Die Theologen haben sich im 20. Jahrhundert im Blick auf die Konstruktion religiöser Räume nicht als jene Fachleute erwiesen, die die (anthropologischen, religiösen) Bedürfnisse der Menschen im Zwiegespräch mit den Experten in Raumkonzepte umsetzen konnten. Daher ergibt sich die Notwendigkeit, andere Konzepte der Raumfindung und Raumgestaltung zu entwickeln. Vorgeschlagen wird hier, das Modell der "Raumbildung durch Partizipation" zu erproben. Angesichts einer historisch veränderten Stellung des religiösen Subjekts gilt es, dieses in die Raumgestaltung miteinzubeziehen. Zwei zentrale Fragen stellen sich dabei: zum einen, wie die Bedürfnisse und die reale Raumwahrnehmung der Menschen erhoben werden können, zum anderen, ob sich religiöse Räume überhaupt von den Beteiligten selbst inszenieren lassen oder ob sie nicht grundsätzlich vorgegeben sein müssen, um als religiöse Räume erfahren werden zu können. Der Verfasser plädiert an dieser Stelle dafür, religiöse Räume als spezifische Form von Raumcodes zu verstehen, die auf Vereinbarungen der Beteiligten basieren und daher auch (re-) konstruiert werden können. Die Geschichte der Beschäftigung der Theologen mit dem religiösen Raum ist - zumindest im 20. Jahrhundert - eine Geschichte ihres Scheiterns. Das zeigt die Auseinandersetzung mit den gängigen theologischen Raumkonzepten. Jedesmal ist es so, daß mit den kirchlichen Bauprogrammen[1] bestimmte Linien vorgezeichnet werden, die angesichts der faktischen Entwicklung nach wenigen Jahrzehnten revidiert werden müssen. Ich möchte im folgenden vorschlagen, daß sich Theologen bei ihrem Nachdenken über den Raum zurückhalten, um Platz zu bekommen für die Vorstellungen und Bedürfnisse der religiösen Subjekte, die die jeweiligen Räume nutzen, sowie die spezifische Kompetenz anderer Beteiligter.[2] Ob Theologen eine Raum-Kompetenz haben sollten, ist innertheologisch umstritten. Der Leiter des EKD-Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg, Horst Schwebel, hat in einer Einführung in das kirchliche Handlungsfeld 'Kirchenbau' von einer notwendigen und auszubildenden Raum-Kompetenz des Pfarrers gesprochen.[3] Die Verantwortung für den Umgang mit dem Raum liege beim Pfarrer, weil, so Schwebel, "die zu behandelnden Fragen primär theologischer Natur sind und ein auf Gemeindeebene kirchenleitendes Handeln auf längere Zeiträume hin erforderlich machen".[4] Es fragt sich, ob diese Zuweisung von Verantwortung sinnvoll ist. Zunächst einmal halte ich Theologen in dieser Frage für überfordert. Woher sollte ihre Kompetenz kommen? Die geforderte Qualifizierung im Rahmen ihrer Ausbildung wäre nur eine zusätzliche Belastung des ohnehin überfrachteten theologischen Studiengangs. Was könnten Theologen in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit schon lernen, was ihnen einen Kompetenzvorsprung vor anderen Beteiligten geben könnte?[5] Pragmatisch sinnvoller scheint es mir da zu sein, im Rahmen der gesellschaftlichen Differenzierung in der Neuzeit darauf zu vertrauen, daß im Arbeitsfeld der Pfarrer, also im Bereich der Gemeinden und der zur Kirche Gehörenden genügend Menschen sind, die in Fragen der Raumgestaltung spezifisch ausgebildet wurden und deren Fähigkeiten in Anspruch genommen werden können. Denkt man einmal darüber nach, was Raumkompetenz in einem emphatischen Sinne bedeuten könnte und müßte, möchte man diese Anforderung an Theologiestudierende und Pfarrer nur noch bedingt stellen. Raumkompetenz erstreckt sich ja nicht nur auf grobe Kenntnisse der Geschichte und der Konstruktion des Gebäudes, in dem man sich befindet (wie man es von Architekten und Kunsthistorikern lernen kann). Sie beinhaltet auch so komplexe Prozesse wie die Wahrnehmung der Spiritualität eines Raumes, das Ausfüllen des Raumes mit dem eigenen Körper (wie man es bei Tänzern studieren kann), die Auslotung des Raumklangs durch die Stimme (wie es einem Sänger vermitteln), die Beeinflussung durch Farbe und Licht (wie wir es bei Künstlern erfahren können). Raumkompetenz ist das Resultat eines komplexen synästhetischen Prozesses, den man am eigenen Leib erfahren muß. Dies alles würde zur auszubildenden Raumkompetenz des Pfarrers gehören. Dem steht die zitierte Behauptung entgegen, daß es bei der Frage der Raumkompetenz vorrangig um theologische Fragen geht. Was wären das für Problemstellungen? Denkbar wäre, daß die Heilige Schrift für die Ausübung des Gottesdienstes derart präzise Ausführungen macht, daß sich daraus Konsequenzen für die räumliche Gestaltung ergeben. Denkbar wäre auch, daß dogmatisch eine Strukturierung des Raumes erarbeitet werden könnte. Denkbar wäre schließlich, daß sich praktisch-theologisch aus dem Vollzug des Gottesdienstes eine bestimmte Strukturierung des Raumes als notwendig erscheint. Übereinstimmung scheint zunächst insoweit zu bestehen, daß sich aus den biblischen Schriften irgendwie geartete Raumkonzepte nicht unmittelbar ergeben.[6] Wohl läßt sich konkretes Verhalten im Angesicht des religiösen Raumes beschreiben, aber daraus lassen sich kaum Raumkonzepte entwickeln, eher schon Einsichten in eine historisch realisierte und damit eine mögliche als religiös erfahrene Strukturierung des Raums. Ein eindrückliches Beispiel ist der Psalm 84: der Pilger steht vor dem Tempel (3), lobt Gott für seine Führung (4.7f.12) und besingt das Glück der hier Wohnenden (5f.11): Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, ... denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend.[7] Die hier artikulierte "Freude am Haus Gottes" ist vielleicht ein Beispiel für den Umgang mit sakralen oder heiligen Orten, aber gerade keines für die Erfahrung religiöser Räume. Im Blick auf das Judentum scheint mir dafür weniger der Tempel, als vielmehr die Synagoge das Modell abzugeben: "In keiner Weise war die Synagoge ein Wohnraum für die Gottheit. Sogar als Stätte des Gottesdienstes unterschied sie sich in jeder Weise von allem, was es bis dahin auf der Welt gegeben hatte. Man hielt dort religiöse Übungen ab, ohne das Privileg von Opfer oder einem Allerheiligsten und ohne daß die Gegenwart eines Priesters notwendig war ... Noch bezeichnender ist es, daß die Synagoge ihrem Wesen nach eine Einrichtung der Laien war. Sie ist das bedeutendste und dauerhafteste System einer Laienführerschaft in der Religionsgeschichte überhaupt. Jeder Jude konnte die Thora verlesen, die Versammlungen leiten und, wenn er die Gabe hatte, zu seinen Genossen reden. Überall konnten zehn Juden eine beschlußfähige Vereinigung (minjan) bilden und eine Synagoge organisieren. War ein Priester zugegen, so wurde ihm Ehrerbietung erzeigt, aber er hatte keine besondere Rolle beim Gottesdienst. Im Gegensatz zum religiösen Leben im Tempel und zu allen heidnischen Religionen des Altertums, war dies eine einzigartige, bemerkenswerte Abweichung."[8] Dementsprechend schreibt Richard Krautheimer über mittelalterlichen Synagogenbau: "Der rational unterbaute Gottesdienst ist weniger sakral, hat ganz ausgesprochen profanen Charakter, ohne deshalb weniger religiös zu sein."[9] Die Geschichte der christlich-jüdischen Religion kann in einem gewissen Sinne als eine Geschichte empirisch beschreibbarer "religiöser Räume" gelesen werden. Auf diese Weise entsteht am Beispiel der Baukunst eine Physiognomie religiöser Raumkultur.[10] Vom "flexiblen Wohnen der Erzväter", den "Wahrzeichen Ägyptens" und dem "Panorama Libanons", über den "Genius Loci der Antike" und die gotische "Charakterschrift des Mittelalters" sowie den "neuen Illuminationen" der Renaissance bis hin zu den "Stadtgesichtern der (Post)Moderne" läßt sich ein faszinierendes Bild menschlicher Religionsgeschichte entwerfen: mit Säulen, Mauern, Dächern und Leerräumen schreibt die inkarnierte Vernunft ihre geschichtliche Behausung in der Doppelung fester und beweglicher Züge.[11] Während jedoch die beweglichen Züge als jeweils Neues leicht zu eruieren sind, sind die festen Züge um so schwerer wahrzunehmen. Man findet kaum eine beschreibbare Invariante religiösen Bauens, die von den Zelten der Erzväter bzw. den Privatquartieren der frühen Kirche und den ersten Basiliken[12] über die großen Kirchenbauten des Mittelalters bis in die postmoderne Gegenwart reichen würde. Die Geschichte des jüdisch-christlichen Tempel- und Kirchenbaus gibt zwar viele Hinweise und Anregungen auf die jeweiligen Zeitumstände und Kontexte, läßt aber wenige Rückschlüsse auf darin zum Tragen kommende biblisch begründete Raumkonzeptionen zu. Ein ähnliches Resultat zeitigt der Blick auf die Texte, die den Kirchenbau begleiten, z.B. auf die der Reformatoren. Auch sie bekräftigen die theologische Erkenntnis, daß sich der Raum zur Gottesbeziehung neutral verhält: "Er gewährt keine besondere Nähe Gottes außerhalb des Vollzugs der Verkündigung".[13] In Luthers Torgauer Predigt von 1544 erklärt dieser, für den Kirchenraum solle gelten, das nichts anderes darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir widerumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang (WA 49,588). Kirchengebäude komme keine besondere Heiligkeit zu: "Nicht das man daraus ein sondere Kirchen mache, als were sie besser denn andere heuser, do man Gottes Wort predigt. Fiele aber die not fur, das man nicht wolte oder kündte hierin zusamen komen, so möcht man wohl draussen beim Brunnen oder anders wo predigen" (WA 49,592).[14] Auffällig ist, daß Luther eine rein funktionalistische Auffassung des Raums propagiert, weit entfernt von jeder anthropologischen Besinnung auf das, was Räumen über ihre funktionale Seite hinaus noch zukommt. Konsequenterweise sollen Kirchen, in denen nicht mehr gebetet, gepredigt und Sakramente empfangen werden, abgebrochen werden.[15] Calvin behandelt das Thema in der Institutio ausführlich im Kapitel zum Gebet. Dort schreibt er zur Bedeutung der Kirchengebäude: "Wie nun Gott den Gläubigen das gemeinsame Gebet in seinem Wort gebietet, so müssen auch öffentliche Kirchengebäude da sein, die zum Vollzug dieser Gebete bestimmt sind ... Nur muß dabei alles Gepränge und alles Haschen nach menschlichem Ruhm wegbleiben, und es muß lautere, wahre Andacht herrschen, die im Verborgenen des Herzens wohnt. Dies ist also sicherlich der rechte Gebrauch der Kirchengebäude. Dann müssen wir uns aber auf der anderen Seite hüten, sie nicht etwa, wie man das vor einigen Jahrhunderten angefangen hat, für Gottes eigentliche Wohnstätten zu halten, in denen er sein Ohr näher zu uns kommen ließe; auch sollen wir ihnen nicht irgendeine verborgene Heiligkeit andichten, die unser Gebet bei Gott geheiligter machte ... Gewiß war einst auf Gottes Geheiß der Tempel zum Beten und zur Darbringung der Opfer geweiht; aber das war zu einer Zeit, als sich die Wahrheit noch unter der Darstellung durch solche Schattenbilder verbarg; jetzt aber ist sie uns lebendig offenbar geworden, und nun gestattet sie uns nicht mehr, an irgendeinem Tempel zu hängen, der mit Händen gemacht ist!"[16] Demnach scheint Übereinstimmung bei den Reformatoren über die Ablehnung heiliger Orte oder Räume zu bestehen. Ihre Haltung ist im wesentlichen von der Abwehr zeitgenössischer Raumvorstellungen geprägt. Kirchenbau wird fast ausschließlich funktionalistisch für Gebet und Verkündigung bestimmt. Diese Haltung hat die protestantische Theologie bis in die Gegenwart beibehalten. Ich sehe nun auch aktuell keine neuen theologischen Einsichten, die im Bereich des Kirchen(um)baus eingebracht werden könnten, welche die Qualität der Argumentation im Blick auf den heiligen Raum verändern würde. Die letzten theologischen Bestimmungen kirchlicher Räume stammen, soweit ich es sehe, vom Ende der 50'er Jahre und betonen gerade den funktionalistischen Charakter kirchlicher Räume und bestreiten ihnen sogar jede Form religiöser Prägung. Eine aktuelle Theologie des Raums steht daher nicht nur aus[17], sie ist m.E. mangels qualifizierter Aussagemöglichkeit überflüssig.[18] M.E. handelt es sich bei den zu erörternden Fragestellungen weniger um theologische als vielmehr um anthropologische, religionssoziologische und psychologische Fragen. Was wir brauchen ist so etwas wie einen "'ethnologischen Blick' aufs Fremde und Eigene"[19]. Praktisch-theologisch läßt sich zwar einiges im Rahmen der konkreten Gestaltung sagen, etwa im Blick auf bestimmte liturgische und funktionale Erfordernisse (z.B. Stellung des Altars); dogmatisch im Blick darauf, inwieweit Kirchen nicht nur funktional genutzt werden sollten, sondern zugleich auch Freiräume sein sollten, um den (anthropologischen, religiösen) Bedürfnissen der Menschen entgegenzukommen. Aber dies ist nur ein Aspekt im Konzert der Argumente. Im wesentlichen sind Theologen hier Lernende und deshalb ist es kaum einzusehen, warum die theologischen Fragen die Diskussion derart dominieren sollten. Die im weiteren vorgebrachten Argumente (kulturelles Erbe, Pflege der Tradition usw.) sind gerade nicht spezifisch theologischer Natur. Die religiöse Qualifizierung des Raumes, die theologisch nicht notwendig, ja von manchen nicht einmal gewünscht wird, ist viel eher eine spezifische Eigenleistung der beteiligten Subjekte. Durchsucht man die Wolfenbütteler Empfehlungen an die Gemeinden, die der Arbeitsausschuß des Evangelischen Kirchbautages 1991 beschlossen hat, nach theologischen Bestimmungen für den Raum, so erfährt man nur, daß dieser so beschaffen sein soll, "daß in ihm durch Lesung, Predigt, Gebet, Musik und bildende Kunst das Wort Gottes verkündigt und gehört werden kann und die Sakramente gefeiert werden können".[20] Diese Formulierung ist so allgemein, daß sie vermutlich für jeden größeren Raum zutrifft.[21] Die grundsätzliche Frage lautet also, ob übergreifende theologische Bestimmungen für den Raum überhaupt notwendig sind, wenn er theologisch nur zur Verkündigung und Sakramentfeier dient. Wir kommen dem eigentlichen theologischen Interesse näher, wenn wir uns einer Bestimmung Friedrich Schleiermachers aus dem Jahr 1830 zuwenden. Dieser schreibt: "Da die Handlungen des Kirchendienstes an eine beschränkte Räumlichkeit gebunden sind, welche ebenfalls durch ihre Beschaffenheit einen gleichzeitigen Eindruck machen kann: so ist zu entscheiden, inwiefern ein solcher zulässig ist oder wünschenswert, und demgemäß Regeln darüber aufzustellen."[22] Nach Schleiermacher entspringen die Regeln der kirchlichen Raumgestaltung der Debatte über die unvermeidliche "Gleichzeitigkeit des Eindrucks" von Raum und Kirchendienst. Das theologische Interesse an der Raumfrage ist defensiver Natur. Darf, kann oder soll der Kirchen-Raum den Kirchen-Dienst beeinflussen?[23] Oder anders formuliert: Darf, kann oder soll man den im Gottesdienst versammelten Menschen Freiräume ermöglichen für eigene (religiöse) Gedanken und Vorstellungen? Freilich war Schleiermacher nicht der Ansicht, daß die aufzustellenden Regeln von Theologen zu entwerfen seien. Er erläutert: "Da die Umgrenzung des Raumes nur eine äußere Bedingung, mithin Nebensache, nicht ein Teil des Kultus selbst ist: so würden die Regeln nur sein können eine Anwendung der Theorie der Verzierungen auf das Gebiet der religiösen Darstellung".[24] Schleiermacher verweist die Theologen in Raumgestaltungsfragen auf die dafür zuständigen und kompetenten Nachbardiskurse, seien diese nun zeitgenössisches Design oder Architektur, Kunst oder Kunsthandwerk. Das ist in der Folgezeit nicht immer so gesehen worden. Ende der 50'er Jahre war man der Meinung, aus einigen Erkenntnissen der zeitgenössischen Theologie konkrete bindende Vorschläge für den Kirchenbau ableiten zu können. Auf einer Tagung 1959 in Bad Boll verwies der Neutestamentler Eduard Schweizer darauf, daß mit dem Neuen Testament die Unterscheidung von 'profan' und 'heilig' aufgehoben sei und folgerte daraus: "wir sind von vornherein aufgerufen, alles zu tun, um dieses Mißverständnis auszuschalten, als ob es so etwas wie einen heiligen, aus der Welt abgegrenzten ... Tempelbezirk gäbe"[25]. Aus der Einsicht, daß Kirchen keine Tempel sind, wird so eine normative Begrenzung. Die programmatische Konsequenz zog Werner Simpfendörfer damals mit der Forderung nach dem Ausschluß 'religiöser Merkmale' zur Kennzeichnung gottesdienstlicher Versammlungen[26], die praktische Konsequenz war der kirchliche Mehrzweckraum. Innerhalb der kirchlichen Gebäude sollte es nichts 'Heiliges' mehr geben, der Gottesdienstraum sollte in der Woche genauso selbstverständlich von Gemeindegruppen wie am Sonntagvormittag für den Gottesdienst genutzt werden. Die apodiktisch behauptete Illegitimität religiöser Gedanken des Kirchenbesuchers, der an der Trennung von heilig und profan festhält, kollidiert nun ganz offensichtlich mit der menschlichen Erfahrung, weshalb zum verbalen Radikalismus gegriffen wird. Folgt man dem Religionssoziologen Hans Georg Soeffner, ist es geradezu ein Charakteristikum kirchlicher Gebäude, sich gegenüber dem 'profanum' abzugrenzen: "So verschieden kirchliche Gebäude gestaltet sind, sie alle - sofern sie bewußt als 'Kirchen' entworfen wurden - zeigen demjenigen, der in sie hineingeht, an, daß er bei seinem Eintritt die Schwelle vom Sinnbezirk des Alltags und dessen pragmatischen Zwängen überschritten und sich in einen anderen 'Sinnhorizont' hineinbegeben hat ... [Kirchliche Gebäude sind] zu Stein, Glas und Beton oder Holz gewordene Verweise auf etwas, das den Alltag transzendiert und dennoch wortwörtlich, räumlich und städtebaulich oft genug mitten im Alltag steht."[27] Das Scheitern der theologischen Überlegungen zum Kirchenraum als Funktionalraum vor der Wirklichkeit kann den Wolfenbütteler Empfehlungen in einem kleinen Nebensatz entnommen werden: Dem Wunsch der Gemeinden nach einem vor allem gottesdienstlich genutzten Raum sollte künftig entsprochen werden. Fakt war nämlich, daß die Besucher auch der Gemeindezentren an der Trennung von "profan" und "heilig" festhalten wollten und die mühsam durchgesetzte Nivellierung revidierten. Ich sehe in diesem Vorgang weit mehr als nur das Scheitern einer theologischen Idee, ich halte ihn für ein Zeichen für die notwendige Besinnung auf die faktischen Bedürfnisse der den Kirchenraum nutzenden Menschen. Ist die Raumgestaltung von Kirchen eben nicht "primär theologischer Natur", ist es auch nicht notwendig, die Liturgie zu ihrem Maßstab zu machen.[28] In den Wolfenbütteler Empfehlungen kommt die Berufung auf die Liturgie konsequenterweise nur noch in unspezifischen und erstarrten Formeln vor.[29] Die Konsequenzen, die aus dem Scheitern der Idee des Mehrzweckraums gezogen wurden, sind jedoch nur halbherzig gewesen. Die theologischen Spekulationen wurden nun um anthropologische angereichert, nachgedacht wurde über das Thema "Der Raum und der Mensch". Ein Beispiel dafür ist ein Vortrag auf der Societas Liturgica 1993 unter dem Titel "Liturgischer Raum und menschliche Erfahrung"[30]. Die 'einfache Formel' lautet: "Der theologische Diskurs hinsichtlich von Kirche und Welt, Gemeinde, Gottesdienst etc. bedarf um der Liebe willen eines zusätzlichen anthropologischen Diskurses, bei dem das Verhältnis Mensch und Raum eigens thematisiert wird"[31]. Wie das aussehen soll, wird so exemplifiziert: "In einer konkreten Situation könnte nämlich der Dienst für andere gerade darin bestehen, in einer gleichförmigen Umgebung etwa Farbe und aufwendigere Formen, eine differenziertere Gestaltung, nämlich ein Identifikationsangebot bereitzustellen".[32] Der Fortschritt dieser Betrachtungsweise besteht darin, daß der Mensch überhaupt ins Blickfeld gerät und nicht im Interesse theologischer Konstruktionen unterschlagen wird. Ihre Schwäche ist, daß der Mensch nur gänzlich abstrakt und generalisierend wahrgenommen wird.[33] An der grundsätzlichen Struktur ändert sich daher nichts. Weiter geht es darum, daß einzelne herausgehobene Subjekte, nun nicht mit theologischen, sondern mit raum-anthropologischen Argumenten bewaffnet, anderen - passivierten bzw. objektivierten - Subjekten Raumangebote unterbreiten, und dies etwas differenzierter als bisher.[34] Die hierarchische Struktur bleibt erhalten. Als anthropologische Leistungen der Architektur werden dann "Schutzgewährung, Strukturierung von Lebensprozessen und Setzung von Werten"[35] genannt. Dementsprechend sollen auch Kirchenräume Schutz gewähren, eine Struktur bereitstellen, um ganz bestimmten Lebensformen eine Möglichkeit zur Verwirklichung zu gewähren und durch Akzentuierung bestimmte Raumelemente in den Vordergrund rücken. Diese Möglichkeiten werden dann im Blick auf die Gestaltung des Eingangsbereichs, des Gottesdienstraumes, der Prinzipalstücke, der Ausstattung mit moderner Kunst usw. durchbuchstabiert. An dieser Stelle soll überhaupt nichts gegen die Berücksichtigung anthropologischer Erkenntnisse gesagt werden[36], nur das leicht durchschaubare Interesse an dieser Art der Einbindung der Anthropologie ärgert. Denn auch mit den erweiterten Erkenntnissen wird wiederum nur "bereitgestellt", werden "Angebote unterbreitet", wird "für andere" gedacht. Warum taucht nicht die Idee auf, die beteiligten Subjekte könnten als (religiös) autonome[37] sich ihre Räume selbst wählen, sie mit anderen selbst entwerfen, sie selbst gestalten, mit ihnen leben und in ihnen spielen? Warum müssen die Formulierungen immer wieder so lauten, daß "die Menschen angeregt werden sollen, das Gebäude aufzusuchen", als müsse der Kirchenraum angepriesen werden wie saures Bier? Ist es so undenkbar, daß die Passivierung der Gemeindeglieder durchbrochen wird, daß wir selbst Gebäude in Zusammenarbeit mit anderen so gestalten, daß wir (Sie und ich) sie gerne aufsuchen? Die fortgeschriebene Subjektlosigkeit kirchlicher Raumprogramme ist erschreckend. Aber vielleicht hat das auch seinen guten Grund, vielleicht ist es auch eine zu peinliche Frage, wer denn die handelnden Subjekte beim Entscheidungsprozeß kirchlicher Raumgestaltung sind bzw. sein sollten. Solange aber die realen Interessen und Wünsche der Kirchenmitglieder keine Rolle spielen, nicht einmal im Sinne der Berücksichtigung psychoanalytischer Erkenntnisse, lautet mein allgemeiner Verdacht, daß in Fragen des Kirchen(um)baus und der Raumgestaltung immer noch die alte Asymmetrie von Priestern und Laien vorherrscht.[38] Der Gottesdienstraum wird als Wohnung Gottes verstanden, die Gottesdienstbesucher als seine Gäste und die Pfarrer als die den Hausherrn vertretenden Geschäftsführer. In dieser Perspektive gibt es dann 'legitime' und 'illegitime' Umgangsformen, eine dem Raum entsprechende und eine den Raum mißachtende Erfahrungsweise. Über Legitimität und Illegitimität entscheidet der Pfarrer. Von einer derartigen Rollenverteilung konnte und kann natürlich auch theologisch keine sinnvolle Rede sein. Vielmehr ist es umgekehrt so, daß die Theologie in ihrer Reflexion des religiösen Raumes konstitutiv auf die Lebenswelten der Menschen, die den Kirchenraum als religiösen Raum nutzen (könnten), angewiesen ist: "Bei der Feststellung der faktisch bestehenden Differenzen unter den Menschen geht es für Kirche und Theologie nicht nur um die unterschiedlichen Verstehensmöglichkeiten bei verschiedenen Altersgruppen und Menschentypen, sondern um verschiedene Inhalte dessen, was kirchlich verkündigt und theologisch reflektiert und konstruiert wird. Die Theologie, die einen - meist männlichen - Erwachsenen mittleren Alters und mittlerer Intelligenz vor Augen hat, verfehlt nicht nur die Anliegen und das Verständnis der anderen, der größeren Anteile der Menschheit, sie versäumt auch, die verschiedenen Welt- und Gottwirklichkeiten zu bedenken, die tatsächlich unter Menschen bestehen."[39] In diesem Sinne nötigt auch die Verkündigung zu einer möglichst genauen Kenntnis der Menschen, die jeweils konkret die Gemeinde, und hier nicht nur die sonntägliche Gottesdienstgemeinde, bilden. Geht man deshalb der Frage nach, wer denn Einfluß auf die Gestaltung kirchlicher/religiöser Räume haben könnte und sollte, gerät man schnell in Schwierigkeiten und es wird deutlich, warum Theologen lieber auf ein allgemeines Menschenbild zurückgreifen. Denn die Unterschiede innerhalb der Kirchengemeinden sind vielfältig, ihnen gerecht zu werden, scheint aussichtslos: "Unterschiede nicht nur zwischen gesunden und kranken Menschen, sondern zwischen Männern und Frauen, Erwachsenen und Alten, kleinen und größeren Kindern und Jugendlichen, aber auch zwischen verschieden konstituierten und verschieden disponierten Menschen".[40] Aktuell wird man zudem noch die interkulturellen und interreligiösen Differenzierungen mitbedenken müssen.[41] In und von dieser Vielfalt und diesem bunten Pluralismus lebt die Kirche. Die entscheidende Frage ist, wie die unterschiedlichen Interessen, Vorstellungen, Bedürfnisse und Wünsche der religiösen Subjekte[42] in den Prozeß der Raumgestaltung eingebracht werden können. Denn alle diese Menschen haben ihre spezifischen Vorstellungen nicht nur von den Funktionsräumen der Kirchen, sondern auch vom religiösen Raum und was ihn auszeichnet. Dabei erfahren sie diesen Raum auch je anders. Deshalb ist die Frage nach den konkreten Menschen, die die Gemeinde bilden, nicht nur theologisch sondern auch im Blick auf die Raumgestaltung zentral. Wenn es theologisch sogar um verschiedene Inhalte geht, die kirchlich verkündigt werden (müssen), wird auch der Raumausdruck entsprechend differenziert sein (müssen). Zunehmend beschäftigt sich die Theologie mit der fortschreitenden Individualisierung und Subjektivierung christlicher Religion und erkennt dabei: "Die theologische Auslegung der offiziellen Religion (kirchliche Lehre) erfaßt nicht länger die vielfältige Deutungspraxis der subjektiven Frömmigkeit".[43] Subjektive Frömmigkeit hat sich in der Gegenwart eine Vielzahl von Ausdrucksräumen bis hin zur Alltagskultur[44] geschaffen. Hans-Georg Soeffner hat in seinem Aufsatz "Kirchliche Gebäude - Orte der christlichen Religion in der pluralistischen Kultur" die Konsequenzen daraus für den kirchlich-religiösen Raum skizziert. Folgt man seinen Beobachtungen, dann bleibt für den Kirchenraum gerade noch die Option "Erinnerungs-, Rückfindungs- und Selbstbesinnungsraum" religiöser Individualisten zu sein. Nach Soeffner haben "die Auflösung der hierarchisch-ständischen und bürgerlichen Ordnungen, das Eindringen von Einflüssen anderer Kulturen nach Europa, die Zuwanderung von Angehörigen anderer Ethnien oder Anhängern anderer Religionen ... jene 'pluralistischen' Gesellschaften zur Folge, in denen der zugleich kleinste und größte gemeinschaftliche Nenner letztlich das einzelne Individuum ist. Seine Würde, seine Erfahrungen und Selbstbindungen werden zum Maß der Verankerungen von Überlieferung - und Glauben. Auch die Bindung des einzelnen an einen Kollektivglauben ist sehr locker geworden und die Antwort auf die Frage, was den einzelnen an etwas Bestimmtes - so auch an bestimmte Kirchbauten - binde, weniger gewiß denn je."[45] Was in den kirchlichen Räumen heute noch stattfinde sei weniger Gemeindeleben als das Auftreten von "Ensembles von Individualisten und letztlich religiösen Solisten, die sich selbst feiern."[46] Dies mag sich wie eine subjektivistische Engführung[47] oder Verkürzung dessen anhören, was im Gottesdienst geschehen soll, aber es ist nun einmal der religionssoziologische Befund. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Eine Möglichkeit scheint mir, wie Henning Luther es vorgeschlagen hat, die zur Individualisierung der Religion komplementäre Individualisierung durch Religion zu bedenken, d.h. das, was die Religion selber zur Subjektwerdung des einzelnen beiträgt bzw. beitragen kann.[48] Wenn der 'Zweck aller Vorstellungen' der christlichen Religion, 'im Menschen in seiner unverwechselbaren Einmaligkeit gesehen wird' (Rössler), dann muß man, so schreibt Henning Luther, "davon ausgehen, daß die Tendenz zur Individualisierung - anstatt Religion zu unterminieren und zu bedrohen - vielmehr ihren eigentlichen Gehalt freizulegen in der Lage ist".[49] Dabei kommt kirchlichen - als religiösen - Räumen vielleicht eine wichtige Aufgabe zu, nämlich die notwendige Kommunikation zwischen den individualisierten Menschen durch einen spezifischen religiösen Kontext zu ermöglichen. Notwendig sind "Besinnungs-, Meditations- und Feierstätten"[50] über die Grenzen des Gruppendenkens hinaus, "um die durch die Individualisierung der Religion bedingte Pluralisierung kommunikativ fruchtbar machen zu können, d.h. [um] zu verhindern, daß zwischen den vielfältigen subjektiven Zugängen zur Religion keine Verständigung mehr möglich ist."[51] Gegenüber anderen öffentlichen Gebäuden, die alle Nutzer gleich machen, und solchen, die Menschen in Klassen aufteilen, müßte der religiöse Raum die spezifische Differenz, die Individualität des einzelnen ermöglichen und ihn zugleich in die Lage versetzen, sich unter bestimmten Zeichenschwerpunkten mit anderen zu versammeln. Das ist schwieriger, als es scheint. Die komplexen Regeln der Szenebildung[52] in der Gegenwart machen Treffen unterschiedlicher Szenegruppierungen unter dem gleichen Zeichenset an einem Ort eher unwahrscheinlich. Auf den Kirchenraum als religiösem Raum kommt hier eine paradoxe Aufgabe zu: spezifischen religiösen Zeichenschwerpunkten unterschiedlicher religiöser Gruppierungen ein Zuhause oder wenigstens einen Anknüpfungspunkt zu bieten. Dies gelingt, wenn überhaupt, nur in Zusammenarbeit mit diesen Gruppierungen und bedarf noch genauerer empirischer Forschungen. Auch wenn man - mit Rainer Volp - zugesteht, daß die Schlüsselfrage hier ein aisthetisches Problem und damit auch (nur) aisthetisch anzugehen ist, darf nicht die fast antagonistische Problemlage unterschätzt werden. Der Konflikt entsteht, verglichen etwa mit der Kunst, weniger auf der Ebene der Konkurrenz unterschiedlicher Stile, die beide noch ihren Platz in einem Raum finden, sondern eher auf der Ebene einander ausschließender Zeichensetzungen. Neue religiöse Szenen und die traditionell kirchlichen Szenen können nur schwer in einem Raum zusammenkommen.[53] Die Problematik wird vielleicht deutlicher, wenn wir auf zwei der protestantischen Bilderstreitigkeiten aus den letzten Jahrzehnten blicken. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen wird viel davon einsichtig, was Teile der Gemeinde unter ihrem Kirchenraum als religiösem Raum verstehen. Die Artikulation derartiger Vorstellungen ist über alle unterschiedlichen Konflikte hinweg von einer überraschenden Homogenität. Jedesmal geht es darum, daß Teile der Gemeinde sich durch den Einbruch von außen, durch Säkularität bedroht fühlen. Auf diese Bedrohung reagiert man mit Abwehr, möchte die Reinheit (vielleicht auch die Heiligkeit) des Kirchenraumes, seine Alterität zum Profanen gewahrt wissen. Im Heidelberger Fensterstreit[54] geht es um Glasbilder als Differenzpunkte von innen und außen. Der Künstler Johannes Schreiter hatte für den geschichtsträchtigen Bau ein Konzept entwickelt, das in mehrfacher Hinsicht ein Kontrastprogramm darstellte. Zunächst einmal bildete es einen Kontrast zu den gängigen Erwartungen der Kirchenbesucher. Abgesehen von den Chorfenstern sollten nämlich nicht biblische Stoffe das Programm der Kirchenfenster bestimmen, sondern Alltagserfahrungen. Profanität sollte das verbindende Charakteristikum der Fenster des Langhauses werden. Der aus der Profanität in die Kirche tretende Gläubige sollte sich dieser Schwelle, dieser Differenz ständig bewußt sein. Er sollte den Alltag nicht vergessen, sondern Religion im Blick auf den Alltag bedenken. Deshalb sollte sein Blick mit Aktienkursen, Chemieformeln, Verkehrsplänen, Fernsehbildschirmen und Buchtiteln konfrontiert werden. Die Heidelberger Bürger freilich artikulierten ein anderes Verständnis des kirchlichen Raumes: sie insistierten darauf, daß der kirchliche Raum den Alltag aufheben, ihn vergessen lassen müsse: "Wir brauchen in der Kirche nicht vor Augen geführt zu bekommen, was wir aus dem Alltag schon wissen." Beim Streit um das Christusbild von Georg Baselitz in Luttrum[55] geht es um die Strukturierung des Raumes und um die Dialektik von Konvention und Innovation. Wie vollzieht sich die Gestaltwerdung des Christentums? Der Pfarrer der Gemeinde hatte zur Neugestaltung eines unvollständigen barocken Altarensembles den Künstler Baselitz um ein Werk gebeten, das fast wandfüllend eine auf dem Kopf stehende Figur zeigt. Dieses Bild wollten einige aus der Gemeinde jedoch nicht. Das Faszinierende an der Auseinandersetzung ist, daß die Gegner der neuen Lösung auf einem ziemlich augenfälligen Displacement beharren. Die vorhandene Raumstrukturierung ist aufgrund verschiedener baulicher Veränderungen ästhetisch unbefriedigend und bedarf der Korrektur. Aber es scheint unmöglich, darüber zu diskutieren. Raumwahrnehmung wird hier dominant als Konventionalität bestimmt. "So wie immer" sollen Raum wie Kirche sein. Dieses Interesse ist so stark, daß man lieber eine andere Kirche aufsucht, als die alte verändert wahrnehmen zu müssen. Hier sind wir unmittelbar bei der Wahrnehmung des Kirchenraumes als einem "heiligen Ort". In beiden Fällen haben wir aber nicht nur die gegenüber jeder Veränderung des Raumes protestierenden Gruppierungen vor Augen, sondern zugleich eine andere Gruppierung, die genau in dieser Veränderung die zeitadäquate Raumstrukturierung sieht. Religiosität gewinnt für sie je zeitspezifisch Ausdruck, sie hat weniger mit Tradition, als vielmehr mit aktueller Lebensdeutung zu tun. Wer es gewohnt ist, im Alltag mit zeitgenössischer Ästhetik umzugehen, sieht nicht ein, warum der religiöse Raum davon ausgenommen werden soll. Nach dieser Auffassung muß der religiöse Raum je neu entworfen und strukturiert werden. Was also ist heute ein religiöser Raum? Zu einer Annäherung verhilft vielleicht eine Auseinandersetzung mit den Beschreibungen des heiligen Raumes bei Mircea Eliade[56]. "Für den religiösen Menschen", so schreibt Eliade, "ist der Raum nicht homogen; er weist Brüche und Risse auf: er enthält Teile, die von den übrigen qualitativ verschieden sind. 'Komm nicht näher heran!' sprach der Herr zu Mose, 'Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden' (Exodus 3,5). Es gibt also einen heiligen, d.h. 'starken', bedeutungsvollen Raum, und es gibt andere Räume, die nicht heilig und folglich ohne Struktur und Festigkeit, in einem Wort amorph sind ... Weisen wir sofort darauf hin, daß die religiöse Erfahrung der Inhomogenität des Raums eine Urerfahrung darstellt, die wir einer 'Weltgründung' gleichsetzen dürfen ... ein primäres religiöses Erlebnis, das aller Reflexion über die Welt vorausgeht."[57] Für eine Orientierung in der Welt wäre demnach ein eindeutig ontologisch bestimmter fester Punkt notwendig. Als Beispiele nennt Eliade den Kirchenbau und die Schwelle des heimischen Hauses. Sie sind Orte, die vom Einbruch des Heiligen zeugen. Dabei kann man den heiligen Ort nicht frei wählen, sondern nur suchen und finden. Erst mit der Heiligung (Weihe) eines Ortes wird ein Kosmos errichtet. Das Weltsystem der traditionsgebundenen Gesellschaften läßt sich zusammenfassend so beschreiben: "a) ein heiliger Ort stellt einen Bruch in der Homogenität des Raumes dar; b) dieser Bruch ist durch eine 'Öffnung' symbolisiert, die den Übergang von einer kosmischen Region zur anderen ermöglicht (vom Himmel zur Erde und umgekehrt von der Erde in die Unterwelt); die Verbindung mit dem Himmel kann durch verschiedene Bilder ausgedrückt werden, die sich alle auf die axis mundi beziehen: Säule, Leiter, Berg, Baum, Liane usw.; d) rund um diese Weltachse erstreckt sich die 'Welt' ('unsere Welt'), folglich befindet sich die Achse 'in der Mitte', im 'Nabel der Erde', sie ist das Zentrum der Welt."[58] Weitere Schlußfolgerungen ergeben sich daraus: "a) heilige Städte und Heiligtümer befinden sich im Zentrum der Welt; b) die Tempel sind Nachbildungen des kosmischen Berges und bilden das Band zwischen Erde und Himmel; c) die Grundmauern der Tempel tauchen bis tief in die unteren Regionen hinab."[59] Ein Kirchenraum, ein Tempel, ein heiliger Raum sind immer eins: imago mundi. Auch die Errichtung des Sakralraums, ja sogar der Wohnung wiederholt die Kosmogonie. Für "Tempel, Basilika und Kathedrale" ist darüber hinaus noch charakteristisch, daß sie nicht nur imago mundi sind, sondern "zugleich die irdische Nachbildung eines transzendenten Modells". Sie sind heilige Ort par excellence.[60] Augenfälliges Beispiel ist die Kathedrale als Nach-Bau des himmlischen Jerusalem. Auch Eliade muß konstatieren, "daß der religiöse Mensch den Raum auf verschiedene Weise erfahren kann ... Daß das religiöse Leben der Menschheit sich in der Geschichte realisiert und folglich seine Ausdrucksformen von vielen historischen Momenten und Kulturstilen bedingt ist, versteht sich von selbst"[61]. Aber er hält daran fest, daß die Gemeinsamkeit aller religiösen Raumerfahrungen sich signifikant von der Raumerfahrung des nichtreligiösen Menschen der Gegenwart unterscheidet. Wenn diese Unterscheidung sich an einer Anerkenntnis eines als ontologisch verstandenen Einbruchs des Heiligen in die Welt festmachte, hätte Eliade recht.[62] Wenn das Charakteristikum des religiösen Menschen sein "ontologischer Durst" ist, d.h. sein Bedürfnis, "sich im Kern des Realen, im Zentrum der Welt zu situeren", sich dort aufzuhalten, "wo die Möglichkeit besteht, mit den Göttern zu kommunizieren; also dort wo man den Göttern am nächsten ist"[63], dann sind die heutigen Menschen davon um Welten entfernt. Tatsächlich gilt das, was Eliade für den "klassischen" religiösen Menschen beschreibt, für den heutigen religiösen Menschen Westeuropas nicht mehr, diese Erfahrungsform des Religiösen als einem ontologisch vorgegebenem Heiligen steht weitgehend nicht mehr zur Verfügung. Wenn wir deshalb - wie ich vorschlage - statt vom heiligen nun vom religiösen Raum sprechen, müssen wir nach anderen Gesichtspunkten Ausschau halten. Dies sieht Eliade auch, nur ist er nicht bereit, die gewandelte Religiösität des heutigen Menschen auch als solche zu begreifen. Hier bleibt Eliade einem Ursprungsdenken verhaftet, das in den ursprünglichen Ausdrucksformen eines Denkens bzw. einer Erfahrung die jeweils authentische Artikulation sieht und alles weitere als Verfallsform begreift. Das ist aber nicht nur nicht zwingend, sondern steht einer kritischen Sicht der Gegenwart geradezu im Wege.[64] Wenn Eliade schreibt, "der areligiöse Mensch lehnt die Transzendenz ab, er akzeptiert die Relativität der 'Realität', ja, er kann sogar am Sinn der Existenz zweifeln ... er kann nicht wirklich frei sein, ehe er den letzten Gott getötet hat"[65], so ist dies nur zu deutlich eine Paraphrasierung der Philosophie Nietzsches[66] und seiner Nachfolger, aber keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Möglichkeit religiöser Raumerfahrung in der Gegenwart. So richtig es ist, daß "die meisten dieser Situationen des religiösen Menschen in der primitiven Gesellschaft und in der archaischen Zivilisation seit langem von der Geschichte überholt"[67] sind, so sehr gilt aber auch: "Der geschichtliche Prozeß, durch den diese Verhältnisse objektiv überholt sind, bedeutet eben auch zugleich, daß der Rekurs auf sie als auf das Wahre und als das Substantielle selbst das Moment der Unwahrheit hat".[68] Wenn aber der heilige Raum historisch überholt ist[69] und der Kirchenraum als profaner Raum auf den Widerstand der religiösen Subjekte stößt, ist es sinnvoll, nach jenen Codierungen zu fragen, die einen Raum als religiösen Raum wahrnehmen lassen. Festzuhalten ist dabei, was sich beim Übergang vom heiligen zum religiösen Raum ändert. 1. De-Ontologisierung: der Raum wird nicht mehr als Wohnstätte des Heiligen wahrgenommen; 2. Kommunikationsverflüssigung: die Subjekte möchten bei der Gestaltung des Raumes mitbestimmen; 3. Pluriformität: eine zwingende Raumform ist nicht mehr gegeben; 4. innere Differenzierung: der Raum muß ganz unterschiedliche religiöse Menschen ansprechen; 5. empirische Orientierung: die Raumgestaltung muß aufgrund kommunikativ erzielter Vereinbarungen der Beteiligten vorgenommen werden. Zu erforschen ist also, wann Menschen heute Räume als religiöse bezeichnen, ob und wie sie bestimmte Räume gegenüber anderen auszeichnen. Dabei wird man, soweit ist Eliade zuzustimmen, nicht mehr davon ausgehen können, daß diese Räume als heilige Räume im Sinne einer ontologischen Vorgabe erfahren werden. Vielmehr muß die Auszeichnung derartiger Räume sich im Rezeptionsprozeß der beteiligten Menschen erweisen. Zu fragen wäre also nach den Kommunikationsformen christlicher/religiöser Zeichen im Rahmen gegenwärtiger kultureller Zeichenprozesse, es wäre zu studieren, wer wann wozu sagt: dies ist ein religiöser Raum - und dies ist keiner. Einmal unterstellt, religiöse Räume beruhten auf kommunikativen Vereinbarungen, dann fragt sich dennoch, wie diese Vereinbarungen zustande kommen, d.h. ob religiöse Räume vorgegeben werden müssen oder ob sie sich wie Wohnungen konstruieren lassen? Die Möglichkeit einer derartigen Konstruktion scheint mir unbezweifelbar zu sein, schließlich machen Architekten bzw. Baumeister in Zusammenarbeit mit Theologen bzw. Priestern seit Jahrtausenden genau dies: religiöse Räume zu konstruieren.[70] Gerade jene Räume, die heute als religiös ausgezeichnete Räume wahrgenommen werden, sind höchst inszenierte Räume und nicht nur Umbauungen eines als religiös erfahrenen Ortes. Natürlich funktioniert der so wahrgenommene religiöse Raum nicht voraussetzungslos. Aber diesen Voraus-Setzungen unterliegen Architekten, Pfarrer ebenso wie andere Kirchenmitglieder.[71] Vielleicht haben Kirchen eine genuine und legitime Nähe zur Wohnstube.[72] Bedenkenswerte Überlegungen zum Verhältnis von Kirchenbau und Wohnstube hat Rainer Volp vorgelegt.[73] Kirchenräume leben demnach von der Spannung zwischen Intimität und Öffentlichkeitscharakter; zwischen intimem Wohnhaus und öffentlichem Forum; zwischen individueller Kontemplation und kollektiver Kommunikation. Insgesamt geht es um die spannungsvolle Arbeit an der Kunst, Gott zu feiern. Volp geht von religiösen Bildungsprozessen aus, nämlich, "daß Religion, erst recht die christliche, absolute Grenzerfahrungen kultiviert, die einerseits am Selbstbewußtsein und damit an Fragen der Identität arbeiten und die andererseits das Fremdbewußtsein kultivieren, das heißt mit der Ausgestaltung eines sich je neu öffnenden Gemeinschaftswillens befaßt sind".[74] Wie Räume entsprechend den jeweiligen Erwartungshaltungen inszeniert werden können, kann man m.E. heute am besten am Beispiel der Museen oder Galerien studieren. Überträgt man dieses Modell auf den religiösen Raum könnte dieser in Analogie zu einer berühmten Beschreibung des ästhetischen Raums der Galerie[75] so beschrieben werden: Der religiöse Raum hält vom Gläubigen alle Hinweise fern, welche die Tatsache, daß er mit 'Gott' kommunizieren möchte, stören könnten. Er schirmt den religiösen Menschen von allem ab, was seiner Selbstbestimmung hinderlich in den Weg tritt. Dies verleiht dem Raum eine gesteigerte Präsenz, wie sie auch andere Räume besitzen, in denen ein geschlossenes Wertsystem durch Wiederholung am Leben erhalten wird. Etwas von der Ästhetik einer Galerie oder eines Museums, etwas von der Gemessenheit des Gerichtssaales, etwas von dem Geheimnis des Forschungslabors verbindet sich zu einem einzigartigen Andachtsraum. So mächtig sind die wahrnehmbaren Kraftfelder innerhalb dieses Raumes, daß - wenn man ihn verläßt - Religion vor der Wirklichkeit verblassen kann, und umgekehrt wird ein Objekt zum religiösen Gegenstand in einem Raum, wo sich Gedanken über Gott auf es konzentrieren. Ein religiöser Raum wird nach Gesichtspunkten errichtet, die nach dem Prinzip der räumlichen Verdichtung und der Wahrnehmungskonzentration arbeiten. Die äußere Welt wird ebenso ausgegrenzt, wie durch Ausgrenzung bewußt gemacht. Der Glaube hat hier die Freiheit, wie man so sagt, 'sein eigenes Leben zu leben'. Soweit eine[76] von vielen möglichen Beschreibungen, die jeder nach seinem subjektiven ästhetisch-religiösen Sinn variieren kann. Die vorgeschlagene Beteiligung der Subjekte am Raumgestaltungsprozeß löst Ängste aus. Die Architekten kennen das aus der Diskussion über das Konsens-Modell des Bauens, wonach "der Architekt auf Horchposten gehen, die Wohnwünsche der Menschen erkunden und möglichst direkt in gebaute Form umsetzen müßte."[77] Man befürchtet, daß diese Art der Architektur restriktiv sei, "weil man nicht damit rechnen kann, daß über das Außerordentliche Einigung zu erzielen ist".[78] Die Nutzer-Beteiligung wäre so innovationsfeindlich. Im Blick auf den Kirchen(um)bau läge das Risiko darin, daß sich die beteiligten Kirchenmitglieder die Räume so einzurichten wünschen, daß entweder Architektur als schöpferischer Prozeß gar nicht mehr zustande käme und wir nur eine Vielzahl gering variierter 'Kuschelkirchen' bekämen, oder daß sie den minimalen Anforderungen liturgischer Gestaltung nicht mehr genügen. Diese Extreme von Chaos und 'Kuschelkirche' sind aber eher unwahrscheinlich. Den Verlust aller liturgisch strukturierenden Elemente verhindert das, was Maurice Halbwachs "das kollektive Gedächtnis" genannt hat, welches sich immer innerhalb eines räumlichen Rahmens bewegt.[79] Dieses kollektive Gedächtnis konnten schon jene erfahren, die für den kirchlichen Mehrzweckraum plädiert hatten. Denn "der Ort, an dem eine Gruppe lebt, ist nicht gleich einer schwarzen Tafel, auf der man Zahlen und Gestalten aufzeichnet und dann auswischt"[80]. Dementsprechend läßt sich die Raumnutzung nicht nach den jeweiligen funktionalen Anforderungen strukturieren, ohne daß die beteiligten Menschen die Bindung an den Raum verlieren[81] oder - was wahrscheinlicher ist - Widerstand leisten: "Die lokalen Gewohnheiten setzen den Kräften, die sie zu verändern bestrebt sind, Widerstand entgegen, und dieser Widerstand erlaubt am besten wahrzunehmen, in welchem Maße das kollektive Gedächtnis sich in derartigen Gruppen auf räumliche Bilder stützt".[82] Gravierender ist schon der Verdacht, bei stärkerer Einbeziehung der faktisch zur Kirche zählenden Menschen würden diese sich tendenziell eine 'Kuschelkirche' einrichten wollen und dadurch ein vom Architekten entworfenes einheitliches und programmatisches Baukonzept zum Scheitern bringen. Tatsächlich muß man das Risiko eingehen, durch Ausweitung der Nutzer-Beteiligung häufig nicht jene Resultate der Kirchengestaltung zu erzielen, die sich Vertreter der Hochkultur wünschen würden. Wie die Beispiele von Heidelberg und Luttrum zeigen, prallen in den Gemeinden die unterschiedlichen Vorstellungenreligiöser Raumgestaltung oft unversöhnlich aufeinander. Offensichtlich gibt es keine einfachen und eindeutigen Lösungen, keine Patenrezepte, es sei denn die Einsicht in die Notwendigkeit der Ausbildung und Einübung in demokratische Prozesse. Nach Matthias Zeindler "ist das Subjekt kirchlicher Gestaltung theologisch betrachtet die Gemeinde .. [Deshalb] muß die Gemeinde Verfahren der Planung und Realisierung entwickeln, in denen grundsätzlich alle Gemeindeglieder die Chance haben, ihre Vorstellungen in den Gestaltungsvorgang einzubringen und so ihre gestalterische Verantwortung wahrzunehmen, in denen aber gleichzeitig der Tatsache Rechnung getragen ist, daß es für den Umgang mit Fragen der Architektur - und der Ästhetik - unterschiedliche Kompetenzen gibt, bedingt durch Talent und Bildung."[83] Festzuhalten ist also, daß nicht die Theologen und auch nicht die Architekten die Subjekte kirchlicher Gestaltung sind, sondern die gesamte Gemeinde. Und die Vorbehalte hinsichtlich von Talent und Bildung betreffen, wie wir gesehen haben, auch die Theologen. Die Konstruktion religiöser Räume ist demnach auch eine komplexe Form des Interessenausgleichs. "Wohnen ist Kultur der Gefühle im umfriedeten Raum"[84] hat der Religionswissenschaftler Hermann Schmitz hervorgehoben. Daß die gesamte Gemeinde in ihrem Raum muß wohnen können, bildet einen noch zu geringen Aspekt in der Reflexion des Kirchenbaus. Wenn es stimmt, daß "die im Begriff des Sakralraums verborgene Frage nach der Besonderheit des spezifisch christlichen Gottesdienstraumes immer in der Rückfrage mündet, welche Wirkung die Lektüre der Räume und dessen, was darin geschieht, auf den Besucher hat"[85], dann ist es notwendig, bereits beim Raumgestaltungsprozeß alle (potentiellen) Besucher miteinzubinden. Diese Form der Beteiligung als Mitspracherecht und vor allem als Bedürfnisartikulationsrecht nicht nur der Gottesdienstgemeinde, sondern auch aller virtuellen Nutzer und Besucher kirchlicher Räume kann durchaus auch innovative Prozesse in Gang setzen. Virtuell nenne ich die Nutzer, um anzudeuten, daß es einen Unterschied zwischen den nominellen Mitgliedern einer Kirchengemeinde als potentiellen und der Gottesdienst-Gemeinde[86] als realen Nutzern des Kirchenraums gibt. Beteiligt werden müssen alle Gruppierungen. Es könnte doch so sein, daß die Gottesdienstgemeinde und ihre Repräsentanten die Kirchenräume so einrichten, daß sie konkret nur ihren und nicht den Bedürfnissen der virtuellen Nutzer entsprechen.[87] Auch die Kerngemeinde ist nicht so homogen, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. So hat die Gottesdienstgemeinde häufig ein anderes religiöses Bewußtsein und ein anderes Raumgestaltungsbedürfnis als die Gemeindehaus-Nutzer oder die Pfarrer. Genau an dieser Stelle setzen die Herausforderungen für künftige Raumgestaltungsprozesse ein. Notwendig ist Partizipation im weitesten Sinne. Welche Folgerungen daraus für Architektur und Theologie zu ziehen sind, soll abschließend erörtert werden. Was bedeutet "Partizipation" für die Architektur und die bauliche Gestaltung? "Der Terminus Partizipation hat sich als Oberbegriff für die verschiedenen Arten der Beteiligung, Teilhabe, Teilnahme, Mitwirkung und Mitbestimmung an Entscheidungsprozessen bis hin zu ihrer Kontrolle durchgesetzt ... Der Umfang von Partizipation aus der Sicht der Betroffenen kann von der Befragung über die Anhörung bis hin zur Mitbestimmung und Kontrolle gehen; aus jener der Entscheider von der Information über die Beratung bis zur Mitentscheidung. Die Form von Partizipation vermag sich zwischen einer spontanen Diskussion, einer Umfrage, einer Bürgerinitiative, einem formalisierten Anhörungsverfahren bis hin zu einer konkreten institutionellen Mitentscheidung zu bewegen".[88] Partizipation regelt die Beziehungen zwischen Entscheidern und Betroffenen bzw. Beteiligten.[89] "Aus der Sicht der Betroffenen hat Partizipation einerseits (positiv) die Aufgabe, die Möglichkeiten zur Artikulation und Durchsetzung individueller und kollektiver Interessen zu bieten und dabei die Chancen zum Erlernen, zum Erproben und zum Entfalten von Handlungsstrategien zu erhöhen; andererseits (negativ) hat sie die Aufgabe, die Gefahr zu verringern, daß Entscheidungen den eigenen Interessen widersprechen und kritiklos akzeptiert werden ... Aus der Sicht der Entscheider hat Partizipation einerseits (positiv) die Aufgabe, die Möglichkeiten zu aufgeklärteren und effektiveren Entscheidungen (Entscheidungen unter Berücksichtigung von mehr Informationen) zu erhöhen; andererseits (negativ) hat sie die Aufgabe, die Gefahr zu verringern, daß praxisferne und bei der Verwirklichung auf Widerstand oder Desinteresse der Betroffenen stoßende Entscheidungen gefällt werden."[90] So positiv sich 'Partizipation' anhört, angesichts der "Kunstform" Architektur stellt sich die Frage, ob kreative Prozesse demokratischen Prozeduren unterworfen werden können. "Ist in einer stark veränderten, pluralistischen Gesellschaft, in welcher (wie es scheint) keine allgemeinen sozialen und ästhetischen Normen mehr existieren, die Partizipation das einzig legitime Mittel, von Fall zu Fall den größten gemeinsamen Nenner des Konsenses zu ermitteln und ihn der Architektur zugrundezulegen? Oder behält die Architektur auch (oder vielleicht sogar: vor allem) in einer solchen Gesellschaft ihre kulturelle Autonomie bei, indem sie dadurch, daß sie von einer Minderheit produziert und angeboten wird, neue soziale und ästhetische Normen vorgibt"?[91] Die Befürchtungen sind klar. Fragt man die Betroffenen nach ihren Vorstellungen, so erhält man "keine echten Wünsche und Bedürfnisse, sondern nur von außen Suggeriertes, Übernommenes und unüberlegt Wiedergegebenes: Eine darauf aufbauende Architektur würde unweigerlich in ... Stagnation und Geschmacklosigkeit ... versumpfen".[92] Das zwingt aber nicht zum Verzicht auf Partizipation. Die Alternative ist nicht die agonale Gegenüberstellung von avantgardistischer Architektur oder Anpassung an den Massengeschmack, sondern die qualitative Befragung.[93] Erst qualitative Befragungen würden verdeutlichen, wie die (virtuellen) Nutzer kirchlicher Räume diese als religiöse Räume erfahren bzw. zu erfahren wünschen. Nur im Rahmen einer sozialwissenschaftlich (anthropologisch usw.) ausgewiesenen Erhebung käme man der faktischen Raumbezogenheit des (protestantischen) Glaubens näher. Durchgeführt werden müßte ein Projekt zur Analyse gegenwärtiger religiöser Kultur, das den aktuellen Codierungen von Religion ebenso nachgeht wie jenen Mustern, die von religiösen Institutionen bereitgestellt werden müßten, um religiöse Selbstdeutungsprozesse anzuregen und kommunikabel zu machen.[94] Die Gemeinden und die Kirchenangehörigen müßten also in einem Akt der Selbstreflexion zu erfahren suchen, unter welchen Zeichenschwerpunkten sie von wem wann wahrgenommen werden bzw. sich selbst konstituieren. Klar ist dabei: "Mit einem Haufen Fragebögen und einem Computer macht man noch keine Architektur".[95] Aber die qualitative Befragung bildet den Rahmen für jene kreativen Prozesse, die den Kern der Architektur ausmachen. Im Rahmen der partizipatorischen Erhebungen ergeben sich jene Freiräume, die in der Verantwortung der Architekten liegen, hier kann und muß sich seine Kompetenz, seine Kunst der Raumgestaltung entfalten. Ausgehend von den sozialwissenschaftlich-anthropologischen Erhebungen eröffnet sich ein weites Spielfeld für Architekten. Ich sehe hier - abgesehen von den obligaten Sachzwängen - keinerlei Einschränkungen, sondern nur eine Vielzahl von Herausforderungen für kreative Arbeit. Hier eröffnen sich nicht nur Freiräume, sondern es ergibt sich auch die Pflicht, jeweils zeitangemessene Lösungen des religiösen Raumes, eines als religiös strukturiert wahrnehmbaren Raumes zu entwickeln. Kirchenbau ist eine mittlere, vielleicht auch eine vermittelnde Form zwischen Vorzeigearchitektur und Gebrauchsarchitektur, insofern ihr Gebrauch (als religiöser Raum) zugleich ein Zeichen (nach außen) ist. Die Herausforderung für Architekten besteht darin, vor dem Hintergrund der erhobenen Bedürfnisse neue Szenarien, neue Inszenierungsfreiräume für religiöse Selbstdeutungsprozesse zu entwickeln. Was bleibt nach dem bisher Ausgeführten für die Theologie zu tun? Zum einen sollte sie Projekte zur Analyse der religiösen Kultur angehen. Die bisherigen Erhebungen zur Religiosität sind viel zu unspezifisch und vor allen Dingen kaum auf den Raum bezogen.[96] Kirchliche Institute wie das Marburger Institut für Kirchenbau, aber auch die pastoralsoziologische Arbeitsstelle der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover sollten beauftragt werden, gemeindebezogene qualitative Erhebungsverfahren für die Gestaltungsbedürfnisse im Blick auf religiöse Räume zu entwickeln. Auch die vorhandenen Räume sollten auf ihre Religionsfähigkeit untersucht werden. Die im Rahmen der Finanzknappheit der Kirchen anstehenden Überprüfungen der Nutzung kirchlicher Räume könnte hierauf ein besonderes Augenmerk haben.[97] Für die unvermeidbaren kirchlichen Bauprogramme wünsche ich mir den Satz: kein Kirchen(um)bau ohne qualitative Befragung aller Gemeindeglieder. Zusammenfassend kann mit Henning Luther die zu leistende Aufgabe der (Praktischen) Theologie so beschrieben werden: "Theologie formuliert nicht den Einheitskonsens der Glaubenden, sie formuliert nicht jenes inhaltliche Einverständnis, auf das alle zu verpflichten wären, sondern klärt - auf hermeneutische und empirische Weise - die Bedingungen, unter denen sich Verständigung zwischen den religiösen Subjekten vollziehen kann. Was und wie zu glauben ist, klären die einzelnen Subjekte selber."[98] Und mit aller notwendigen Vorsicht kann hier ergänzt werden: .. auch was und wie zu bauen ist, klären die beteiligten Subjekte selber. Anmerkungen
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