Leon Golub, Fridericianum, Documenta11
Als "Meister des geborgten Leids" könnte man in aller Ambivalenz Leon Golub bezeichnen. In den frühen 70er Jahren war es der Vietnamkrieg, später weitere Menschenrechtsverletzungen der USA in anderen Ländern wie etwa El Salvador.
Auf der documenta 8 im Jahr 1987 unter Manfred Schneckenburger wandte sich Golub dem Geschehen in Südafrika zu, der Apartheid und ihren Folgen. Auf drei großformatigen Werken ging es um Gewalt und Rassismus, um Folter und Unterdrückung. Im Unterschied zu anderen engagierten Künstlern gehört zu Golub eine überzeugende Verknüpfung formaler und Inhaltlicher Momente. Golub trägt Acrylfarben auf den Leinwand auf und schabt sie anschließend von der Leinwand wieder ab. So entsteht ein Bildeindruck, der in Korrespondenz zum Bildinhalt steht.
Auf der documenta11 im Jahr 2002 unter Okwui Enwezor sind es wieder großformatige Arbeiten in der bekannten Intensität, aber auch mit einer gewissermaßen erschöpften Geste. 38 Jahre nach der documenta 3, auf der Golub zum ersten Mal gezeigt wurde, 15 Jahre nach der documenta 8, auf der er ein zweites Mal zu sehen war, sagt uns Golub eindringlich: noch immer gibt es Leid auf der Welt, noch immer bedrohen Soldaten mit ihren Waffen Zivilisten, noch immer gilt es, zu widersprechen, zu intervenieren, zu helfen.
Stefan Lüddemann hat in der Osnabrücker Zeitung über Golubs aktuelle documenta-Arbeiten geschrieben: "Nirgends Harmonie, keine Versöhnung - dieser Maler jenseits falscher Altersweisheit zeigt ein bitteres Diesseits. Der Mensch ist für Golub ein ewig Leidender, dem keine Erlösung zuteil wird. Also malt er auf zweimeterdreissig mal viermeterdreissig keinen Christus am Kreuz, sondern den gefesselten Prometheus und den Adler, der ihm jeden Tag die Leber zerfleischt. Das Gesicht im Schmerz verzerrt, die Haut wie verbrannt: Bei Golub hat die Qual kein Ende." Es gehört zur künstlerischen Ambivalenz der Arbeiten Golubs, dass sie eigentlich als Tafelbilder im White Cube inszeniert werden müssen, um ihre ganze Eindringlichkeit zu entfalten - hierin sind sie den Geschichten der griechischen Mythologie nicht unähnlich, die erst im Theater ihre besondere Intensität gewinnen. Ob Golubs Arbeiten heute noch dieselbe provozierende Kraft entfalten, wie vor 15 Jahren? Auch die Geste des "geborgten Leids" unterliegt der Gewöhnung.[AM]
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