www.can-d.orgWas wissen wir durch das Internet über Schöpfung? Das Medium erzählt uns von menschlicher Kreativität. Ob der Bildschirm Himmelszelt oder Weltraum ist, ob die Pixel Sterne am Firmament oder Fliegen auf einer Lampe sind - die Wirksamkeit des Virtuellen hängt ab von der Wirklichkeit unserer Wünsche, von unserer Bereitschaft zur Imagination und unserer Lust zu spielen. Aber es erzählt nicht nur vom Kreieren, sondern auch vom Erfolg der Kreation - im Internet lernen wir alle, dass die Botschaft ankommen muss, der User nur verweilt, wenn der Auftritt fesselt. "Don't forget water when creating ... your own world". Dieser Slogan, mit dem der erste Track [track 01 webspot1] auf der Webseite CAN-D.ORG des Künstlers Markus Kleine-Vehn endet, wirbt dafür, ohne für etwas Bestimmtes zu werben. Dies eröffnet sein ästhetisches Programm: Minimalistische Animationen, die nicht mehr und nicht weniger bearbeiten als die Schöpfung des Internets selbst, seine Möglichkeiten und Fallen. Kleine-Vehn verwendet Muster und Eigenarten multimedialer Ästhetik, fragmentiert und kombiniert sie neu, so dass sie ihrer (meist kommerziell genutzten) Eindeutigkeit beraubt werden. Tendenzen zur Kommerzialisierung der Wahrnehmung leitet er gleichsam um, lässt deren Gesetzmäßigkeiten zweckfrei ins Leere laufen und steigert so unsere Lust an am Schauen, an der bloßen Wahrnehmung. So entleert sich die Promotion [track 05 promo_video] in einem endlosen Loop und der Werbespot [track 01 webspot1] baut die eigene Spannung selbsttätig ab, indem er sich zurückspult, noch bevor der eigentliche Abspann kommt. Verfahren aus Computerspielen und Sprachcodes der Medienkommunikation begegnen uns als ironische Samples. In Kleine-Vehns Spielen kann man gewinnen und verlieren. Entscheidend ist jedoch, ob man spielen will, nicht ob man gewinnen will. So hat er eine Spielsituation geschaffen [track 03: memory], in der man, glaube ich, überhaupt nicht gewinnen kann, denn je schneller man zwei gleiche Motive memoriert und einander zuordnen kann, desto weniger Zeit bleibt für die Ordnung der restlichen. Das Verlangen zu spielen wird dadurch jedoch nicht gemindert. Vielleicht steht am Ende des Spiels daher nicht umsonst nicht "you lost", sondern immer "you lose" (!). Mit dem Titel einer weiteren Animation [track 03 nurzel (???)], kann man nicht viel anfangen, bis man eher zufällig probiert, es rückwärts zu lesen: "lezrun???". Versucht man hier, die amöbenartig vibrierenden, scheinbar flauschigen Stoffbälle mit der Maus zu fixieren, reagieren die Bälle magnetisch abstoßend und beginnen jetzt vor der 70er Jahre Tapete psychedelisch zu tanzen - eine Animation, die einfach witzig ist und Spaß macht: lezrun, havephun! In allen Tracks versucht Kleine-Vehn, die parasitären Strukturen des Internets spielerisch einzufangen. Das Netz lebt von dem, der sich bewegt, ohne sich darin zu bewegen. So formuliert das Video [track 05 promo_video] einen ironischen Kommentar auf den Hyperroom, als der das Internet lange gehyped wurde. Der Film verspricht die Präsentation einer "new engine technology". Was wir in der ersten Sequenz [1 full motion capturing] jedoch sehen, ist der Horror einer Totalerfassung von Bewegung, nämlich die autistische Dauerreflexion auf den eigenen Standort. Die zweite Sequenz [2 facial animation], von der man sich ein interaktives Szenario erhofft, führt schizoide mimische Bewegungen vor Augen. Die dritte Sequenz [3 high detailed environment] schließlich erzeugt keine definierende Prägnanz und örtliche Kohärenz, sondern vielmehr entdifferenzierende, Oberflächen zersetzende Über-Sichten durch schnelle, rotierende Kamaraschwenks. Ob wir uns online wirklich bewegen, orientieren und etwas wahrnehmen, hängt weniger von Übertragungsgeschwindigkeiten und Wiedergabequalitäten ab, als davon, ob wir bereit sind, die Orte im Netz immer wieder zu verflüssigen. Die Freiheit des Netzes, die Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, entsteht erst dann, wenn sich die Teilnehmer als selbstständige Akteure begreifen. Alle Sequenzen entfalten experimentellen Zauber und Aggressivität zugleich. Sie sind unterlegt mit minimalistischem Post-Punk und verweigern sich so einer poetisierenden Aneignung, kleine Kakophonien in Bild und Ton. Michel Serres schreibt von der "gewöhnlichen Kakophonie": "Die Beiträger senden hier sogar Töne nahezu kanonischen Charakters aus, manchmal produzieren sie Sinn. Dennoch wird die Summe oder das Produkt oder die Komposition dieser Quellen als Karikatur wahrgenommen: nicht anzuhören und sinnlos. ... Der Lärm nährt eine neue Ordnung. Die Organisation, das Leben und das intelligente Denken sind im Zwischenbereich von Ordnung und Lärm, von Unordnung und perfekter Harmonie angesiedelt. Wenn es nur Ordnung gäbe, wenn wir nur perfekte Akkorde hörten, fiele unsere Dummheit bald in einen traumlosen Schlaf; wenn wir stets nur in Katzenmusik gehüllt wären, verlören wir Atem und Zusammenhalt, zerstreuten wir uns zwischen die tanzenden Atome des Universums. Wir sind, wir denken und wir leben am Rande, im Wahrscheinlichen, das vom Unerwarteten genährt, im Gesetzmäßigen, das von der Information gefüttert wird." (Der Parasit) Kleine-Vehns Tracks richten sich gegen die Idee einer Symphonie des Netzes. Sie plädieren dagegen für die Erzeugung von Dissonanzen durch die einzelnen Spieler und ihre unterschiedlichen Spielarten. Was wir in CAN-D.ORG hören und sehen, ist ein Remix aus Geräuschen, die das Internet sammelt und hervorbringt. "Geräusche. Wir sind in uns selbst vergraben; unablässig und nutzlos senden wir Gebärden, Zeichen und Töne aus. Niemand hört zu. Jeder spricht, niemand versteht." (Michel Serres, Der Parasit) Alle Tracks reflektieren nicht zuletzt auch das Verhältnis von Echtzeit und wahrgenommener Lebens-Zeit. Im vierten Track [track 04 the time] erscheint eine digitale Zeitanzeige in leuchtend grünen Ziffern. Im Abstand von etwa drei Sekunden scrollt analog ein fast nicht wahrnehmbares Farbband durch das schwarze Feld. Welches der beiden Zeit-Zeichen, das iterative oder das wiederholende, arbeitet einer ästhetischen Nivellierung von zeitlicher Erfahrung zu und welches intensiviert unser zeitliches Erleben? Gezählte Differenzen sind ja nicht unbedingt erlebte Differenzen, andererseits ist aber auch erlebte Zeit nicht unbedingt eindeutig wahrgenommene Zeit? Kleine-Vehn hat CAN-D.ORG - sicher auch im Sinne einer konsequenten Prozessualisierung der Mediengrenzen - graphisch nicht wie eine Landkarte, auf der im Netzraum Projekte oder gar Werke scheinbar neben- oder hintereinander lagern, sondern in Form von Tracks organisiert. "I removed the map, since I don't like it any more. The site is now structured by 'tracks', a term which seems to me much more appropriate than 'projects' or 'work' [fuck arts speak]." Über einen Link kommt man zur Homepage des Künstlers und zu einer seiner älteren Netzarbeiten, der BLOBCITY, die wir kurz im Heft 10 vorgestellt haben. In CAN-D.ORG verspricht der Künstler aber: "New tracks will be coming soon. #have_phun." |
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