Im Jahr 1525 reichen Straßburger Künstler beim Rat der Stadt eine verzweifelte Bittschrift ein: "Weil wir denn nun nichts können, als das, wozu wir ausgebildet wurden, dieses jetzt aber nichts mehr gilt, wir aber, was wir könnten und vermöchten, gern tun und darum arbeiten wollen, damit wir uns und die unsrigen wie bisher ernähren können, ist es unsere Bitte, euer Gnaden mögen gnädig uns als Ihre armen gehorsamen Bürger berücksichtigen wollen, etwaige Ämter zu übernehmen, zu denen wir tauglich sind." Dieser Bittschrift verdeutlicht, was "Das Erlöschen des Fegefeuers und der Zusammenbruch der Auftraggeberschaft für sakrale Kunst"[1] für die einzelne Künstlerexistenz bedeutet hat. Rund einhundert Jahre hat es gedauert, bis sich die Zunft der Maler und Bildhauer von jenem Einbruch der Nachfrage, der durch die Reformation bedingt war, erholt hat.[2]
Otto Riedels nach 50 Jahren neu aufgelegter Roman "Der Bildschnitzer von Zwickau" geht einem Schicksal eines derartigen Künstlers nach, fühlt sich in die historischen Ereignisse ein und stellt die Fronten dar, zwischen die die Kunst im Gefolge der verschiedenen reformatorischen Bewegungen geraten war. "Zwickau am Vorabend des Weltuntergangs: Der »Englische Schweiß«, eine heimtückische Krankheit, bricht über die Stadt herein, und die Reformation spaltet ihre Bürger in widerstreitende Lager. Zwischen alter und neuer Zeit versucht das künstlerische Schaffen des spätgotischen Bildschnitzers Peter Breuer zu vermitteln. Dabei droht er an Intrigen zu scheitern und im Spannungsfeld zwischen Bildersturm und Bildergebot, zwischen Kunst als Gottesdienst oder Götzendienst, unterzugehen." [Klappentext]
Als Beispiel dient Riedel der Tilman-Riemenschneider-Schüler Peter Breuer, dessen Hauptwerk, die "Beweinung Christi" in der Zwickauer Marienkirche zu den wertvollsten und ausdrucksstärksten plastischen Werken der Spätgotik zählt. Der Autor Otto Riedel (1908-1983) war von 1955 bis 1973 Pfarrer an der Katharinenkirche Zwickau, der Wirkungsstätte Thomas Müntzers. Riedel verfasste zahlreiche Romane, Erzählungen und Gedichte und wandte sich dabei vor allem biographischen und christlichen Themen zu. Die jetzigen Herausgeber, Tobias J. Knoblich und Martin A. Völker, haben das Werk mit einem Personenglossar und einem erläuternden Nachwort versehen. Literarisch ist - wie die Herausgeber zu Recht schreiben - Riedel schwer einzuordnen, sprachlich setzt er im Roman sicher keine avancierten Marken. Manches ist erzählerisch mehr der gehobenen Unterhaltungsliteratur zuzuordnen.[3]
Der Anspruch, mit dem Roman zugleich "eine Antwort auf die Befindlichkeiten und auf das Unbehagen des Menschen der Moderne zu finden", wie die Herausgeber schreiben, ist allerdings an der zeitlichen Befangenheit der 50er Jahre gescheitert. Und nimmt man die Einordnung in die kulturprotestantische Tradition, die die Herausgeber für Riedel ebenfalls vornehmen, einmal ernst, dann zeigt sich exakt deren Problem: nämlich das einer ungebührlichen Verquickung mit der Kultur der Zeit und nicht deren Durchbrechung und Erweiterung. Aber der Autor hat für seinen Roman offensichtlich sorgfältig recherchiert und in seiner Schilderung vieles von der (verzweifelten) Atmosphäre eingefangen, die die Konflikte zu Beginn der Neuzeit bestimmt hat. Darin ist der Roman sicher lesenswert.
Anmerkung
- Göttler, Christine/Jezler, Peter: "Das Erlöschen des Fegefeuers und der Zusammenbruch der Auftraggeberschaft für sakrale Kunst." In: ... kein Bildnis machen. Kunst und Theologie im Gespräch. Hg. von Dohmen/ Sternberg. Würzburg 1987. S.119-148.
- Als Beispiel kann die Stadt Delft gelten: "Nach der Reformation von 1572 hatte die Lukas-Gilde der Stadt Delft weniger als 10 Maler, um die Jahrhundertwende waren es 23, 1650 zählte man 52." W. Kemp, Kunst wird gesammelt in: Funkkolleg Kunst, München 1987, Bd. 1, S. 189.
- So endet der Roman mit den Worten: "Er fasste des Meisters Hand, ehrfürchtig und ganz zart, und sagte, in der durch die Werksatt wehenden winterlichen Sternennacht den gekreuzigten Heiland fest mit den Augen umfangend: 'In diesem Zeichen werden sich einst nach viel Kampf und Streit alle finden, welche heimwärts wollen.' Peter nickte wortlos. Glanz von der Seligkeit der erlösten umschwebte seine Gestalt."
© Andreas Mertin 2002
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Magazin für Theologie und Ästhetik 17/2002 https://www.theomag.de/17/am59.htm
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Der Buch-per-Klick-Bestell-Service
Otto Riedel, Der Bildschnitzer von Zwickau. Hgg. von Tobias J. Knoblich und Martin A. Völker, 220 Seiten mit 8 Abb., Chemitz 2002
Das Buch kann zum Preis von 13,00 Euro beim Chemnitzer-Verlag bestellt werden.
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