Rückläufige Finanzmittel halten Evangelische wie Katholische Kirche in Deutschland seit Beginn der neunziger Jahre in Atem: Reformen der Einkommensteuer, hohe Arbeitslosigkeit sowie abnehmende Mitgliederzahlen - hervorgerufen durch Austritte, vielschichtige Strukturwandlungsphänomene und demographische Entwicklungen - lassen immer weniger Spielraum, Angebote und Einrichtungen im bestehenden Maß aufrecht zu erhalten. Als besonders drückend erweisen sich die Personalkosten, die sich kurzfristig jedoch nur schwer eindämmen lassen. Dementsprechend geraten andere Haushaltstitel in den Blick, um schnellstmöglich zu einschneidenden Mitteleinsparungen zu kommen.[2] Zunehmend müssen sich denn auch Kirchengemeinden wie übergemeindliche Arbeitsbereiche von altbewährten, liebgewonnenen Einrichtungen und Angeboten verabschieden oder zumindest ihre Leistungen erheblich einschränken. Die Möglichkeiten zur Entwicklung gesellschaftsoffener, zukunftsbezogener Handlungs- und Wirkungsfelder werden dabei immer geringer. Stattdessen heißt es, sich auf die eigenen Ressourcen zu besinnen und die Arbeit im ganzen auf schlankere Strukturen zu konzentrieren. Besonders im Blick stehen hierbei auch die kirchlichen Bauten und Liegenschaften. Schließlich verfügen katholische Diözesen wie evangelische Landeskirchen in den alten Bundesländern über ein stattliches Gebäudevolumen, überkommen aus Zeiten, da sie ganz auf Wachstum eingestellt waren. Dies aber ist längst vorbei - und gerade die vom Mitgliederschwund am stärksten gebeutelten Gemeinden innerhalb sowie am Rande der Stadtzentren verfügen heute über den vergleichsweise größten Baubestand: Während Geschäfte, Gaststätten und Verwaltungsstellen auf die Übersiedlung vieler Bewohner ins stadtnahe Umland und damit einhergehenden, teils drastischen Bevölkerungsrückgang mit Schließung reagierten, hielten die Kirchen jedoch an ihren in den fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahren noch enorm erweiterten Kapazitäten fest.[3] Zu Zeiten voller Kassen machte sich dies kaum negativ bemerkbar. Vielmehr nutzten die Gemeinden das Platzangebot zur immer weiteren Ausdifferenzierung ihrer Aktivitäten oder überließen freiwerdende Räumlichkeiten - oft kostenfrei - Gruppen aus dem gemeindlichen Umfeld. Einzig die meist kaum flexibel nutzbaren Kirchengebäude zeigten immer größere Leere: So standen in Großkirchen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sowie Nachkriegs-Neubauten teils vierstelligen Sitzplatz-Kapazitäten bald nur noch 30-50 sonntägliche Gottesdienstbesucher gegenüber. Nicht wenige Gemeinden überlegten denn auch schon in der Vergangenheit, überdimensionierte Kirchengebäude baulich zu verändern oder gar aufzugeben und sich in kleinere Einheiten zurückzuziehen. Kirchliche Finanzverhältnisse und -systeme ließen indes das Festhalten an Gebäudeüberhang zu, so dass allfällige Entscheidungen zugunsten nachhaltiger Anpassung an die Verhältnisse immer wieder hinausgeschoben wurden. Manch heftige Auseinandersetzung wurde so vermieden, zugleich aber die Gelegenheit, Rücklagen zukunftsweisend einzusetzen, versäumt.[4] Denn jetzt, da die Finanzmittel zunehmend knapper werden, lassen sich tiefgreifende Einschnitte nicht mehr umgehen. Zumal wenn 40, 50 Jahre nach Wiederauf- oder Neubau größere Sanierungsmaßnahmen anstehen, wird immer öfter über Abgabe oder gar Abriss nachgedacht:[5] Sieht sich - beispielsweise - die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau doch gezwungen, ihren gesamten Baubestand mit knapp 4500 Gebäuden, darunter ca. 1400 Kirchen, auf zureichende Rentabilität zu prüfen. Ziel ist es, die Aufwendungen für den Bauunterhalt auf die Hälfte zu reduzieren, um so die kirchlichen Haushalte zu entlasten. In Frankfurt am Main, wo dieser Schnitt bereits 1998 erfolgte, ringen seither zahlreiche Gemeinden um den Erhalt ihrer Gebäude - Kirchen wie Gemeindezentren oder Gemeindehäuser: Der - zumindest teilweise - Abriss dreier Kirchen scheint mittlerweile beschlossene Sache.[6] Ähnlich die Situation in zahlreichen, vor allem städtischen Regionen der anderen westlichen Landeskirchen,[7] aber auch auf katholischer Seite: So ist es in und um Köln in den letzten Jahren bereits zu mehreren Abgaben von Kirchen an andere Konfessionen, aber auch an Private gekommen.[8] Ebenso steht im Ruhrgebiet die Zukunft zahlreicher Kirchen auf dem Prüfstand.[9] Und selbst im traditionell kirchenfreundlichen Süden zeigt sich der Schwund, sank der katholische Kirchenbesuch in München mit 4 - 6 % auf geradezu protestantisches Niveau ab.[10] Längst auf dem Land angekommen ist diese Problematik in den neuen Bundesländern, wo sich die Situation insgesamt noch weit dramatischer darstellt: Aufgrund der nach wie vor schwierigen Gesamtwirtschaftslage, der daraus resultierenden, anhaltend hohen Bevölkerungsabwanderung in den Westen sowie der über die letzten Jahrzehnte stark geschrumpften Mitgliederzahlen[11] beklagen die dortigen evangelischen Landeskirchen eine latent akute Finanzschwäche. Kaum kann der Personalbedarf zureichend finanziert werden. Für die dringliche Sanierung der über DDR-Zeiten weithin in Verfall geratenen Kirchengebäude bleibt demgemäss kaum etwas übrig.[12] Kommt bei einem auf derzeit rund 9 Mrd. DM geschätzten Sanierungsbedarf für die evangelischen Kirchengebäude in Ostdeutschland keine weitere Hilfe vom Staat und aus der Öffentlichkeit, ist in den kommenden Jahren mit enormen substantiellen Verlusten zu rechnen:[13] Die Evangelische Kirche von Berlin-Brandenburg geht davon aus, künftig erhebliche Teile ihres Baubestandes nicht mehr halten zu können.[14] In der Kirchenprovinz Sachsen kann die in den letzten 50 Jahren auf rund ein Sechstel zusammengeschrumpfte Schar der Kirchenmitglieder für ihre Kirchengebäude, deren Anzahl im gleichen Zeitraum etwa konstant blieb, längst nicht mehr zureichend aufkommen.[15] Auch im katholischen Bereich sieht die Lage nicht günstig aus. Zwar befindet man sich hier seit der Reformation - mit Ausnahme etwa des Eichsfeldes - in einer Minderheitensituation[16] und verfügt demgemäss über weit weniger Gebäude als die Evangelischen. Doch auch die Zahl der Katholiken hat sich im Gebiet der ehemaligen DDR in den letzten Jahrzehnten einschneidend verringert, so dass Diözesen wie Gemeinden bei Erhalt und Unterhalt ihrer Baulichkeiten zunehmend an finanzielle Grenzen stoßen.[17] Fügt man diese Bilder zusammen, scheint auf protestantischer Seite, wo allein demographische Entwicklungen weiteren immensen Mitgliederschwund erwarten lassen,[18] mindestens in einigen Ballungsgebieten aber auch auf katholischer Seite ein Ausverkauf der Kirchen bevorzustehen.[19] Indes stellt sich die Frage, ob sich Kirchen und Gemeinden durch ein solches "Gesundschrumpfen" nicht ihrer eigenen Möglichkeiten berauben: Ragen die Kirchengebäude mit ihren Türmen doch geradezu zeichenhaft in die Welt, in die Gesellschaft hinein - und bieten damit herausragende, in ihren Chancen und Potentialen allerdings meist kaum zureichend genutzte Orte aktiver Lebens- und Glaubenskommunikation.[20] Ein Blick auf Großbritannien und die Niederlande mag dies geradezu plastisch verdeutlichen: Die dort seit Jahrzehnten anhaltende Säkularisierung hat Kirchenleitungen und Gemeinden veranlasst, zahlreiche Kirchengebäude aus Rentabilitätsgründen aufzugeben. Verfügte beispielsweise die Katholische Kirche in Amsterdam 1970 noch über 44 Kirchengebäude, sind es heute kaum mehr 20. Ebenso haben die Niederländischen Reformierten in den letzten Jahren bis zu 40 % ihrer Kirchengebäude abgestoßen.[21] Damit einher ging jedoch ein enormer Traditionsabbruch und Identitätsverlust, der sich auf das kirchliche Image vielerorts negativ auswirkt: Die Kirchen ziehen sich zurück - und marginalisieren sich dabei selbst. Der einmal eingeschlagene Rückzug wird zum unaufhaltsamen Niedergang, geradezu zum Teufelskreis.[22] Das zeigen auch Erfahrungen aus der ehemaligen DDR: Zahlreiche Gemeinden mussten dort ihre Kirchen aufgeben, weil sie deren Erhalt unter den mannigfachen Bedrängnissen religionsfeindlicher Staatspolitik nicht leisten konnten. Stattdessen zogen sie sich zurück ins Gemeinde- oder gar Pfarrhaus - und verschwanden damit nach und nach aus dem Blickfeld der Gesellschaft. Staatlicherseits war das gerade recht, aus kirchlicher Sicht indes fatal: Verlangt das Evangelium doch nicht nach Abgeschiedenheit, sondern nach Gehör und Öffentlichkeit.[23] Daraus wird deutlich: Eine Kirchengemeinde, die sich von ihrem Kirchengebäude verabschiedet, gibt ihre Präsenz und damit auch ihre Relevanz in der Öffentlichkeit preis. Der Rückzug in den Hinterhof vermittelt Abschottung und Abgrenzung nach außen - und innen - und entfaltet mit der Zeit eine geradezu tödliche Wechselwirkung in der Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft. Kirchengemeinden wie kirchliche Institutionen in den alten Bundesländern sind denn auch nur davor zu warnen, sich durch Abgabe von Kirchen und Rückzug in kleinere Einheiten von ihrer ständigen, zeichenhaften Präsenz zu verabschieden. In einer immer stärker von Symbolen geprägten Welt wäre dies ein geradezu leichtfertiger Verzicht auf den besten kirchlichen "Werbeträger"![24] Immerhin haben sich in den letzten Jahren einige Gemeinden mit ihren Landeskirchen bzw. Diözesen auf den Weg begeben, ein demgegenüber alternatives Nutzungs- und Finanzierungskonzept für ihr Kirchengebäude zu entwickeln. Wesentliches Ziel war und ist es dabei, die Kosten für Gebäudeerhalt und -unterhalt nachhaltig zu senken. Gesucht wurde denn auch nach Möglichkeiten, Kirchen über den exklusiv gottesdienstlichen Gebrauch hinaus erweiterten Nutzungen zu öffnen. In etlichen Fällen konnte dadurch die Gemeindearbeit in die Kirche verlegt und das Gemeindehaus kostenreduzierend aufgegeben werden. Zugleich wurden aber auch neue Veranstaltungsarten - insbesondere im Bereich der Kultur- und Gemeinwesenarbeit - gewonnen, die heute helfen, zusätzliche Einnahmen für den laufenden Unterhalt des Kirchengebäudes zu erwirtschaften. Indes gilt es, hier keineswegs allein das Thema Kosten zu betrachten: Vielmehr gelingt es Kirche an solchen Orten zunehmend, alte, brachgefallene Räume neu zu beleben und dabei im gesamten gesellschaftlichen Umfeld enorm an Relevanz zu gewinnen.[25] St. Petri in LübeckEines der interessantesten hierunter zu nennenden Beispiele stellt St. Petri in Lübeck dar:[26] 1220-1530 als zweite Pfarrkirche der Stadt errichtet, wurde sie im Zweiten Weltkrieg bis auf die Außenmauern zerstört. Hernach blieb sie lange als Ruine liegen: Im Zuge veränderter Stadtplanung beim Wiederaufbau hatte St. Petri ihre Funktion als Gemeindekirche verloren und war damit überflüssig geworden. Allein ihr 108m hoch aufragender Westturm wurde - der Stadtsilhouette wegen - wiederhergestellt, das Kirchenschiff blieb - in den sechziger und siebziger Jahren immerhin mit neuem Dach und Fenstern versehen - ungenutzt.
Finanziert wird dieses vielgestaltige, von Besucherinnen und Besuchern weit über Lübeck hinaus stark frequentierte Angebot im wesentlichen aus sich selbst: Einnahmen aus Vermietungen des Kirchenraumes, Eintrittsgelder sowie die Unterstützung durch Spender und Sponsoren zählen hierzu ebenso wie die Nutzung des Kirchturms als öffentlicher Aussichtsturm. St. Petri zeigt heute in erfrischender Weise, wie eine Kirche im Dialog mit Kunst und Kultur (wieder) zum Lebensraum werden und hierbei zugleich enorme Relevanz im öffentlichen Diskurs gewinnen kann. Neuerliche Umbauten haben die Attraktivität des Gebäudes insbesondere mit Einbau eines Café-Bereiches weiter erhöht. Demgemäss hat dieses Projekt inzwischen etliche Nachahmer gefunden und nimmt in der gesamten, sich in etlichen Städten zunehmend etablierenden "Citykirchen"-Arbeit eine wichtige Vorreiterrolle ein.[29] Zum Heiligen Kreuz in BerlinEin gleichsam herausragendes, jedoch gänzlich anders gelagertes Beispiel stellt der umfassende Umbau der Kirche "Zum Heiligen Kreuz" in Berlin-Kreuzberg dar.[30] Diese wurde - nach Plänen des Architekten Johannes Otzen - 1884-88 als gewaltiger neugotischer Kuppelbau errichtet. Nach schwersten Kriegszerstörungen erst Ende der fünfziger Jahre wiederaufgebaut, drohte hier - vor dem Hintergrund einer massiven Abwanderungswelle der Bevölkerung und daraus resultierendem extremem Mitgliederschwund - schon in den siebziger Jahren die Aufgabe. Schließlich fanden die Gottesdienste nur noch im Gemeindehaus statt, das - mit Aufnahme einer weit über konfessionelle Grenzen hinausreichenden Gemeinwesen- und Stadtteilarbeit - zum neuen Mittelpunkt der Gemeinde avancierte. Nach langwierigen Verhandlungen gelang es aber, nicht nur die Landeskirche, sondern auch die Stadt an dem - dem gesamten Stadtteil zugute kommenden - Projekt zu beteiligen. So wurde etwa ein Drittel der Bauleistungen an die von der Gemeinde zusammen mit dem Sanierungsträger "STATTBAU Stadtentwicklungs-GmbH" gegründete "KirchBauhof gGmbH" vergeben, die damit Beschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten für etwa 300 Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger einrichten konnte. Die hierfür notwendigen Finanzmittel stellten der Berliner Senat, das Bezirksamt Kreuzberg und das Landesarbeitsamt bereit. Beim ab 1991 erfolgten Umbau der Kirche wurde der bisherige Innenraum in ein vielfältig nutzbares Raumgefüge - mit Einheiten vom multifunktionalen Großraum bis hin zu Gruppen- und Büroräumen verschiedenster Größenordnungen - verwandelt. Der riesige, vordem ungenutzte Dachinnenraum wurde für zuvor im Gemeindehaus untergebrachte Einrichtungen und Dienststellen des Kirchenkreises ausgebaut. Die Wiedereinweihung der Kirche im Herbst 1995 - nach gut zwölfjähriger, von der Gemeinde intensiv begleiteter Planungs- und Umbauzeit - war dann der Auftakt zur Neukonsolidierung der vorhandenen, intensiven Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit, die nun in das Kirchengebäude übertragen wurde und dort seither zielstrebig ausgebaut wird. Völlig neu ist hierbei das täglich geöffnete Kirchencafé; und gleiches gilt auch für das mittlerweile breit gefächerte kulturelle Angebot. Um letzteres koordinieren zu können, war der Aufbau eines professionell geführten Managements erforderlich: Ab Dezember 1997 wurde hierzu das "Kulturprojekt 'Akanthus'" unter dem Dach der bereits im Bauverfahren bewährten "KirchBauhof gGmbH" installiert. Beauftragt durch die Gemeinde, ist es seither für die Bewirtschaftung der Kirche im Veranstaltungsbereich verantwortlich und hat die Leitung des Kulturbüros, zuständig für Veranstaltungs-, Termin- und Raumplanung sowie Finanzmanagement, übernommen. Heute wird Heilig-Kreuz zu gut einem Drittel von der Gemeinde selbst und zu einem weiteren Drittel von Partnern aus der Kreuzberger Stadtteil- und Kulturarbeit sowie aus allgemein kirchlichem Hintergrund genutzt. Die restlichen Kapazitäten werden - zur Deckung der Betriebskosten des umfangreichen Raumprogramms - zunehmend an Fremdveranstalter vermietet. Die Palette reicht dabei von Konzerten, Performances, Ausstellungen und Lesungen über Tagungen und Seminare bis hin zu Betriebsversammlungen, Feiern und Empfängen. Die Betriebskosten können damit inzwischen vollständig erwirtschaftet - und die Gemeinde somit finanziell erheblich entlastet werden. Darüber hinaus hat das Kirchengebäude seit dem Umbau einen enormen Stellenwert im gesamten Berliner Kulturleben erworben, der die statistisch stark geschrumpfte Gemeinde zu einem allseits beachteten Partner im öffentlichen Diskurs hat werden lassen, wirksam bis tief hinein in ihre umfangreiche Sozialarbeit. St. Marien in MünchebergGroße Bedeutung gewonnen hat schließlich auch das Beispiel der im Sommer 1997 wiedereröffneten Stadtpfarrkirche St. Marien zu Müncheberg/Mark,[31] einer Kleinstadt mit rund 6000 Einwohnern, gelegen etwa 40 km östlich Berlin. Diese, begonnen im 13. Jahrhundert, war kurz vor Kriegsende 1945 bis auf die Außenmauern zerstört worden. Danach gehegte Hoffnungen auf einen baldigen Wiederaufbau mussten zu DDR-Zeiten aus finanziellen wie politischen Gründen Utopie bleiben. Stattdessen drohte das ruinöse Bauwerk nach und nach gänzlich zu zerfallen. Dementsprechend schloss sich auch eine rein restaurative Wiederherstellung des Innenraumes aus. Stattdessen musste für den Neuausbau eine Lösung gefunden werden, die sich an den Interessen und Ansprüchen der künftigen Nutzer orientierte. Als grundlegende Prämisse wurde hierzu herausgestellt, dass die künftige Raumgestalt einerseits den vom Krieg her überkommenen, ruinösen Bauzustand soweit irgend möglich respektiert und andererseits klar als kirchlicher Raum erkennbar bleibt, dem sich alle weiteren Nutzungen unterordnen. Zum Zuge kam letztlich ein Entwurf des Berliner Architekten Klaus Block: Danach wurde ein schmaler viergeschossiger Einbau vor die Nordwand des Langhauses gestellt, der in seinem Aufbau ebenso Haustechnik, Versorgungs- und Sanitäranlagen wie Büro- und Veranstaltungsräume beinhaltet. Ansonsten verblieb der Innenraum weitestgehend in seiner ruinösen Struktur, ergänzt lediglich durch Fußbodenheizung, neuen Fußbodenbelag, Neuverglasung der Fenster sowie eine verbretterte, offene Dachkonstruktion. Damit ist das Bauwerk nun für ein weitgespanntes Veranstaltungsprogramm zwischen Kirche, Kultur und Tagungen geeignet. Zugleich wurden das Büro der Kirchengemeinde und die Müncheberger Stadtbibliothek als ständige Nutzer integriert, beide untergebracht innerhalb des viergeschossigen Einbaus. Die Koordination dieser verschiedenartigen Nutzungsanforderungen und -ansprüche wurde in die Hände einer Betreibergesellschaft gelegt, die gemeinsam von Stadt, Kirche (je 40 % Anteil) und Förderverein (20 %) getragen wird. Hierbei stellt die Kirchengemeinde der Betreibergesellschaft das Bauwerk zur Verfügung. Diese übernimmt im Gegenzug die gesamten Betriebskosten und den Unterhalt sowie die Betreuung des Gebäudes. Finanziert wird dies wiederum durch Mieteinnahmen - die für Gemeindebüro und Stadtbibliothek benötigten Räume sind von Kirchengemeinde bzw. Stadt fest angemietet -, Einnahmen für Veranstaltungen sowie Einlagen der drei Gesellschafter. Seit Sommer 1997 in Betrieb, erfreut sich die wiedererstandene Kirche heute enormer Beliebtheit. Neben Gottesdienst und Gemeindearbeit finden kulturelle Angebote wie Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen sowie wissenschaftliche Kongresse, Tagungen und Begegnungsveranstaltungen statt. Hiervon fühlt sich insbesondere die nicht-kirchliche Bevölkerung aus Stadt und Umgebung angezogen, während seitens der Kirchengemeinde, die ihre Gottesdienste und Veranstaltungen über 50 Jahre in der Abgeschiedenheit des Gemeindesaals beging, noch mancherlei Berührungs- und Akzeptanzprobleme bestehen. Insgesamt gesehen wird die Mischnutzung des Kirchengebäudes aber auch von ihr mehr und mehr als Chance zur eigenen Re-Integration in die Stadtgemeinschaft wahrgenommen. Kirchen-Wiederaufbau wird somit zum Gemeinde-Aufbau, geradezu zum Stadt-Wiederaufbau. Lange Zeit ins Abseits gestellte Gemeindearbeit erfährt neue Impulse, ein brachliegender Stadtmittelpunkt wird geistig, kulturell und architektonisch wiederbelebt. Die Aufstellung solcher Beispiele lässt sich ohne weiteres fortführen: Überall, auch an der Kreuzeskirche in Essen - aktuell im Ausbau zu einem "öffentlichen Forum des Dialogs und der Begegnung"[32] -, an der Passionskirche in Berlin-Kreuzberg - unter dem Motto "Passion ist offen" seit Jahren erfolgreiche Konzert- und Kulturkirche[33] - oder am Dom St. Marien in Fürstenwalde/Spree - nach Kriegszerstörung erst 1995 als kirchliches Kultur- und Gemeindezentrum wiedererstanden[34] -, wurden Kirchen mittels - kultureller - Nutzungserweiterung aus einem Schattendasein wieder in den Mittelpunkt gerückt und nachfolgend als Lebensraum neu erobert. Und dabei gewannen nicht nur die Bauten selbst enorm an öffentlicher Wirksamkeit, sondern auch deren - kirchliche - Eigentümer, die darüber jeweils ganz neu Eingang in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs fanden. Mit Blick auf die tiefgreifenden Probleme um den künftigen Erhalt und Unterhalt von Kirchengebäuden gilt es denn auch, diese Zusammenhänge deutlicher als bisher in den Blick zu nehmen und die Nutzungserweiterung von Kirchen nicht als Gefährdung oder gar Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen: Kirchen sind schließlich weit mehr als kirchgemeindliche Gottesdienststätten. Sie sind Zeichen Jahrhunderte langer Tradition und Identifikation - und erreichen eine hohe, weit über die Institution Kirche hinausragende öffentliche Präsenz und Relevanz.[35] Entsprechend groß ist das gesamtgesellschaftliche Interesse an der Erhaltung dieser Bauten - und dies sollte von Kirchenleitungen wie Gemeinden stärker als bisher ernst und auch in Anspruch genommen werden, um so viele Kirchen wie möglich auch weiterhin in kirchlicher Nutzung zu halten. Ohne die Bereitschaft, Kirchengebäude auf eine größere Öffentlichkeit hin zu öffnen, wird es zudem nicht gelingen, außerkirchliche Finanzpartner für kirchliche Sanierungs- und Umbauprojekte zu gewinnen.[36] Dies aber ist unbedingt vonnöten; denn Landeskirchen und Diözesen wie Gemeinden vor Ort sind schon jetzt nicht mehr in der Lage, die Mittel für Restaurierung und Instandhaltung ihrer Baulichkeiten zureichend aufzubringen.[37] Katholische Gemeinden haben hierbei auf den ersten Blick die Schwierigkeit, über Räume zu befinden, die ihrem Verständnis wie canonischem Recht nach als "heilig" angesehen werden. Alle Nutzungen, die mit der Heiligkeit des Ortes unvereinbar sind, scheinen demnach ausgeschlossen.[38] Doch auch bei Protestanten gehen die Emotionen im Falle anstehender Veränderungen hoch, wird der Raum allem theologisch anderslautenden Verständnis zum Trotz als ein dem Profanen gegenüber besonderer, gewissermaßen entgrenzter aufgefasst. Frühere Zeiten dachten demgegenüber freier: Mittelalterliche Kathedralen waren zum Beispiel gleichsam Gottesdienstort wie weltlicher Versammlungsraum.[39] Letzteres zeigt denn auch Perspektiven im künftigen Umgang mit Kirchenräumen auf. Es befreit allerdings nicht von der Pflicht, bei allen Überlegungen zur Nutzungserweiterung und -veränderung von Kirchen sowohl mit diesen wie den Menschen vor Ort äußerst einfühlsam und sensibel umzugehen: Neue Nutzungs- und Finanzierungskonzepte werden nur dann gelingen, wenn sie die jeweils ortsspezifischen Gegebenheiten schon bei der Planung hinreichend berücksichtigen - und somit auch auf breiter Basis umgesetzt und verantwortet werden können.[40] Welche Weite die Nutzung einer Kirche dann gewinnen kann, zeigt St. Maximin in Trier:[41] Säkularisiert unter Napoleon, danach mit Geschosseinbauten zur Kaserne mutiert, später im Chor zur Kirche rückgebaut, kehrte sie schließlich - im Kasernenteil nun als katholische Schule genutzt - in kirchliche Obhut zurück. Als Mitte der siebziger Jahre auch dieser Gebrauch endete, begann die Suche nach einer neuen Nutzung: Einen Bedarf zur kirchgemeindlichen Verwendung des riesigen Kirchenraumes, der im Zuge dringlicher Sanierungsmaßnahmen wieder freigeräumt wurde, gab es in Trier nicht. Endlich entstand das Konzept, St. Maximin zur kulturellen Nutzung sowie als Aula und Sporthalle für benachbarte katholische Schulen auszubauen. 1995 eingeweiht, finden darin von Zeit zu Zeit aber auch wieder (Schul-)Gottesdienste statt. Die Chancen, die sich aus diesem Zusammenspiel von Kirche, Kunst[42], Kultur und Sport ergeben, seien nur mit der ständig wiederkehrenden Frage hier turnender Kinder nach ihrer ungewöhnlichen Turnhalle angedeutet. So gilt es denn auch, den Druck der Finanzen von kirchlicher Seite nicht als erdrückendes Problem, sondern als Anstoß und Herausforderung zu Öffnung und Veränderung wahr- und ernst zu nehmen: In der Nutzungserweiterung von Kirchen liegen ungeahnte Chancen zur Entwicklung zukunftsoffener Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Kirche und Welt. Kirche, Kunst und Kultur bilden dabei einander gegenseitig befruchtende Brückenschläge zur ganzen Gesellschaft.[43] Vor Jahren stand - in Kreide geschrieben - an der Berliner Passionskirche, einem stattlichen Bau der Jahrhundertwende inmitten von Kreuzberg: "Es ist so ruhig, der Wind weht fein,der Gott muß wohl gestorben sein."[44] Die Gemeinde ließ sich davon anstacheln, suchte den Dialog mit dem Stadtteil - und öffnete sich und ihre Kirche: Heute ist Passion eine der wohl am stärksten frequentierten Kultur- und Konzertkirchen Deutschlands. Vom einst drohenden Abriss ist längst keine Rede mehr - im Gegenteil: Aus ihrem Umfeld ist Passion - als Gemeinde wie als Kirche - nicht mehr wegzudenken.[45] Anmerkungen
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