ... die glaubt nicht, dass Söhne gestorben, die Welt untergegangen und alle Zeit aufgehört hatte zu sein." Er, aus dem "zwei Söhne sprachen", hilft ihr, "Gott die Waffe zwischen die Rippen zu stoßen. Die Kugel bricht ein, und die Zeit fließt daraus." Der Schuss am frühen Morgen macht die Suchtruppe auf die Verschüttete aufmerksam, die als Lucia, die Hand am schlafenden Kind, lebend geborgen wird. Erdbeben sind andere Mächte und Gewalten als Terroranschläge. Aber die Theodizeefrage stellt sich auch hier; in Roths Erzählung wird sie (kreuzestheologisch?) beantwortet: die Frau tut das Ungeheure, auch Gott tut es. Das Unglaubliche - dass das Leben den Tod besiegt - wird durch eine alle Grenzen überschreitende Zusammenarbeit zwischen Gott und Mensch vollbracht. Der (Selbst-) Mord Gottes, der Mord an Gott lässt den Sohn der Frau, die gewählt hat zwischen ihrem Glauben und ihrem Kind, leben. Um das Opfern des Opfers geht es im Roman "Das Liebesopfer" der kroatischen Schriftstellerin und Journalistin Slavenka Drakulic. Sie erzählt die Geschichte einer Liebe, die bis ans Ende geht. Und weiter, bis ins Reich des Todes und wieder zurück in einen Alltag, in dem zwei Menschen zu einem verschmolzen sind. "Ehe ich José traf, wusste ich nichts von der wahren Liebe, in der alles möglich und alles erlaubt ist, sogar der Tod. Die Liebe gibt einem Menschen die absolute Macht über ein anderes menschliches Wesen. Ich habe das nur bis zum Ende ausgenutzt", erzählt die Protagonistin Theresa. Es ist keine Rechtfertigung, die hat sie nicht nötig für eine Tat, die die logische Konsequenz einer Liebe ist, die keine Zukunft hat. Eine endgültige Vereinigung kann nur geschehen durch Einverleibung; dies erkennt Theresa, tötet ihren Geliebten und isst ihn. Davor geht sie zum Abendmahl und erkennt seltsame Parallelen, die mit jeder Inkarnation einhergehen. Der Geliebte lebt weiter in ihr. Den gegenteiligen Verlauf nimmt die Geschichte von Ja'ara, der die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev in Liebesleben ihre Sprache geliehen hat. In dieser Love Story bietet sich eine junge Frau als Opfer an. Von vorn herein steht die Beziehung zu dem wesentlich älteren Arie, den sie nicht einmal attraktiv findet, unter keinem guten Stern. Alles, was nach herkömmlichem Verständnis zur Liebe gehört, fehlt oder ist mit negativen Vorzeichen besetzt: Das Mindeste ist dabei noch, dass Arie Ja'aras Liebe nicht erwidert und Sex mit ihm eher in die Kategorien Missbrauch und Vergewaltigung gehört. Dennoch kann sich Ja'ara nicht aus dieser Kette von Demütigung, Missachtung, körperlicher und seelischer Pein befreien. Gerade sein Sadismus und seine Indifferenz ihr gegenüber scheinen das Verführerische an dem tyrannischen Egozentriker Arie. Da gängige Bindemittel wie Schönheit, Güte oder Verständnis ausfallen, bleibt nur der Ekel als Basis für diese seltsame Leidenschaft. Und mit entsprechenden Härten wartet dieses Buch denn auch auf. Dabei gelingt es Shalev, einen Erzählsog zu erzeugen, der auch dem Leser keinen Ausweg mehr gestattet. Man sehnt sich nach der ironischen Distanzierung einer über den Dingen schwebenden Erzählerin, wird aber durch eine einzigartige, atemlose Sprache nur noch tiefer in diese hermetische Opferwelt gezwungen. Man möchte fliehen, bis man mit Erstaunen feststellt, dass wohl die "Liebe" immer - also auch in gemäßigteren und durchaus als geglückt geltenden Beziehungen - aus sehr viel seltsamen, befremdlichen Elementen und Emotionen zusammengesetzt ist. Und dass die Intensität der Gefühle nicht viel mit dem konkreten Gegenüber zu tun haben muss. Das Phantasma ist alles. Mit dem Phantasma seiner Ehefrau quält sich auch der Held in Tim Parks Schicksal. Der - wie auch der Autor - in Italien lebende Engländer Christopher Burton erfährt vom Selbstmord seines 20-jährigen Sohnes, und begibt sich danach auf die Suche nach den angemessenen Gefühlen. Doch diese wollen sich nicht einstellen. Statt dessen, wird der Wunsch übermächtig, sich endlich von der Frau zu trennen, mit der er seit 30 Jahren verheiratet ist. Er möchte seine Frau und seine Familie abschütteln wie ein lästiges Schicksal. Die Todesnachricht hat einen scheinbar endlosen Bewusstseinsstrom in Gang gesetzt, der zugleich den ganzen Roman ausmacht. In einer Folge aus Hasstiraden erzählt Burton von seiner Vergangenheit und den Begegnungen mit seiner Frau in den drei Tagen bis zur Beerdigung des Sohnes. Mehr und mehr aber kristallisiert sich heraus, dass sich Burton in einer Art Schockzustand befindet, der ihm die Perspektive gewaltig eingeengt hat. Die momentane Unfähigkeit mit jemandem zu reden, hat in seiner Vorstellung absolute Züge angenommen. Und aus all dem Hass schält sich allmählich der wahre Kern der Liebe heraus. Burton wird bei seiner Frau bleiben, sein "Schicksal" annehmen. Dem Titel gebenden Wort kommt eine ganz besondere Bedeutung zu. Parks hat damit sicher nur halb-ironisch gewendet einen Begriff reaktiviert, den Moderne und erst recht Postmoderne längst auf den Abfallhaufen der Geistesgeschichte geworfen hatten. Auch wenn sich jeder hin und wieder eine Schicksal wünschen mag, um sein kleines, unbedeutendes Leben mit Bedeutung aufzuladen, dann mag das höchstens als regressive Marotte durchgehen. Parks indes zeigt, ebenso wie die übrigen hier vorgestellten Autoren, dass der Begriff Schicksal durchaus wieder in ernsthafter Weise eingesetzt werden könnte. Und sei es nur als Vehikel für ein Befinden, für das es noch keinen besseren Namen gibt. Es ist nicht nur die Art, wie die vorgestellten AutorInnen Geschichten erzählen, sondern was sie erzählen. Es sind Geschichten, die die Geburtswehen einer Zeit beschreiben, die man vielleicht Zweite Moderne oder Nach-Moderne nennen könnte. Eine Zeit, die sich nicht mehr damit zufrieden gibt, "zu spielen, bis der Tod uns abholt" (Kurt Schwitters). Der ungeheure Ernst, den die Realität des Todes dem Spiel des Lebens abverlangt, wird in allen diesen Werken deutlich. Der Mut zu großen Gesten und großen Geschichten kennzeichnet die Erzählungen, die nur Beispiele sind für eine ganze Bewegung in der Literatur um die Jahrtausendwende. Ist also die Ironie am Ende? Reden wir lieber von der Rückkehr des Schicksals. Der Text ist unter dem Titel "Die Rückkehr des Schicksals" erstmals erschienen in: zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 1/02, Seite 51ff
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