Alfredo Jaar, Lament of the Images, Documenta11
Wer nach all den Video- und Dia-Inszenierungen in den verschiedenen Etagen des Fridericianums schließlich den Raum mit den Arbeiten von Alfredo Jaar betritt, sieht zunächst einmal im abgedunkelten Raum drei schmale Textfenster, die sich bei näherem Betrachten als Nachrichten von drei unterschiedlichen Ereignissen erweisen. Auf der linken Seite die Erinnerung an die Befreiung Nelson Mandelas am 11. Februar 1990 aus dem Hochsicherheitstrakt auf Robben Island. In der Mitte der Hinweis, dass Bill Gates zur Zeit eine der bedeutendsten Sammlungen historischer Fotografie "sichern", d.h. verschwinden lässt. Auf der rechten Seite die Mitteilung, dass die US-Regierung alle Satellitenaufnahmen über Afghanistan aufgekauft hat, was die unabhängige Dokumentation der Ereignisse und ihrer Folgen verhindert. Alle drei Nachrichten haben etwas mit dem Sehen zu tun, mit dem unmöglich gewordenen Blick der Erkenntnis, mit der "Blendung" unserer Wahrnehmungsfähigkeit.
Geht man nach der Lektüre durch einen dunklen Gang vorwärts, trifft man nach mehreren Biegungen auf einen zweiten Raum, der von einem nahezu unerträglich grellen weißen Licht erleuchtet ist. Nach all der Dunkelheit blendet das überstrahlende Weiß des Lichts. Plötzlich entsteht ein Bild für die Hitze in Afghanistan, ein Bild für das blendende Weiß des Kalkstein, den Mandela und andere Gefangene ohne Sonnenbrillen abbauen mussten, aber auch ein Bild für die schmerzhafte Lust, geblendet zu werden, ein Bild für den Exzess im Minimalismus.
"Images have an advanced religion. They bury history". Diese Äußerung von Alfredo Jaar zum State of the Art und zum State of the world ist aufschlussreich. "They bury history" - Bilder zerstören Geschichte. Wir haben entweder die Geschichte eines Bildes oder auch eine Geschichte in Bildern, oder aber wir sehen ein Bild, das gegen alle Geschichte(n) seine Gegenwart behauptet. Von der Macht dieses Bildes erfährt man etwas in Lament of the Images. Es geht um die Unmöglichkeit, ein historisches Bild zu sehen oder auch um die historische Unmöglichkeit, ein Bild zu haben. Jaars künstlerische Arbeit verfolgt daher keine Strategie der Verweigerung (das leere Bild), wie die FAZ rezensierte - dies würde eine religiöse Haltung voraussetzen -, sondern klagt die Form des Bildes selbst ein.
Durch die Arbeit von Jaar muss man hindurchgehen. Man muss den der Dokumentation zugrundeliegenden Dualismus selbst erfahren, um seine eindimensionale Logik zu entlarven. Bild und Schrift verweisen aufeinander, beziehen ihre Macht und Bedeutung aus dem jeweils anderen Medium. Ihre spezifische Bedeutung lässt sich jedoch nicht ineinander überführen. Hier zeigt sich die Täuschung der Dokumentation, deren schwebende Begründungsstruktur Jaar offen legt.
Hier von Verweigerung zu sprechen, zeugt von demselben Missverständnis, wie es die suprematistischen Bilder von Malewitsch häufig ereilt: Der Moment des White-out ist ein Bild gegen das darstellende und für das ästhetische Bild als Ereignis der Wahrnehmung. [KW]
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